“Ich habe den Rücktritt nicht eingereicht”
ECO-Interview mit dem abgesetzten guatemaltekischen Staatspräsidenten Jorge Serrano
ECO:Herr Serrano, was ist in Guatemala geschehen?
Serrano: Es handelt sich um einen Staatsstreich.
Was bedeutet das, können Sie mir das bitte erklären?
Das Militär hat heute morgen (1.6.) sowohl mich als Präsidenten als auch den Vizepräsidenten unserer Amter enthoben. Sie sagten, wir hätten unseren Rücktritt eingereicht, von uns reichte jedoch keiner den Rücktritt ein.
Sie sind also weiterhin Präsident von Guatemala?
Vom rechtlichen Standpunkt aus betrachtet ja, de facto nein.
…Was bedeutet ja, de facto aber nein?
Nun das Gesetz sieht ein bestimmtes Verfahren nach dem Rücktritt eines
Präsidenten oder Vizepräsidenten vor… Der Rücktritt wird nicht vor den
Streitkräften eingereicht, sondern vor dem Kongreß der Republik. Und der
Kongreß der Republik müßte darauf mit der Annahme oder Ablehnung
reagieren. Wenn es ein Verfassungsgericht gibt, wie sie behaupteten, das ein Urteil gesprochen hat, dann gibt es … für den Präsidenten und den
Vizepräsidenten ein Vorverfahren. Dieses Vorverfahren hätte vorher bekannt sein müssen, und wir hätten zumindest über dieses Urteil unterrichtet werden müssen, um uns wirklich der Mißachtung schuldig zu machen. Aber wie kann ich der Mißachtung eines Urteils schuldig werden, das mir nicht zugestellt wurde, sondern das im Büro des Ministers angefertigt wurde, also alle Vorbereitungen zu unserer Absetzung getroffen wurden.
Herr Serrano, wie können Sie denn Ihren Rücktritt vor dem Kongreß
einreichen, wenn sie diesen aufgelöst haben?
Der Kongreß hatte sich hier bei mir im Präsidentenpalast versammelt.
Aber sie hatten doch bereits alle Kongreßabgeordneten nach Hause geschickt.
Nein, der Kongreß war hier bei mir in meinem Haus. Wir befanden uns die
ganze Nacht hindurch in intensiver Verhandlung und waren praktisch zu eine definitiven Einigung für die Wiederherstellung der Ordnung am heutigen Tag, gelangt… Wir befanden uns in politischen Verhandlungen zwischen den politischen Kräften und der Exekutive für die Wiederherstellung der institutionellen Ordnung. Ich weise nochmals nachdrücklich darauf hin, daß das Land mit derart mächtigen und im staatlichen und privaten Sektor überall präsenten Mafia-Gruppen nicht regierbar war.
Was muß geschehen, damit Sie ihren Rücktritt akzeptieren, Herr Serrano?
Ich denke, daß sie kommen werden, um mit mir über den Rücktritt zu
verhandeln. Bislang ist in diesem Zusammenhang noch nichts geschehen. Ich warte ruhig und gelassen im Präsidentenpalast ab.
Und was, wenn sie nicht kommen? Ich weiß nicht, was geschehen kann.Die Präsidenten Zentralamerikas, die in El Salvador zusammengekommen sind, riefen mich an, um mir ihre Solidarität zu bekunden und mir ihren Schutz anzubieten. Ebenso kamen auch Diplomaten zum Präsidentenpalast, um mir diesen Schutz anzubieten. Ich warte also ab. Ich verstehe nach wie vor nicht, was passiert. Dieses ganze Spiel ist sehr schwierig wir konnten ihm nicht folgen. Wir wissen nicht, wie sie es machen werden, einen Präsidenten zu wählen …
Und als die Militärs kamen, die Führungsspitze der guatemaltekische1 Streitkräfte, und Sie darüber informierten, daß Sie nicht mehr mit deren Unterstützung rechnen konnten.
Sie sagten, sie seien vom Gericht aufgefordert worden, mir mitzuteilen, daß ich mein Amt aufgeben müsse. Dies ist laut guatemaltekischer Verfassung jedoch nicht möglich …
Herr Serrano, warum wurden die Übertragungen von ECO in Guatemala unterbrochen?
Ich habe nicht die geringste Ahnung, da ich nicht die Kontrolle über die entsprechenden Kräfte hatte.
Herr Serrano, warum wurden die Büros von ECO in Guatemala beschossen?
Darüber habe ich überhaupt noch nichts gehört. Dies ist das erste Mal, das ich davon höre … Zur Zeit gibt es in den Straßen viel Unruhe …
Herr Serrano war das, was Sie am Montag vergangener Woche taten, richtig oder war es ein monumentaler Fehler?
Schauen Sie, ich würde sagen, wenn es nötig wäre, dasselbe noch einmal zu tun, würde ich es tun. Denn ich bereue nicht, was ich getan habe.
aus: Deutsche Welle Monitor-Dienst