Bolivien | Nummer 379 - Januar 2006

„Für Wasser werden die Menschen sich mobilisieren, so oft es nötig ist“

Interview mit Julián Pérez von der Vereinigung der Nachbarschaftsräte FEJUVE von El Alto

Im Vorfeld der allgemeinen Wahlen am 18. Dezember in Bolivien sprachen die Lateinamerika Nachrichten mit diesem Vertreter der sozialen Bewegungen über die aktuellen Kämpfe gegen das transnationale Wasserunternehmen Suez in den Großstädten La Paz und El Alto, die Position der bolivianischen Regierung im Prozess der Wasserprivatisierung und über die Rolle der internationalen Kooperation dabei – vor allem auch der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.

Interview und Übersetzung: Helen Rupp

Anfang 2005 feierten die sozialen Bewegungen, angeführt durch die Vereinigung der Nachbarschaftsräte FEJUVE in El Alto, einen großen Erfolg . Ein Dekret der bolivianischen Regierung kündigte den Konzessionsvertrag mit dem transnationalen Wasserunternehmen Suez. Ist euch damit der Durchbruch im Kampf gegen die Wasserprivatisierung gelungen?

Bis heute haben wir das physische Verschwinden des Wasserkonzerns Aguas del Illimani, dem Subunternehmen des französischen Konzerns Suez, nicht erreicht. In den Verhandlungen, die wir seit Oktober 2004 mit der Regierung führten, waren die Positionen sehr klar. Die FEJUVE wollte und will, dass das Unternehmen geht. Die Regierung aber meint, dass Aguas del Illimani bleiben und seine Arbeit in El Alto verbessern soll. Da die Verhandlungen zu keinem positiven Ergebnis für die FEJUVE führten, mobilisierten wir am 10. Januar 2005 in der Stadt El Alto einen breiten Protest. Dieser hatte außergewöhnlichen Erfolg, denn die Regierung verabschiedete am 12. Januar ein Dekret, das das Ende des Konzessionsvertrags zwischen Regierung und Suez einleiten sollte. Seitdem hat die Regierung jedoch lediglich mit dem Unternehmen über dessen Abzug verhandelt. Denn die Regierung will den Vertrag freundschaftlich, also in gegenseitigem Einverständnis beenden. Die Taktik des Unternehmens ist, Zeit zu gewinnen. Schon jetzt hat Suez Funktionäre gekauft, aber sie werden es nicht schaffen, eine ganze Bevölkerung zu kaufen.
Hat der Wasserkonzern Bedingungen für seinen Abzug gestellt?

Die Antwort der Unternehmensseite war deutlich: ‚Wir gehen, aber nur, wenn ihr uns 100 Millionen US-Dollar Entschädigung zahlt.’ Damit werden aus ihrer Sicht nicht nur die bisherigen Investitionen sondern auch entgangene zukünftige Gewinne abgedeckt. Und das, obwohl sie nur zehn Millionen investiert haben. Denn die restlichen 40 der 50 Millionen US-Dollar stammen aus Geldern der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Da man also zu keiner freundschaftlichen Einigung kam, ging die Regierung dazu über, Anteile des Unternehmens kaufen zu wollen. Aguas del Illimani erklärte sich einverstanden, meinte jedoch, die Aktien seien 150 oder 180 Millionen US-Dollar wert. Das Problem war, den Wert der Anteile zu bestimmen, da diese nicht an der Börse notiert sind.
Unsere Position dazu ist, dass ein unabhängiges Unternehmen eine Wirtschaftsprüfung durchführen muss, um festzustellen, wie viel effektiv investiert wurde. Wir glauben, dass es gerecht ist, diesen Betrag zurück zu erstatten. Man zahle dem Wasserunternehmen, was es investiert hat, und dann soll es gehen.

Im so genannten „Wasserkrieg“ in Cochabamba im Jahr 2000 haben es die sozialen Bewegungen geschafft, den Bechtel-Konzern zum Rückzug zu zwingen. Warum ist das in La Paz und El Alto trotz massiver Proteste bisher nicht gelungen?

In Cochabamba hat man es geschafft, ein transnationales Unternehmen zu vertreiben, das eine halbe Million US-Dollar investiert hatte und sechs Monate vor Ort gewesen war. Der Schwierigkeitsgrad ist also anders als in La Paz und El Alto. Dort arbeitet der Konzern seit 1997 und hat fast 50 Millionen US-Dollar investiert. Die Umstände sind also sehr verschieden.

Warum kam es zu den Protesten gegen den transnationalen Konzern Suez und sein Tochterunternehmen Aguas del Illimani?

Als das Unternehmen Augas del Illimani hier 1997 seine Arbeit aufnahm, bestanden große Erwartungen. Aber gleich im ersten Jahr zeigten sich die Probleme. Statt der für die ersten fünf Jahre angekündigten 80 Millionen US-Dollar investierte das Unternehmen schließlich nur 50 Millionen. Und statt 72.000 neuen Anschlüssen in der Stadt El Alto wurden lediglich 50.000 gelegt. Diese beziehen sich außerdem größtenteils auf eine Verdichtung des Wassernetzes, das heißt: den Menschen, die schon in einer Gegend mit Trinkwasserversorgung wohnten, wurden Anreize geboten, sich an das Netz anzuschließen. In eine Ausweitung des Wassernetzes wurde kaum investiert. Die versprochene Verbesserung der Wasserversorgung in La Paz und El Alto durch die Privatisierung blieb somit aus.
In El Alto gibt es offiziell 208.000 Personen, die über keine Trinkwasserversorgung verfügen. Und trotzdem hat es Suez in Verhandlungen mit der Aufsichtsbehörde erreicht, dass das Unternehmen statt der für den Zeitraum 2001 bis 2006 vereinbarten 15.000 neuen Anschlüsse keinen einzigen neuen Anschluss in El Alto legen muss.
Außerdem sind die Anschlusskosten sowie die Preise für den Kubikmeter Wasser gestiegen. Vor der Privatisierung lag der Preis für einen Wasser- und Abwasseranschluss bei 100, 120 US-Dollar. Inzwischen sind die Kosten auf 445 US-Dollar gestiegen. Und das in der ärmsten Stadt Boliviens. Gemessen am Mindestlohn stellen diese 445 US-Dollar die Einkünfte von acht Monaten dar.
Wegen der Reihe von Nichterfüllung der Vertragsbedingungen und angesichts der steigenden Preise begann die Mobilisierung gegen das Unternehmen.

Ist die bolivianische Regierung bisher auf die Forderungen der sozialen Bewegungen eingegangen?

Nein, unter dem Druck der internationalen Kooperation hat die bolivianische Regierung nicht eingewilligt, eine unabhängige Wirtschaftsprüfung anzuordnen. Bei einem Eingriff gegen das Unternehmen, so meinte die Regierung, rücke ihr die gesamte internationale Kooperation auf den Hals, also hauptsächlich die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF), die Interamerikanische Entwicklungsbank (BID) und die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit verschiedener Länder. Wir sprechen davon, dass die Regierung vor der internationalen Kooperation die Hosen herunter gelassen hat. Denn sie erfüllt ganz klar die Interessen der Entwicklungszusammenarbeit und nicht die des bolivianischen Volkes.

Welche Rolle haben diese internationalen Akteure im Prozess der Wasserprivatisierung in Bolivien gespielt?

Es war die Weltbank die den Privatisierungsprozess vorbereitet hat. Sie gab der bolivianischen Regierung Kredite, um das Unternehmen in einem guten Zustand an den Privatsektor übergeben zu können. Nachher hat auch die internationale Entwicklungszusammenarbeit Aguas del Illimani Geld zukommen lassen durch Kredite, durch Spenden und in manchen Fällen durch soft credits, das heißt Anleihen mit sehr niedrigen Zinsen. Das war während der sieben Jahre von 1997 bis 2004.
Angesichts des Konflikts um die Wasserprivatisierung war es dann die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, die öffentlich Stellung bezog. Die deutsche Botschaft machte zwei Vorgaben: Erstens, dass man zu einer freundschaftlichen Übereinkunft kommen und keine der beiden Parteien Schaden erleiden solle. Und zweitens, dass das Modell des neuen Unternehmens, das in die Städte La Paz und El Alto einsteigt, ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen, also mit Beteiligung des Privatsektors sein müsse. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt würden, so die Erklärung weiter, werde die deutsche Entwicklungshilfe eingestellt. Es gab keine offizielle Stellungnahme der Weltbank, des IWF oder der BID, denn sie waren, sagen wir, vorsichtig genug, sich nicht öffentlich zu äußern. Allerdings wissen wir, dass auch die BID von der Stadtregierung von La Paz fordert, dass das neue Unternehmen unbedingt ein gemischt öffentlich-privatwirtschaftliches Modell sein müsse. Sonst werde ein Kredit von 28,5 Millionen US-Dollar ausgesetzt, der schon vereinbart war. Es gibt also Versuche die Privatisierungen durch ein gemischtwirtschaftliches Modell voranzutreiben.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit fördert durch die GTZ Aktiengesellschaften, die die Trinkwasserversorgung und das Abwasserkanalisationssystems gewährleisten. Die GTZ sorgt dabei für den Zusammenschluss mehrerer Stadtverwaltungen in einem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen. In diesem Modell leitet das private Unternehmen die Geschäftsführung, die Gewinne gehen also an den Privatsektor. Dadurch steigen die Preise, weil ein Investor Rendite verlangt, teilweise zwischen elf bis dreizehn Prozent, und das schlägt sich zwangsläufig auf die Gebühren nieder.

Hat die FEJUVE konkrete Gegenvorschläge zum privaten Modell der Wasserversorgung?

Ja, angesichts des Scheiterns des Privatunternehmens begannen wir ein Alternativmodell auszuarbeiten. Dieses neue Modell haben wir ‚öffentlich-soziales Unternehmen’ genannt. Warum öffentlich? Weil wir garantieren, dass zukünftige Investitionen, die im Wassersystem in El Alto und La Paz vorgenommen werden, als staatliches Eigentum betrachtet werden. Wir eröffnen nicht die Möglichkeit, dass ein privater Investor das Unternehmen übernimmt. Und warum sozial? Weil wir die größtmögliche Beteiligung der Bürgerschaft, das heißt Partizipation innerhalb des Unternehmens, anstreben. Wir sagen nicht, dass Fachleute zu nichts taugen. ExpertInnen sollen aber den Willen der Bevölkerung umsetzen. Deshalb haben wir Prinzipien wie Transparenz und gesellschaftliche Kontrolle eingeführt.

Welche Rolle spielte das Thema Wasser bei den Wahlen am 18. Dezember?

Leider hat die Rechte im Wahlkampf sehr deutlich gesagt, dass sie die
teilweise oder vollständige Privatisierung der Wasserversorgung begrüßt. Doch auch die Linke vertritt diese Position. Evo Morales von der Bewegung zum Sozialismus (MAS) äußerte sich kürzlich positiv über die Beteiligung privater Investoren im Dienstleistungsektor für öffentliche Güter, speziell beim Wasser. Auch wenn wir die Hoffnung hatten, dass die Linke eine Position einnehmen könnte, die der Bevölkerung von El Alto zu Gute kommt, sehen wir, dass bezüglich der Grunddienstleistungen die Linke und Rechte den gleichen Diskurs führen.

Unterstützt die FEJUVE von El Alto eine bestimmte politische Partei?

Nein, wir enthalten uns als wichtigste soziale Organisation jeglicher
politischer Beteiligung. Dadurch wahren wir unsere Unabhängigkeit als Organisation und können auch nach der Wahl eines neuen Präsidenten die Referenzinstanz sein, die die Forderungen von El Alto und La Paz, von ganz Bolivien, vertritt. Es gab jedoch Versuche von Seiten der MAS, sich die Unterstützung von der FEJUVE zu sichern. Die MAS hatte Abel Mamani, unserem Präsidenten angeboten, dass er Kandidat für die Präfektur werden könne. Aber dieser Versuch ist gescheitert.

Was wird eure Strategie für die nächste Zeit sein? Wie wollt ihr erreichen, dass die Regierung eure Forderungen erfüllt?

Mit unserer gesellschaftlichen Kraft. Ich bin mir sicher, dass in der Stadt El Alto für Wasser sich die Menschen mobilisieren werden, so oft es nötig ist. Die Bevölkerung weiß, dass sie kämpfen muss. Wenn sich die Leute trotz der Beeinträchtigungen, die ihnen entstehen, an einer Mobilisierung beteiligen, wissen wir, dass diese BürgerInnen ein entsprechendes Bewusstsein haben. Nur wenn wir uns mobilisieren, werden wir gehört und können ein paar Forderungen durchsetzen.

„Schleichende Privatisierung: Das ‘deutsche Modell’ der Wasserversorgung in Bolivien“ unter www.fdcl-berlin.de

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