Honduras | Nummer 471/472 - Sept./Okt. 2013

Keine Anklagen bei Mord

Gewalt gegen den friedlichen Widerstand honduranischer Dörfer und die „Freiheiten“ der Unternehmen

Mit der Berufung des neuen Generalstaatsanwaltes haben die regierende nationale Partei und ihr Präsidentschaftskandidat Juan Orlando Hernández eine weitere Institution auf neoliberale Linie gebracht. Vor den Wahlen im November verschärft sich die Repression in Honduras, bei Landkonflikten und Protesten gegen Staudammprojekte wurden mehrere Aktivist_innen ermordet.

Johannes Schwäbl

Unter starker Kritik der Öffentlichkeit ernannte der honduranische Kongress am 1. September den Verfassungsrichter Oscar Fernando Chinchilla zum Generalstaatsanwalt, stellvertretender Staatsanwalt wurde der ehemalige Minister Rigoberto Cuellar. Chinchilla ist der einzige honduranische Verfassungsrichter, der die sogenannten Modellstädte (siehe LN 461) für verfassungskonform hielt. Er ist außerdem der einzige von fünf Richtern der Verfassungskammer, der vom Kongress am 12. Dezember 2012 nicht abgesetzt wurde. Die Umbesetzungen im obersten Gerichtshof wurden von der Opposition im Dezember als technischer Putsch des Kongresses gegen die Justiz bezeichnet. Der zukünftige stellvertretende Staatsanwalt Rigoberto Cuellar war während seiner Amtszeit als Minister für Naturressourcen und Umwelt unter anderem für die Vergabe von Umweltlizenzen für Staudamm- und Bergbauprojekte verantwortlich. Auf Rechtsbrüche bei der Vergabe der Lizenzen wiesen indigene Organisationen immer wieder hin.
Die Berufung der Staatsanwälte ist ein weiteres beunruhigendes Zeichen für die Verschärfung der staatlichen und informellen Repression, bei der es vor allem um die Aneignung indigenen und kleinbäuerlichen Landes geht. So wurden Ende August drei Tolupán-Indigene bei einer Straßenblockade im Departamento Yoro ermordet. Die Tolupanes protestierten zu dem Zeitpunkt bereits seit zwölf Tagen friedlich gegen illegale Abholzung, illegalen Bergbau und den geplanten Bau eines Staudammes auf ihrem Land. Die Ermordeten waren Angehörige der Breiten Bewegung für Würde und Gerechtigkeit (MADJ).
Ein weiterer Konflikt um eine Bergbaukonzession findet aktuell im Dorf Nueva Esperanza im Departamento Atlántida statt. Auch dort unterstützt die MADJ die Bewohner_innen. Nueva Esperanza geriet Ende Juli in die Öffentlichkeit, als dort zwei internationale Menschenrechtsbeobachter_innen der Organisation PROAH entführt wurden. Bewaffnete Sicherheitskräfte des Unternehmers Lenir Pérez hielten sie über zwei Stunden fest und bedrohten sie (siehe Interview in dieser Ausgabe). Das Unternehmen Minerales Victoria, dessen Eigentümer Pérez ist, besitzt eine Bergbaukonzession in der Region von Atlántida. Seit mehreren Monaten berichten Anwohner_innen und Menschenrechtsorganisationen über Einschüchterungen und Angriffe auf die lokale Bevölkerung, die sich gegen die Ausplünderung ihres Landes wehrt. Inzwischen musste die Familie, die die Menschenrechtsbeoachter_innen aufgenommen hatte, Nueva Esperanza verlassen.
Der Konflikt um das Staudammprojekt Agua Zarca in der Region Río Blanco zeigt wiederum, dass Menschenrechtsverletzungen auch direkt durch staatliche Sicherheitskräfte begangen werden. Seit dem 1. April halten Bewohner_innen mehrerer Dörfer eine friedliche Straßensperre aufrecht, um gegen den Staudammbau zu protestieren. Staatliche Sicherheitskräfte und Institutionen gehen mit Repression und Kriminalisierung gegen die Protestierenden vor und unterstützen die Firmen DESA und SINOHYDRO, unter anderem bei logistischen Arbeiten für den Staudammbau. Der Direktor von DESA, David Castillo, wurde in der West Point Military Academy ausgebildet, und arbeitete mehrere Jahre beim militärischen Geheimdienst.
Trauriger Höhepunkt des Konflikts in Río Blanco war die Ermordung des lokalen Gemeindeführers Tomás García durch einen Soldaten während einer Demonstration vor dem Firmengelände der Unternehmen. Der Soldat, der unter den Augen der anwesenden Polizisten die tödlichen Schüsse auf García abfeuerte, wurde gegen die Zahlung einer Kaution freigelassen. Auf der anderen Seite wurde ein Gerichtsverfahren gegen führende Aktivist_innen der indigenen Organisation COPINH wegen Nötigung, Besetzung und Schädigung der Firma DESA eingeleitet.
Wenige Stunden nach dem Mord an Tomás García wurde in der Nähe die Leiche des Jugendlichen Cristian Anael Madrid Muñoz gefunden. Die Umstände seines Todes sind bisher ungeklärt und von staatlichen Stellen wurden laut COPINH bisher keine ernsthaften Ermittlungen in dem Fall aufgenommen. DESA beschuldigt jedoch die Demonstrant_innen für den Tod des Jungen verantwortlich zu sein, was die Sprecher_innen von COPINH entschieden bestreiten. Laut COPINH und Beobachter_innen des Konfliktes ist nicht auszuschließen, dass die Ermordung von Cristian Madrid Teil einer Strategie ist, um den legitimen Protest weiter zu kriminalisieren, vom Mord an García abzulenken und den Konflikt um das Staudammprojekt innerhalb der Dörfer zu verschärfen.
Die oben genannten Fälle sind nur die Spitze der jüngsten Meldungen von Drohungen, Einschüchterungen und Aggressionen gegen Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen in Honduras. Sowohl von den Tolupanes, als auch in Nueva Esperanza und Río Blanco wurden staatliche Autoritäten seit langem auf die Ablehnung der Projekte durch die lokale Bevölkerung und die zunehmende Verschärfung des Konflikts hingewiesen. Unternommen wurde nichts. Die Verantwortlichen für die genannten Morde befinden sich weiterhin auf freiem Fuß. Stattdessen berichtet die Bevölkerung vor Ort weiter von Morddrohungen und Einschüchterungen. Es ist zu befürchten, dass die jüngsten Morde, genauso wie die mehr als 130 politischen Morde seit dem Putsch im Juni 2009, straflos bleiben. Angesichts der Vorgeschichte des neuen Generalstaatsanwaltes und seines Stellvertreters ist eine baldige Änderung dieser Situation äußerst unwahrscheinlich.

Infokasten:

Menschenrechtsdelegation zu den Wahlen in Honduras

Vom 10. November bis 1. Dezember befindet sich eine Delegation aus Freien Journalist_innen, Vertreter_innen unabhängiger Nichtregierungsorganisationen und Initiativen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Honduras.
Ziel der Delegation ist es, die Geschehnisse um die Präsidentschaftswahlen am 24. November zu beobachten und darüber zu informieren. Dabei stehen angesichts der politischen Morde, Bedrohungen und Vertreibungen die aktuelle Menschenrechtslage und die Situation sozialer und politischer Bewegungen in der Hauptstadt sowie in besonders von Konflikten betroffenen Regionen im Vordergrund.
Während des Aufenthalts und nach Rückkehr der Delegation möchten wir unsere Erfahrungen publizieren sowie auf Veranstaltungen darüber berichten. Aktuelle Berichte werden unter anderem auf dem Blog der Hondurasdelegation erscheinen: http://www.hondurasdelegation.blogspot.com
Kontakt unter: hondurasblog2010@gmail.com

Spenden zur Unterstützung der Delegation:
Ökumenisches Büro
Konto-Nr. 5617 62 58
Stadtsparkasse München
BLZ: 701 500 00
Verwendungszweck: Novemberdelegation in Honduras
IBAN: DE65 7015 0000 0056 1762 58
SWIFT-BIC: SSKMDEMM

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren