Nummer 587 - Mai 2023 | Paraguay | Wahlen

Keine Überraschung

Die konservative ANR/Colorado-Partei gewinnt erneut die Kongress- und Präsidentschaftswahlen in Paraguay

Asunción: Die Wahlen am 30. April hat der Ökonom Santiago Peña deutlich mit 43 Prozent der Stimmen gewonnen. Dabei war ein Klima der Skandale und politischen Krisen als Chance für die Opposition gedeutet worden. Der wichtigste Gegenkandidat, der radikal-liberale Efraín Alegre, hatte zuletzt in den Umfragen deutlich aufgeholt. Damit bleibt die Colorado-Partei, die seit 1947 beinahe ununterbrochen in der Regierung ist, nun voraussichtlich bis 2028 die stärkste Kraft im Regierungspalast in Asunción. Paraguayische Oppositionelle, die auf Veränderung gehofft hatten, sind enttäuscht.

Von Anna-Lena Hartung & Marcelo Gauto, Asunción

Kongressbrand in Asunción 2017 Proteste gegen die Verfassungsänderung zur Wiederwahl von Horacio Cartes (Foto: Marcelo Gauto)

Seit 75 Jahren, mit Ausnahme der Jahre 2008 bis 2013, regiert in Paraguay die Colorado-Partei. Ihr Mandat zeichnet sich dadurch aus, dass sie über verschiedene Systemwechsel hinweg einen Diskurs über „Frieden, Ordnung und Stabilität“ etabliert hat. Ihre Machtposition hat sie dadurch gefestigt, dass sie als Partei der ökonomischen Elite eng mit den staatlichen Strukturen und Teilen der Justiz verwoben ist.
Deshalb schmälern auch regelmäßige Korruptionsskandale und Proteste nichts an ihren Erfolgen bei den Wahlen. Zuletzt musste etwa der Präsidentschaftskandidat Hugo Velazquez zurücktreten, nachdem auch er von den US-Behörden für korrupt erklärt worden war.

„Es gibt eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz von Korruption in Paraguay“, sagte Milda Rivarol, Soziologin und Historikerin an der paraguayischen Akademie für Geschichte gegenüber BBC News. „Wahlen sind von Patronage und Stimmenkauf geprägt, insbesondere von der Colorado Partei. Dies ist eine Demokratie, die nicht gut funktioniert.“

In einer Umfrage des Instituts CELAG aus dem Jahr 2021 geben 54 Prozent der Paraguayer*innen an, sie wüssten, dass in ihrem Wahlkreis regelmäßig Stimmenkäufe vorkämen. Diese Art der Wahlmanipulation dürfte auch 2023 stattgefunden haben. Der Kauf von Stimmen ist Teil von intensiven Beziehungen zwischen lokalen Colorado-Politiker*innen und den Nachbar*innen in ihrem Viertel. Die Politiker*innen sind eng in die Entwicklungen im Viertel involviert und machen oft auch persönliche Geld- und Warengeschenke an ihre Wähler*innen. Dies dürfte ein Grund dafür sein, warum die Colorado-Partei trotz Korruptionsskandalen und Repressionen gegen die Opposition weiterhin beliebt ist – und das, obwohl ihre Sozialpolitik schon immer unzureichend war, was sich in der Corona-Pandemie besonders drastisch zeigte.

“Es gibt eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz von Korruption in Paraguay”

Das Patronagesystem, das linientreue Colorados mit Ämtern im Staatsdienst belohnt und das paraguayische Politikwissenschaftler*innen mit dem Begriff Klientelismus charakterisiert haben, sorgt dafür, dass die Position der Colorado-Partei im Land stabil und die Wähler*innenschaft loyal bleibt. Wie es der neue Präsident Peña im Rahmen einer Rede vor Beamten von Itaipú Binacional (dem staatlichen Wasserkraftwerk an der brasilianisch-paraguayischen Grenze) ausdrückte: „Leider gibt es viele Parteikollegen, die (…) glaubendass sie ihr Amt nur deshalb bekleiden, weil sie gut aussehen, weil sie eine Wand voller akademischer Titel haben. Hier ist alles voll von Leuten mit Titeln, aber diejenigen, die ein Amt bekommen, bekommen es dank der Colorado-Partei.“

Zur autoritären Vergangenheit der Partei gehört auch die Militärdiktatur (1954-1989), in der Colorado-Diktator Alfredo Stroessner das Land regierte und die Macht der Partei zementierte.

Am 3. Februar 1989 stürzt die Regierung Alfredo Stroessners. Im Gegensatz zu anderen Ländern der Region findet in Paraguay nach dem Ende der Diktatur jedoch kein Wechsel des politischen Lagers statt, da Stroessners Schwiegervater, der Militär Andrés Rodríguez, ebenfalls in der Colorado-Partei, die Macht übernimmt und damit den Weg für den so genannten „demokratischen Übergang“ in Paraguay ebnet. In den darauffolgenden Jahren konnten sich oppositionelle Parteien etablieren und die liberale Partei kann für die Legislaturperiode von 2008 bis 2013 im Bündnis mit dem Befreiungstheologen Fernando Lugo die Präsidentschaftswahlen gewinnen. Nach dem niemals umfassend aufgeklärten Massaker von Curuguayty, bei dem elf landlose Kleinbauern und sechs Polizisten ums Leben kamen, muss Lugo sein Amt aufgeben, der Senat stimmte für seine Verurteilung. Der bei den nächsten Parlamentswahlen gewählte Colorado Horacio Cartes ist einer der reichsten Unternehmer Paraguays. Unter seiner Regierung verstetigt sich die systematische Gewalt und Benachteiligung gegen die schwächsten Gruppen und Minderheiten. Obwohl die Regierung versucht, die öffentlichen Einrichtungen zu technokratisieren, werden zahlreiche Fälle von Korruption bekannt, die offensichtlich von der Spitze der Regierung aus gefördert werden, darunter der größte Auslandskredit in der Geschichte des Landes, den die Regierung bei den USA aufnimmt. Außerdem werden Fälle von Geldwäsche, beispielsweise im internationalen Korruptionsskandal Lava Jato, in den auch Cartes verwickelt ist, publik gemacht. Der wohl kritischste Moment ereignet sich Ende März 2017, als in einer irregulären Senatssitzung ein Antrag zur Reform der nationalen Verfassung gestellt wird, der die Wiederwahl des Präsidenten ermöglichen soll. Der Antrag wird mit lautstarken Demonstrationen beantwortet. Es kommt zur Ermordung eines jungen Aktivisten der Liberalen Partei durch einen Polizisten, das Kongressgebäude wird angezündet.

Auch während der Corona-Pandemie, die enorme Defizite der Sozial- und Gesundheitspolitik der Regierung deutlich machte, kommt es zu mehreren Demonstrationen, bei denen schließlich die zentralen Räumlichkeiten der Colorado-Partei in Brand gesetzt werden. Aus diesen Demonstrationen geht der Slogan „ANR nunca mas“ hervor, der im ganzen Land ein großes Echo findet. Für die paraguayische Energiepolitik ist 2023 ein Schlüsseljahr. Bei der Revision des Vertrags über das Wasserkraftwerk im Itaipú-Staudamm mit Brasilien und im Zuge der Entdeckung des größten Uranvorkommens der Welt in Paraguay könnten wichtige Entscheidungen für die Wirtschaft getroffen werden. Es bleibt abzuwarten, ob Peña mit diesen neuen Ressourcen den Wohlstand für alle Paraguayer*innen vergrößern kann.

2023 ist ein Schlüsseljahr für die paraguayische Energiepolitik

Die Parteien der Opposition hatten sich im Vorfeld der Wahlen zum Bündnis Concertación para un nuevo Paraguay zusammengeschlossen, um den liberalen Kandidaten Alegre zu unterstützen. Sie konnten aber zusammen nur etwa 27 Prozent der Stimmen gewinnen.

Bei einer gesetzlichen Wahlpflicht und einer Wahlbeteiligung von 63 Prozent kann das Ergebnis vom 30. April als repräsentativ angesehen werden. Von nennenswerten Wahlfälschungen sei nicht auszugehen ,sagte die Beobachterkomission Amerikanischer Staaten (OAS). Die Stimmabgabe lief friedlich ab, bei strahlendem Sonnenschein und 30 Grad, am Abend kam es zu lauten Protesten von Anhänger*innen des rechtsradikalen Kandidaten Paraguayo Cubas, der 22 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Cubas sprach von Wahlbetrug, einige seiner Anhänger*innen wurden festgenommen.

Der zugespitzte Diskurs einer Wahl „für oder gegen den Wandel“ führte zu einer Spaltung in der Opposition, die zwar mehrheitlich Alegre unterstützte, aber keinen kohärenten politischen Kurs fahren konnte, da sie sich aus Parteien unterschiedlichster politischer Richtungen zusammensetzt. Einige der Parteien ließen bis zum Schluss ihre eigenen Kandidat*innen antreten. Cubas‘ Partei Cruzada Nacional (Nationaler Kreuzzug) konnte mit ihrem rechtspopulistischen Diskurs mobilisieren und hatte das Bündnis im Laufe des Wahlkampfes verlassen. Dabei vertritt auch Alegre nicht wirklich neue Linien. Auch der Oppositionskandidat ist der wirtschaftsliberalen Mitte zuzuordnen und hatte sich bereits positiv zu Privatisierungen, beispielsweise im Gesundheitssektor, geäußert. Alegres Sympathien für die Idee, intensivere Beziehungen zu China aufzunehmen, hatten ihm Zustimmung bei einigen paraguayischen Wähler*innen, aber Ablehnung in der US-Botschaft in Asunción beschert. Paraguay ist im Moment das einzige Land in Lateinamerika, das Taiwans unabhängigen Status offiziell anerkennt und gute Beziehungen zu der Insel unterhält.

Mit den engen Beziehungen der Guaraní-Republik zu den USA könnte es auch zusammenhängen, dass das Land bisher kaum mit China oder sozialistischen Regierungen wie Venezuela und Kuba handelt. Mit Peña im Amt wird sich diese Position wahrscheinlich nicht ändern. Paraguay verliert wichtige Handelschancen, wenn es daran gehindert wird, neue Beziehungen zu Ländern zu knüpfen, die in der Weltwirtschaft zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Der Sieg von Santiago Peña und damit des stärksten Sektors im Bündnis mit dem Narco-Business in der Colorado-Partei spiegelt die mangelnde Beweglichkeit der paraguayischen politischen Szene wider. Mit Horacio Cartes als Parteivorsitzenden, der „erwiesenermaßen korrupt“ und mit dem Schmuggel im Geschäft ist, wird sich an der beziehungsgeleiteten und undemokratischen Politikpraxis in Paraguay nichts ändern. Die Oppositionskräfte müssen praktikable Punkte und Vereinbarungen finden und ihre Vertreter*innen müssen in diesen Vereinbarungen standhaft sein, weil Uneinigkeit zwischen ihnen letztlich dazu führt, dass der Einfluss der Sektoren, die die Macht bereits monopolisieren, noch größer wird.

Es ist notwendig, dass die Kräfte der Linken, unabhängig von der Liberalen Partei, ein gemeinsames Projekt bilden. Nur wenn sie das schaffen, können sie bei den nächsten Wahlen zu einem echten Kampf der Kräfte in der Politik beitragen und die Wähler*innengruppen, die sie zu vertreten vorgeben, auch wirklich repräsentieren.

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