Lateinamerika | Nummer 318 - Dezember 2000

Ein Institut sucht nach seinem Profil

Günter Maihold, Direktor des Iberoamerikanischen Instituts Berlin, im Gespräch über Vergangenes, Heutiges und die Pläne für morgen

Seit gut einem Jahr ist Günter Maihold Direktor des renommierten Iberoamerikanischen Instituts Berlin. Der 70. Geburtstag dieser Einrichtung ist Anlass, die in Auftrag gegebenen Untersuchungen zur nationalsozialistischen Vergangenheit zu resümieren – und zu erläutern, wohin die Reise derzeit gehen soll, in Zeiten, da das unabhängige Weiterbestehen des Instituts keineswegs gesichert ist.

Valentin Schönherr

Vor wenigen Jahren ging noch eine Meldung durch die Presse, dass das Iberoamerikanische Institut wahrscheinlich geschlossen oder ohne eigenen Forschungs- und Bibliotheksbereich der Staatsbibliothek Berlin angegliedert werden müsste. Mittlerweile kann das Ibero seinen 70. Geburtstag feiern, und es geht ihm wohl besser als je zuvor, soweit man das von außen erkennen kann. Was ist passiert in der Zwischenzeit?

Die Gefahr ist nicht überstanden. Wir befinden uns jetzt in einer Moratoriumsphase. Der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat entschieden, dem Iberoamerikanischen Institut einen Zeitraum von fünf Jahren einzuräumen, um seine Aufgaben und Funktionen sowie seine inneren Strukturen neu zu definieren. Der formale Grund dafür war die Übernahme von Hauptstadtfunktionen in Berlin. In diesen fünf Jahren befinden wir uns jetzt. Mein Vertrag ist auch auf diese Phase beschränkt, und ich gehe davon aus, dass wir irgendwann im Jahre 2004 zu einer definitiven Entscheidung über die Zukunft dieses Hauses kommen werden.

Wie sind die Aussichten?

Ich bin Berufsoptimist. Wir unternehmen alles, um ein Profil anzubieten, das dem Niveau des Hauses und seinem internationalen Ruf entspricht. Als außeruniversitäre Einrichtung wollen wir zeigen, dass wir im Forschungsbereich einen konzeptionellen Ansatz haben, der geeignet ist, sich selbst zu tragen – und dass das auch hinreichend interessant ist für ganz Deutschland, für West- wie Osteuropa sowie für Lateinamerika, Spanien und Portugal.

Welche Schwerpunkte beinhaltet dieser Ansatz?

Es hat hier eine interdisziplinäre Expertenkommission gearbeitet, die gemeinsam mit den Mitarbeitern des Institutes ein Forschungsprofil definiert hat. Sie hat auch eine Empfehlung zur Gestaltung des Veröffentlichungsprofils vorgelegt, das Erwerbungs- und Erschließungskonzept des Hauses überprüft, das heißt, uns auf Herz und Nieren abgetastet. Innerhalb des Forschungskonzeptes ist festgelegt, dass wir an zwei Forschungsdächern arbeiten. Das eine sind die Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika in Vergangenheit und Gegenwart, das zweite geht über kulturelle Globalisierungstendenzen und Identitäten in Lateinamerika. Unter diesen Forschungsdächern befinden sich jeweils einzelne Forschungsprojekte. Beim ersten geht es zum Beispiel um das Verhältnis einzelner europäischer Staaten zu Lateinamerika, das ja oft stark von den klassischen Bindungen der Migration und der revolutionären Solidarität geprägt ist. Unter dem anderen Forschungsdach versuchen wir einzugehen auf die Rolle der Medien in Lateinamerika, die Rolle von Technokraten in Entwicklungsprozessen, auf die Frage, wie sich territoriale Globalisierungsprozesse zum Beispiel im Bereich der mexikanischen Nordgrenze, im Bereich der Karibik niederschlagen … Eine Fülle von Themen ist da angedacht, so dass das Institut für die nächsten Jahre gut zu tun hat.

Das Verhältnis zwischen Europa und Lateinamerika betrifft ja das Iberoamerikanische Institut selbst, derzeit beschäftigt man sich intensiv mit der Vergangenheit des Ibero im Nationalsozialismus. Was sind die Ergebnisse, worauf ist man gestoßen, was lässt sich als Generallinie erkennen?

Es gibt ja eine Fülle von Veröffentlichungen, die sich auf die Rolle des Institutes bezogen haben, die letzte von Víctor Farías über Chile und den Nationalsozialismus, wo dem Institut eine starke Koordinationsrolle für die Beziehungen mit Lateinamerika über die Person des damaligen Direktors Faupel zugewiesen wird. In der Tat hat ein breites Netzwerk von Beziehungen bestanden, oftmals stellte es sich aber nach außen als mehr dar, als eigentlich da war. Es wurden eine Fülle von Vereinigungen der deutsch-lateinamerikanischen Ärzte oder sonstwas gegründet, die haben sich gegenseitig irgendwelche Orden um den Hals gehängt, irgendwelche Titel verliehen.
Aber es hat in der Tat eine Fülle von Versuchen gegeben, die Realitäten Lateinamerikas in den Dienst des Nationalsozialismus zu stellen; typisches Beispiel sind die Feiern zum “Día de la Raza”. Dabei wird allerdings auch erkennbar, dass der Faupel oft dynamischer war, als es den Machthabern des Nationalsozialismus recht war, und er dann teilweise wieder zurückgepfiffen wurde. Für uns ist diese Auseinandersetzung noch nicht abgeschlossen.

Die Forschungsergebnisse sind im Oktober mit einer kleinen Ausstellung im Lesesaal des Instituts präsentiert worden, die aber nicht allzu viele Interessierte erreicht haben dürfte. Wie kann man sich in der Folge darüber informieren?

Wir haben vor, die drei laufenden Studien zur Nazivergangenheit im Rahmen einer Veranstaltung offen zu legen und mit Interessierten zu diskutieren. Die Auseinandersetzung mit der Rolle des Institutes ist darüber hinaus Ausgangspunkt für ein eigenes Forschungsprojekt, nämlich über Lateinamerika im Nationalsozialismus und über den Nationalsozialismus in Lateinamerika. Das ist auch in Lateinamerika kein abgeschlossenes Kapitel. Es enthält eine Fülle von Dimensionen, die wir demnächst angehen wollen.
Dem Kapitel Spanien kommt noch eine besondere Bedeutung zu, da ja Faupel eine Zeit lang Botschafter des Nationalsozialismus in Spanien war, von Franco aber wegen zu großer Einmischung in innere Angelegenheiten nach Hause geschickt wurde, um hier als Direktor weiterzumachen. Es ist ein sehr komplexes Themenfeld, aber ich halte es auch deshalb für sehr spannend, weil es in Lateinamerika bisher öffentlich noch nicht ausgetragen worden ist, wenn man sich so einige Länder wie Chile, Uruguay, Paraguay, Argentinien ansieht.

Wie hat sich das Iberoamerikanische Institut zur Solidaritätsbewegung in den siebziger und achtziger Jahren verhalten?

Das Institut hat, nicht zuletzt infolge dieser nationalsozialistischen Erfahrung, sich durch eine relativ starke politische Abstinenz ausgezeichnet. Das hat auch institutionelle Gründe, weil nach 1945 das Institut ja erst einmal wieder nur als Bibliothek existierte, da die Alliierten unsere gesamten Akten abtransportiert haben und in die National Archives nach Washington verlegt haben. Insofern war man zunächst – weil man der Auffassung war, dass es sich hier um eine Zentralstelle der nationalsozialistischen Propaganda handelte – darauf aus, sich nicht in politische Sachen einzumischen, sondern das Institut eher im akademisch-kulturellen Bereich anzusiedeln.
Das Institut hat wohl von der Konjunktur der revolutionären Utopien und Solidaritäten gelebt, aber sich nicht in einer sehr dynamischen Weise da mit hineinziehen lassen. Andererseits findet man diese Zeit in den Beständen des Hauses doch in vielfacher Weise ausgeprägt. Wer in die Phonothek geht und unter Guatemala, Nicaragua und El Salvador nachsucht, findet eine Fülle von Revolutions-, Protest- und sonstigen Liedern, die quasi das gesamte Angebot dieser Länder enthalten. Erst heute streben wir wieder eine stärkere politische Funktion des Hauses an, indem wir auf die Hauptstadtfunktionen in Berlin verweisen. Heute muss es eine Aufgabe des Hauses sein, mit Entscheidungsträgern, die sich mit Lateinamerika befassen, einen Dialog zu führen über das, was dort passiert – und wie es einzuschätzen ist.

Gab es denn von der anderen Seite her Versuche – gerade zur Zeit der Diktaturen, etwa von Pinochet-freundlichen Kreisen aus –, das Ibero politisch zu instrumentalisieren?

Berlin war immer eingebettet in ein eher linksorientiertes Umfeld. Aber Versuche, das Institut auf die eine oder andere Weise – auch von rechts – für eine bestimmte Position einzunehmen, hat es immer wieder gegeben. Mir ist das selber aus dem zentralamerikanischen Fall bekannt, wo hier im Institut in der Abgrenzung von den Sandinisten über die Rolle der Kirche stärkere Positionen durchgesetzt werden sollten. Das Institut hat sich da stets sehr reserviert und distanziert verhalten.

Das Image des Iberoamerikanischen Instituts hat sich in den vergangenen Jahren stark verbessert, die Bibliothek ist benutzerfreundlicher geworden, das Auftreten nach außen wirkt moderner und, was die Veranstaltungen anbelangt, von der Programmatik her auch interessanter. Welche Impulse gab es dafür, und welches inhaltliche Interesse steckt dahinter?

Ich habe bei meiner Bewerbung dem Präsidenten und dem Stiftungsrat ein gewisses Konzept vorgetragen, wie ich einschätzen würde und wie ich meine, dass das Institut zu agieren hätte. Im Rahmen des Auswahlverfahrens ist dieses Konzept in meiner Person so gebilligt worden. Auf dieser Grundlage haben wir jetzt zu arbeiten begonnen. Das bedarf in vielfacher Hinsicht noch erheblich der konzeptionellen Konturen und auch einer Vernetzung mit den verschiedenen Institutionen, die in ähnlichen Bereichen arbeiten, europäisch und auch international. Für meinen Geschmack ist das Institut immer noch zu sehr ein Stand-Alone-Akteur. Es muss sich stärker in internationale Vernetzungen einbringen.
Das war die Arbeitsgrundlage. Ich habe entsprechend dem Präsidenten und dem Stiftungsrat im vergangenen Jahr ein Konzept vorgelegt, das auch in die Beratungen der Expertenkommission eingegangen ist, die ich schon erwähnte. Ich glaube, dass das, was die Expertenkommission den Gremien der Stiftung vorgelegt hat, ein Konzept ist, was diesen Weg im Wesentlichen so nachzeichnet. Damit haben wir da eine ganz gute Arbeitsgrundlage.

Wo liegen zurzeit die größten Schwierigkeiten des Instituts?

Die größten Schwierigkeiten des Instituts liegen in der deutschen Öffentlichkeit, darin, dass Lateinamerika einfach kein Thema auf der Agenda ist! Wir tun uns, und das wird Ihnen [den LN] nicht anders gehen, ungemein schwer, über die oberflächliche kulturelle Identifikation mit Buena Vista Social Club und Son hinaus die alten Identifikationen, die wir jedenfalls in den sechziger und siebziger Jahren kannten, wo man sich einmal tiefer auf ein Land oder eine Region eingelassen hat, wieder herzustellen. Wir müssen uns heute Terraingewinne in dem Bereich sehr viel härter erarbeiten.
Nach meiner Auffassung besitzt das Institut dafür eine hervorragende Konstellation durch diesen Hybridcharakter, Kulturelles, Akademisches und Wissenschaftlich-Politisches miteinander verbinden zu können. Da kann man in der Bibliothek Bücher, Zeitschriften, Landkarten, Musik und Videos anbieten und im Veranstaltungsbereich dies entsprechend nachvollziehen. Aber die Bedeutung Lateinamerikas für Deutschland und Europa herauszuarbeiten, ist eine der wichtigsten Herausforderungen auf der Makroebene.
Auf der Mikroebene der eigenen Institution ist für uns ganz wichtig, dass es uns gelingt, die Koordinaion zwischen Bibliothek, Veranstaltungen und Forschung stärker zu entwickeln. Wir haben da schon ein paar Schritte nach vorne gemacht, aber es gilt deutlich zu machen, dass wir nur so arbeiten können, weil wir die Bibliothek im Kreuz haben, und dass auch die Bibliothek versteht, dass die Tatsache, dass wir Forschungskontakte knüpfen und dass wir internationale Symposien und Kulturaustausch betreiben, für sie ein wichtiges Projektionsfeld darstellt. Das muss im Hause noch erheblich weiter gedeihen, damit wir zu einer homogenen Einheit kommen.

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