Ecuador | Nummer 361/362 - Juli/August 2004

Gutiérrez regiert die Opposition

Gescheiterter Aufstand der Indígenas verschärft Krise innerhalb der CONAIE

Dem ecuadorianischem Präsidenten Lucio Gutiérrez ist es nach 17-monatiger Amtszeit zum zweiten Male gelungen, eine schwere politische Krise zu überstehen. Mit der Ernennung von Antonio Vargas zum Minister für Soziales gelang es ihm, Teile der indigenen Bewegung wieder in die Regierung zurückzuholen. Nicht nur zum Schaden des indigenen Dachverbandes CONAIE, dessen Krise damit offen sichtbar geworden ist, sondern auch zu Ungunsten von Gutiérrez’ Partei PSP: Diese hat nur noch einen Ministerposten inne.

Tommy Ramm

Nichts scheint Lucio Gutiérrez derzeit zu gelingen, um bei den EcuadorianerInnen Boden gut zu machen. Laut einer Umfrage sprechen sich 57 Prozent der Bevölkerung offen für einen Rücktritt ihres Präsidenten aus, weitere 20 Prozent weisen seine Politik als “sehr schlecht” zurück. Da half es auch nicht, dass sich der Präsident Ende Mai fast täglich mit den schönsten Frauen der Welt umgab, als in dem kleinen südamerikanischem Land die Wahlen zur Miss Universum anstanden. Eine Parlamentskommission untersucht nun den Verdacht auf Korruption und überhöhte staatliche Millionenzuschüsse für das Event in einem Land, dass an bitterer Armut und hoher Verschuldung leidet.
Im Mai bemühten sich linke als auch rechte Oppositionsparteien im Parlament, eine Mehrheit zu schaffen, welche die Absetzung von Gutiérrez in den ersten Junitagen erreichen sollte. Doch wie schon im Dezember 2003, als dem Präsidenten ein ähnliches Ende vorausgesagt worden war, gelang es Gutierrrez, wichtige Stimmen zu gewinnen. Innerhalb von nur fünf Tagen ließ er drei Minister zurücktreten und besetzte die Posten mit Personen, die der Opposition den Wind aus den Segeln nahmen.

Gewinne gehen in Schuldenzahlung
So trat Ende Mai der Wirtschaftsminister Mauricio Pozo zurück, dem die linke Oppostion reine “Währungsfonds”-Politik vorwarf, statt auf die sozialen Bedürfnisse im Land einzugehen. Nach einer schweren Rezession im Jahr 1997 hat es Ecuador nach wie vor nicht geschafft, aus der Schuldenkrise herauszukommen, was das Land von den Krediten des Internationalen Währungsfond (IWF) abhängig gemacht hat. Einzig die hohen Preise beim Erdöl, dessen Export etwa 12 Prozent der ecuadorianischen Wirtschaftskraft ausmacht, verhalfen dem Land zu mehr Geld in der Staatskasse.
Doch statt etwa den von Geldmangel geplagten Ministerien mehr Finanzhilfen für öffentliche Ausgaben zu gewähren, ließ Gutiérrez die Mehreinnahmen in einem Fond zurückhalten, um die Zahlung der Auslandsschulden zu gewährleisten. Vor mehr als einem Jahr vereinbarten Regierung und IWF die Schaffung eines Fonds, der Gelder aus dem Erdölgeschäft sammeln soll. Dieser Fond wird gespeist aus den Gewinnen internationaler Unternehmen in Ecuador, die einen festgesetzten Teil einzahlen müssen. Das scheint auf den ersten Blick zwar gut, beschneidet jedoch die Finanzautonomie Ecuadors beträchtlich. In nahezu allen südamerikanischen Ländern, die ausländische Firmen am Erdölgeschäft beteiligen, werden Förderabgaben – so genannte regalías – eingezogen, die vom Staat oder den Förderregionen verwaltet werden. Der IWF hat jedoch seine Hand auf die regalías gelegt, um die Schuldenzahlungen des Landes zu sichern. Die hohen Erdölpreise haben den Fonds seit 2003 auf mehr als 600 Millionen US-Dollar anwachsen lassen. Jedoch 70 Prozent davon gehen automatisch in die Schuldenzahlung, nur 20 Prozent wurden für Sozialausgaben festgelegt. Bauernopferr für diese unpopuläre Politik war nun Mauricio Pozo; dessen Nachfolger Mauricio Yepez – der ehemalige Zentralbankchef – wird allerdings die gleiche wirtschaftliche Orientierung wie Pozo nachgesagt.

Vargas steigt in Regierung ein
Neben dem folgenden Rücktritt des Agrarministers gelang Gutiérrez Ende Mai einer der größten Schachzüge in seiner Amtszeit. Als Ersatz für den wegen eines Familienskandals zurückgetretenen Minister für Soziales, Patricio Acosta, konnte der Präsident überraschend Antonio Vargas gewinnen. Vargas war im Januar 2000 als Chef des indigenen Dachverbandes CONAIE neben Gutiérrez Drahtzieher eines Massenaufstands, welcher den Rücktritt des Präsidenten Jamil Mahuad ausgelöst hatte. (siehe LN 318) Doch nur wenige Monate später schloss der Indígenaverband Vargas wegen populistischer Anmaßungen aus und ging 2002 zusammen mit Gutiérrez als linken Präsidentschaftskandidaten in den Wahlkampf. Vargas kandidierte daraufhin selbst, scheiterte jedoch an den hohen Erwartungen, welche viele EcuadorianerInnen Gutiérrez entgegenbrachten: eine sozial orientierte Wirtschaftspolitik, mehr Mitspracherecht der indigenen Bevölkerung und politische Souveränität.
Gutiérrez entpuppte sich als ein weiterer Amtsinhaber, der grundlegende Reformen scheut. Nur sieben Monate nach dem Amtsantritt nahm Pachakutik, der politische Arm der CONAIE, eine radikale Oppositionsrolle gegen Gutiérrez ein, dem sie Verrat vorwarfen, da er keine substanziellen Veränderungen in der Politik vornahm. Statt die Zahlungen der Auslandsschulden zu reduzieren, sowie das System der zirkulierenden Dollarwährung zu beenden, verfolgt Gutiérrez die gleiche Politik seiner konservativen Vorgänger. Der Einstieg von Vargas in das Regierungskabinett kann als Versuch des Präsidenten verbucht werden, die unbequeme CONAIE zu spalten, um sich des größten politischen Widersachers zu entledigen. Mit einem Teilerfolg.

Interne Krise lähmt CONAIE
“Davor kann sich keiner retten, auch ich nicht”, räumte ein enttäuschter Leonidas Iza in der zweiten Juniwoche ein. Der Präsident des mächtigen Indígenaverbandes CONAIE schickte einige hundert DemonstrantInnen aus der Hauptstadt Quito wieder in ihre Regionen und räumte ein komplettes Scheitern dessen ein, was wenige Tage zuvor als Aufstand Tausender angekündigt worden war. Dieser sollte den seit 17 Monaten regierenden Gutiérrez aus dem Amt jagen, ähnlich wie im Januar 2000. Hatte Iza noch Tage zuvor den Eintritt von Vargas in die Regierung als “opportunistisches Manöver” abgetan, das keinerlei Auswirkungen auf die CONAIE haben würde, sieht sich der indigene Dachverband nun einer seiner schwersten Krisen ausgesetzt.
Beobachter begründen diese damit, dass Iza in arroganter Form trotz der offensichtlichen Differenzen innerhalb der Bewegung an der Aufstandsidee fest gehalten hat. Die CONAIE wurde seit Anfang der neunziger Jahre von Vargas und Iza geführt, die gemeinsam die drei indigenen Fraktionen des Hochlands (Ecuarunari), der Küste (CONAICE) und des Amazonas (Confeniae) vereinen konnten. Nachdem Vargas den Verband verlassen hatte, entwickelten sich weitere Brüche. Die beiden letzteren und einflussreichsten Fraktionen hatten sich entschieden, wieder die Regierung zu unterstützen.
Laut dem Historiker Enrique Alaya entstanden die Diskrepanzen zwischen den Fraktionen aus den unterschiedlichen Wahrnehmungen der sozialen Realitäten an der Basis und, nachdem die CONAIE durch die Pachakutik erstmals an der Regierung beteiligt war, den verschiedenen Machtansprüchen. Während der Großteil der indigenen Bevölkerung meist nur durch direkte Schläge wie Preiserhöhungen mobilisiert werden könne, sei der letzte Aufruf zu einem Aufstand zu weit von den Bedürfnissen der einfachen Menschen entfernt gewesen, urteilt Alaya.
Den größten Fehler weist Alaya der CONAIE-Spitze jedoch wegen deren Umgang mit anderen sozialen Organisationen zu. “In der Vergangenheit beschloss die CONAIE Entscheidungen zu Massenprotesten einseitig und ließ andere Gruppierungen nur hinter sich auftreten”, so Alaya.
Schwere Vorwürfe richteten deshalb soziale und indigene Gruppierungen an die CONAIE, die dem Verband herrisches und zu radikales Vorgehen vorwerfen. Die indigenen Bewegungen Fenocin und Feine lehnten eine Teilnahme an dem Aufstand ab, “weil die Chefs der CONAIE glauben, die soziale Basis allein mobilisieren zu können”, so deren Begründung. Die Einflussnahme der CONAIE ging soweit, dass selbst die Pachakutik-Partei den Verband in die Schranken weisen musste, nachdem sich mehrere Abgeordnete beschwerten, dass dieser ihnen die Politik im Parlament diktierte. Laut Alaya ist die CONAIE zwar nicht zerstört, aber ein schnelles und progressives Wiedererstarken hänge nicht zuletzt von der Fähigkeit ab, mit anderen Gruppen wieder gleichberechtigte Bündnisse zu suchen.

“Die PSP regiert nicht mehr”
“Ich weiss, dass ich jetzt 80 Prozent der CONAIE auf meiner Seite habe”, jubelte Gutiérrez in einem Interview mit der Zeitung El Comércio. Wahr ist, dass sich mehrere Indígenafraktionen mit dem Eintritt von Vargas in die Regierung dem Präsidenten angenähert und Unterstützung versprochen haben. Prekär entwickelt sich allerdings der Zustand seiner eigenen Partei. Auf Grund der Zugeständnisse an die Opposition, der eigenen Minderheitsfraktion im Parlament und dem Postengeschacher zum Gewinn von Stimmen blieb mit Estuardo Peñaherrera als Sekretär für öffentliche Konstruktionen nur noch ein Mitglied der Partei der Patriotischen Gesellschaft in der Regierung. So titelte El Comércio: “Die PSP regiert nicht mehr”. Hatte Gutiérrez noch vor eineinhalb Jahren sieben Minister- und Sekretärsposten mit PSP-Mitgliedern besetzen lassen, gingen sechs innerhalb weniger Monate als Tribut an andere Parteien und Gruppen über, um Rückhalt zu gewinnen.

Wahlkampfmaschine PSP
Laut dem Politologen Cesar Montufar ist die PSP, die sich kurz vor den Wahlen 2002 formiert hatte, keine politische Partei, sondern einzig eine Wahlkampfmaschine, die weder einen Regie-rungsplan noch Fähigkeiten im Umgang mit Macht besäße. “Statt sich über eine Ideologie zu identifizieren, interessieren die Mitglieder nur öffentliche Posten”, meint Montafur. Von den fünf Abgeordneten der PSP, die von den 17 übrig geblieben sind, mit denen der Block um Gutiérrez angetreten ist, sind drei Familienangehörige des Präsidenten.
Gutiérrez kann zwar nach dem Ausbruch der Krise innerhalb der CONAIE zunächst durchatmen, aber das Schwinden der Unterstützung hält an. Sein wohl größtes Problem: Bei der nächsten Krise bleiben ihm keine offenen Posten, die er der Opposition anbieten kann. Nur der eigene.

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