Kurzrezensionen
Kurzrezensionen
Konzentriertes Alterswerk
Juan Carlos Onetti, der vor wenigen Jahren verstorbene Senior der uruguayischen Literatur, gab in seinem 1987 erschienenen Roman Cuando entonces noch einmal eine Probe seiner Kunst. Das Buch liegt nun unter dem Titel „Magdau in der Bibliothek Suhrkamp vor. „Magda” ist ein äußerst komprimierter Roman; Onetti verzichtet auf epische Breite, be-schränkt sich auf wenige Szenen und vermag doch eine Geschichte zu erzählen, die an Facetten reich ist und deren Tiefgang bewegt.
Was im Roman auch immer geschieht, es bleibt offen, unergründet, unvollendet -vielleicht ist das ein Fazit des alten Herrn, der uns die ganze Fülle der Motive der lateinamerikanischen Literatur vor Augen führt. Ein Journalist begegnet in einer Kneipe in Buenos Aires einer Prostituierten. Er verliebt sich in sie und muß doch feststellen, daß ihre Liebe einem brasilianischen Kommandanten gehört, der sich in Argentinien aufhält. Mit dem durchrauscht sie einige ekstatische Nächte, aus denen zwei Jahre werden. Dies ist die einzige Beziehung im Roman, die ihre Chance bekam, aber auch sie endet abrupt. Er muß weg, wird nach Brasilien gerufen, wo Militärs geputscht haben, diesmal steht er auf der Seite der Begünstigten. Sie -Magda -bleibt zurück, genauso wie vorher Lamas, der Journalist. Es endet, wie man es von einer unerfüllten Liebesgeschichte nicht anders erwartet, mit Tod -sie nimmt sich das Leben, der Brasilianer kommt vermutlich bei einem Flugzeugabsturz um, aber das wird so deutlich nicht gesagt.
Das Bordell und die Sehnsucht nach Liebe in den Gesichtern der Huren, die Armee und der Hunger nach Leben in denen der Offiziere, die herbe Poetik der trinkenden Einsamen -dieses wohlbekannte Panorama findet man im Roman wieder, kondensiert in berauschend gekonnter Art und Weise. Es ist eine Sammlung von Fragmenten, die allesamt mehr verschweigen oder nur ahnen lassen, als sie erzählen, aus deren Beziehungen untereinander aber doch die Geschichte scharfe Konturen gewinnt -ein prägnantes, weises Alterswerk, das mitunter an musikalische Spätwerke erinnert. Die Experimente hatte Onetti, scheint’s, lange hinter sich, hier geht es um den Versuch, zu resümieren.
Leider ist die Lektüre nicht leicht, und zwar wegen einer Übersetzung, der man das Konstruierte anmerkt. Zu oft begegnen Sätze, bei denen ich dachte, so würde man das nie sagen. Vielleicht liegt das am spanischen Text selbst, vielleicht ist auch dessen Intensität nur sehr schwer beizubehalten. Es dauert ein Weilchen, bis man sich eingelesen hat. Dann allerdings blüht etwas auf, und hinter den zunächst holperig klingenden Wörtern findet sich oft überraschender Nachhall.
Onetti lohnt sich. Das Buch ist sehr zu empfehlen.
Juan Carlos Onetti: Magda. Aus dem Spanischen von Anneliese Botond. Suhrkamp Verlag, FrankfurtIMain 1997,
104 S., 19,80 DM.
Auf der anderen Seite
Liber:Libertas. Buch:Freiheit. Der Titel der Publikationsreihe im Residenz Verlag wirft ein grelles Licht auf das, wovon in Mauricio Rosencofs neuem Buch die Rede ist. Die Erzählung „Die Briefe, die nie an-gekommen sind” skizziert das Leben einer zerrissenen jüdisch-polnischen Familie Ende der dreißiger, Anfang der vierziger Jahre.
Auf der einen Seite des Meeres lebt Moishe, ein kleiner Junge, dessen Familie nach Montevideo ausgewandert ist. Moishe -Mauricio. Sie wohnen in einem Arbeiterviertel und reden sich in Jiddisch auf den Versammlungen die Kehlen wund über den Krieg in Spanien. Für Moishe wäre die Welt in Ordnung -alles Erzählte ist ein Atemzug, man muß nur zuhören -, wenn es nicht die andere Seite gäbe: die Verwandten, die zurückgeblieben sind. Zwischen die Beobachtungen von Moishe sind Briefe an Isaac, seinen Vater, eingestreut, Briefe, die nie angekommen sind, weil sie nie hätten geschrieben werden können. Es sind die Briefe, von denen Moishe nicht wußte, von denen aber Mauricio heute weiß, daß sie hätten gedacht, vor sich hin gesagt, in die Luft geschrieben werden können. Sie erzählen vom Judenstern und von den Versprechungen, die die Nazis den Juden über Theresienstadt machten. Und dann reden sie von Treblinka, vom Lager, von ausgehobenen Massengräbern, von einem Berg, aber aus Asche.
Moishe sieht dem Vater zu, der auch schreibt, „Dinge von hier für dort” in einer unentzifferbaren Schrift. „Die kleinen Stöcke ganz oben bedeuten Mamele, und Mamele heißt Mama. Und Papa hat eine Mama, zu der er Mamele sagt …”
Wie sollte man Distanz gewinnen zu diesem Buch? Die kindlich-unverstellten, neugierigen und zugleich scheuen Worte des Kindes Moishe verbergen nicht ihren Autor. Dessen eigene Geschichte als politischer Häftling während der Militärdiktatur in Uruguay versichert, daß die ungeschriebenen Briefe der Zurückgebliebenen nicht erdacht und nicht zitiert sind.
Es gibt Bücher, über die eine Rezension zu schreiben unmöglich zu sein scheint. Dieses Buch kann man lesen, man kann darüber reden. Aber es kritisieren?
vale
Mauricio Rosencof: Die Briefe, die nie angekommen sind. Aus dem Spanischen von Erich Hackl, Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1997, 32 S., 20,-DM.
Marlboro-Country in Feuerland
Endlich mal wieder was Schönes! „Das violette Licht, das den Sonnenaufgang ankündigt, überflutete die endlose Steppe und verdrängte den Widerschein, den der untergehende Mond immer noch auf die Erde warf. Der violette Schein strich langsam wie ein Peitschenschlag über die Erde, und das grelle Licht des beginnenden Tages ließ die Umrisse der patagonischen Natur deutlich hervortreten”. Nein, es passiert nicht viel in Coloanes Geschichten. Es sind vielmehr die statische Erhabenheit der Naturdarstellungen und die eindrücklichen Beschreibungen dieser sonderlichen Charaktere vom Ende der Welt, die die Leserschaft in den Bann zu ziehen vermögen. So zum Beispiel der englische Zahlmeister Handler, der nach einem Sturz vom „Pferd der Morgenröte” Halluzinationen bekommt und eine Gruppe Strauße für Dinosaurier hält, wofür er nachher allerdings eine ganz plausible wissenschaftliche Erklärung parat hat. Oder Haberton, der „Eisberg unter Wasser” der mit den Bäumen, den Wolken und den Steinen redete, und von dem „keiner geahnt hat, wieviel Zärtlichkeit unter der Oberfläche dieses We-sens verborgen lag”. Oder der Seemann Foster, der seinen besten Freund beraubt und ermordet hatte und so, in einer eigenen Version von Schuld und Sühne, an einem alten Seemannsaberglauben zugrunde geht.
Die Geschichten aus dem bereits 1956 erschie-nen Bändchen ,,Tierra del Fuego” des Chilenen Francisco Coloane (I 9 1 O), von Willi Zurbrüggen brilliant übersetzt, zeichnen ein uns bisher völlig verborgen gebliebenes Bild Lateinamerikas nach: Die Welt der weiten Steppe Patagoniens und der zerklüfteten Archipel-Landschaft Feuerlands, der Yaghan-lndianer, der Seemänner und der Goldsucher (die grossen „InnenM fehlen bewußt, Frauen scheinen hier nur eine Nebenrolle zu spielen). Daß sein Werk trotz hoher Auflagen von der Literaturwissenschaft bis-her wenig beachtet wurde, mag damit zusammen-hängen, daß, wie der chilenische Schriftsteller Luis Sepúlveda in seinem Vorwort bemerkt, „sich dieser Autor nirgends einordnen ließ, sich keinem damals erfolgsträchtigen Stil fügte und sich (…)keinen Deut darum scherte ‘große Romane’ zu schreiben”.
Erst 1964 hat Coloane den chilenischen Literaturpreis bekommen. Die vielen Anhänger unter der jungen Leserschaft lassen sich, neben dem abenteuerlichen Charakter des Werks, vor allem damit er-klären, daß „Coloanes Bücher (…)unschätzbare Elemente zur Definition einer lateinamerikanischen Identität enthielten”.
Ob Identität oder nicht, auf jeden Fall haben wir es hier mit einem Werk zu tun, das zu entdecken sich durchaus lohnt -nicht nur als Reiselektüre!
MaMü
Francisco Coloane: Feuerland. Unionsverlag, Zürich 1996, 200 S., 32.-DM.