Fazenda Jangada enteignet!
Kleinste Schritte auf dem Weg zur Agrarreform
Als erstes bekanntgegeben wurde die Enteignung der Fazenda Jangada mit einer Größe von 5400 Hektar. Dies war in der Tat ein Ereignis, denn noch wenige Tage zuvor hatten 2000 PolizistInnen – auf Anordnung eines Provinzrichters – die dort lagernden 2500 Familien gewaltsam vertrieben. Diese Vertreibung hatte etwa 100 Verletzte zur Folge, darunter Frauen und Kinder, und ist damit eine der gewalttätigsten in der Geschichte der Landlosenbewegung gewesen.
Die Aufnahme der Fazenda Jangada auf die Liste der zu enteignenden Fazenden erfolgte erst in letzter Minute und war letztlich das Ergebnis des Drucks der Familien und der Bewegung der Landlosen (Movimento Sem-Terra). Nicht zuletzt die Besetzung des Agrarministeriums durch 170 der betroffenen Familien, die stellvertretend für die gesamten 2500 Familien nach Brasília gereist waren, hatten den brasilianischen Präsidenten beeindruckt. Er bat den Justizminister Maurício Correa um dessen Stellungnahme. Dieser sprach sich auf der Grundlage des von der Agrarreformbehörde (INCRA) ertellten Gutachtens, welches die Fazenda Jangada als “unproduktiv” kategorisiert, für eine Enteignung aus. Damit bekamen die Befürworter der Enteignung, der INCRA-Präsident Osvaldo Russo und der Vertreter der Regierung in der Abgeordnetenkammer, Roberto Freire, die entscheidende Unterstützung. Obwohl Landwirtschaftsminister Dejandir Dalpasquale noch am Tag zuvor selbst den Weg bis zum Präsidenten geebnet hatte – er unterzeichnete ein Dekret, in welchem er Jangada aus sozialem Interesse als für die Enteignung geeignet bezeichnetet – zögerte er jetzt mit der Durchführung und wollte noch einen Urteilsspruch des Bundesgerichts abwarten.
Nach der Enteigung durch die Unterschrift des Präsidenten spielten sich in dem kleinen Städtchen Macucos, wo die 2500 Familien seit der Vertreibung am 19. November notdürftig hausten, wahre Freudenszenen ab. Vorraussichtlich in den nächsten Tagen kehren die Familien auf die Fazenda Jangada zurück. INCRA selbst rechnet damit, daß der Prozeß der Enteignung zwei Monate in Anspruch nehmen wird. Letzlich werden 400 Familien hier eine Bleibe finden; für die anderen Familien hat die Agrarreformbehörde bereits begonnen andere “unproduktive” Ländereien zu erfassen. Auf diesen sollen die restlichen Familien in den nächsten Monaten angesiedelt werden.
Die brasilianische Rechtsanwaltsvereinigung OAB präsentierte inzwischen eine Liste von polizeilichen Übergriffen während der Räumung. Der Bericht, welcher dem Justizminister übergeben wurde, enthält unter anderem die Namen der durch die Militärpolizei verletzten Kinder und Frauen und weist darauf hin, daß die PolizistInnen auch Geld und Gegenstände, wie beispielsweise Kofferradios, mitgenommen haben (vgl. Kasten).
Das jetzige Ergebnis ist ein Erfolg für die Sem-Terra-Bewegung, deren Mitglieder sich unter erheblichen persönlichen Opfern für eine Agrarreform engagieren. Der Staat jedoch, der schon oft Agrarreformen versprochen hat, reagiert nur dann – das zeigt das Beispiel der Fazenda Jangada, wenn er selbst unter Druck gesetzt wird, wenn die Landlosen selbst aktiv werden.
Kasten :
Auszüge aus einem Offenen Brief des Bischofs von Lins, Don Irineu, welcher die Landarbeiterfamilien seit Beginn unterstützte:
“Ich fühle mich verpflichtet, auf einige Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Räumung der besetzten Fazenda Jangada bei Getulina aufmerksam zu machen. Ich höre noch die 1600 Kinder schreien: `Wir wollen keinen Krieg, wir wollen Land!` Und die Gesellschaft gab ihnen als Antwort Tränengasbomben, Hunde, Polizei, Pferde und Brutalität. Langsam verstummten die Schreie. So wird die Stimme einer Generation unterdrückt. Das Sich-Sehnen nach einem Stück Land wird als etwas Gefährliches vermittelt…
Die Tränengasbomben explodierten inmitten der Kinder. Dies nicht nur während der Räumung, sondern sogar später noch auf dem Kirchplatz in Macucos, nachdem die Kinder 17 Kilometer zu Fuß zurückgelegt hatten.
Die staatlichen Einrichtungen verbrauchen Berge von Geld, um über die Probleme der Kinder zu reden, schreiben schöne Statuten, halten Versammlungen ab. Wenn es dann um die Realisierung geht, bieten sie Hundezähne an, das Knallen von Schüssen, traumatisieren durch 2000 Soldaten in Kampfuniform. Ein Jugendlicher weinte und sprach: `Ich schäme mich, Brasilianer zu sein!` Auch für mich traf dies in diesem Augenblick zu. Ich war dort, schrie mich an mit dem Kommandanten, wollte nicht glauben, daß dies alles im Namen der Durchführung der angeordneten Vertreibung geschieht, des Rechtsstaates…
Unsere Region ist eine Region, wo Wenige riesige Weideflächen besitzen. Fette Rinder, magere Kinder. Im Namen des gesunden Menschenverstands bat ich um das Minimum: um 20 Hektar, dort wo die Familien kampierten, bis die INCRA ihnen ein Gebiet zusprechen würde. Aber die Gesellschaft zog es vor, ein Kriegsspektakel zu inszenieren…
Und nun lagern 6000 Landlose im Gebiet von Macucos. Die Kinder schreien nicht mehr: `Wir wollen Land!`. Dies könnte gefährlich sein.
Don Irineu Danelon
Bischof von Lins – 20.11.1993