Literatur | Nummer 456 - Juni 2012

Keine Rente für Piraten

Der mexikanische Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II schreibt in Die Rückkehr der Tiger von Malaysia gekonnt die Saga seiner Jugendhelden weiter

Tobias Lambert

Im Alter von fast 60 Jahren scheint das aufreibende Leben von Freibeutern nicht mehr der adäquateste Zeitvertreib zu sein. Doch plötzlich werden Sandokan und Yanez, vom britischen Empire als „Tiger von Malaysia“ gefürchtete Piraten, in den Strudel eines neuen Abenteuers gezogen. Die Tiger haben es mit einer geheimen Organisation zu tun, die als Erkennungszeichen ein von einer Raute umgebenes „S“ verwendet. Wer auch immer ihre neuen Feinde sind, sie scheinen mächtig zu sein: Es häufen sich Angriffe auf Dörfer, Hinterhalte, Attentate und Morde, ohne dass die Gegner greifbarer werden. Banken sperren das Geld der Piraten, die Presse startet Hetzkampagnen.
Auf der Mentirosa, der Trügerischen, einem harmlosen Segelschiff, das sich mit einigen wenigen Handgriffen in eine „kleine Kriegsmaschine“ verwandeln lässt, machen sich die Tiger auf die Suche. Erst als sie vom „ältesten Chinesen der Welt“ in Hong Kong ein Rätsel aus sieben Postkarten bekommen, findet sich langsam eine Spur.
Mit dem Abenteuerroman Die Rückkehr der Tiger von Malaysia zollt der mexikanische Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II den anti-kolonialen, literarischen Helden seiner Kindheit Tribut. Die Geschichten um den vom britischen Empire gestürzten malaiischen Fürsten Sandokan und seinen portugiesischen Gefährten Yanez de Gomera stammen ursprünglich aus der Feder von Emilio Salgari. Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts veröffentlichte dieser insgesamt elf Romane der Serie, die bis heute in unzähligen, teilweise stark gekürzten Versionen erschienen sind. Der von der Presse auch als „italienischer Karl May“ titulierte Salgari kannte die Gegenden, über die er schrieb, ebenso wie der sächsische Erschaffer von Winnetou nur aus Büchern.
Taibo II macht sich diese Haltung bravourös zu eigen. Anstatt zur Recherche nach Asien aufzubrechen, genügen ihm für die Fortsetzung der Saga „Phantasie, schlechte Enzyklopädien und viel Erfindungsgabe; mittelmäßige Atlanten und gute Figuren; Anachronismen, reichlich viele Ungereimtheiten und überbordende Leidenschaft“, wie er im Vorwort schreibt. Der vielseitige mexikanische Autor bleibt dem Geist des Originals treu, drückt ihm aber gehörig seinen Stempel auf. Die Tiger sind linker und antiimperialistischer, die Sprache ist moderner und geschliffener. Dazu treten neben den bekannten Figuren Salgaris nach bester Taibo-Manier eine Reihe ausgefallener Charaktere auf. So gesellt sich Old Shatterhand, der ausgezeichnet schießen kann und von Karl May regelmäßig Geld dafür bekommt, dass er ihm seine Abenteuergeschichten erzählt, zu den Tigern. Eine Überlebende der Pariser Kommune wird von ihnen aus Seenot gerettet, während Friedrich Engels mit Yanez über seinen geplanten Text „Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ in Briefkontakt steht. Die Tiger werden von Rudyard Kipling interviewt und bekommen es mit Dr. Moriarty, dem Erzfeind von Sherlock Holmes, zu tun. Es ist die hohe Wertschätzung eines heute erwachsenen Salgari-Lesers für das Original, die es Taibo II erlaubt, die Saga um Sandokan auf die ihm eigene Art, aber stets respektvoll, zu erweitern. Selten traf die Beschreibung „besser als das Original“ mehr zu.

Paco Ignacio Taibo II // Die Rückkehr der Tiger von Malaysia // Aus dem Spanischen von Andreas Löhrer // Assoziation A // Berlin/Hamburg 2012 // 304 Seiten // 19,90 Euro // www.assoziation-a.de

Die Sandokan-Romane von Emilio Salgari erscheinen im Wunderkammer-Verlag nach und nach als ungekürzte Neuauflagen

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