„Ich krächze die Namen der Täter heraus“
Interview mit der nicaraguanischen Feministin Yamileth Chavarría
Ihr Radio Palabra de la mujer, auf deutsch „Stimme der Frau“, sendet sieben Tage die Woche zwölf Stunden am Tag feministische Inhalte. Wie ist es dazu gekommen?
Unser Sender ist aus besonderen Umständen und einer politischen Notwendigkeit entstanden. Als nach dem Hurrikan Mitch 1998 viele Telefonleitungen zerstört waren und die Gegend um Bocana de Paiwas praktisch von der Außenwelt abgeschnitten war, suchten wir in unserem Frauenzentrum nach einer Möglichkeit, mit den Frauen auf dem Land zu kommunizieren. Die Dörfer liegen ja sehr weit verstreut – und allen Frauen mitzuteilen, dass es bei uns zum Beispiel eine gynäkologische Untersuchung gibt, war schon vorher kaum möglich. Aber auch private Botschaften können im Radio besser vermittelt werden, etwa wer wann nach Hause kommt oder wer wen mal kontaktieren soll. Die Reichweite des Senders ist ungefähr 80 Kilometer, in diesem Umkreis leben rund 40.000 Menschen. Das Radio wurde zu einem Ersatz-Telefon, allerdings zu einem, bei dem alle mithören können.
Darum geht es ja in Ihrer Sendung …
Ganz genau. Jeden Morgen verstelle ich meine Stimme. Ich bin dann eine alte Frau von fast hundert Jahren, die eine Kristallkugel befragt, eine Hexe eben. In meiner Kugel sehe ich, welcher Mann einer Frau Gewalt angetan hat, wer das Familieneinkommen versäuft und Ähnliches. Ich krächze die Namen der Täter heraus und gebe den Frauen eine Stimme. Denn um die Gewalt zu bekämpfen, muss man zunächst das Schweigen brechen.
Wer erzählt Ihnen von den Geschehnissen?
In den allermeisten Fällen bekomme ich Briefe. Eine Nachbarin hat Schreie gehört oder eine Freundin wird Zeugin. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass die Betroffene selbst im Sender vorbeigekommen ist und davon berichtete. Einige wollen ihrer Wut und Verletzung selbst vor dem Mikrofon Luft machen. ‚Nein, ich brauche keine Hexe!‘, heißt es dann. Natürlich prüfen wir immer, ob die Vorwürfe auch der Wahrheit entsprechen und holen gegebenenfalls eine zweite Meinung ein.
Und haben Ihre Denunziationen konkrete Auswirkungen?
Ich denke, dass sich die Männer hier in der Gegend mehr zusammenreißen, seit es die Nachrichten-Hexe gibt. Keinem Mann gefällt es, öffentlich bloßgestellt zu werden. Das Bewusstsein dafür, dass Gewalt gegen Frauen ein Unrecht ist, ist gestiegen. Unsere Sendung setzt aber auch die Institutionen unter Druck, insbesondere die Polizei, die in der Regel Vorwürfen nicht nachgeht. Nur zwischen ein und fünf Prozent der Gewalttaten gegen Frauen kommen in Nicaragua überhaupt vor Gericht.
Der Staat ist also weniger ein Partner als ein Feind im Kampf für die Frauenrechte?
Im vergangenen Jahr sind wir in der Nationalversammlung mit unserem Antrag gescheitert, Frauenmord als Straftatbestand zu etablieren. Denn feminicidio ist etwas anderes als ein gewöhnlicher Mord. Frauen werden nur getötet, weil sie Frauen sind. Am selben Tag, an dem unser Antrag scheiterte ,wurde eine Gesetzesnovelle über die Ausweitung des Tierschutzes mit großer Mehrheit angenommen. Das zeigt, welche Wichtigkeit man Frauenrechten in Nicaragua einräumt.
Sie können mit diesem Thema ja auch eine ganze Radiosendung bestreiten.
In Nicaragua wird die Gewalt gegen Frauen nicht weniger, sondern immer mehr. Ich vergleiche sie immer mit einer Epidemie, einer gefährlichen Krankheit, die sich ausbreitet und zu Toten führt. Eigentlich müsste der Staat den Ausnahmezustand ausrufen. Aber in Nicaragua fehlt dafür schlicht der Wille. Das ist klar daran zu sehen, wie die Regierung ihre politischen Prioritäten setzt. So hat Daniel Ortega der Polizeichefin Aminta Granera, die wichtige Arbeit für die Aufklärung und Verfolgung von Frauenmorden geleistet hat, prompt die Mittel gekürzt. Ortega initiierte 2006 zudem die Novelle des Abtreibungsgesetzes, das heute zu den restriktivsten weltweit gehört.
Feminismus und Sandinismus haben heute also keine Überschneidungen mehr?
Nein, zumindest dann nicht, wenn man sich ernsthaft als Feministin bezeichnen will. Als die Sandinisten (2007; Anm. d. Red.) an die Macht gekommen sind, wollten sie unser Frauenzentrum schließen und das Radio abschaffen. Der Sandinismus von heute ist eine politische Farce, eine Oligarchie, die mit allen Mitteln an der Macht bleiben will. Mehr nicht.
Aber ganz ohne den Staat erreichen Sie doch auch nichts.
Das stimmt sicher. Aber wir halten uns an lokale Akteure, insbesondere an Vertreter aus dem Erziehungs- und Gesundheitsministerium. Mit ihnen arbeiten wir gut zusammen, beispielsweise in der gesundheitlichen Aufklärung und bei den gynäkologischen Untersuchungen, die in den Räumen unseres Frauenzentrums stattfinden. Aber wir übernehmen keine Aufgaben, die unserer Meinung nach der Staat übernehmen müsste. Hier gibt es zum Beispiel keine Unterkunft für Frauen, denen Gewalt widerfahren ist, auch wenn das notwendig wäre. Auch gibt uns der Staat kein Geld für unsere Arbeit.
Wie sieht der Alltag in Nicaragua aus? Wie artikuliert sich hier die Gewalt gegen Frauen?
Der Machismo ist hier Teil der Alltagskultur und wird doch täglich neu gelernt. Er ist stets gewaltbereit. Ein Beispiel für seine Verbreitung ist die populäre Musik, die man hier praktisch permanent hört, die música ranchera. Ihr Rhythmus ist sehr eingängig, aber ihre Texte haben es in sich. Da singen Männer stolz davon, wie sie ihre Frau ,züchtigen‘, weil sie eine ,Stute ist, die keine Zügel mag‘. In einem anderen Lied heißt es im Refrain ‚Bestrafe mich!‘ – gesungen von einer Frau! Da kommt es dann schon mal vor, dass der Moderator im Radio lautstark einstimmt mit den Worten ‚Gib’s ihr, schlag sie!‘.
In ihrer Sendung läuft also keine Musik?
Doch natürlich, denn Musik zu verbieten würde ja nun wirklich nichts bringen. Aber wir machen die Hörerinnen und Hörer auf den Inhalt der Lieder aufmerksam. Sie sollen wenigstens genau hinhören, was da gespielt wird.
Mit ihrer Radiosendung machen Sie sich täglich neue Feinde. Haben Sie manchmal Angst?
Mein Vater hat immer gesagt: Besser für eine gerechte Sache sein Leben lassen, als einsam am Herd zu krepieren. Das klingt erstmal brutal. Aber eigentlich ist es ganz einfach: Wenn man gesellschaftlich etwas bewirken will, kann man sich Angst nicht leisten.
Yamileth Chavarría
Man nennt sie auch die „Nachrichten-Hexe“. Jeden morgen weckt die Radiomoderatorin Yamileth Chavarría die BewohnerInnen von Bocana de Paiwas im ländlichen Nicaragua mit wenig erfreulichen Neuigkeiten: über Frauen, die geschlagen und misshandelt, junge Mädchen, die missbraucht und vergewaltigt wurden. Sie nennt die Namen der Täter und beendet das Schweigen über Gewalt an Frauen, die in Nicaragua kaum verfolgt wird. Dabei erlebt dort statistisch gesehen jede dritte Frau Gewalt, in vielen Fällen durch den eigenen Vater oder Ehemann.