Film | Nummer 201 - März 1991

Filme aus Mexiko und Kuba auf der Berlinale

Den Schwerpunkt im Internationalen Forum bildete auf der diesjährigen Berlinale das `Neue Mexikanische Kino von 1989 bis 1991`. Hartgesottene Cineasten trafen sich neun Tage lang jeden Morgen um 11 Uhr, um mexikanische Filme zu sehen, von denen einige in Berlin ihre Welturaufführung erlebten.

Gaby Lange

Bemerkenswert ist, daß drei dieser Filme von Frauen gemacht wurden: `Intimidad` von Dana Rotberg, `Lola` von María Navaro und `Los pasos de Ana` von Marisa Sistach. Denn die Möglichkeiten, in Mexiko Filme herzustellen, sind zwar allgemein äußerst triste, “für Frauen ist das aber noch abwegiger” meinte Dana Rotberg in der an ihren Film anschließenden Diskussion. Es gibt in Mexiko zwar kein Gesetz, welches den Frauen verbietet, Filme zu machen, die gewerkschaftlichen Strukturen greifen mit ihrer Machismo-Haltung aber so gut, daß es Frauen einfach nie gelang, eigene Filme zu realisieren. Erst durch die gesellschaftliche Veränderung der letzten Jahre wurde es einigen Frauen seit Anfang der 80er Jahre “erlaubt”, an der CUEC oder der staatlichen Filmschule CCC zu studieren.
`Lola` gilt als einer der besten mexikanischen Filme der letzten Jahre. Die Geschichte der jungen Straßenhändlerin Lola und ihrer 6-jährigen Tochter Ana spielt mitten im noch vom Erdbeben gezeichneten Mexico-City. Es war der Regisseurin María Navaro wichtig, endlich diese “total verrückte Stadt, voller Angst, Abhängigkeit, Frustration und Ohnmacht” zu zeigen. Lolas Haltung bricht mit dem abgedroschenen Bild von der ewig opferbereiten mexikanischen Mutter. Nachdem ihr Freund sie verlassen hat versucht sie sich in verschiedenen Beziehungen auszuleben, vernachlässigt ihre kleine Tochter, ist in keinster Weise die perfekte alleinstehende Frau, die uns sonst so gerne vorgeführt wird. Der Film ist voller wunderschöner, witziger Szenen: Lola sitzt allein am Strand und ist eigentlich tottraurig und verwirrt, als sie einen alten Mann beim Baden beobachtet. Er springt in die kniehohen Wellen wie ein kleines Kind und dabei rutscht im immer die Badehosen von der knochigen Hüfte. Die fülligen Mamas stehen am Strand und lachen sich halbtot. Der Film ist bis ins kleinste Detail gut gemacht und mensch kann nur hoffen, daß der neue Film von María Navaro, ‘Danzón’ auch bald bei uns zu sehen sein wird.
`Los pasos de Ana` (Annas Schritte) von Marisa Sistach greift eine ähnliche Thematik auf, spielt aber im Mittelstandsbürgertum und hat lange nicht die Präsenz und Kompaktheit von `Lola`. Auch Ana ist eine berufstätige Frau und Mutter zweier Kinder. Sie hält ihren Alltag in einem Video-Tagebuch fest, für sie ist “…mehr als eine bestimmte Art zu leben, eine bestimmte Art zu sehen wichtig”. Der Film räumt dankenswerterweise mit einigen Klischees auf: Anas alltäglicher Kontakt mit dem Machismo verschiedener Männer, die auf sie scharf sind, wird kritisch und lachhaft dargestellt; der beste Freund und Vertraute Anas ist ein Schwuler, welche sonst im mexikanischen Kino nur lächerliche Rollen spielen.
Es ist letztlich ein Film über den Alltag, ohne große Höhepunkte. In dem anschließenden Gespräch betonte Sistach aber noch einmal, daß ihr das unbedingt wichtig sei, ein solches Bild der Frau zu entwerfen, da 90 Filme pro Jahr in Mexiko hergestellt werden, die ein unwirkliches realitätsfernes Bild der Frau zeigen, Kommerzfilme, die stark an US-amerikanische Vorbilder angelehnt sind. Leider hatte der Film ein so geringes Budget, daß es bis heute nicht gelang, eine richtige Leinwandversion herzustellen.
Voyeuristisch, erotisch und erfrischend anders ist dagegen `Intimidad` (Intimität) von Dana Rotberg, denn hier geht es um die Emanzipation eines Mannes. Der alternde frustrierte Schriftsteller Julio endeckt eines Tages durch das von schlampigen Bauarbeitern hinterlassene Loch in seinem Wohnzimmer die sehr verführerische Nachbarin Tere. Es entspinnt sich eine völlig verrückte Liebesgeschichte, die beiden vögeln an jedem nur denkbaren Ort miteinander, denn jede/r von ihnen lebt mit einem eifersüchtigen Ehepartner zusammen. Meisterhaft wird die Rolle von Julio gespielt, aus dem ewig schlecht gelaunten Ehemann wird ein einfallsreicher Liebhaber. Fast beisst sich die Geschichte am Ende in den Schwanz, aber zum Glück bleibt das Ende, wie bei jedem guten Film, dann doch offen.
Bekrittelt wurde vom weiblichen Publikum, warum auch hier keine andere Frauenrolle als die der demütigen, jederzeit bereiten Frau, die für den Mann alles geben will, gezeigt wurde. Woraufhin die Regisseurin zurückschoss, sie hätte gar keine typische mexikanische Frau darstellen wollen (die Protagonistin sieht aus wie ein europäisches Fotomodell) und Tere sei nicht nur das willige Sexualobjekt, sondern durchaus sexuell selbstbewußt und fordernd. Nun ja, daran schieden sich die Geister, aber wie schon gesagt, es ist der Emanzipationsprozess eines Mannes, der hier gezeigt wird.
Soviel zu den Frauenfilmen. Von den männlichen Beiträgen ist unbedingt `La mujer de Benjamin` (Benjamins Frau) von Carlos Carrera zu erwähnen. Der Stoff ist zwar eigentlich sehr ernst, präsentiert wird er aber als witziges Melodram. Die junge Natividad wird in ihrem kleinen, todlangweiligen Dorf von Benjamin, einem älteren, dicklichen Dummkopf entführt, der sich unsterblich in sie verliebt hat. So beginnt ein Kreislauf von gegenseitigen Erpressungen, denn Benjamin wurde bis zu dem Zeitpunkt, da er die junge Frau buchstäblich in sein Haus geschleppt hat, von seiner Schwester Micaela dominiert, die wiederum nicht nur platonisch in den Pfarrer verliebt ist und die Benjamin jetzt, um Macht über sie zu bekommen, mit ihren schwülstigen Liebesbriefen an den Pfarrer erpresst. Natividad will nichts wie weg und zwar am liebsten mit dem Lastwagenfahrer Leandro, der öfter durch das Dorf kommt und damit den Kontakt zur Außenwelt darstellt. Als sich am Ende Benjamin und Leandro, um ihre männliche Ehre zu verteidigen, eine wüste Prügelei liefern, gelingt es Natividad, allein aus dem Dorf zu fliehen.
Und die Moral von der Geschicht`? Die Männer spielen zwar die Machos, die Frauen sind aber einfach schlauer, weil sie nicht ihren Schwanz im Kopf haben. So meinte zumindest eine Mexikanerin nach dem Film völlig begeistert zu mir. Und die muß es ja wissen.
Außerdem liefen im Internationalen Forum noch eine Reihe von mexikanischen Filmen mit völlig unterschiedlichen Themen.
-`Retorno a Atzlán` (Rückkehr nach Atzlán) von Juan Mora Catlett ist der erste Spielfilm, der von den uralten Legenden des präkolumbianischen Mexikos handelt, von den Azteken. Daß der Film auf einer fünfjährigen ethnologischen und ethnographischen Recherche beruht und versucht, diese versunkene Welt authentisch bis ins kleinste Detail zu rekonstruieren, mag ihm noch so hoch anzurechnen sein, für den/die Otto-Normal-ZuschauerIn bleibt es ein schwer zugängliches Ethnologenexperiment.
-`Intimidades en un cuarto de baño` (Intimitäten in einem Badezimmer) von Jaime Humberto Hermosillo kommt wie ein verfilmtes Theaterstück daher, denn der Film besteht aus wenigen Schnitten und einer einzigen Kameraeinstellung. Die Kamera hinter dem Spiegel einer bürgerlichen mexikanischen Familie observiert deren Alltag und Probleme. Schade, daß sich der Regisseur nicht zwischen Komödie oder Tragödie entscheiden konnte.
-`Goitia- un dios para su mísmo` (Goitia-ein Gott seiner selbst) von Diego Lopéz ist ein rundum gelungener und professioneller Film über einen der größten mexikanischen Maler dieses Jahrhunderts, Francisco Goitia.
-`Pueblo de madera` (Dorf aus Holz) von Juan Antonio de la Riva ist ein schöner Film, der sich aus vielen kleinen Geschichten zusammensetzt. Die DorfbewohnerInnen haben eins gemeinsam: ihrer aller Leben dreht sich um Holz, sei es, weil sie selbst oder einer ihrer Angehörigen von dem einzigen Arbeitgeber, der Holzfabrik, abhängig ist.
-Die Kopie von `Rojo amanecer` (Roter Morgen) von Jorge Fons hat Berlin bis heute leider nicht erreicht, sie verschwand nach Angaben des Forums “irgendwo zwischen New York, Frankfurt und Berlin”. Dieser zeitkritische Film spielt am 2.Oktober 1968, auf dem Höhepunkt der Studentenbewegung und arbeitet das Massaker während der Protestdemonstration anhand einer Mittelstandsfamilie auf. Es ist schwer zu hoffen, daß dieser Film demnächst wieder auftaucht und hier zu sehen sein wird.
Wie waren die Filme nun insgesamt? Schwer zu sagen, denn diese Filme in schneller Reihenfolge hintereinander zu sehen, führt leicht dazu, keinem Werk mehr gerecht zu werden. Dem mexikanischen Kino geht es auf jeden Fall im lateinamerikanischen Vergleich noch ganz gut, qualitativ als auch quantitativ. In fast allen anderen lateinamerikanischen Ländern kommen in einem Jahr nicht mehr als ein oder zwei abendfüllende Kinofilme (von sehenswerter Qualität) zustande und Mexiko bringt es immerhin auf ca. zehn eigenständige Produktionen. Trotzdem muß man sich klar machen, daß alle diese unabhängigen Filme unter größten Schwierigkeiten entstehen.

Ein Film für Leute, die aus dem Rahmen fallen

`Alicia en el pueblo de maravillas` (Alicia im Ort der Wunder) von Daniel Díaz Torres, als einziger kubanischer Film auf der diesjährigen Berlinale und auch der einzige lateinamerikanische Film, der in der hiesigen Alternativ-(?) Presse erwähnt wurde.
Torres übernimmt für seine umfassende Systemkritik die Erzählweise und einzelne Motive aus Lewis Carrols `Alice im Wunderland`. Das Drehbuch entstand in einer Gruppe von jungen kubanischen Satirikern, und das ist dem Film von vorne bis hinten, in jeder Ecke und Ritze anzumerken.
Die Theaterberaterin Alicia kommt in ein Dorf, in dem alles ver¬rückt spielt und sie die einzige Person zu sein scheint, die dort freiwillig hingelangt ist. Alle anderen waren sozial( gemeint ist politisch), auffällig und sind deswegen nach Maravillas zwangsver¬setzt worden. Die Lebensumstände sind wie in jedem erstbesten Alptraum: kotzende Lautsprecher, unsinnige Baustellen, alle Einwohner haben Kleidung aus dem gleichen gelb-weiß bedruckten Stoff – häßlich und schlecht – aber wem erschien eine nächtliche Ungezieferinvasion schon mal in durchnummerierter Form?
Dieser Film ist quietschbunt und voll versteckter und offenbarer Anspielungen auf das in Kuba herrschende Fidel-System. Nach der Uraufführung meinte der anwesende Torres, er wolle mit `Alicia` die Deformation in der Gesellschaft verdeutlichen und man solle doch generell die Realität diverser darstellen. Den meisten Beifall bekam er für seinen Schlußsatz: “Ich habe Angst vor einer Intelligenzia ohne Humor!” Und die hat er in Deutschland wohl zu recht, denn so einen wundersamen Film würde kein deutscher Intellektueller jemals `verbrechen`.

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