Musik | Nummer 309 - März 2000

En memoria Mario Bauzá

Interview mit dem Musiker Rudy Calzado

In den Vereinigten Staaten ist Rudy Calzado eine lebende Legende und einer der meistverehrten Vokalisten der Latin-Musik-Szene. Ihm hat der legendäre Mario Bauzá, Vater des afrokubanischen Jazz, seine Band vermacht. Im Oktober 1999 präsentierte er die erste Platte in Deutschland. Es ist eine Hommage des heute 70jährigen Calzado an seinen 1993 verstorbenen Freund Mario Bauzá. Seine Biographie liest sich wie die Geschichte der afrokubanischen Musik.

Knut Henkel

Sehr geehrter Herr Calzado, wo sind Sie aufgewachsen und wann haben Sie ihre erste musikalischen Gehversuche gemacht?

Ich bin 1929 in Santiago de Cuba geboren, stamme also aus dem Osten Kubas. Dort habe ich auch meine musikalische Karriere begonnen, im Orchester Mariano Mercedon, das war im Jahre 1948 oder 1949. Später bin ich dann zum Orchester Pancho Portuondo und mit ihm zusammen war ich auch das erste Mal im Ausland – in Mexiko.

War es nicht recht ungewöhnlich für eine Band aus Santiago in Mexiko zu touren? Waren Auslandsaufenthalte damals nicht eher den Bands aus Havanna vorbehalten?

Generell stimmt das schon. Deshalb bin ich auch Anfang der 50er Jahre nach La Habana gegangen, denn dort gab es ganz andere Möglichkeiten als in Santiago. Ich habe Anschluß an das Orchester von Enrique Jorrín, dem Erfinder des Cha-cha-chá, gefunden. Einige Jahre habe ich mit Jorrín und parallel mit José Fajardo und seinem Orchester, Fajardo y Sus Estrellas, zusammengearbeitet. Wir haben damals einige Jahre im Cabaret Montmatre in Habana gearbeitet, das war eine schöne Zeit, so ungefähr von 1956 bis 1959. Aber wie gesagt die Arbeit mit Jorrín und Fajardo lief zumeist parallel und 1953 war ich beispielsweise mit Jorrín im Ausland. Wir haben damals den Cha-cha-chá nach Mexiko gebracht und viel Spaß gehabt. Von dort kam ich drei Jahre später in die Vereinigten Staaten und 1958 war ich dann einige Zeit in Chicago, was mich fasziniert hat. Dann kam ein Engagement in Havanna, im Montmatre, und so bin ich für einige Zeit zurück nach Kuba gegangen. Aber ein Jahr später ging es über einige Auftritte in Venezuela zurück in die Staaten, direkt nach Chicago und da bin ich dann hängengeblieben – vierzig Jahre nun schon. Ich habe im Orchester „Nuevo ritmo de Cuba“ gespielt und 1960 reisten wir nach New York, wo ich den Meister Mario Bauzá kennenlernte – ein Treffen, das ich nie vergessen worden.

Bauzá war damals noch nicht Orchesterchef, oder?

Nein, Mario war die rechte Hand von Machito, quasi der zweite Bandleader des Machito Afro Cuban Jazz-Orchesters. Mario hatte aber eine ungeheure Ausstrahlung, er hat mich einfach beeindruckt.

Haben Sie damals schon mit ihm zusammengearbeitet?

Nein, vielleicht haben wir die eine oder andere Session gemacht, aber zusammengearbeitet haben wir nicht. Ich bin nach Los Angeles gegangen und habe dort Johnny Pacheco kennengelernt. Das war noch bevor die berühmte Fania entstand und ich habe in seinem Orchester gearbeitet. Wir haben Aufnahmen gemacht für ein Label namens „Alegre All Stars“. Wir hatten recht viel Erfolg und es war eine schöne Zeit. Ich habe Stücke geschrieben, arangiert und bin in den folgenden Jahren mit fast allen Stars der Fania auf Tour gewesen. Der Name Fania stammt übrigens von der Oma von Pacheco – die hieß Fánia. Aus dem Label ist dann ein echtes Imperium geworden, aber das ist ja hinlänglich bekannt. Ich habe damals viel mit Tito Puente gearbeitet, auf den Aufnahmen von Celia Cruz bin ich fast überall dabei und auch mit Tito Rodriguez habe ich sehr viel zusammengearbeitet.

Hatten Sie gar keine Lust ihre eigene Band zusammenzustellen, statt immer für andere zu spielen?

Doch das kam mit der Zeit. 1963 war ich mit einem eigenen Orchester in Frankreich und später in Spanien, aber ich bin immer wieder nach Los Angeles zurückgekehrt und habe mit den Leuten von der Fania zusammengearbeitet. Daran hat sich erst mit dem Tod meiner Frau 1983 etwas geändert. Ich habe mich dann der Big Band von Mario Bauzá angeschlossen und gemeinsam haben wir das Orchester geleitet – bis heute quasi, denn ich habe das Orchester nach dem Tode von Mario übernommen und nur ein wenig verändert.

Was hat Sie 1983 dazu bewogen der Band von Mario Bauzá beizutreten?

Ich habe Mario damals in Spanien wiedergetroffen und er hat mich eingeladen mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich hatte damals Angebote in Spanien zu arbeiten, aber er hat mich bearbeitet, mich aufgefordert ihn zu begleiten und mich eingeladen bei ihm zu wohnen. Fünf Jahre habe ich dann mit ihm in seiner Wohnung in New York gelebt. Wir haben uns prächtig verstanden, oft bis in die frühen Morgenstunden gearbeitet, Stücke geschrieben, arrangiert und das Repertoire der Band gemeinsam zusammengestellt. Mario nannte mich seine rechte Hand und er war eine wunderbare Person, als Freund und Musiker. Er war großzügig, zuverlässig und als Organisator bzw. Direktor einer Band oder eines Orchesters unschlagbar. Er hat ein großes musikalisches Erbe hinterlassen und er war es, der die kubanische Musik mit dem Jazz verschmolzen hat. Diese Hochzeit war nicht einfach, aber er hat es geschafft und nicht umsonst wird er als der Vater des afrokubanischen Jazz bezeichnet.

Das Album zu Ehren Marios ist sehr vielschichtig. Was hat Sie bewogen eine Zeitreise durch die kubanischen Rhythmen zu unternehmen?

Bauzá ist 1926 in die Staaten gegangen, nach Chicago. Er war begeistert vom Jazz und wollte deshalb in den Staaten bleiben. Er hat sich in den Jazz verliebt, ist nach Harlem gegangen und hat dort Anschluß an Jazzorchester gesucht und gefunden. Mit Chick Webb hat er Anfang der 30er Jahre zusammengearbeitet und wurde zum zweiten Bandleader des Orchesters. Er hat Chick auch ein wenig Unterricht in Sachen kubanischer Musik gegeben und diese Einflüsse machten sich alsbald auch in der Musik des Orchesters bemerkbar.
So fing es an und die kubanischen Rhythmen schlichen sich ins Repertoire der Band. Und genau diese Rhythmen haben auch wir in unserem Repertoire und sie gehören auf diese CD zu Ehren Marios.
Zudem ist die amerikanische Jugend sehr jazzbeeinflußt und sie hat begonnen den Einfluss der kubanischen Rhythmen im Jazz zu entdecken. Die ersten Einflüsse stammen von Chano Pozo, der gemeinsam mit Dizzy Gillespie den Bebop aus der Taufe hob. Das war der erste Schritt zur Geburt des afrokubanischen Jazz. Später hat man das, was sich da entwickelte dann Latin Jazz genannt. Das ist Blödsinn ist, denn die kubanische Musik hat keinerlei Wurzeln in der lateinamerikanischen Musik. Ihre Wurzeln liegen in Europa, in Italien. Aber das ist die gleiche Geschichte, wie mit der Salsa. Salsa ist kubanischer Son. Salsa ist kein eigener Rhythmus, es gibt keinen klassischen Salsarhythmus. Sehr wohl gibt es aber den Son Montuno, den Mambo von Pérez Prado, die Guaracha oder den Guaguancó, allesamt klassische kubanische Rhythmen. Die Salsa hingegen ist kein Rhythmus, sondern nur ein neuer Name, ein Scherz, ein Verkaufstrick und nichts anderes. Der hat jedoch ausgesprochen gut funktioniert.

Allerdings gepaart mit Einflüssen aus der puertoricanischen, der dominikanischen Musik – eine Salsa der Musik der gesamten Region?

Natürlich, ist da etwas dran. Mit der politischen Entwicklung Kubas haben sich viele Türen verschlossen, viele Bezüge wurden gekappt. Kuba ist aber nun einmal ein Land, das in jeder Dekade einen neuen Rhythmus, einen neuen Stil hervorgebracht hat. Den Danzùn, den Son, den Cha-cha-cha, den Mambo und so weiter – diese Tür wurde verschlossen. Die Leute in New York haben sich davon ernährt und auf einmal war die Quelle verschlossen. Dann haben sie die Salsa kreiert und natürlich hat sie Einflüsse aus der Merengue, aus der Pachanga usw., man hat daraus einen großen Salat gemacht und ihm den Namen Salsa gegeben, doch alle Welt weiß, wo deren Grundlagen liegen – eben in der afrokubanischen Musik.
Das zeigen auch die derzeitigen Erfolge der afrokubanischen Musik, die genau diese Einflüsse neu aufleben läßt. Vielleicht ist das auch der Grund für den Erfolg der Afro Cuban All Stars und anderer Bands. Für die jungen Leute ist das neue Musik oder Musik, die sie noch nie gehört haben, für die alten ist es so etwas wie eine Zeitreise. Eine Zeitreise zu den Größen der kubanischen Musik – zu Sindo Garay, Miguel Matamoros, Maria Teresa Vera, Ignacio Piñeiro usw.. Das ist ein Treffen mit der Vergangenheit und mit der Wahrheit, denn anhand dieser Aufnahmen läßt sich wunderbar rekonstruieren, woher die Einflüsse in der kubanischen Musik kommen. Es ist nicht nur die spanische und afrikanische Musik, die im kubanischen Son Hochzeit feiern, sondern es gibt weitere gewichtige Einflüße. So die französische Musik, die die Romatik in der kubanischen Musik getragen hat. Diese Einflüße kamen mit den französchen Kaffeebaronen, die gemeinsam mit ihren Sklaven nach Santiago de Cuba flohen.
Starken Einfluß hatte auch der Flamenco, der sich in claves (den Klanghölzern) verewigt hat. Andere Einflüße stammen aus der griechischen oder der russischen Musik, das betrifft allerdings eher den klasssichen Bereich. Allerdings gibt es im punto cubano auch einen starken russsischen Einfluß, der sich in der Mandoline offenbart. Rhythmen, wie la romanza, la faldana, el rigodon, all das sind Rhythmen, die existieren, aber wenig bekannt sind. Die kubanische Musik ist nun einmal ein großer Salat – aber mit sehr eigenständigen und tanzbaren Rhythmen.

Haben Sie nach 40 Jahren in den USA noch Kontakt zu den Musikern aus Santiago und Havanna?

Ja, natürlich. Ich war erst letzten September in Kuba und habe viele alte Freunde wiedergetroffen. Wir waren im Studio und haben einige alte Songs aufgenommen, die bei Termidor erscheinen sollen. Es sind vorwiegend alte Son- und Guaracha-Klassiker, eben musica tipica cubana. Die Zusammenarbeit mit alten Freunden wie Pío Leyva, Tata Güines und anderen hat viel Spaß gemacht – ich denke, daß ist eine gute Session gewesen. Für mich war es der erste Aufenthalt in Kuba seit fast zwanzig Jahren.

Rudy Calzado & Cubarama, A Tribute to Mario Bauzá, Connector 15851-2, im Vertrieb bei Efa Medien GmbH.

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