20 Jahre Revolution in Nicaragua
„Los hijos de Marx saludan a los hijos de Sandino“ – “Die Kinder von Marx grüßen die Kinder von Sandino“ skandierten bundesdeutsche BrigadistInnen in den 80er Jahren bei ihrer Ankunft in Nicaragua. Als Symbol der Hoffnung und Beleg für die Möglichkeit einer grundlegenden Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse hatte das sandinistische Nicaragua eine enorme Anziehungskraft. Schon bald nach dem Triumph der Sandinistischen Front der Nationalen Befreiung (FSLN) über die 45jährige Diktatur des Somoza-Clans am 19. Juli 1979 entwickelte sich die größte und dauerhafteste Solidaritätsbewegung der Bundesrepublik.
Rückblickend betrachtet ist die Attraktivität Nicaraguas für die bundesdeutsche Linke keineswegs verwunderlich. Nicaragua schien auf dem Weg zu einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz: Alphabetisierung und Agrarreform, die Allianz von Revolution und Christentum, Blockfreiheit und der Versuch, sich vom Koloß im Norden zu emanzipieren. Auch die Aggression der USA (und ihrer Helfershelfer in der Bundesregierung) stärkte die Solidaritätsbewegung – es sollte wiederaufgebaut werden, was die Contra zerstörte.
Doch am Ende trug der Imperialismus einmal mehr einen Sieg davon – vor über neun Jahren wurde die FSLN abgewählt. Sechs Jahre Chamorro-Regierung und bald drei Jahre Präsidentschaft von Arnoldo Alemán haben von den Errungenschaften der Revolution nicht viel übriggelassen. Und auch die FSLN ist heute kein Hoffnungsträger mehr. Im Gegenteil: Die Führung der Frente Sandinista hat sich auf einen Pakt mit der Regierung eingelassen, der zutiefst undemokratisch ist und in erster Linie dem Machterhalt der politischen Eliten von FSLN und „liberaler“ Partei dient. Daniel Ortega kungelt mit dem erzkonservativen und höchst korrupten Präsidenten Alemán, wogegen SandinistInnen (außerhalb wie innerhalb der FSLN) auf die Straße gehen – wie zuletzt am 8. Juli bei einem „Nationalen Marsch gegen die Korruption“ .
Diese Momente des Auflehnens und Widerstehens sind es, die zeigen, daß die Revolution der achtziger Jahre keineswegs nur Geschichte ist. Viele derer, die Jahre ihres Lebens in den Dienst der Revolution stellten, sind frustriert und niedergeschlagen, doch noch immer gibt es eine große Anzahl an Menschen, die den Kampf für ein Leben in Würde und Freiheit nicht aufgegeben und haben und weiterhin für Veränderungen kämpfen. Die Ziele sind allerdings bescheidener geworden. Vom hombre nuevo, dem neuen Menschen, der sich zu oft als alter Macho entpuppt hat, spricht in Nicaragua heute niemand mehr. Die Alternative wird nun in basisnahen Strukturen gesucht – Demokratisierung, Dezentralisierung und der Aufbau von poder local bestimmen die Diskussion. Der Abschied von den sandinistischen Massenorganisationen der achtziger Jahre fiel nicht leicht, die Auseinandersetzung mit der FSLN ist bis heute für viele schmerzhaft.
Dies hat sich auch in diesem Schwerpunkt niedergeschlagen. So beschäftigen sich die drei Beiträge nicaraguanischer AutorInnen, allesamt langjährige militantes der Frente Sandinista, unter anderem mit der Frage der Reformierbarkeit der FSLN und ihrem Verhältnis zu den sozialen Bewegungen. Während die Feministin Sofía Montenegro keinerlei Hoffnungen in die FSLN mehr setzt und sich längst von ihr verabschiedet hat, sieht die Menschenrechtlerin Vilma Nuñez noch – wenn auch geringe – Chancen auf eine Erneuerung der FSLN.
„Die Revolution entläßt unsere Träume“ titelten die Lateinamerika Nachrichten bereits vor zehn Jahren, als die FSLN noch an der Macht war. Deren Abwahl war auch für die Solidaritätsbewegung eine herbe Enttäuschung. Teile von ihr bestehen jedoch bis heute weiter und widersetzen sich gemeinsam mit alten und neuen Kampfgefährten in Nicaragua und Deutschland den herrschenden Verhältnissen. Auch davon berichtet dieser Schwerpunkt – der eine Gemeinschaftsproduktion der Lateinamerika Nachrichten, des Ökumenischen Büros für Frieden und Gerechtigkeit und des Informationsbüros Niacaragua ist.