“Gegen das autoritäre Projekt”
Die kolumbianische Opposition will eine zweite Amtszeit von Präsident Álvaro Uribe verhindern
Die Kampagne für eine Wiederwahl von Kolumbiens Staatschef Álvaro Uribe läuft auf Hochtouren – und das 16 Monate vor den Präsidentschaftswahlen. Die kolumbianische Gesetzgebung sieht gar keine zweite Amtszeit des Präsidenten vor. Doch Uribes Parteigänger wollen eine Verfassungsreform. Ihr Argument: Politische Kontinuität sei notwendig. Dabei erinnern sie an die Regierungserfolge in Sicherheitsfragen. Dank Uribes Politik der Seguridad Democrática habe die Zahl der Entführungen abgenommen, die zuvor hochgefährlichen Überlandstraßen könnten wieder befahren werden und selbst die städtische Kriminalität sei zurückgegangen.
In Ciudad Bolívar, in jenen Slums, die die südliche Hälfte Bogotás ausmachen, zeigt sich deutlich, dass diese Analysen nur einen Teil der Realität beschreiben. Die Ziegel- und Kartonsiedlungen an den trockenen Rändern der Hochebene, bilden einen von offiziellen Statistiken kaum erfasste und von den Medien ignorierten Stadtteil. Dabei leben vier von acht Millionen Bogotaner in den Elendsquartieren im Süden der Hauptstadt.
Terror triffst meist Jugendliche
Nora Jiménez betreut eine von sieben selbstorganisierten Armenküchen, die die Frauenorganisation Organización Femenina Popular (OFP) in Ciudad Bolívar unterhält. Fast beiläufig kommt sie auf die Ermordungen vor Ort zu sprechen. „Hier gibt es viele Paramilitärs. Bei uns sind erst vor ein paar Tagen zwei Jugendliche erschossen worden. In der Siedlung nebenan waren es vor kurzem vier. In einem anderen barrio von Ciudad Bolívar allein seit vergangener Woche 20.“ Sie lacht. Bei ihnen sterbe man nicht einzeln, sondern paarweise.
Die Frauen von der OFP, einer der wichtigsten unabhängigen Frauenorganisationen Kolumbiens, berichten, dass die Todesschwadronen keinem eindeutigen System mehr zu folgen scheinen. Die so genannten „sozialen Säuberungen“ treffen ganz verschiedene Leute: Vertriebene aus Kriegsregionen, Kleinkriminelle, Homosexuelle, Straßenhändler, denen die Angehörigen der AUC-Paramilitärs ihren Verdienst abnehmen wollen. Meistens handelt es sich jedoch bei den Opfern einfach um Jugendliche, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhalten. Offensichtlich zielt der Paramilitarismus darauf ab, ein diffuses Klima der Angst zu erzeugen. „Man versucht nicht aufzufallen und sperrt sich abends um acht zu Hause ein. Nachts hörst du eigentlich immer irgendwo Schüsse“, sagt Nora Jiménez.
Der Rundgang durchs Viertel macht klar, welches Ziel dieser Terror verfolgt. Von Stadtplanern in der ganzen Welt wird Bogotá gefeiert, weil es den Kommunalregierungen gelungen ist, die Verwahrlosung der Innenstadt zu stoppen. Ein neues Verkehrssystem ist eingerichtet worden, die Straßen der Altstadt laden wieder zum Ausgehen ein, die Armut scheint weniger erdrückend.
In Ciudad Bolívar lässt sich jedoch die Kehrseite dieses Prozesses beobachten. Zwischen unverputzten Ziegelhütten entstehen täglich neue Plastikverschläge, in denen ganze Familien in einem einzigen brusthohen Raum wohnen. Auf 2600 Meter Höhe und bei fast täglich fallendem Niederschlag sind Kleider und Decken ununterbrochen feucht. Die Aktionen der Paramilitärs sorgen dafür, dass aus diesem Elend keine Proteste erwachsen können.
Demokratische Sicherheit polarisiert
So gesehen weist die Bilanz der Regierung Uribe zwei unterschiedliche Seiten auf. Es gibt weniger Entführungen, aber dafür mehr Verschwundene. Militär- und Polizeipräsenz haben zugenommen, aber die Morde von Ciudad Bolívar oder in den von Paramilitarismus kontrollierten Landstrichen bleiben in der Regel unregistriert. Nach zweieinhalb Jahren Politik der „Demokratischen Sicherheit“ ist Kolumbien selbst in punkto Sicherheitslage polarisiert wie nie zuvor.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die kolumbianischen Nichtregierungsorganisationen nichts so sehr fürchten wie eine Wiederwahl Uribes, die von der Rechten angestrebt und offensichtlich auch von Washington befürwortet wird. In einer gemeinsamen Erklärung von Februar 2005 zeichnen die kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen ein düsteres Bild. Trotz des „Waffenstillstands“ zwischen Regierung und den AUC-Paramilitärs – ein eigenartiges Konstrukt, immerhin haben die Paramilitärs nach eigenen Aussagen noch nie gegen Armee und Polizei gekämpft – gehen die Morde an politischen AktivistInnen ebenso wie die systematischen Vertreibungen der Zivilbevölkerung weiter.
Mehr als 6000 Menschen wurden zwischen 2002 und 2004 willkürlich verhaftet und sitzen zum Teil seit Jahren ohne Beweise in Haft. Die Gesellschaft sei militarisiert, die Justiz geschwächt und der Paramilitarismus nicht demobilisiert, sondern in den Staatsapparat integriert worden, heißt es in der Erklärung von 83 Menschenrechtsorganisationen.
Querschläger Kolumbien
Der einzig positive Aspekt in diesem Zusammenhang scheint, dass die Uribe-Regierung eine gewisse Einigung der tief zerstrittenen kolumbianischen Opposition ermöglicht hat. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gibt es ernsthafte Bemühungen für eine breit getragene Oppositionskandidatur. „In ganz Lateinamerika spürt man den Wind der Veränderung“, erklärt Gloria Cuartas, die mit zahlreichen Friedenspreisen ausgezeichnete ehemalige Bürgermeisterin der nordkolumbianischen Kleinstadt Apartadó (Urabá). „In Venezuela, Brasilien, Argentinien und Uruguay bemüht man sich um die lateinamerikanische Einheit. In Ecuador und Bolivien stehen zwar nicht die Regierungen für diesen Trend, aber es gibt starke Basisbewegungen. Nur Kolumbien scheint eine Ausnahme zu sein.“
Um das zu ändern, setzt sich Gloria Cuartas für die Kandidatur des ehemaligen Verfassungsrichters Carlos Gaviria und die von verschiedenen linken Organisationen getragene Alternativa Democrática ein. Gloria Cuartas, die aus der Unión Patriótica stammt und miterlebte, wie ihre Partei zwischen 1985 und 1997 durch Anschläge der Todesschwadronen mehr als 4000 Mitglieder sowie sämtliche PräsidentschaftskandidatInnen und Abgeordnete verlor, macht sich dabei keine Illusionen über die Spielräume der politischen Opposition: „Unser Bündnis besteht aus den Überlebenden. Wir sind diejenigen, die dem politischen Genozid entkommen sind. Man muss der Politik Uribes – ich würde sie als faschistisch bezeichnen – öffentlich etwas entgegensetzen. Wir haben gar keine andere Wahl.“ Uribe verfolge ein Projekt völliger ökonomischer, sozialer und politischer Kontrolle der Gesellschaft. Die Legalisierung und Integration der Paramilitärs in den Staat werde auf verschiedensten Ebenen ein rechtsradikales, autoritäres Regime etablieren, so Gloria Cuartas.
Dieser Aspekt von Uribes Politik stößt auch in Teilen der beiden staatstragenden Parteien zunehmend auf Widerstand. Uribes Kandidatur 2002 wurde zwar von wichtigen Fraktionen der Konservativen und Liberalen unterstützt, doch als die Regierung Mitte 2003 ein Referendum zur Verschlankung von Staat und Justizwesen ansetzte und ganz nebenbei wichtige Bürgerrechte beseitigen wollte, formierte sich auch in den großen Parteien Widerstand gegen den Präsidenten. Der sozialdemokratische Flügel der Liberalen Partei um die afrokolumbianische Abgeordnete Piedad Córdoba gründete gemeinsam mit Gewerkschaftern und linken Organisationen die so genannte Gran Coalición Democrática, die „Große demokratische Koalition“.
Uribe verliert immer mehr Anhänger
Nach einem ohne mediale Unterstützung geführten Wahlkampf gelang es dem Bündnis im Oktober 2003 nicht nur, der Uribe-Regierung beim Referendum eine empfindliche Niederlage zuzufügen, sondern die Protestkoalition ebnete auch mehreren Mitte-Links-KandidatInnen bei den zeitgleich stattfindenden Kommunalwahlen den Weg. Unter anderem die Bürgermeisterposten von Bogotá, Medellín und Barrancabermeja sowie das Gouverneursamt der Region um Cali fielen an alternative KandidatInnen, die zwar die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt haben, aber doch Uribes Machtposition zunehmend symbolisch einschränken.
Im Zusammenhang mit Uribes Anstrengungen zur Legalisierung der Paramilitärs sind die Reihen seiner Gegner sogar noch weiter gewachsen. Ex-Verteidigungsminster Rafael Pardo, 2002 noch einer der wichtigsten Unterstützer des Präsidenten, hat sich unlängst vehement gegen die von Uribe angestrebte weitgehende Straffreiheit für die AUC-Kommandanten ausgesprochen. Und Andrés Pastrana, Uribes Vorgänger im Präsidentenamt, warnte die Regierung davor, eine politische Allianz mit dem Paramilitarismus und dessen Drogengeldern zu schmieden.
Chance der Opposition
So gesehen stehen die Chancen der Opposition, trotz der hohen Umfragewerte Uribes eine zweite Amtszeit des Präsidenten zu verhindern, gar nicht schlecht. Die entscheidende Frage lautet, wer die Opposition glaubhaft vertreten könnte. Die Führung der Liberalen Partei wird die von vielen Linken befürwortete gemeinsame Kandidatur der liberalen afrokolumbianischen Abgeordneten Piedad Córdoba mit Verfassungsrichter Carlos Gaviria sicher nicht zulassen. Dafür steht Córdoba in ihrer Partei zu weit links. Ohne die sozialdemokratischen Strömungen der Liberalen jedoch hat eine alternative Kandidatur keine großen Aussichten. Auf der jüngsten Konferenz der Gran Coalición Democrática vergangenes Wochenende in Bogotá wurde deutlich, dass wohl auch die bevorstehende Kandidatenkür von jenem politischen Geschacher bestimmt sein wird, das die öffentliche Landschaft Kolumbiens seit Jahrzehnten so nachhaltig bestimmt und das dazu geführt hat, dass sich regelmäßig 50 bis 70 Prozent der Bevölkerung bei Wahlen enthält.
„Wir müssen weniger über Personen als über Inhalte sprechen“, sagt Hector Moncayo, Mitherausgeber der kolumbianischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique am Rand der Konferenz. „Es gibt einen wachsenden Flügel der Rechten, die für einen ‚Uribismus ohne Uribe’ plädieren. Das Image des Präsidenten hat zuletzt sehr gelitten. Die eher städtische, technokratische Rechte sucht deshalb nach einem neuen, unverbrauchten Gesicht. Uribe stützt sich hingegen zunehmend auf die ländlichen Eliten und die mit ihnen verbündeten Paramilitärs. Vor dem Hintergrund dürfen wir uns nicht auf den Präsidenten fixieren. Es geht letztlich nicht nur um Repression, sondern um ein neoliberales Projekt, das auch von einem Politiker der Liberalen Partei oder einem vermeintlichen Sozialdemokraten fortgeführt werden kann.“
KASTEN
Regierung und Paramilitärs
Die Bemühungen der Uribe-Regierung, die AUC-Paramilitärs zu demobilisieren, haben zu Zerwürfnissen innerhalb der politischen Eliten Kolumbiens geführt. Uribe und der größte Teil der Kongress-Abgeordneten befürworten eine Gesetzesreform, die den Paramilitärs weitgehende Straffreiheit für die vielen Tausend von ihnen begangenen Morde, die Legalisierung des durch Drogenhandel und Raub erworbenen Besitzes und den Verzicht auf Aufklärung der Verbrechen garantieren. Führende Politiker der Liberalen und Konservativen Partei haben sich mittlerweile gegen eine solche Politik des Perdón y Olvido (Vergeben und Vergessens) ausgesprochen. Ex-Verteidigungsminister Rafael Pardo, der den Paramilitarismus während seiner Amtszeit durchaus gewähren ließ, hat im Kongress sogar einen alternativen Gesetzesentwurf eingebracht und damit den Zorn des Präsidenten auf sich gezogen. AktivistInnen von Menschenrechtsorganisationen vermuten, dass hinter dieser Haltung nicht nur aufrechte Empörung über die von den Todesschwadronen begangenen Verbrechen steckt. Von Bedeutung dürfte ebenfalls sein, dass die Paramilitärs und die ihn finanzierenden Viehzüchterorganisationen das Machtgefüge im Land spürbar verschoben haben. Das Phänomen des Paramilitarismus ist seit seinen Anfängen 1981 eng mit dem Drogenhandel verbunden, die lukrativen Exportrouten werden weitgehend von AUC-Kommandanten kontrolliert. Vor diesem Hintergrund könnte die Verbindung der rechten Eliten vor allem Antioquias und der nordkolumbianischen Atlantikküste mit Paramilitarismus und Drogenhandel die Macht einer eher traditionellen Oligarchie nachhaltig in Frage stellen. Zwar wird in Kolumbien damit gerechnet, dass sich Präsident Uribe im Parlament und vor dem Verfassungsgericht sowohl mit der Zusicherung weitgehender Straffreiheit für die Paramilitärs als auch mit der angestrebten Zulassung für eine Wiederwahl durchsetzen wird, doch der politische Konflikt mit Teilen der traditionellen Parteien wird sich vermutlich in den nächsten Monaten noch deutlich vertiefen.