Brasilien | Nummer 409/410 - Juli/August 2008

Machetenschlag gegen Eletronorte

Indigene im Amazonasgebiet greifen zu drastischen Mitteln, um ihren Lebensraum vor Zerstörung zu schützen

Aus Protest gegen ein von Eletronorte geplantes Staudammprojekt am Rio Xingu verletzten die Kayapó einen Vertreter der Firma schwer am Oberarm. Die Bilder vom Machetenhieb gingen um die Welt – werden die folgenschwere Umsetzung des Projekts aber kaum verhindern können.

Thomas Fatheuer

600 Indios – die meisten in traditioneller Bekleidung – verwandelten die nüchterne Turnhalle der Stadt Altamira in einen Festsaal. Mit den Indios hatten sich soziale Bewegungen der Amazonasregion versammelt, um gegen die Staudammpläne „Belo Monte” der brasilianischen Regierung zu protestieren. Das Treffen hatte einen Déjà-vu-Charakter: Schon 1989 hatten sich indigene Völker und soziale Bewegungen gegen erste Pläne eines Staudammes am Xingu-Fluss mobilisiert. Damals verschafften Persönlichkeiten wie Rockstar Sting dem Treffen internationale Aufmerksamkeit. Die Zeiten haben sich geändert und so war dieses Mal kaum nationale und wenig internationale Presse zu sehen – bis zu dem Moment, in dem Tuíra, Stammesführerin aus dem Volk der Kayapó, in Szene trat.
Selbige Tuíra hatte bereits 1989 den Präsidenten der für das Projekt verantwortlichen staatlichen Energiefirma Eletronorte, José Antônio Muniz Lopez, mit einem Messer bedroht – das Bild ging um die Welt (siehe LN 180). Diesmal waren die Bilder dramatischer. Nach der Rede von Eletronorte-Vertreter Paulo Fernando Rezende griffen ihn Kayapós, darunter Tuíra, mit einer Machete an und verletzten ihn schwer am Oberarm. Für die brasilianische Presse ein gefundenes Fressen – nun hatten sie sensationelle Bilder, um über die Gewalt der Indios polemisch zu berichten. Ausschlaggebend für die Tat war vor allem der Ton von Rezende, der alle Kritik am Staudamm als „schlecht informiert” vom Tisch wischte und den Protest der Indios damit nicht genügend ernst nahm.
Die Logik von Regierung, Eletronorte und Betreiberfirmen ist klar: Brasilien braucht mehr Energie, da Bevölkerung und Wirtschaft wachsen. Fast 80 Prozent der Stromerzeugung in Brasilien beruht auf Wasserkraft. Das Land rühmt sich mit dieser sauberen Energie in Zeiten des Klimawandels und will die Nutzung der Wasserkraft weiter ausbauen. Tatsächlich ist es der Regierung im Dezember letzten Jahres gelungen, wieder ein Staudammprojekt in Amazonien am Rio Madeira in die Umsetzungsphase zu bringen (siehe LN 403).
Der lukrativste Standort der geplanten Staudämme liegt jedoch am Xingu. Deshalb versucht Eletronorte nun bereits im dritten Anlauf das Belo-Monte-Projekt umzusetzen. Es ist offensichtlich, dass es diesmal ernst gemeint ist: Belo Monte soll 11.182 Megawatt (MW) produzieren, soviel wie neun „normale” Atomkraftwerke. Es ist damit viel größer als zwei bereits bewilligte Kraftwerke am Rio Madeira – und auch schwieriger umzusetzen.
Der Parque Nacional do Xingu ist eines der wichtigsten indigenen Gebiete Brasiliens, in dem der Regenwald fast unversehrt erhalten ist. Nicht nur der Xingu fließt hier, auch die Transamazônica-Route durchschneidet die Region, die eine für Amazonien vergleichsweise hohe Bevölkerung mit vielen aktiven sozialen Bewegungen aufweist. VerteidigerInnen und KritikerInnen des Staudammprojekts sind sich in einem Punkt einig: Am Xingu wird die Zukunft der Wasserkraft in Amazonien entschieden.
Wenn es nicht gelingt, diesen Staudamm zu verhindern, werden weitere Projekte mit schweren Konsequenzen folgen. Zwar entspricht das Projekt längst nicht mehr den Erstplänen von 1989, denn die Größe des Stausees konnte von über 1000 auf etwa 400 Quadratkilometer gesenkt werden. Dennoch bleiben große Zweifel. „Das geplante Wasserkraftwerk Belo Monte wird nur drei Monate im Jahr mit 11.182 MW operieren können. Für den Rest des Jahres garantiert der Wasserfluss nur etwa 4.670 MW. Um also Belo Monte überhaupt erst lohnend zu machen, müssten vier weitere Kraftwerke gebaut werden, mit Stauseen, die eine so große Fläche betreffen würden, dass sich Eletronorte scheut, die Pläne zu veröffentlichen”, so die Kritik des Energiespezialisten Célio Bermann. Es wird klar: Das aktuelle Projekt macht nur Sinn, sofern es die erste Stufe von etwas noch weit Größerem wird.
Aber allein das aktuelle Projekt ist gigantisch und die sozialen und ökologischen Folgen sind so komplex, dass sie sich nicht lediglich auf die Größe des Stausees reduzieren lassen. So werden etwa 20.000 Arbeitskräfte für den Bau benötigt. Altamira hat etwa 80.000 Einwohner. Die legendäre Transamazônica-Route müsste dazu endlich fertiggestellt werden, der Druck auf indigene Territorien und Schutzgebiete würde sich drastisch erhöhen.
Am 21. Mai dieses Jahres überreichten etwa 50 Häuptlinge der Region dem Bundesrichter Antonio Campelo eine Petition: „Wir akzeptieren den Bau von Staudämmen in unserem Fluss nicht. Wir werden nicht mehr den Verlust unseres Landes akzeptieren, denn wir wissen, dass Staudämme niemals Vorteile für unsere Gemeinschaften gebracht haben oder bringen werden. Falls wir dieses Projekt nicht verhindern können, dann werden wir bis zu den Baustellen gehen und das Projekt auf unsere Weise stoppen. Wir werden unser Leben und unser Land verteidigen. Wir sind es leid, zu hören und nicht gehört zu werden.”
Mit diesen Positionierungen der indianischen Völker können Regierung und Eletronorte nichts anfangen. Ihre Logik des Dialogs ist die Logik der Umsetzung des Projekts. Es geht um das „wie” und nicht um das „ob”. Eletronorte verspricht geringe Umweltschäden, ein viel besseres Projekt als vor 20 Jahren, großzügige Entschädigungen und dauerhafte Kompensationszahlungen. Die PlanerInnen können nicht verstehen, wenn ein Indio darauf erwidert: „Der Xingu ist mein Vater und meine Mutter. Ohne den Xingu, was wird aus uns?”
Es ist dieser Abgrund von Unverständnis, der die Messerstiche der Kayapós provozierte. War also das Treffen von Altamira der Auftakt zu einer neuen, militanten Phase indigenen Widerstands? Dies ist schwer einzuschätzen, deutlich aber wird, dass Konflikte mit indigenen Völker wieder ins Zentrum der brasilianischen Politik rücken. Etwa 20 Prozent des gesamten Territoriums Amazoniens ist indigenes Gebiet. Raposa Serra do Sol, das letzte große indigene Territorium, dessen Demarkierung nicht abgeschlossen ist, hat jetzt einen Streit provoziert, bei dem sich auch die Militärs einmischten. Da das Gebiet an der Grenze zu Venezuela und Guayana liegt, befürchten Militärs eine Gefahr für die nationale Sicherheit und greifen zum Teil offensiv die Indigenen­politik der Regierung an. Dies ist sicherlich auch der Reflex einer neuen Konjunktur in Amazonien. Die neue Welle von Großprojekten, die Ausbeutung der Bodenschätze, sowie das sich massiv ausdehnende Agrobusiness stoßen zunehmend an die Grenzen von Schutzgebieten und indigenen Territorien. Dort stehen den InvestorInnen dann die einheimische Bevölkerung und die Gesetze zum Erhalt des Naturraums im Wege.

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