Finca Irlanda – Erfolg der Boykott-Kampagne
Rücknahme des “FairTrade”-Siegels von Lebensbaum
Schaut man in das Telefonbuch von Tapachula, so tauchen etliche für die mexikanisch-guatemaltekische Grenzregion eher befremdlich klingende Namen auf: von Knoop, Hudler-Schimpf, Giesemann, Kahle, Pohlenz und andere. Die deutschen Kolonialisten kamen während der Diktatur des Porfirio Díaz (1876-1910) nach Mexiko und gründeten, beseelt vom protestantischen Geist des Kapitalismus und ausgestattet mit guten Kontakten zur heimischen Handelsbourgeosie, im ertragreichen Soconusco Kaffeeplantagen, die sich noch heute im Besitz der jeweiligen, mittlerweile oftmals verschwägerten Familien befinden. Die deutsche Oligarchie gewann schnell Einfluß auf die Politik des Bundesstaates und hatte auch das “Recht” auf ihrer Seite, besser gesagt, das Recht auf Rechtsfreiheit. Ob die Rurales, die Landpolizei unter Diktator Porfirio Díaz, oder heute die Guardias Blancas, die paramilitärischen Weissen Garden: Sie setzte nackte Gewalt gegen jegliche Versuche, gegen ihre Arbeitsbedingungen aufzubegehren. Wenn auch mittlerweile durch die ohnehin halbherzig durchgeführte mexikanische Agrarreform auf eine Obergrenze von 300 Hektar geschmälert, werfen Plantagen immer noch satte Gewinne ab. Im fruchtbaren Soconusco werden Kaffeesorten wie etwa Maragogype produziert, die bis zu 25 Prozent über dem Weltmarktpreis gehandelt werden. Die gutbewachten Villen der Plantagenbesitzer in der Provinzhauptstadt Tapachula zeugen von Prosperität.
Anthroposophischer Kapitalismus
Mit dem Namen Rudolf Peters verbindet sich eine darüber hinausgehende Besonderheit: Diese aus Hamburg stammende Familie betreibt auf ihrer Finca Irlanda seit 1928 biologisch-dynamischen Anbau gemäß den von Rudolf Steiner, dessen persönlicher Schüler Peters war, entwickelten Demeter-Richtlinien, und war damit seinerzeit der erste Produzent von organischem Kaffee weltweit. Dieser Kaffee wird hierzulande vom Bio-Großhändler Lebensbaum vertrieben und landet so in der Regel im selben Regal wie auch diverse alternativ gehandelte Kaffees. Die Packung trägt das Label “FairTrade”. Das hat jedoch nichts gemein mit der ähnlich titulierten niederländischen Alternativhandelsorganisation Fair Trade Organisatië, noch mit der deutschen Siegelvereinigung “Transfair”, sondern ist ein von Lebensbaum selbst kreiertes Pseudo-Siegel, um so dem wachsenden Konkurrenzdruck im Bio- und Alternativhandel Rechnung zu tragen, wie auch dem Trend der Kunden zum politisch bewußten Kauf.
Diesen Etikettenschwindel prangert die FAU/IAA (Freie Arbeiter Union/ Internationale Arbeiter-Assoziation) seit September letzten Jahres mit Flugblatt- und sonstigen Aktionen an. Begründung: Mit der Bezeichnung “fair” wiegt sich, wer für diesen Kaffee mit 30,60 DM pro Kilo “gerne ein paar Mark mehr hinlegt” (aus dem pastellfarbenen Lebensbaum-Prospekt), in der Illusion, hiermit marginalisierte Menschen in Chiapas zu unterstützen.
Dem ist jedoch mitnichten so. Auf der Finca Irlanda wird mit den gleichen kapitalistisch-ausbeuterischen Methoden produziert wie auf den umliegenden Fincas Hamburgo, Prusia, Nueva Alemania und anderen mit ähnlich klingenden Namen. Die sozialen und arbeitsrechtlichen Bedingungen der 40 bis 100 (nach widersprüchlichen Angaben) Festangestellten und der rund 500 meist guatemaltekischen SaisonarbeiterInnen sind unter aller Sau. Es herrschen miserable Zustände, die sich im Kern nicht von denen unterscheiden, die schon B. Traven in seiner “Rebellion der Gehenkten” einen Tzotzil so beschreiben läßt: “Nach Soconusco gehe ich nicht. Da sind die Alemanes. Die haben alle Cafetales. Und die sind grausamer als die Bestien des Dschungels und behandeln einen Indianer, als wäre er weniger als ein Hund.”
Die von der FAU/IAA in Flugblattaktionen, Medienbeiträgen sowie durch Aufklärungskampagnen bei Naturkostmessen, etwa der Frankfurter BIOFACH, zur Diskussion gestellten Mißstände, wie unzureichende Unterbringung der PflükkerInnen in sogenannten galleras (Hühnerställen), Akkord- und Hungerlöhne sowie Kinderarbeit wurden und werden von Lebensbaum-Geschäftsführer Ulrich Walter, der nebenher auch Vorstandsmitglied bei Demeter ist, bestritten. Die Finca Irlanda behauptet in öffentlichen Darstellungen von sich, den gesetzlich vorgeschriebenen mexikanischen Mindestlohn einzuhalten. Auf vorgebliche Errungenschaften wie eine Sozialversicherungsabgabe und eine Schule wird ebenfalls hingewiesen. Gerne wird auch das Argument vorgebracht, die Situation der saisonal eingestellten PflückerInnen sei immerhin noch wesentlich besser als bei vergleichbaren Arbeitseinsätzen in Guatemala.
Die Finca Irlanda liegt geographisch innerhalb des Terrains der Finca Hamburgo, die bestens durch Guardias Blancas geschützt ist, denen man nachsagt, auch für die Besitzer der Finca Irlanda tätig zu sein. Es herrscht ein allgemeines Klima der Angst.
Besuch im Potemkinschen Dorf
Zwei mexikanischen JournalistInnen gelang es, bis Irlanda vorzudringen, indem sie behaupteten, sich als Touristen aus New York für den Öko-Anbau zu interessieren und zu Peters zu wollen. Auf der Finca angekommen, wurden sie schleunigst von einem Verwalter verjagt, hatten jedoch vorher, zu Fuß unterwegs, die Gelegenheit gehabt, sich mit ErntearbeiterInnen zu unterhalten. Sie erfuhren, daß Schule und Gesundheitsversorgung mehr oder weniger nur Makulatur seien und daß allen offiziellen Angaben zum Trotz der Mindestlohn von 12 bis 18 Pesos (etwa 3,- bis 4,- DM für einen Arbeitstag von Sonnenauf- bis untergang) keinesfalls immer eingehalten wird, schon gar nicht während der Erntezeit. Hier gelten Akkordlöhne, es wird nach der Menge von cajas (ein Korb von Kaffeekirschen à 66 kg) bezahlt. Mit dieser Methode läßt sich unter Umständen der Mindestlohn, zumindest der guatemaltekische, sogar überschreiten – wenn man die Kinder einspannt.
Leben nach Steiner-Richtlinien
Das Thema Kinderarbeit beim Kaffee ist ein heikles: Vermutlich gibt es weltweit keine “kinderarbeitsfreie” Tasse Kaffee zu trinken. Auch bei der noch so sehr in den Alternativhandel verstrickten Kleinkooperative ist nicht auszuschließen, daß letztendlich doch die Achtjährigen helfen müssen, die schweren Kaffeesäcke kilometerweit zur nächsten Sammelstelle zu schleppen. Die oben erwähnten JournalistInnen zitieren jedoch einen Arbeiter dahingehend, daß – entgegen der Erklärung von Lebensbaum, die Finca Irlanda würde keinen Lohn an Kinder zahlen, man könne jedoch nicht kontrollieren, daß mitkommende Kinder ihren in der Saisonarbeit beschäftigten Eltern beim Pflükken “helfen” würden – durchaus auch Kinder unter Vertrag genommen werden.
Was den Mindestlohn angeht, ist ohnehin anzumerken, daß dies eine offizielle Größe ist, die de facto unter dem Existenzminimum liegt. Von dieser stolzen Summe werden den PflückerInnen pro Tag noch 3 Pesos für eine Verpflegung abgezogen, die sich auch seit 1912 nicht wesentlich verändert hat, wo sie der deutsche Finquero Fuhrbach stolz beschreibt mit: “Kaffee und drei Tortillas des Morgends, fünf Tortillas, gekochte Bohnen und Pozol zum Frühstück und gerade so zum Mittag um 5 Uhr, bis auf zwei Tage in der Woche, an denen sie Fleisch und Reis bekommen.” Bleibt zu hoffen, daß dieses Menü wenigstens den Demeter-Richtlinien entspricht.
Weiter hinzu kommt, daß die Entlohnung zweiwöchentlich erfolgt, womit die ArbeiterInnen an die Finca gebunden werden. Ein System, das an die althergebrachte Praxis der Patrones erinnert, Abhängigkeitsverhältnisse mittels der sogenannten tiendas de raya (“Läden der Kreidestriche”) zu zementieren.
Über die Höhe der Sozialabgaben gibt es ebenfalls Widersprüchliches zu hören. Was von Lebensbaum als eine “Vielzahl sozialer Vergünstigungen” hervorgehoben wird, ist letztendlich nichts anderes als die Erfüllung mexikanischer Gesetzesvorgaben, die auch mehr auf dem Papier als in der Praxis Sinn machen, wenn es auf der Finca keinen Arzt gibt und das nächste Hospital mehrere Autostunden entfernt ist.
Reif für die Schlagzeilen
Bereits im Mai 1995 forderte die FAU/IAA die Firma Lebensbaum in einem Schreiben auf, den Vertrieb von Irlanda-Kaffee einzustellen. Wie zu erwarten, blieb eine Reaktion des Unternehmens aus. Daher begann im September des gleichen Jahres eine breit angelegte Boykott-Kampagne, die tatsächlich die Aufmerksamkeit auf das Problem lenkte. Innerhalb einiger Monate hatte die Kampagne zur Folge, daß die Kaffeeumsätze bei Lebensbaum um bis zu 25 Prozent sanken. Die Firma Lebensbaum reagierte stereotyp: Immer wieder wurde verlautbart, daß es die Mißstände in Wirklichkeit gar nicht gäbe. Als “Beweis” hielten nicht objektive, da brancheninterne Gutachten her.
Die Berichterstattung von Vertretern der Naturkostbranche sei grundsätzlich problematisch, da von biologischen Scheuklappen geprägt und daher auf dem sozialen Auge eher blind, so der Vorwurf. Die FAU/IAA zitiert einen Vertreter von Allos, ebenfalls ein Marktführer der Branche: “Es geht doch um die biologische Qualität. Die Indianer sollen froh sein, daß sie nicht mehr mit Giften arbeiten, das andere ist doch erstmal egal.”
Spätestens seit der BIOFACH – weltweit die führende Naturkostmesse – im Frühjahr 1996 wurde die von der FAU/IAA losgetretene Diskussion so weit in die Öffentlichkeit getragen, daß der Rechtfertigungsdruck wuchs. Der Demeter-Bund, der die Finca Irlanda seit 35 Jahren zertifiziert und nach eigenen Angaben “regelmäßig kontrolliert”, erstellte plötzlich, auf’s Renommee bedacht, selbst ein Gutachten. Es beruht zwar nur auf zwei Stippvisiten im April und Juni 1996 – also außerhalb der Erntezeit – und in weiten Teilen auf Aussagen der Besitzer, außerdem ist es in den Zahlenangaben etwas widersprüchlich.
Das Demeter-Gutachten
Die Studie kommt dennoch zu kritischen Befunden: Wohnräume und Sanitäreinrichtungen für die ErntearbeiterInnen werden moniert, ebenso die Tatsache, daß die Schule kaum mit Büchern ausgestattet ist, wobei ausdrücklich Erwähnung findet, daß das Farm-Management auch noch vorgab, hiervon nichts zu wissen. Die ArbeiterInnen kommen in dem von einem Forstwissenschaftler erarbeiteten Gutachten praktisch nicht zu Wort, außer mit einem Zitat, daß ihnen kein Platz gegeben wird, einen Garten anzulegen – ein merkwürdiger Widerspruch zu anderslautenden Angaben von Lebensbaum, die betonen, die Finca Irlanda würde den Angestellten Gemüsegärten zur Verfügung stellen.
“In der ersten Reihe” gebrandmarkt
Spätestens seit am 18. September im ZDF-Magazin “Kennzeichen D” der Beitrag “Kinderarbeit auf dem Deutschen Ökomarkt” ausgestrahlt wurde, in dem es auch um die Finca Irlanda ging, ist die Kampagne der FAU/IAA im Aufwind, nachdem die Organisation bereits ein presserechtliches Verfahren gewonnen hatte. Juristisch vertreten wurde Lebensbaum interessanterweise von einem Anwalt des Lebensmittelmultis Tengelmann-Gruppe. Man sitzt ja im gleichen Boot – wer hat schon Interesse daran, wenn dem Kunden der Schluck Kaffee im Hals stecken bleibt.
Etwa zeitgleich fand eine weitere interessante Diskussionsrunde statt: Im Rahmen ihrer “Montagsgespräche” lud die anthroposophische GLS-Bank mit Sitz in Bochum am 23. September zu einer Veranstaltung zum Thema ein – Imagerettung allenthaben.
Lebensbaum-Geschäftsführer Ulrich Walter nämlich hatte bei diesem Geldinstitut einen 150.000,- DM Kredit für plötzlich doch notwendige Renovierungsmaßnahmen der Massenunterkünfte, sowie für “allgemeine Infrastrukturmaßnahmen” beantragt. Dieser Antrag wurde abgelehnt, was voraussehbar war, nicht nur wegen des Gutachtens, sondern nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, daß die Finca Irlanda beim besten Willen nicht in die Kategorie “Klein- und Kleinstprojekte aus der Dritten Welt” zu quetschen ist, an die sich der entsprechende GLS-Fonds richtet.
Ein Öko-Chamäleon
Im Laufe der GLS-Veranstaltung teilte Ulrich Walter dann einem allerseits verblüfften Publikum mit, daß er das FairTrade-Siegel in Zukunft nicht mehr zu verwenden gedenke. Und mit einer Mitte Oktober erschienenen Preisauflistung wurde auch amtlich – Sinneswandel hinter Sinneswandel – daß auch Schluß ist mit der einst gepriesenen langfristigen Abnahmegarantie. Rund 75 Prozent des bislang von Finca Irlanda bezogenen biologisch angebauten Kaffees wurde quasi über Nacht aus dem Verkehr gezogen und nur der Anteil des biologisch-dynamisch angebauten Demeter-Kaffees beibehalten.
Bei dem neuen Lebensbaum-Kaffee – schlagartig erhältlich in ebenfalls neuen Tüten – handelt es sich offenbar um biologischen Kaffee, der von drei mexikanischen Kooperativen stammt, die von der Siegelvereinigung TransFair lizensiert sind. Ein dubioser Frontenwandel: “die sozialpolitische Ausrichtung”, so Walter, sei “immer schon Bestandteil der Firmenphilosophie” gewesen. Finanziell ist diese Imagerettung vermutlich eine eher bittere Pille: Erstens ist der Kooperativkaffee – woher auch immer er konkret stammt – teurer, zweitens gilt es nun auch pro Kilo 0,39 DM Lizenzgebühren an TransFair zu bezahlen – billiger war’s doch mit der selbstgeschnitzten Medaille. Seit einigen Wochen also ist Finca Irlanda-Kaffee mehr oder weniger nur noch im Zusammenhang mit Demeter beziehungsweise in geringerem Umfang über die niederländische Naturkostfirma Simon Levelt im Handel erhältlich. Worin besteht nun der Erfolg der Kampagne? Veränderung des Bewußtseins hierzulande – kein Thema. Ist es gelungen, eine positive Veränderung der Lebenssituation der ArbeiterInnen auf der Finca zu erwirken? Offenbar leider nein.
Selbst die Familie Peters ist relativ schnell fallengelassen worden, über die ohnehin hartnäckig das Gerücht am Leben erhalten wird, sie bewege sich permanent am Rande der Pleite. Als Ausgleich für das Unvermögen, den Angestellten Gemüsegärten zur Verfügung zu stellen, leistet sich die Familie Peters jedenfalls ein dreißig Hektar großes Naturschutzgebiet mit vom Aussterben bedrohten Wildhühnern (Stückpreis jeweils geschätzte 25.000 US-Dollar) – die kann man ja, an den Rand des Existenzminimums gedrängt, notfalls versilbern.
Erfolg – für wen?
Was jedoch wäre die Alternative für die durch eine seit siebzig Jahren bestehende, zwar anthroposophische, aber doch patriarchalische Betriebsführung geprägte Arbeiterschaft, wenn sich die Familie Peters demnächst nur noch der Hühnerzucht widmete? Die Landbesetzungen auf den Fincas Liquidambar und Prusia haben gezeigt, daß es möglich war, binnen kurzem den Reallohn der Cafeteros zu verfünffachen. Und so trotz dieser politisch rasch unterbundenen Aktion erneut aufgezeigt, daß eine kooperative Organisationsform allemal, wenn auch nicht optimale, so doch würdevollere Überlebensmöglichkeiten schafft.