Nummer 194/195 - Juli/August 1990 | Peru

Im Schatten der Wahlen -Verschleppung einer Menschenrechtlerin

Über die Wahl Alberto Fujimoris zum neuen peruanischen Staatspräsidenten um 10.6.1990 wurde in den bundesdeutschen Medien ausführlich berichtet. Am gleichen Tag wurde Guadalupe Ccallocunto von Militärs aus ihrem Haus in Ayacucho verschleppt und bis heute nicht freigelassen. Diese Nachricht, die sich wohl nicht zufällig am selben Tag ereignete, erfuhren bundesdeutsche Zeitungsleser/innen nicht.

Erdmute Alber

Guadalupe gehört zu jenen Frauen, die die Last der alltäglichen Bewältigung der Folgen von Terror und Krieg schon seit Jahren zu tragen haben. Als ihr Mann 1983 enführt wurde und verschwand, mußte sie nicht nur ihr eigenes psychisches und physisches Weiterleben, sondern auch das ihrer vier Kinder organisieren. Sie arbeitete in Organisationen der Familienangehörigen von Verschwundenen mit, die seit langem von staatlicher Repression in Peru bedroht sind. Außerdem arbeitete sie für Serpaj Ayacucho (Servicio de Paz y Justicia) in einem Projekt, das sich um die Betreuung von Kindern kümmert, deren Familien durch Repression und Kriegssituation betroffen sind. Frauen wie sie sind den Militärs in Ayacucho im Wege. Denn das Department befindet seit Jahren im Ausnahmezustand, weswegen Polizei und Militärs nahezu ungehindert von demokratischen Institutionen agieren können. Personen, die auf Unrecht aufmerksam machen, stören da nur. L
1986 wurde Guadalupe verhaftet und saß etwa drei Monate in einem Gefängnis in Lima (In LN 151 druckten wir einen Brief über ihre Gefängniserfahrungen ab). Dort holte sie sich vermutlich die schwere Tuberkulose, unter der sie bis heute leidet. 1988 wurde sie erneut verhaftet. Als sie nach zwei Tagen wieder freikam, schien es ratsam, nicht mehr nach Ayacucho zurückzugehen und Peru vorerst zu verlassen. Sie brachte ihre Kinder in einem Kinderheim unter und verließ Peru. Es ist ein zusätzlicher Hohn, daß sie ihre Kinder legal nicht ins Ausland bringen kann, denn dazu bedürfte es der Unterschrift des Vaters, der “offiziell” noch lebt.
Als Guadalupe nach Peru zurückkam, brach die Tuberkulose aus. So konnte sie ihre Kinder schon bald wieder nicht mehr selbst versorgen. Zuletzt wurden sie von ihrer Mutter in Ayacucho versorgt, während Guadalupe aus Sicherheitsgründen in Lima wohnte. Anfang Juni diesen Jahres fuhr sie besuchsweise zu Mutter und Kindern, aber das war offenbar schon zu riskant.

Entführung mitten im Zentrum von Ayacucho

Am 10.6.) um halb drei Uhr nachts brachen fünfzehn bewaffnete Männer in Militärstiefeln, mit Militärpullovern und mit Kapuzen über dem Kopf im Haus ihrer Familie ein, das direkt im Zentrum von Ayacucho liegt. Die Entführer ließen ihr nicht einmal Zeit, sich anzuziehen oder Schuhe mitzunehmen. Sie brachen in mehrere Räume ein, auch in das Zimmer einer Nachbarin. Die Schwester Guadalupes wurde mit dem Tode bedroht. Kassettenrecorder, eine Uhr und Bargeld wurden gestohlen. Ein Nachtwächter des angrenzenden Marktes
beobachtete, wie Guadalupe Ccallocunto an Haaren und Armen die Straße entlang geschleift wurde. Er bezeichnete die Entführer als Militärs.
Alle Indizien sprechen dafür, daß Guadalupe in den Händen der Militärs ist. Ihre Entführung fand im Zentrum Ayacuchos statt, wenige Meter von den Haupt-quartieren zweier Polizeigattungen, zu einer Zeit, da Ausgangssperre herrschte. Weil die ganze Stadt am Wahltag aus Sicherheitsgründen praktisch vollständig militärisch überwacht wurde, muß die Entführung von Polizei und Militärs mindestens geduldet worden sein.
Seither fehlt von Guadalupe jede offizielle Spur. Ein Anrufer teilte allerdings ihren Verwandten mit, daß sie am 14.6. in der Kaserne “los cabitos” gesehen wurde. Seit Anfang des Jahres muß sie aufgrund einer Tuberkulosetherapie ständig Medikamente einnehmen und braucht ärztliche Versorgung. Selbst wenn Guadalupe zur Zeit nicht gefoltert wird, bedeutet doch die Unterbrechung der Therapie akute Lebensgefahr.
Der Koordinator des Limaer Büros von Serpaj Ayacucho, Esteban Cuja, forschte beim zuständigen Richter, Staatsanwalt, verschiedenen Polizeieinheiten und dem Militär nach ihrem Verbleib. Der Richter hatte Kriminal- und Schutzpolizei auf-gesucht und sich davon überzeugt, daß sich Guadalupe dort nicht befand. Zur Militärkaserne ging er jedoch nicht, sondern begnügte sich damit, in einem Amtsschreiben nach dem Verbleib von Guadalupe Ccallocunto zu fragen. Dies wurde nicht beantwortet. Esteban Cuya, der sich mit einem unterstützenden Schreiben des künftigen Vizepräsidenten von Peru, einem Pfarrer, ausweisen konnte, wurde vom stellvertretenden Kommandanten, Oberstleutnant Garces immerhin empfangen. Dieser bestritt jedoch jegliche Kenntnis des Falles. Der gleiche Offizier hatte zuvor zwei Journalisten erklärt, daß Guadalupe eine über- führte und geständige Terroristin sei. Zugleich beschwerte er sich, daß die Richter und “die Ausländer” die Militärs anschwärzten.
Was Guadalupe in den Händen der Militärs geschehen ist und was ihr noch geschieht, das weiß keiner. Ebensowenig, ob sie überhaupt lebend wieder her-auskommt und welche gesundheitlichen Folgen die Entführung gehabt haben wird. Auch scheint es den Militärs nicht zu genügen, daß ihre Kinder bereits Halbwaisen sind und seit Jahren umhergeschoben werden.

Behinderung verschiedener Menschenrechtsgruppen

Die Entführung ist jedoch nicht nur als Einzelschicksal zu begreifen, sondern dahinter steht eine politische Logik. Sie gehört in den Kontext einer Kampagne gegen alle Menschenrechtsorganisationen in Peru, die seit Jahresbeginn läuft. Bereits im Februar verschwand im Ayacucho benachbarten Department Huancavelica Angel Escobar, Vizepräsident des dortigen Menschenrechtskommittees. Mehrere andere führende Menschenrechtler erhielten Todesdrohungen. Gegen die Büros von amnesty international und der Andinen Juristenkommission, die sich seit geraumer Zeit dafur einsetzt, auch in den Gebieten, die unter Ausnahmezustand stehen, ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit zu wahren, wurden schwere Bombenattentate verübt.
Am Donnerstag, 14.6.) wenige Tage nach Guadalupes Entführung, mußte das Ayacucho-Büro von Serpaj Ayacucho, dessen stellvertretende Leiterin Guadalupe war, geschlossen werden. Die Besitzerin des Hauses, in dem das Büro zur Miete untergebracht war, wurde massiv bedroht. Wenn nicht binnen 24 Stunden das Büro aufgelöst sei, teilte man ihr mit, werde man sie verhaften und verschleppen und das Haus in die Luft jagen. Darauf räumten die Mitarbeiter des Büros in aller Hast die Räume. Das Büro ist vorerst somit aufgelöst.
Aber die Hiobsbotschaften reißen nicht ab. In der Nacht zum 7. Juli drangen Militärs in das Haus von Mauro Vega, einem weiteren Menschenrechtler ein, in dem er und seine Mitarbeiterin Gladys Acosta Wohnungen haben. Er konnte über das Dach entkommen. Einer der Militärs sagte, wenn Vega nicht sofort aus Ayacucho verschwände, würde er ungebracht. Er floh noch in derselben Nacht nach Lima.
Welche politische Logik steht hinter den Ereignissen? Zum einen ist ganz deutlich, daß in diesem Jahr eine massive Kampagne gegen Menschenrechtsgruppen in Peru läuft. Dies geschieht parallel dazu, daß das Thema der Menschenrechtsverletzungen in Peru aus den internationalen Schlagzeilen verschwunden ist.
Seitdem der Wahlkampf läuft, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf die Präsidentschaftskandidaten und den Wahlkampf. Zeit für die Militärs, ohne allzugroßes Aufsehen zu erregen, gegen die unliebsamen Störenfriede der uneingeschränkten Militärmacht in den Gebieten des Ausnahmezustands vorzugehen?
Ganz sicher kein Zufall ist, daß Guadalupe gerade am Wahltag entführt wurde. Die militärischen Machthaber wollten dem Präsidenten -wer auch der Gewinner sein würde -die Grenzen seiner Macht verdeutlichen. In Lima kann der Präsident Politik machen, sich auf internationalen Parketten bewegen ebenfalls. Aber ihre nationale Macht, vor allem die in den Gebieten des Ausnahmezustands wollen sie sich nicht nehmen lassen, die Herren Militärs. Auch Spekulationen über einen Zerfall von Sendero Luminoso -der ja immerhin die Legitimation für den Ausnahmezustand und damit für die Präsenz der Militärs abgibt -bedrohen letztendlich die Stärke der Militärs in den Gebieten. Und daß sie sich die nicht nehmen lassen wollen, das wird unter anderem durch solche Entführungs- und Überfallaktionen deutlich.

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