Aktuell | Argentinien | Feminismus | Nummer 597 - März 2024

Explosiver März gegen Milei

Der feministische Widerstand in Argentinien organisiert sich

Bereits im Februar begannen die Vorbereitungen für den kommenden 8. März. Den Startschuss gab ein Treffen zur Erörterung der aktuellen Situation und Organisation der Proteste. Es wird die erste 8M-Demonstration sein, die unter der explizit antifeministischen und rechtsextremen Regierung von Javier Milei stattfindet. Hunger, Gewalt und die Kriminalisierung von Protest sollen im Mittelpunkt der Aktionen stehen.

Von Verónica Gago, Buenos Aires (Übersetzung: Johanna Fuchs)
Ob organisiert oder nicht Die feministische Vollversammlung gibt allen eine Stimme (Fotos: Julieta Bugacoff)

Die feministische Vollversammlung fungiert als Koordinationsorgan der feministischen Bewegung Argentiniens: Seit 2016 bietet das Gremium den verschiedensten Strömungen der Bewegung einen Raum zur Vernetzung und Organisation. Auf dem Treffen diskutieren die Teilnehmer*innen, ob in politischen Strukturen und Kollektiven organisiert oder nicht, die aktuelle Situation und planen den Kampf auf der Straße. Dieses gemeinsame Treffen, welches auch immer einen Neuanfang darstellt, ist, was die Bewegung zu einer Einheit werden lässt.

Am 14. Februar fand das erste Vorbereitungstreffen für den kommenden 8. März im Hof der ATE, der Gewerkschaft der Staatsbediensteten von Buenos Aires, statt. Das Treffen war als Reaktion auf einen Eilaufruf zustande gekommen. Zugleich versuchte die Regierung, die parlamentarische Niederlage des Omnibus-Gesetzes zu vertuschen, indem sie einen schlecht recherchierten Gesetzentwurf zur erneuten Illegalisierung von Abtreibung aufsetzte. Ein wichtiges Anliegen der Vollversammlung war, die Empörung darüber nicht in den sozialen Medien verpuffen zu lassen. Damit fällt die feministische Bewegung nicht auf Mileis Provokationen herein, die ein doch nur zu offensichtliches Ablenkungsmanöver von der katastrophalen, aktuellen Situation darstellen, in welcher sich das Land befindet.

Die Vollversammlung wiederholt sich zwar jährlich, sie versucht jedoch jedes Mal, neue Antworten in Bezug auf aktuelle Geschehnisse zu finden. In ihr vereinigen sich Stimmen und Erfahrungen, die sonst in der Politik nicht gehört werden.

Der offene Charakter erlaubt es dabei auch Personen, die bisher nicht organisiert sind, sich einzubringen. Die erste Großdemonstration zum 8. März fand in Argentinien 2017 während der Regierung von Mauricio Macri statt. Der diesjährige 8M wird der erste gegen eine ultra-rechte Regierung sein, die schon im Wahlkampf ihren explizit antifeministischen Charakter zeigte und diesen seit der Übernahme der Präsidentschaft immer weiter bestätigt. Von seiner Rede vor dem Wirtschaftsforum in Davos, in der Javier Milei den Feminismus attackierte, bis hin zu seinen wiederholten Angriffen auf die Sängerin Lali, weist alles auf seine Besessenheit hin, den Feminismus als Feindbild zu konstruieren. Diese Sichtweise macht ihn zu einem Teil des globalen Skripts reaktionärer politischer Akteur*innen, die panische „Angst vor Gender“ haben, um den Titel eines kürzlich erschienenen Buches von Judith Butler zu verwenden.

Streiken gegen den Hunger

Der Raum der Vollversammlung im Februar war zum Bersten voll. Ihre Zusammensetzung und die Fürsorge als Teil der so genannten unsichtbaren politischen Arbeit ist das, was die „vielstimmige“ Gemeinschaft, wie Dora Barrancos sie zu Beginn nannte, zusammenhält. Unterschiedliche Stimmungen, Erwartungen und Sprechweisen treffen aufeinander, aber es gelingt ihnen, gemeinsame Strategien zu erarbeiten, um auf der Straße Schlagkraft zu entwickeln. Im Mittelpunkt der Redebeiträge stand dabei besonders die Frage des Hungers: Der Lebensmittelnotstand in den Suppenküchen, den Stadtvierteln und Haushalten. Dina Sánchez, stellvertretende Generalsekretärin der UTEP (Unión de Trabajadores y Trabajadoras de la Economía Popular; Gewerkschaft der Arbeiter*innen im informellen Sektor) sprach von der „leeren Tupperbox, mit der die Genossinnen aus Suppenküchen zurückkommen, die nicht alle versorgen können“.

Ihr Redebeitrag bringt etwas zum Ausdruck, was die feministische Bewegung in den letzten Jahren wie keine andere erreicht hat: Gleichzeitig von bezahlter und unbezahlter, formeller und informeller, sichtbarer und unsichtbarer, häuslicher und gemeinnütziger Arbeit zu sprechen. Dies hat es den feministischen Streiks des 8. März ermöglicht, viele unterschiedliche Realitäten zu berücksichtigen. Auch die derjenigen, die sich zunächst einen Weg zu streiken erfinden müssen: Erst durch die Abwesenheit der von ihnen übernommenen Aufgaben wird ihrer nicht als solchen anerkannten Arbeit Aufmerksamkeit zuteil.

Dass dabei die meisten zentralen gewerkschaftlichen Organisationen vertreten sind, zeugt von der Bedeutung des gewerkschaftlichen Feminismus. Angesichts der brutalen Abwertung von Löhnen, Renten und Subventionen unterstreicht die gewerkschaftliche Präsenz auch den Anschluss an den Generalstreik vom 24. Januar.

Neben analytischen Perspektiven auf die politischen Veränderungen werden deren direkte Folgen im Alltag beschrieben: Medikamente, die nicht mehr bezahlt werden können, Schulsachen, die zum Luxus werden, Mietpreise, die Diebstahl gleichkommen und alle drei oder sechs Monate erhöht werden, das SUBE-Guthaben (Anm. d. Red.: Bezahlsystem für den ÖPNV in Buenos Aires), das immer schneller verschwindet.

Feministisch zuhören Wie wirken sich die politischen Umstände auf den Alltag von FLINTA* aus?

Diese Erfahrungsberichte zeigen, dass das Zuhören eine zentrale Funktion der Versammlung ist. So ist sie ein Ort, an dem verständlich wird, wie das Leben durch die immer dringlicheren, prekäreren Umstände gefährdet ist, die selbst die grundlegendsten Alltagsroutinen durcheinanderbringen. Mehrere Beiträgen der Vollversammlung hoben die perversen Auswirkungen des DNU (Decreto de necesidad y urgencia; dt.: Dekret der Notwendigkeit und Dringlichkeit) hervor. Wie die Afrofeministin Sandra Chagas betont, schafft dieses Dekret eine Atmosphäre der Gewalt: Rassistische Gewalt und Diskriminierung gegen rassifizierte Menschen, insbesondere gegen diejenigen, die auf der Straße arbeiten, würden durch die Hassreden der Machthaber*innen gefördert und seien heute schon an der Tagesordnung.

Feministisch zuhören und analysieren

Ein weiteres Thema, das sich durch die Versammlung zog, war das der Kriminalisierung des Protests und politischer Verfolgung als zentrales Problem der feministischen Bewegung. Dabei wurde auch eine absurde Verdrehung feministischer Anliegen seitens der Institutionen zum Zwecke der Kriminalisierung aufgezeigt. So zum Beispiel im Fall der beiden Personen, die in Jujuy wegen eines Tweets verhaftet wurden und bei denen „geschlechtsspezifische Gewalt“ als strafverschärfender Faktor in den Urteilen verwendet wurde, wie die Lebensgefährtin einer der beiden Personen per Video erläuterte. Das Manöver ist unheimlich: Es handelt sich um einen Versuch, ein feministisches Anliegen heranzuziehen und zu instrumentalisieren, um Protest zu kriminalisieren und die Meinungsfreiheit aufzuheben.

Ebenfalls anwesend war die lesbische Aktivistin Pierina Nocchetti, die ohne Beweise beschuldigt wird, in Necochea ein Graffiti mit dem Slogan „Wo ist Tehuel?“ (Anm. d. Red.: Vermisstenfall eines jungen trans Mannes) gemalt zu haben, und die sich in der Woche des 8. März der Gerichtsverhandlung stellen muss.

Kehren wir zu Butlers Frage zurück: Warum ist „Gender“ zu einem phantomhaften Symbol geworden, das in der Lage ist, Ängste, Unsicherheiten und Befürchtungen so zu binden, dass es zur Grundlage für die Feindbildkonstruktion reaktionärer Politiker*innen und Machthaber*innen wird? Den Faschisten des 21. Jahrhunderts erlaubt dies, eine Art konzentrierte Schuld – und eine wirksame, gemeinsame Sache – für die Übel zu finden, die der Neoliberalismus an Unsicherheiten mitbringt, wie etwa Zukunftsängste, Beziehungsängste und Existenzängste. So wird die Fantasie der Rückkehr zur patriarchalen Ordnung erzeugt: Eine idyllische Zeit, die es nie gab, die aber die Rolle einer „natürlichen“ Ursprungsgeschichte spielt.

Die feministische Vollversammlung bietet für die kommenden Wochen ein Rendezvous inmitten des Trubels, einen Ort des arbeitsamen Treffens mit der Aufgabe, einen politischen Moment in einem März zu schaffen, der, wie man jetzt schon spürt, explosiv sein wird. „Wir werden nicht aufgrund unserer Fehler als Feinde bezeichnet, sondern weil wir tiefe Strukturen der Ungleichheit ins Wanken gebracht haben. Gegen diese werden wir uns organisieren“, fasste Luci Cavallero vom Kollektiv Ni Una Menos am Ende der ersten Versammlung zusammen.

im Original veröffentlich in El Diario Argentina

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