Küchenphilosophie auf Brasilianisch
Der Film „Domésticas“ dreht sich um den Alltag von Hausangestellten
Wenn man als Kind gefragt wird: Was willst du werden, wenn du groß bist? antwortet man: Telenovela-Schauspielerin, Krankenschwester, Balletttänzerin. Keines sagt: Oh, ich wäre gerne Dienstmädchen. Denn so etwas wünscht sich einfach Niemand – es ist Schicksal. Diejenige, die dies sagt, ist selbst Hausangestellte, allerdings eine mit Ambitionen. Roxanna will Schauspielerin werden, oder zumindest Fotomodell. „Ich verschwende meine Zeit nicht“, meint sie und wirft sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Pose. Ihre Kolleginnen oder der Wachmann Antonio sind ein dankbares Publikum. Allein schon die Autosuggestion, das pausenlose Reden darüber, dass das Putzen fremder Wohnungen für sie nur ein Übergangsjob sei, scheint Roxanna gegen den alltäglichen Staub und Dreck fast immun zu machen. Wenn sie den Pizzaboten an der Haustür wegen ein paar fehlender Oliven auf dem Belag zusammenstaucht, klingt es, als übe Roxanna schon mal die Rolle der verwöhnten Hausherrin.
Roxannas Kollegin Quitéria dagegen kommt so tölpelhaft und unterwürfig daher, dass einem das Zuschauen schon fast peinlich ist. Es scheint, als habe man Quitéria gemeinsam mit dem niedrigen sozialen Rang einen profunden Minderwertigkeitskomplex in die Wiege gelegt: „Meine Urgroßmutter war Sklavin, die Mutter war Dienstmädchen. Bei meiner Geburt sagte sie, eher soll ich tot sein als ein Dienstmädchen. Ich bin Dienstmädchen.“
Die Hauptpersonen des brasilianischen Films „Domésticas“ heißen neben Roxanna, Quitéria, Cida und Raimunda. Vom Naivchen bis hin zur melancholischen Alltagsphilosophin verkörpern sie eine ganze Palette von Frauentypen, die eine Sache gemeinsam haben: sie schlagen sich als „domésticas“, als Hausangestellte, in der brasilianischen Metropole São Paulo durchs Leben. Gerade in Lateinamerika gehört es nach wie vor in der Mittel- und Oberschicht zum „guten Ton“, Hausangestellte zu beschäftigen. Und angesichts der wirtschaftlichen Misere, in der ein Großteil der Bevölkerung lebt, finden sich auch viele Leute, insbesondere Frauen, die bereit sind, diesen Job für wenig Geld zu erledigen.
Hausarbeit wird immer wieder als „unsichtbare Arbeit“ tituliert. Unsichtbar ist sie allerdings nur für diejenigen, die sie nicht erledigen müssen. Was die Wahrnehmungsperspektive angeht, dreht „Domésticas“ den Spieß um. In kaum einem anderen Film ist das Schrubben und Spülen, das Bügeln und Bohnern so sichtbar. Während in unzähligen Spielfilmen oder Telenovelas die Reichen und Schönen den Bildschirm bevölkern und ihre “Domestikinnen” höchstens schemenhaft durchs Bild huschen, sind in dem Film von Fernando Meirelles und Nando Olival die Hausangestellten unter sich. Ihre Arbeitgeber bleiben stumm hinter den Kulissen, sind Objekte von Lästereien oder Neugierde. Gleichzeitig spricht das Ambiente ihrer Wohnungen Bände. Da geht der schusseligen Quitéria beim Abstauben eine Vase zu Bruch, die wahrscheinlich ein Mehrfaches ihres Monatslohns gekostet hat. Ganz zu schweigen von dem imposanten Maschinenpark in der Küche einer Familie, bei der Quitería bei ihrer Odyssee durch die Haushalte landet. Eines Tages klingelt ein Mann an der Tür und drängt Quitéria, ihm all die Küchengeräte herauszugeben – angeblich für Wartungsarbeiten.
Die Rolle der Quitéria ist hart an der Grenze zu einer ärgerlichen Karikatur. Wie oft hat man diesen Typ schon in Spielfilmen gesehen, gerade auch aus den USA. Peinlich dumme und stoisch unterwürfige schwarze Hausmädchen, die ständig grimassieren, mit den Augen rollen und unsicher kichern. Zum Glück sind die anderen Figuren selbstbewusster und differenzierter gezeichnet. Wenn Raimunda, eine junge Frau mit blassem Gesicht und wissenden Augen, über die Welt philosophiert, hat ihre Analyse eine Schärfe, die keiner akademischen Floskeln bedarf. Immer wieder wenden sich Raimunda und ihre Kolleginnen unversehens zur Kamera und geben ihre Kommentare ab. In einigen Sequenzen sind sogar kurze Interviewelemente aneinander montiert, dass der Film fast dokumentarisch wirkt.
Dieser dokumentarische Touch kommt nicht von ungefähr, hat doch die Autorin des Drehbuches, Renata Melo, darin ihre Interviews mit mehr als hundert Hausangestellten einfließen lassen. Ursprünglich konzipierte Melo „Domésticas“ als Tanztheater. Nachdem das Stück überraschenderweise ein großer Erfolg wurde, traten die Regisseure Fernando Meirelles und Nando Olival mit der Idee an sie heran, einen Film daraus zu machen. Renata Melo sagte zu und übernahm selbst eine tragende Rolle, die der Hausangestellten Cida. Sie und die Anderen, fast durchgehend ausgezeichneten Schauspielerinnen machen den Film so lebendig. Gleichzeitig sind die Handlungsfäden des Drehbuches sorgfältig ineinander verstrickt. Wege kreuzen und trennen sich wieder, überraschende Begegnungen, groteske Zufälle und innere Impulse treiben die Geschichten voran. Besonders aberwitzig ist die Szene, in der zwei junge Männer einen Bus überfallen und zu ihrem Schrecken feststellen müssen, dass darin fast nur Hausangestellte sitzen, die kaum Geld bei sich haben. Nicht nur das: Einigen der Opfer gelingt es sogar, die Situation an sich zu reißen und die Möchtegern-Gangster dem allgemeinen Gespött preiszugeben.
Komische oder absurde Momente wie dieser machen „Domésticas“ nicht nur zu einem sehr unterhaltsamen Film. Sie bewirken auch, dass er nicht moralisierend erscheint, auch wenn die sozialen Abgründe und Ungerechtigkeiten der brasilianischen Gesellschaft permanent deutlichst durchschimmern. Der Film zeigt dies allerdings en passant: wenn sich zum Beispiel der Bus durch die holprigen Straßen der Favelas quält oder in einem der vielen Rap-Stücke, die die Handlung akzentuieren. So ist in einem davon die Rede, dass drei Viertel der von der Polizei Erschossenen, aber nur zwei Prozent der Studierenden Schwarze sind.
Einer der beiden Regisseure, Fernando Meirelles, hat übrigens mittlerweile mit seinem neuesten Film sowohl in Brasilien als auch international großes Aufsehen erregt: In Cidade de Deus (“Stadt Gottes”) erzählt er in äußerst drastischer Weise vom blutigen Krieg zwischen Banden und Polizei in einer Favela. Im Gegensatz dazu schlägt „Domésticas“ einen leichteren, ironischen Ton an. Und er gönnt der einen oder anderen seiner Heldinnen kleine Ausbrüche aus der Tretmühle des Schrubbens und Wischens. Allerdings hat eine von ihnen ihre Rolle so verinnerlicht, dass sie sogar am Tag vor ihrer Hochzeit mit dem gut situierten Liebhaber, dessen Wohnung noch einmal eigenhändig schrubbt. Ihre künftige Hausangestellte wird diese Vorarbeit zu würdigen wissen.
“Domésticas“, Regie: Fernando Meirelles und Nando Olival, Buch: Renata Melo; Brasilien 2001, Farbe, 90 Minuten. Der Film läuft seit dem 2. Oktober 2002 bundesweit in den Kinos