El Salvador | Nummer 320 - Februar 2001

Ein ausgezeichnetes Geschäft

Die meisten Opfer des Erdbebens in El Salvador sind Resultat der Profitinteressen von einflussreichen Politikern der Regierungspartei ARENA

Am 13. Januar verheerte ein Erdbeben mit einer Stärke von 7,6 auf der Richterskala weite Teile des Landes. Nach bisherigen Daten sind mindestens 180.000 Häuser zerstört oder beschädigt und eine Million Menschen obdachlos. Die Schäden sind enorm, doch längst nicht alle sind nur dem Beben zuzuschreiben.

Michael Krämer

Kritik an den Herrschenden wird in El Salvador gemeinhin in Witze verpackt. Auch über den derzeitigen Präsidenten Francisco Flores kursiert davon eine große Menge. Als unbeliebt, naiv und etwas dümmlich wird er darin charakterisiert, und als einer, der sein eigenes Land nicht kennt. Derzeit haben Witze in El Salvador keine Konjunktur mehr. Der Spott über den Präsidenten ist der Verzweiflung und dem Zorn gewichen.
Die Mehrzahl der weit über 1.000 Toten des Erdbebens könnte nämlich noch leben, hätte der Präsident der ultrarechten ARENA-Regierung sich etwas weniger um die Profitinteressen seiner politischen Freunde und Unterstützer gesorgt und statt dessen den Warnungen von UmweltschützerInnen und OppositionspolitikerInnen Gehör geschenkt. Diese Menschen lebten in der Gemeinde Las Colinas im Landkreis Santa Tecla. Sie starben nicht durch die „Naturkatastrophe“ Erdbeben – nicht eines ihrer Häuser wurde durch das Beben selbst zum Einsturz gebracht –, sondern wurden unter einem riesigen Erdrutsch begraben, der sich von der Cordillera del Bálsamo löste. Dieser Höhenzug war bis vor kurzem noch eines der letzten halbwegs intakten Naturreservate in der Nähe der Hauptstadt San Salvador.
Doch obwohl die Cordillera del Bálsamo als Schutzgebiet ausgewiesen ist, wurde vor einigen Jahren mit dem Bau von Luxussiedlungen und der Rodung des alten Baumbestandes begonnen. Miriam Haydee Zometa, bis vor einem Jahr Bürgermeisterin im Landkreis Santa Tecla und Mitglied der früheren Guerillabewegung FMLN, setzte zwar vor zwei Jahren einen gerichtlichen Stopp für 21 Bauvorhaben in der Cordillera mit der Begründung durch, dass die Bauten illegal seien, da die Lokalverwaltung gar keine Baugenehmigung erteilt hätte.
Die staatliche Baubehörde zog aber prompt vor das Oberste Gericht, um diese Behinderung der „Privatinitiative, die Arbeitsplätze und Prosperität schaffe“, zu beenden. Wie nicht anders zu erwarten, hob das Oberste Gericht, das noch immer von ARENA und anderen Rechtsparteien kontrolliert wird, das Urteil im vorigen Jahr auf, die Abholzung konnte munter weitergehen.

Nicht nur eine Naturkatastrophe

Bei drei Luxussiedlungen wurden die Bauarbeiten allerdings zu keiner Zeit unterbrochen. Die feinen Bauherren saßen an den Schalthebeln der Macht und mussten sich weder um Gerichtsurteile noch um eine renitente Bürgermeisterin oder den Protest der AnwohnerInnen scheren. Eine der neu gebauten Siedlungen wurde von der Baufirma des ARENA-Wahlkampfmanagers Ricardo Posada direkt oberhalb von Las Colinas auf dem Gelände der ehemaligen „Finca La Gloria“ errichtet, eine andere sind die edlen „Quintas de Santa Elena“, mit denen Hans Bodewig, bis 1999 ARENA-Wohnungsbauminister, ein ausgezeichnetes Geschäft machte.
In Las Colinas wurde Präsident Flores von aufgebrachten Überlebenden beschimpft und mit Steinen beworfen, als er sich in großer Medienbegleitung am Tag nach dem Erdbeben dort blicken ließ. Seither läuft eine Kampagne in den staatlichen und regierungsnahen Medien, in der immer wieder betont wird, dass das Erdbeben und seine Folgen nichts als eine Naturkatastrophe seien. Unermüdlich versichert die Umweltministerin bis heute, dass es keinerlei Zusammenhang zwischen dem Erdrutsch von Las Colinas und der illegalen Abholzung gebe. Auf die Ankündigung einiger sozialer Organisationen, auf Grund der rechtswidrigen Bebauung juristische Schritte gegen (ehemalige) Regierungsmitglieder zu prüfen, reagierten ARENA-Politiker allerdings ziemlich gereizt.
Eins ist sicher: Präsident Flores wird für die Katastrophe von Las Colinas nicht belangt werden. Für ihn ist das Erdbeben sogar ein Glücksfall, lenkt es doch von der handstreichartig begonnenen und von der breiten Bevölkerungsmehrheit abgelehnten Dollarisierung des Landes ab. Erst im vergangenen November hatte Flores seinen Plan zur Dollarisierung der Ökonomie präsentiert, die, so der neoliberale Präsident, für Preisstabilität, wirtschaftliches Wachstum und niedrige Zinsen sorgen werde. Trotz einer Verfassungsklage der Opposition sind die Dollarscheine und -münzen, die viele SalvadorianerInnen noch nie zuvor gesehen hatten, seit Anfang Januar gleichberechtigtes Zahlungsmittel neben dem einheimischen Colón. Das Chaos in Geschäften und beim Straßenhandel war genauso groß wie die Wut auf die Regierung.

Wer bekommt den Hilfekuchen?

Während halb El Salvador in Trümmern liegt, spricht erst einmal fast niemand mehr von der Dollarisierung. Präsident Flores versucht sein schlechtes Image nun über die Verteilung der internationalen Hilfslieferungen zu verbessern. Die zahlreichen von der FMLN regierten Landkreise erhielten in den ersten Tagen allerdings meist überhaupt keine staatliche Hilfe, und wenn, dann wurde oft der Gemeinderat umgegangen und zum Beispiel das Militär mit der Koordinierung betraut. In den nächsten Wochen und Monaten wird viel Geld nach El Salvador fließen, die Profiteure von ARENA und Unternehmerverbänden stehen bereits in den Startlöchern, um sich den Hilfekuchen untereinander aufzuteilen. Nichts Neues in El Salvador also: Schon nach der Hurrikankatastrophe Mitch Ende 1998 verwendete die Regierung einen Teil der Hilfsgelder zum Stimmenkauf für die Präsidentschaftswahlen, die Flores 1999 an die Macht brachten, wie ein ehemaliger Chef der Paramilitärs nach den Wahlen enttäuscht öffentlich machte – ARENA hatte ihm die versprochene zweite Schmiergeldrate vorenthalten.
Leiter des Nationalen Wiederaufbaukomitees wurde übrigens der Unternehmer Roberto Murray Meza. Seine besonderen Qualitäten? Er gilt als wahrscheinlicher nächster Präsidentschaftskandidat von ARENA.

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