Argentinien | Nummer 429 - März 2010

Ein Paria will zurück

Argentinien arbeitet an der Rückkehr auf die internationalen Finanzmärkte. innenpolitische Konflikte erschweren der Regierung indes das Vorgehen

Für argentinische Verhältnisse und angesichts der globalen Wirtschaftskrise steht das südamerikanische Land ökonomisch gut da. Die Auslandsverschuldung und der Teil der Exporterlöse, der auf die Bedienung der Schulden entfällt, sind weit von den Dimensionen entfernt, die 2002 in den Staatsbankrott mündeten. Die Wirtschaft selbst ist seit Jahresbeginn wieder auf Wachstumskurs. Die Notwendigkeit, frisches Investitionskapital für Großprojekte aufzubringen, bereitet der Regierung von Cristina Fernández de Kirchner indes weiter Kopfzerbrechen, zumal es an politischen Widerständen nicht fehlt: Weder der rechte Flügel innerhalb der peronistischen Partei, noch die Agraroligarchie haben Interesse an der Fortsetzung der klassisch sozialdemokratischen Umverteilungspolitik.

Martin Ling

Argentiniens Marschroute für 2010 ist klar: Rückkehr auf die internationalen Kapitalmärkte, aber nicht um jeden Preis. Bei den Verhandlungen mit den privaten GläubigerInnen, als auch mit den im Pariser Club zusammengeschlossenen Gläubigerstaaten soll der Internationale Währungsfonds (IWF) außen vor bleiben. Denn Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner teilt die Meinung ihres im Juli 2009, nach den verlorenen Teilkongresswahlen, berufenen Wirtschaftsministers Amado Boudou: „Der IWF war für viele, um nicht zu sagen für alle Rückschläge in unserem Land verantwortlich.“
Seit Argentinien zur Jahreswende 2001/2002 einen veritablen Staatsbankrott hinlegte, ist das Land ein „Paria“ auf den internationalen Finanzmärkten. Zudem kam der harte Kurs des von 2003 bis 2007 amtierenden Präsidenten Néstor Kirchner gegenüber den privaten GläubigerInnen nicht gut an. Nach dem sonst nur vom IWF bekannten Motto „Friss oder stirb“ bot er den privaten AnlegerInnen an, entweder auf 75 Prozent ihrer sich insgesamt auf 104 Milliarden US-Dollar belaufenden Forderungen zu verzichten oder ganz leer auszugehen.
Die Rechnung ging für Argentinien zu 80 Prozent auf, nur GläubigerInnen in Höhe von insgesamt 20 Milliarden Dollar verweigerten sich der Zwangsumschuldung und versuchen bis heute, juristisch ihre Forderungen zu realisieren. Die „Paria-Stellung“ schneidet Argentinien de facto vom internationalen Kapitalmarkt ab. Das war bisher kein größeres Problem, schließlich kam das beträchtliche Wirtschaftswachstum von 2003 bis 2008 mit jährlichen Raten von über acht Prozent ohne Zufluss von ausländischem Kapital zustande.
Seit 2010 sieht die Lage indes anders aus: 13 Milliarden Dollar an Tilgung und Zinsen werden fällig und das gibt der gebeutelte Staatshaushalt nicht so ohne weiteres her, da er durch den Wirtschaftseinbruch 2009 im Rahmen der Weltwirtschaftskrise stark angeschlagen wurde.
Um nicht bei den Sozialprogrammen kürzen zu müssen, will Fernández de Kirchner die in den Boomjahren reichlich angehäuften Devisenreserven anzapfen und 6,6 Milliarden Dollar aus den 48 Milliarden Dollar Währungsbeständen der Zentralbank für den Schuldendienst 2010 einsetzen. So soll im Rahmen des neu geschaffenen Jubiliäumsfonds, dem so genannten Fondo Bicentenario zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit, das Vertrauen der InvestorInnen gestärkt und damit der Risikoaufschlag (Zins) für argentinische Anleihen gesenkt werden. Ob das klappt, ist angesichts der seit Juni 2009 zu Ungunsten von Fernández de Kirchner veränderten politischen Machtverhältnisse noch offen.
Ein Bremsklotz ist mittlerweile aus dem Weg geräumt: Martin Redrado, der bis Ende Januar amtierende Zentralbankchef. Der von der Financial Times Deutschland als „Che Guevara der Zentralbank“ Gefeierte hatte sich geweigert, Währungsreserven für den Schuldendienst freizugeben. Allerdings hatte er 2005 unter Néstor Kirchner keine Probleme, die Währungsreserven zur Ablösung der IWF-Schulden auf einen Schlag freizugeben. Das verweist die Mär eines Che Guevara in das Reich der Sagen.
Nachdem er sich anfangs noch juristisch gegen seine Entlassung per präsidialem Dekret am 7. Januar gewehrt hatte, reichte Redrado schließlich am 29. Januar selbst seinen Rücktritt ein. Seine Nachfolgerin Mercedes Marcó de Pont gilt als enge Vertraute von Fernández de Kirchner. Die Präsidentin besetzt offenbar nach dem Verlust der Mehrheiten ihres Regierungsbündnis Frente para la Victoria sowohl im Abgeordnetenhaus, als auch im Senat wichtige Posten im Staatsapparat mit Gewährsleuten: Die Positionierung von Boudou als Wirtschaftsminister und nun Marcó de Pont als Zentralbankchefin deuten darauf hin.
Marcó de Pont hatte als Abgeordnete für die Frente para la Victoria 2007 einen Gesetzentwurf für die Reform der Zentralbankstatuten vorgelegt, indem die Zentralbank, über die bisherige Wahrung der Geldwertstabilität hinaus, künftig auch zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung verpflichtet werden sollte. Die an der Universität von Buenos Aires und an der US-amerikanischen Yale-Universität ausgebildete Volkswirtin gehört zu den so genannten Desarrollistas, die eine aktive, interventionistische Wirtschaftspolitik des Staates propagieren. Somit liegt sie auf der Linie der Kirchners und ist daher den Neoliberalen in und außerhalb Argentiniens ein Dorn im Auge.
In ihrem bisherigen Amt als Leiterin der Staatsbank Banco Nación versuchte Marcó del Pont, die Wirtschaft durch die Vergabe von subventionierten Krediten an Unternehmen und VerbraucherInnen zu stimulieren. Als Zentralbankchefin steht sie nun der Bank der Banken vor, was ihre Einflussmöglichkeiten erweitert.
Indes steht sowohl ihre Bestätigung seitens des Kongresses, als auch die Zustimmung zur Schuldenbedienung mittels Zentralbankreserven noch aus. Für letztere reicht eine Mehrheit in einer der beiden Kammern. Im Senat sind 35 SenatorInnen dafür, 35 haben erklärt, dagegen zu stimmen. Das Zünglein an der Waage bilden nun vermutlich die beiden Senatoren der Provinz „La Pampa“, die mit Kirchner de Fernández über den Preis ihrer Zustimmung verhandeln. Entschieden ist unterdessen noch nichts, zumal der Kongress seine regulären Sitzungen erst wieder am 1. März aufnimmt.
Ein mit der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Dekrets beauftragtes Bundesverwaltungsgericht hat den Fall unterdessen am 24. Februar an den Obersten Gerichtshof verwiesen und verbot fürs Erste die Nutzung der Devisenreserven zur Schuldenbedienung. Fernández de Kirchner hält an ihrer Position fest und reagierte auf den vorläufigen Gerichtsentscheid gelassen. Der Beschluss, den so genannten Fondo Bicentenario zu schaffen, sei keine übereilte Entscheidung gewesen; sie wurde getroffen aufgrund „der Aufgaben, den die Währungsreserven zu erfüllen haben, nämlich die monetäre Stabilität zu gewährleisten.“ Dementsprechend sieht sie das Dekret verfassungsmäßig gedeckt. Indes wird sich der Oberste Gerichtshof erst nach einer Entscheidung im Kongress äußern und es gilt als unwahrscheinlich, dass er dem Kongressbeschluss nicht folgt.
Die Diskussionen über den Fondo Bicentenario, sowie die Nutzung von Währungsreserven zur Schuldenbedienung in dessen Kontext, sind im Kern eine Auseinandersetzung über die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik. Auf der einen Seite wollen die Kirchners an ihrem staatsinterventionistischen Kurs festhalten. Néstor gilt trotz kürzlicher Notoperation an der Halsschlagader nach wie vor als potenzieller Präsidentschaftskandidat für 2011. Auf der anderen Seite stehen mögliche Herausforderer wie die Rechtsperonisten Carlos Reutemann, Julio Cobos und insbesondere Mauricio Macri für eine neoliberale Politik à la Menem, als hätte es als deren Spätfolge das Fiasko 2001/2002 nicht gegeben. Die wirtschaftliche Entwicklung bis zu den Wahlen 2011 dürfte maßgeblichen Einfluss auf die Chancen des so genannten Kirchnerismo haben, das Projekt K verlängern zu können.
Für 2010 plant die Regierung laut Haushaltsgesetz insgesamt einen Zuwachs des öffentlichen Investitionsbudgets um 13,6 Prozent auf 37 Milliarden argentinische Peso (rund 9 Milliarden US-Dollar). Großbauprojekte, wie zwei bereits ausgeschriebene Wasserkraftwerke, aber auch ökologisch umstrittene Bergbauprojekte stehen in der Planung.
Allen Unkenrufen zum Trotz hat Südamerikas zweitgrößte Volkswirtschaft die globale Rezession besser verkraftet als viele Prognosen vorhersagten. Die Weltmarktpreise für Argentiniens Exportschlager Soja, aber auch Weizen und Mais, haben sich wieder stabilisiert. Die Steuereinnahmen im Januar 2010 lagen um 20 Prozent über dem Vergleichsmonat 2009, was ein klares Indiz für eine Erholung der Wirtschaftsaktivität ist. Statt den drei Prozent minus wie 2009, wird für 2010 schon wieder ein Wachstum von vier Prozent erwartet.
An politischen Baustellen fehlt es dennoch nicht: Die Staatsausgaben wuchsen zuletzt drei Mal so schnell wie die Einnahmen; der 2008 auf dem Höhepunkt der Sojahausse vor der Wirtschaftskrise vom Zaun gebrochene Agrarkonflikt ist nach wie vor ebenso ungelöst wie die Umschuldung und Einigung mit den PrivatgläubigerInnen, die 2005 bockten: Sie stehen immerhin mit 29 Milliarden Dollar, inklusive seit 2005 aufgelaufener Zinsen, zu Buche.
Ohne Einigung mit diesen GäubigerInnen sollte es sich Fernández de Kirchner gut überlegen, das geplante Konto für den Fondo Bicentenario in den USA zu eröffnen. Denn dort würde bei Klagen der AltgläubigerInnen die Beschlagnahmung seitens US-amerikanischer Gerichte drohen. Einen Präzedenzfall gab es Mitte Januar bereits. Dabei handelte es sich jedoch nur um ein Zentralbankkonto mit einem 1,5 Millionen Dollar-Guthaben und nicht um Milliarden.
Soviel ist sicher: Von monetärer Unabhängigkeit ist Argentinien auch 200 Jahre nach Beginn des Befreiungskrieges gegen die Spanier noch weit entfernt.

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