Brasilien | Nummer 466 - April 2013

Gärtners Bock

Die Wahl des neuen Vorsitzenden der Menschenrechtskommission im brasilianischen Parlament löst Proteststurm aus

Die Wahl des evangelikalen Pastors und Abgeordneten Marco Feliciano zum neuen Vorsitzenden der Parlamentskommission für Menschenrechte und Minderheiten wird parteiübergreifend kritisiert. Ihm werden Rassismus, Homophobie und Misogynie vorgeworfen. Dennoch ergab sich diese Wahl aus strategischen Interessen der Mehrzahl der in der Abgeordnetenkammer des Kongresses vertretenen Parteien. Der Proteststurm sozialer Bewegungen hält unvermindert an.

Christian Russau

„Die Afrikaner stammen von einem Ahnen ab, der von Noah verflucht wurde“. Die Folgen seien Elend, Krankheiten, Hunger und Heidentum. Feminismus führe zu einer Verschwulung der Gesellschaft. Die Lesben-Schwule-Bisexuelle- und Trans-Bewegung (LGBT) wolle eine schwule Diktatur in Brasilien errichten. Solchen Charakters ist das Weltbild des evangelikalen Pastors Marco Feliciano, Abgeordneter in Brasília für die christlich-soziale Partei PSC, der im März den Vorsitz der Parlamentskommission für Menschenrechte und Minderheiten übernahm. Felicianos Wahl wird parteiübergreifend kritisiert. Mehrere Abgeordnete haben mit Transparenten gegen seine Wahl protestiert, im Parlament kam es zwischenzeitlich zu Tumulten. Abgeordnete anderer Parteien erwägen, gegen Feliciano Klage einzureichen und seine Wahl zum Kommissionspräsidenten anzufechten. Von den zuvor 19 Mitarbeiter_innen der Kommission sind derweil nur noch zwei übrig: Die eine Hälfte wurde versetzt, die andere Hälfte hat aus Protest gegen den Pastor selbst um Versetzung gebeten.
Doch ist der parlamentarische Aufschrei nicht frei von Scheinheiligkeit. Haben doch Regierungsparteien wie die Arbeiterpartei PT oder die konservative PMDB sich diesmal nicht für die Menschenrechtskommission interessiert. Die PT hatte sich dieses Jahr für die Kommissionen Soziale Sicherung und Familie, für die Rechtskommission und die für Außenpolitik zuständige Kommission im Parlament entschieden. Hinzu kommt, dass vierzehn der 18 Mitglieder der neuen Menschenrechtskommission von Pfingstlern besetzt sind. Acht allein von der Partei Felicianos, PSC. Dazu kam es, weil die PMDB vier ihrer Sitze der PSC zur Verfügung stellte. Deren Parteichef, Eduardo Cunha, ist selbst evangelikal und Verfasser eines Gesetzesvorhabens gegen „Heterophobie“. Die oppositionelle, rechtssozialdemokratische PSDB verzichtete auf zwei ihrer Sitze, die rechte „Fortschrittspartei“ PP und die rechtssozialdemokratische PDT verzichteten auf je einen Sitz. So fielen der PSC insgesamt acht Sitze in der Kommission zu – einschließlich dem des Vorsitzes.
Indessen erhoben sich in ganz Brasilien die Proteste gegen den Abgeordneten Feliciano. In der Mehrzahl über soziale Netzwerke organisiert, riefen Menschenrechtsorganisationen, LGBT-Gruppen und Frauenorganisationen zum Protest auf. Amnesty International forderte öffentlich den Rücktritt Felicianos. Auch im Ausland, in Argentinien, den USA und in mehreren europäischen Städten kam es zu Kundgebungen gegen die homophoben, rassistischen und frauenfeindlichen Äußerungen des Pastors Feliciano. In Berlin versammelten sich etwa 80 Personen vor dem Brandenburger Tor mit Spruchbändern „Weg mit Feliciano“ und warfen dem Pastor Rassismus und Homophobie vor.
„Der religiöse Fundamentalismus in Brasilien ist auf dem Vormarsch“, konstatierte in Berlin Pedro Costa, Sozialwissenschaftler und Queer-Performer. „Und der geht Hand in Hand mit einer ­extremen Rechten“. Marco Felicianos Äußerungen seien eben nicht harmlos, da sie Rassismus, Homophobie und Misogynie predigen – und das oft direkt Gewalt befördere, so Costa.

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