Aktuell | Feminismus | Kolumbien | Nummer 551 - Mai 2020 - Onlineausgabe

„FRAUEN HATTEN MACHT“

Interview mit zwei ehemalige FARC-Kämpferinnen über aufständischen Feminismus

Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee (FARC) haben im Zuge des Friedensabkommens mit der kolumbianischen Regierung im September 2016 die Waffen niedergelegt. Dafür erwarteten sie von der Regierung die Unterstützung in sozialen Projekten, in ihrer gesellschaftlichen Reintegration sowie eine Landrechtsreform. Ende Februar kamen Camila und Edith, zwei ehemalige FARC-Kämpferinnen, auf Einladung der Lateinamerikanischen FrauenInitiative (LAFI) nach Berlin. Dort sprachen die LN mit ihnen über aufständischen Feminismus und enttäuschte Hoffnungen.

Interview & Übersetzung: Camila Garcia

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Edith (42, links) war 20 Jahre lang aktives Mitglied der FARC und Camila (32, rechts) 15 Jahre lang (Illustration: Lena Roßner)

Was bewegte euch dazu, sich der FARC anzuschließen?

Camila: Mich bewegte die linke Bewegung, die in den barrios im Süden, den verarmten Peripherien der Stadt, aktiv war. Aufgrund der prekären Lebensumstände, in denen wir dort lebten, begann ich die Ideologie des sozialen Kampfes zu verstehen. Wir hatten keinen Zugang zu Wasser, keine Elektrizität und die Entfernungen zwischen der Stadt und der Peripherie waren sehr groß. Die Lebensbedingungen waren hart. Als sich mir durch meine politischen Netzwerke die Möglichkeit bot, beschloss ich der FARC beizutreten.

Edith: Mich motivierte das, was wir auf dem Land erlebten, was wir als Kinder gesehen hatten. Wegen der vorherrschenden Gewalt konnten wir nicht studieren gehen, teilweise nicht einmal die Schule beenden; es gab kaum Perspektiven für uns. Wenn ich Teil dieser Gesellschaft geblieben wäre, wäre ich heute ein anderer Mensch. Als ich hörte, dass es in der Organisation Frauen gab, beschloss ich der FARC beizutreten. Ich bin sehr dankbar, dass ich eine guerrera war und dass ich als Rundfunkbeauftragte und Krankenschwester vieles gelernt habe.

Was bedeutete es, eine Frau in der FARC zu sein?

Edith: Die Rolle der Frau in der Guerilla war sehr wichtig. Wir wurden nicht diskriminiert, sondern respektiert. Frauen hatten Macht. Frauen hatten diverse Positionen: als Kommandantinnen der Guerilla, als Rundfunksprecherinnen, als Krankenschwestern, als Ärztinnen, als Musikerinnen. Es wurde gesagt, eine Organisation ohne Frauen könne nicht funktionieren. Der Mann trug die Waffe, ebenso die Frau. Wir sprachen über Gleichheit und Gerechtigkeit für alle Geschlechter.

Dieses Rollenbild stand im Gegensatz zum Rest der kolumbianischen Gesellschaft mit ihrem Machismo, in der die Rechte der Frauen nicht respektiert werden. Der Kampf von uns Ex-Guerilleras ist unter anderem, dass sich dies in unserem Land verändert. Wir sprechen mit Frauen über Freiheit und dass sie sich von ihren Männern nicht schlecht behandeln lassen müssen.

Camila: Unsere Rolle bestand nicht darin – wie oft dargestellt wird –, dass wir Frauen gezwungen und unterdrückt wurden, dass wir keine Ahnung hatten, was wir dort taten. Dem war nicht so. Wir sind Frauen, die politische Übersicht haben und vor allem sind wir politische Subjekte!

Welche Rolle spielte Feminismus in der FARC?

Camila: Zunächst muss klargestellt werden, dass wir den Begriff vor dem Friedensabkommen nicht gebrauchten. Im Grunde lebten wir durch unsere egalitären Geschlechterverhältnisse und durch die stetige Arbeit an diesen unsere Form des Feminismus: Wir kämpften in den ländlichen und städtischen Gebieten, wir waren durch unsere Aktivitäten in die Struktur der FARC eingebunden und besprachen Themen wie Sexismus und die Rolle der Frau in unseren Gruppenarbeiten.

Was wir infolge des Abkommens, das den Begriff „Feminismus” einführte, taten, war unsere gelebten Praktiken in theoretische Konzepte zu überführen. Wir wollten unsere eigene Theorie von Feminismus, den feminismo insurgente (aufständischer Feminismus; LN), innerhalb des globalen Diskurses erschaffen, um zu beschreiben wer die „mujeres farianas” (etwa: FARC-Frauen, LN) sind und was uns bewegt.

Was definiert den feminismo insurgente?

Camila: Zunächst entstand der Begriff, weil wir uns weder mit dem westlich-liberalen noch dem rechten Feminismus identifizieren konnten. Wir sagten uns, unser Feminismus sei ein Aufstand, da unsere Geschichte von Widerstand geprägt ist.

Dieser Feminismus wird von radikalen Frauen innerhalb der revolutionären Prozesse der linken Bewegung in Kolumbien gelebt. Von Frauen, die zur Waffe griffen, um für Landrecht zu kämpfen. Von Frauen, die verstanden haben, dass die Rolle der Hausfrau keine Option ist. Und von Frauen, die erkannt haben, dass wir als kritisch denkende Menschen auf der Welt sind, um einen Beitrag zu leisten.

Der FARC wird von mehreren Frauen, wie den Mitgliedern der Opferorganisation „Corporacion Rosa Blanca”, vorgeworfen innerhalb der FARC und in den Gemeinden sexuelle Gewalttaten begangen zu haben. Wie wurden diese Fälle innerhalb der FARC behandelt?

Edith: Da ich persönlich nichts dergleichen erlebt habe und auch nichts davon hörte, zweifle ich sehr an diesen Anschuldigungen. Ich glaube eher, dass die Frauen, die sich dort geäußert haben, keine Guerilleras waren. Vielleicht wurden sie für diese Aussagen bezahlt. Wenn ein Compañero das getan hätte, wäre er innerhalb der FARC hart verurteilt worden. Gewalt gegen Frauen wurde weder innerhalb noch außerhalb der Guerilla akzeptiert.

Camila: Für solche Fälle ist das Sondergericht des Friedensprozesses zuständig. Ich hoffe, dass die Klägerinnen ehrlich sind. Denn ich war innerhalb meiner Zeit in der FARC immer mit Männern unterwegs und mir ist weder etwas passiert, noch habe ich jemals etwas dergleichen von meinen Compañeras gehört. Dass Gewalt gegen Frauen für uns eine generelle Strategie war, ist eine Lüge. Es ist möglich, dass es Einzelfälle gibt, von denen wir nichts wissen. Wir können auch nicht behaupten, dass wir ihnen nicht glauben. Das wäre schlicht gegen unsere Vorstellung von Feminismus. Und wenn die Anschuldigungen berechtigt sind, müssen die Schuldigen vor Gericht verurteilt werden. Aber wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass es sich hierbei auch um eine Strategie der Rechten handeln könnte.

Wie bewertet ihr den momentanen Friedensprozess?

Edith: Seit vielen Jahren wollte die FARC aktiv an der kolumbianischen Politik teilnehmen. Wir griffen nicht zu den Waffen, weil wir es wollten. Wir sahen uns gezwungen, uns selbst und die Bevölkerung zu verteidigen. Heute können wir sagen: Der Prozess ist nicht das, was wir uns erhofft hatten. Wir dachten, dass das Leben danach anders sein würde. Nun passieren Morde an indigenen und afrokolumbianischen sozialen Vorkämpfer*innen, an Ex-Kämpfer*innen, an Zivilist*innen (LN  547), es herrscht mehr Angst auf dem Land und in den Städten. Die Regierung sagte, die Terroristen seien wir, doch nun ist die Zahl der Gewalttaten in Kolumbien deutlich gestiegen.

Eine der Aufgaben unserer politischen Führer*innen aus der FARC-Partei ist es uns Gehör zu verschaffen. Viele der jungen Menschen aus der FARC brauchen Arbeit und ein Zuhause. Schuld an all dem trägt die Regierung. Denn diese glaubte, wenn die FARC ihre Waffen niederlegt, sei alles getan. Das sei Frieden. Aber das ist kein Frieden. Wir wollen Wohnraum, wir wollen Bildung und vor allem ein würdiges Leben. Das ist Frieden!

Camila: Die kolumbianische Bevölkerung ist es leid, jeden Tag an verschiedenen Orten Menschen sterben zu sehen. Wir haben kein Friedensabkommen für die FARC geschlossen, sondern ein Friedensabkommen für die gesamte kolumbianische Bevölkerung. Und bis jetzt ist es uns nicht gelungen, das Recht auf Land zu erhalten. Und das war der grundlegende Kampf der FARC. Wir konnten allerdings nicht länger zulassen, dass der Kauf unserer Waffen ein Mittel zur Aufrechterhaltung des Kapitalismus ist.

Heute fühle ich mich wie eine Gefangene in Kolumbien. Wir müssen uns jeden Monat bei den Behörden melden und dürfen das Land nicht ohne Erlaubnis verlassen.

Welche Rolle spielt der deutsche Staat im Friedensprozess?

Camila: Als Befürworter des Friedensprozesses sollte Deutschland überprüfen, dass die kolumbianische Regierung die Projekte tatsächlich unterstützt. Wie das Geld verwendet wird und wo es innerhalb dieser Projekte bleibt. Es herrscht Vetternwirtschaft und Korruption. Die für die Finanzierung der Sozialprojekte bestimmten Gelder fließen in die hohen Gehälter der Vorgesetzten und es bleibt kaum etwas für die Projekte übrig.

An welchen Projekten arbeitet ihr aktuell?

Edith: In Quibdó haben wir ein Restaurant geführt mit Frauen aus der Guerrilla und die Fußballmannschaft „Pare colombia” [Stopp Kolumbien; LN] gegründet, in dem ausschließlich weibliche Ex-Kämpfer*innen spielen. Wir wollen auch Schulen in den Gemeinden bauen. Das Ziel ist die Integration der Ex-Kämpfer*innen in die Zivilbevölkerung.

Camila: Meine Arbeit bestand darin, eine genderspezifische Ausbildung für Frauen in den Wiedereingliederungszonen durchzuführen. Geführt wird dieses Projekt von der nationalen Genderkommission unter der Leitung von Victoria Sandino. Ein weiteres Projekt ist die Internetseite „mujer fariana“, sie dient als interne Plattform für die Ex-Guerrilleras.

Was habt ihr euch von der Reise nach Deutschland erhofft?

Edith: Wir suchen nach finanzieller und politischer Unterstützung, damit wir mit den Projekten in den Wiedereingliederungszonen fortfahren können. Es besteht kaum noch Hoffnung diese Projekte eigenständig umzusetzen. Es gibt immer wieder Sitzungen und Treffen, hier ein Protokoll, dort ein Protokoll. Doch nichts passiert und die Menschen sind die Lügen und leeren Versprechungen leid.

Camila: Was ich mir wünsche ist, dass globale linkspolitische und besonders feministische Netzwerke entstehen. Wir wollen den direkten und konstanten Kontakt zu den Vereinen halten, die wir hier kennengelernt haben. Ich habe den starken Wunsch nach Kooperationen, die es uns ermöglichen, die Arbeit der Frauen im Rahmen des Friedensabkommens zu stärken.

Was ist eure Vision für Kolumbien?

Edith: Ich will, dass Kolumbien sich verändert; dass es ein Land mit sozialer Gerechtigkeit wird. Ein Land in dem es Arbeitsplätze, Wohnraum, Bildung und ein funktionierendes Gesundheitssystem gibt. All das bleibt uns in Kolumbien verwehrt. Vor den Krankenhäusern sterben Menschen, weil sie nicht die nötigen finanziellen Mittel haben.

Camila: Wir sind es leid, dass von den drei Farben der kolumbianischen Flagge das Rot am deutlichsten hervortritt. Ich will, dass das Blutvergießen der kolumbianischen Bevölkerung ein Ende hat. Wir wollen ein menschenwürdiges Leben. Wir wollen frei sein.

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