Hunderttausende haben ihre Wohnung verloren
Interview mit Aída María Quinatoa über den Kampf lateinamerikanischer Migrant_innen in Spanien gegen Zwangsräumungen und Hypothekenschulden
Seit vier Jahren kämpfen Sie mit der Nationalen Koordination von Ecuadorianern in Spanien (CONADEE) und der Plattform der Betroffenen der Hypotheken (PAH) gegen unbezahlbare Hypothekenschulden und Zwangsräumungen. Wie ist Ihre persönliche Situation?
Ich bin seit einem Monat erwerbslos, mein Ehemann verlor seinen Job vor vier Jahren. In meiner Familie sind wir zu viert, doch nur meine Schwester geht noch einer bezahlten Arbeit nach. Nur durch ihre Unterstützung können wir unsere kleine Wohnung noch abzahlen. Die Firma Hypothekenzentrale für Immigranten, die zusammen mit anderen Kreditinstituten arbeitete, hatte sich darauf spezialisiert, uns Immigranten mit Kettenbürgschaften einzufangen (die mit variablen Zinssätzen abgeschlossen wurden; Anm. d. Red.). Wir haben 14.000 € Kredit auf fünf Jahre für die Wohnung und noch einmal 148.000 € auf 30 Jahre bei der Bank Caja España aufgenommen. 90.000 € haben wir schon abgezahlt. Nach dem Einbruch der Preise liegt der aktuelle Marktwert meiner Wohnung nur noch bei geschätzten 45.000 €. Die hohe Hypothekenschuld, deren Zinsen in den letzten Jahren enorm angehoben wurden, müssen wir trotzdem weiter bezahlen.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Wir haben mit 50 weiteren Ecuadorianern, die in der gleichen Situation stecken, Klage eingereicht. Wir hoffen, wie viele andere auch, auf eine bessere Zeit. Aber als Freundin, Ehefrau, Schwester und aus der Verantwortung für die anderen heraus ist es meine Pflicht, meine Kräfte auszuschöpfen und die Betroffenen der Hypothekenschulden weiter zu begleiten. Es gilt, die Zwangsräumungen zu stoppen und die Menschen zu animieren, den Kampf weiter zu führen, der auch meiner ist. In vielen Fällen sind kranke Menschen betroffen, die nicht einmal etwas zu essen haben.
Die Preise für Immobilien stiegen bis 2007 stetig. Dann fielen sie, während die Banken gleichzeitig die Hypothekenzinsen massiv anhoben und die Arbeitslosigkeit rasant anstieg. Wie erleben Sie die Krise in Spanien und wie kam es zu den massenhaften Zwangsräumungen?
Als die Wirtschaftskrise in Spanien ankam, wurden die migrantischen Familien die ersten Opfer der Finanzinstitute. Der Artikel 47 der Verfassung, das Recht auf würdigen Wohnraum, erwies sich als Papiertiger. Wohnungen in Spanien waren zu Spekulationsobjekten von Banken geworden. Die Illusionen wurden uns genommen und viele von uns leben ohne Erwerbsarbeit, mittellos. Wir müssen die für unsere Wohnungen aufgenommenen Hypotheken von dem wenigen Arbeitslosengeld bezahlen, dass nur kurzzeitig gezahlt wird (und oftmals aufgrund der Pleite der Kommunen gar nicht, Anm. d. Red.). Angesichts der nicht gezahlten Hypotheken steht jedoch das Recht auf der Seite der Banken. Hunderttausende spanische und nicht-spanische Bürger haben seitdem ihre Wohnungen verloren, beziehungsweise steht ihnen das bevor.
Wenn die Schulden nicht gezahlt werden können, wird die Wohnung also geräumt, die Schulden bleiben jedoch bestehen. Wie wehren Sie sich dagegen?
Im ganzen Land sind diverse Plattformen und Unterstützungsgruppen für die von Zwangsräumungen bedrohten oder bereits betroffenen Menschen entstanden. Die Situation ist so kritisch, dass extreme Widerstandsaktionen unternommen wurden: Hungerstreiks, Einschließungen, Blockaden von Bankfilialen und sogar Selbstmorde. Die Regierungen haben sich bisher nur um die Unterstützung der Banken mit Milliarden von Euros gekümmert, anstatt Vorschläge für die Opfer der betrügerischen Hypotheken aufzugreifen.
Wie organisieren Sie sich konkret gegen Zwangsräumungen?
Es gibt viele Formen. Wir wollen nicht, dass es überhaupt zu Zwangsräumungen kommt. Deswegen bildet die PAH erstens Kommissionen aus Betroffenen und Freiwilligen. Zweitens haben wir Gruppen gegründet, die sich aus den Betroffenen der jeweils unterschiedlichen Banken zusammensetzen. Drittens gibt es jeweils eine Gruppe von zehn Personen, die jedes Opfer begleitet. Jede betroffene Person muss ein Dokument zu ihrer persönlichen Situation ausfüllen. Mit diesen Formularen pilgern wir zu den Banken und nerven sie.
Haben Sie damit Erfolg?
Ja, wir haben zum Beispiel den Stopp von Zwangsversteigerungen erreicht oder auch, dass eine Sozialmiete gewährt wird. Auch die Schulden wurden teilweise erlassen und wenn die Wohnung der Bank übergeben wurde, sind die Schulden im Gegenzug gänzlich gestrichen worden. Wenn eine Zwangsräumung ansteht, koordinieren wir uns auch mit der 15M-Bewegung (Soziale Bewegung, die aus der Besetzung der Plätze am 15. Mai 2011 entstanden ist, Anm. d. Red.) aus dem Viertel. Zusammen bilden wir eine große Gruppe, die es regelmäßig schafft, Zwangsräumungen vor Ort zu verhindern.
Wie viele Migrant_innen sind ungefähr von Zwangsräumungen betroffen?
Viele. Anfang 2010 waren von 32 Räumungen 16 mit migrantischem Hintergrund und von denen wiederum acht bis zehn Ecuadorianer. Sie leben in einer beklagenswerten Situation, einige in Herbergen, andere flüchteten in andere europäische Staaten oder kehrten nach Ecuador zurück. Im Jahr 2008 wurden etwa 800.000 Ecuadorianer in Spanien gezählt. Das sind aber nur die gemeldeten und viele sind nicht gemeldet. Ich habe einmal bei einem Fußballspiel von 20 Ecuadorianern rumgefragt. Die Hälfte von ihnen hatte Hypotheken, weshalb ich davon ausgehe, dass etwa 300.000 bis 400.000 Ecuadorianer Opfer der Immobilienblase wurden.
Die ecuadorianische Regierung hat Anfang 2012 den Betroffenen Unterstützung zugesagt. Im Februar 2013 hat sie eine Klage gegen den spanischen Staat vor dem europäischen Gerichtshof eingereicht. Es geht um den Fall eines ecuadorianischen Staatsbürgers, dessen Wohnung den spanischen Gesetzen entsprechend geräumt wurde und der trotzdem auf 175.000 Euro Hypothekenschulden sitzen blieb. Wie ist der derzeitige Stand?
Wir wissen noch nicht, ob der Fall verhandelt wird oder nicht. Falls ja, wissen wir nicht, wie lange das dauern wird. Und selbst wenn, es handelt sich nur um eine Person und wir sind Tausende von Ecuadorianern und Ecuadorianerinnen, die durch die betrügerischen Hypotheken der spanischen Banken ruiniert wurden. Außerdem ist nach fünf Jahren unserer schweren Situation in Spanien die Hilfe sehr spät gekommen. Wir haben uns bereits am 20. Dezember 2008 das erste Mal mit einem Brief an die ecuadorianische Regierung gewandt, den wir in der Botschaft in Madrid mit 3.000 Unterschriften von Opfern abgegeben haben.
Rafael Correa wurde am 17. Februar als Präsident Ecuadors wiedergewählt. Was erwarten Sie künftig von der Regierung für die in Spanien lebenden Ecuadorianer_innen?
Ich erwarte nicht viel von diesem Herren, obwohl er uns im Wahlkampf wieder besucht hat, um zu unseren Gunsten in den Medien über die Hypotheken zu sprechen. Er ist der einzige Präsident, der davon spricht und dafür danke ich ihm sehr. Aber vom Reden zu den Taten fehlt noch einiges.
Als wir bei der Übergabe der Unterschriftenlisten 2008 mit zahlreichen Ecuadorianern unsere Plakate mitnahmen, wurde uns damals nur Missachtung entgegengebracht. Ich glaube an den fordernden Kampf jedes Volkes und die Würde jedes und jeder Einzelnen. So haben wir unsere Forderungen immer mit der Verteidigung unserer Rechte ergänzt, weil unser Kampf und unsere Stimme immer die Vernunft verteidigt und Gerechtigkeit verlangt.
Infokasten:
AÍDA MARÍA QUINATOA
ist 1964 in der Provinz Bolívar in Ecuador geboren und war Funktionärin der indigenen Bewegung, unter anderem im Exekutivkommitee der Konföderation der Indigenen Nationalitäten Ecuadors (CONAIE). Sie kam vor zwölf Jahren nach Spanien und ist Präsidentin der Nationalen Koordination von Ecuadorianern in Spanien (CONADEE) und Sprecherin der Plattform der Betroffenen der Hypotheken (PAH) in Madrid, wo sie mit ihrer Familie auf 38 qm wohnt. Sie kämpft täglich mit anderen Betroffenen für ihre Rechte.