Aktuell | Nummer 583 - Januar 2023 | Peru | Politik

INS AUS GESCHOSSEN

Nach Selbstputsch durch Pedro Castillo werden in Peru Neuwahlen gefordert

Nach dem gescheiterten Selbstputsch des linken Expräsidenten Pedro Castillo haben Exekutive und Legislative massiv an Legitimität verloren. Diese versucht die neue Präsidentin Dina Boluarte nun wiederzuerlangen.

Von Kiva Drexel

Präsidentin bis 2026? Die damalige Vizepräsidentin Dina Boluarte auf dem Weltwirtschaftsforum 2022 (Foto: World Economic Forum via Flickr , CC BY-NC-SA 2.0)

„Präsidentin Boluarte, wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit.“ Die Glückwünsche für das neue Staatsoberhaupt Perus kommen ausgerechnet von Keiko Fujimori, die drei Mal in Folge in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen scheiterte.
Auf Twitter verkündete die Tochter des Exdiktators Alberto Fujimori ihre Unterstützung für die erste Präsidentin durch ihre Parlamentsfraktion Fuerza Popular. Die rechte Fuerza Popular stellt zusammen mit der Mitte-rechts-Partei Acción Popular, die 2020 federführend im Amtsenthebungsverfahren gegen den damaligen Präsidenten Martín Vizcarra war, die größte Oppositionspartei im peruanischen Kongress.

Zwei Amtsenthebungsverfahren hatte Castillo in seiner 17-monatigen Regierungszeit überstanden. Einem dritten Verfahren versuchte Castillo am 7. Dezember durch die Verkündung einer Notstandsregierung zuvorzukommen. Mehrere Minister traten daraufhin aus Protest zurück, kurz darauf setzte ihn der Kongress ab und Castillo wurde wegen Verfassungsbruchs von der Polizei in Gewahrsam genommen.

Was Castillo zu dieser extremen Maßnahme brachte, fragen sich im Nachgang viele. Schon seit längerem versuchte Castillo den ihm feindlich gesinnten Kongress das Handwerk zu legen. Mitte November legte Ministerpräsident Aníbal Torres dem Kongress eine Vertrauensabstimmung zur Aufhebung eines Gesetzes aus dem Januar 2022 vor. Laut dem Gesetz dürfe kein Referendum zur direkten Annahme einer Verfassungsreform durchgeführt werden, sondern müsse vorher durch den Kongress. Die Regierung lehnte das Gesetz mit der Begründung ab, dass es direkte Bürger*innenbeteiligung verhindere. Doch der Kongress lehnte die Vertrauensfrage ab, Ministerpräsident Torres trat daraufhin zurück. Dies hätte den Weg frei gemacht, dass Castillo ein neues Kabinett bestimmt und die Vertrauensfrage erneut vorgelegt hätte. Sofern diese abgelehnt worden wäre, hätte dies den Präsidenten befugt, den Kongress aufzulösen.
Am Tag des Putschversuchs sagte erstmals ein Exfunktionär, Leiter des Beraterkabinetts des Ministeriums für Wohnungsbau, Salatiel Marrufo, aus, Pedro Castillo persönlich 100.000 Soles (rund 25.000 Euro) an Korruptionsgeldern übergeben zu haben. Im Berater*innenkreis Castillos schien deshalb die Befürchtung zu bestehen, dass das dritte Amtsenthebungsverfahren gegen Castillo erfolgreich sein könnte. Besonders Mitglieder von Castillos ehemaliger Partei Perú Libre, die der Präsident im Juni 2022 verlassen hatte, galten als Wackelkandidat*innen.

Die Ankündigung einer Notstandsregierung hat Castillos ohnehin geringe Unterstützer*innenbasis weiter erodiert. Die damalige Vizepräsidentin und heutige Präsidentin Dina Boluarte verurteilte den Schritt über Twitter als Putschversuch. Nach der Absetzung Castillos wurde sie als neue Präsidentin vereidigt. „Ich bin mir der enormen Verantwortung bewusst, die auf mich zukommt, und rufe zur Einheit aller Peruaner auf“, sagte die 60-jährige Juristin in ihrer Antrittsrede im Kongress.

Eine Mehrheit im Kongress hat sie so wenig hinter sich wie Castillo. Auch hat sie keinen Rückhalt in ihrer gemeinsamen ehemaligen Partei, der marxistisch-leninistischen Partei Perú Libre. Aus dieser wurde sie Anfang 2022 ausgeschlossen, weil sie die Ansichten des Generalsekretärs, Vladimir Cerrón, nicht teilte. „Ich war schon immer eine Linke und werde es auch bleiben, aber eine demokratische und keine totalitäre Linke“, erklärte sie. Damals sagte sie, dass sie sich von Perú Libre distanzieren werde, aber nicht von Präsident Castillo, der seinerseits mit Cerrón längst über Kreuz lag. Boluarte blieb Ministerin für Entwicklung und soziale Eingliederung, bis sie am 25. November zurücktrat, weil sie mit der Ernennung von Betsy Chávez, der kurzzeitigen Premierministerin des nun abgesetzten Präsidenten, nicht einverstanden war. Als amtierende Vizepräsidentin gelang ihr nun unverhofft der Sprung an die Staatsspitze.

Boluarte muss sich schnell nach Allianzen umsehen

Bis vor zwei Wochen war Boluarte mit einer Verfassungsklage in der Legislative konfrontiert aufgrund angeblicher Unregelmäßigkeiten bei ihrem Rücktritt als Beamtin zur Übernahme der Vizepräsidentschaft. Das Verfahren wurde rasch eingestellt, ein möglicher Vertrauensbeweis durch die Abgeordneten, die sie bereits als Nachfolgerin Castillos im Präsidentenamt sahen.

Nun muss sich Boluarte schnell nach politischen Allianzen umsehen und ein neues Kabinett bilden. Dabei könnte ihr zum Vorteil werden, dass sie nie zum inneren Kreis der Regierung Castillo gehörte.
Boluarte kann laut Artikel 115 der Verfassung bis zum Ende der Amtszeit von Castillo 2026 übernehmen. Doch bereits am Tag nach ihrer Übernahme kam es zu Protesten einiger tausend Menschen landesweit und zu Straßenblockaden. „Dina Boluarte überrascht uns. Nicht nur der Süden, auch andere Regionen erheben sich. Die Entscheidung der Bevölkerung muss respektiert werden. Es ist alles die Schuld des Kongresses, sie haben ihn (Pedro Castillo) nicht regieren lassen“, sagte Carmelina, eine protestierende Bäuerin aus La Joya, gegenüber der Tageszeitung El Comercio.

Wie bereits in der Wahl 2021 wird peruanische Politik zunehmend in den Regionen entschieden. Noch sind die Forderungen der Proteste diffus, einige fordern die Freilassung Castillos, einige die Absetzung Boluartes. Gemeinsamer Nenner ist die vorzeitige Ausrufung von Neuwahlen. Die Präsidentin Perus hat bereits eingeräumt, dass die Wahlen vorverlegt werden können „wenn die Gesellschaft und die Situation es fordert“.

Castillo hat den Ball aus dem politischen Spielfeld geschossen und weder Exekutive noch Legislative scheinen ihn zurückholen zu können. Wahrscheinlich ist, dass über kurz oder lang dem Ruf nach Neuwahlen stattgegeben wird. Dabei besteht die Gefahr, dass sich den Ball ein kompletter Außenseiter schnappt.

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