Hier begann die Hölle
Augenzeugenbericht aus Atenco
Um ca. 6:00 Uhr schreckte ich hoch. Die Kirchenglocken läuteten, Bomben zerbarsten, Steine flogen, tatsächlich hatte ein neuer Kampf begonnen – mit unglaublichem Gewalteinsatz von seiten der ca. 3000 Polizisten gegen etwa 300 Demonstranten. Tränengas kroch durch Fenster und Türen des Hotels. Ängstlich wickelte ich mir ein nasses Handtuch um Mund und Nase und verharrte zwei Stunden im Hotelbadezimmer. Der Hotelbesitzer hatte den Fernseher im Büro angestellt und die wenigen im Hotel Zurückgebliebenen konnten mit Entsetzen mitverfolgen, wie die Polizei systematisch die Stadt zurück
eroberte.
Als ich im Fernsehen erfuhr, dass sich die Polizeitruppen weiter ins Zentrum bewegten, verließ ich nach Sonnenaufgang kurzerhand mit meinem Rucksack und meiner Kamera das Hotel. Nach weniger als einer Minute kam durch den Tränengasnebel eine Gruppe Polizisten auf mich und drei andere friedliche Personen auf der Straße zugerannt. Ich wurde gegen eine Hauswand gedrückt und nach meinem Ausweis gefragt. Ich gab ihnen meinen Internationalen Presseausweis und fragte, was ich denn getan hätte. „Die ist nicht von hier“, wurde gebrüllt, mein Ausweis fiel zu Boden und ich wurde in Richtung eines Transporters abgeführt. Hier begann die Hölle.
An Armen und Haaren wurde ich auf den Transporter gezerrt, wo schon ein Haufen an Menschen übereinander gestapelt lag. Alles war blutig, die Menschen stöhnten. Es blieb mir nichts anderes übrig als mich Bauch voran, schützend die Arme über dem Kopf, oben drauf zu werfen. Die Polizisten beschimpften und bespuckten uns, stiegen auf den seitlichen Rand der Ladefläche, und als sich nach kurzer Zeit der Transporter in Bewegung setzte, traten sie auf mich und die anderen mit ihren Stiefeln ein, brüllten und beleidigten uns, schlugen mit ihren Schlagstöcken auf unsere Rücken, Köpfe und Füße ein. Ich spürte Hände an Gesäß und Rücken, die versuchten, mir mein Oberteil auszuziehen. Als ich versuchte, es wieder herunterzuziehen, wurde ich als „Gringa“ beschimpft und jemand schlug mir ins Gesicht. Meine Nase blutete. Ich konnte an nichts mehr denken. Bewegungslos ließ ich alles über mich ergehen.
Der Wagen hielt. An den Haaren wurden wir vom Transporter in einen größeren Bus gezerrt. Dort lag schon eine Gruppe Menschen blutüberströmt zusammengekauert im hinteren Teil des Busses am Boden. Wir mussten uns auf die Leute werfen. Schläge, Fußtritte, Beschimpfungen. Unsere Köpfe wurden nach unten gepresst, damit wir ihre Gesichter nicht sehen konnten. Die Polizisten begannen die Namen aufzunehmen.
Meine Tasche mit meinem Reisepass, Geld, Filmen und meiner Kamera und Objektiven wurden mir entrissen, sie hielten meinen Kopf an den Haaren hoch, ich schrie meinen Namen und dass ich aus Deutschland sei. Das Gewimmer, der Geruch, die Geräuschkulisse waren unerträglich. Ich wusste nicht, was als nächstes passieren sollte, und das machte mir schreckliche Angst. Mein blaues Umhängetuch wurde mir über den Kopf geworfen und ich sollte mich auf eine Busbank setzten. Den Kopf niedergedrückt mit einem Schlagknüppel, musste ich der Namensaufnahme lauschen. Wieder und wieder kamen nun Polizisten in den Bus und fragten nach der Deutschen, hoben mein Tuch an, wollten mein Gesicht sehen. Ich durfte mich nicht bewegen. Hände betatschten meine Brüste.
Es kehrte ein wenig Stille ein, bis eine dritte Fuhre an Verhafteten eintraf, und wieder ging die gewaltsame Namensaufnahme von vorne los. Keiner der Gefangenen traute sich, sich zu regen. Es waren viele Schwerverletzte darunter. Sie mussten zusammengekauert auf Boden und Bänken, teilweise übereinander liegend, ausharren. Die Polizisten beschimpften uns immer wieder und schlugen auf die Personen ein. Mir wurde ein Becher Wasser angeboten und ich sollte mich zur Gruppe der Polizisten setzten. Sie sagten: „Wenn du kooperierst, passiert dir nichts.“
Der Bus fuhr los. Ich sollte meinen Schal abnehmen. Nun musste ich zweieinhalb Stunden mit den Polizisten Smalltalk führen, sie machten Gruppenphotos mit ihren Handys von mir, ein Porno auf einem Handy machte die Runde, sie fragten mich über die EZLN, ETA und Hitler, warum ich hier sei und warum ich eine Kamera hätte. Ich konnte mich ein wenig hinter den unzureichenden Sprachkenntnissen verstecken. Sie sagten, welch schöne Augen ich doch hätte, ob ich nicht mit einem der Polizisten zusammenkommen wolle, und im selben Moment schlugen sie ohne Grund nach hinten auf einen Compañero ein, der sich vor Schmerzen krümmte.
Meine ausgerissenen Haare flogen durch den Bus. Ein Polizist fing an, sich mit ihnen zu schmücken. Gelächter. Ich fing an zu weinen, aus Verzweiflung, Zorn und Schmerz. Sie machten mir Mut, dass ich bestimmt bald an das deutsche Konsulat übergeben würde und nicht mit den „Verbrechern“ bleiben müsste. Zum Ende der Fahrt wurde ich nach den Filmen, meinem Bargeld und Kreditkarten gefragt. Im Gefängnis entspannte sich zumindest die Gewaltsituation immens.
Ich wurde mit vier anderen Nicht-MexikanerInnen (Christina, Maria, Valerie und Mario), die auch schwer körperlich und psychisch misshandelt worden waren, zum Arzt gebracht. Auf Fragen nach Telefon, Anwalt, Konsulate bekamen wir immer nur vertröstende Antworten. Nach endlosem Warten erschien das Human Right Center, befragte uns zu den Misshandlungen, machte Fotos und benachrichtigte für mich später die deutsche Botschaft. Nachts wurden wir in das Immigration Office in Mexico-City gebracht. Dort weitere Untersuchungen, Vernehmungen, keine Antworten auf spezielle Fragen zur rechtlichen Lage. Die jeweiligen Konsulate meldeten sich bei uns. Das deutsche Konsulat bot mir an, meine Familie zu informieren. Da meine Dokumente und Kamera von der Polizei angeblich nicht an das Gefängnis übergeben worden waren, wurde ich, begleitet von vier Polizisten, zur Ausstellung eines Reisepasses zum deutschen Konsulat gebracht. Von dort aus wurde ich direkt zum Flughafen gefahren, wo auch schon die anderen vier Compas auf ihre Ausweisung warteten. Während des gesamten Fluges hatte ich zwei Polizisten von der Immigrationsbehörde zur Seite, die mich in Frankfurt, ohne jeglichen Akten zu meinem Fall, der deutschen Bundespolizei übergaben.
Gekürzte Version
vollständiger Bericht unter www.gruppe-basta.de