LAND UNTER IN PERU
Trotz Warnungen gab es kaum Präventionsmaßnahmen gegen das Wetterphänomen El Niño
Erst kam gar kein Regen, dann hörte er nicht mehr auf und hinterließ in großen Teilen des Landes verheerende Überschwemmungen und Erdrutsche. Die Carretera Central, eine der wichtigsten Verkehrsadern Perus, die aus der Hauptstadt Lima in den Osten des Landes führt, blieb tagelang gesperrt, weil der parallel strömende Río Rimac die Straße einfach überflutet hatte. Auch in der Provinz Huarochiri, etwa 80 Kilometer östlich von Lima, lief nichts mehr. Nach zwei Erdrutschen blockierten Schlamm und Steine den Verkehr. Hunderte von Lastwagen mit landwirtschaftlichen Produkten, Busse und Autos steckten fest. Die Verkehrsbehörde SUTRAN empfahl Umleitungen von bis zu 450 Kilometern.
Tausende Verkehrsteilnehmer*innen mussten auf den Straßen ausharren. Die Nachrichtenagentur ANDINA berichtete von Personen, die Schwächeanfälle und Dehydrierungen erlitten. Freiwillige Helfer*innen des Gesundheitsministeriums behandelten die Betroffenen, einige wurden ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Die Zeitung El Comercio berichtete von Reisenden, die ausstiegen und teilweise mit kleinen Kindern auf den Armen stundenlang liefen, um den nächsten Ort zu erreichen.
Die starken Regenfälle sorgten auch in anderen Teilen des Landes für dramatische Situationen. Mindestens 15 Regionen Perus sind betroffen. In der Stadt Puerto Maldonado wurden hunderte Häuser zerstört, viele Familien mussten in Notunterkünfte ziehen. In Puno, an der Grenze zu Bolivien, waren mehrere Flüsse über die Ufer getreten. Häuser und Schulen wurden beschädigt, Wege unpassierbar. 17 ländliche Gemeinden verloren ihre gesamte Ernte. „Die Felder waren unsere Lebensgrundlage“, klagte ein Bauer aus Puno, dessen Ackerflächen unter der Flut verschwanden. „Wie soll ich jetzt meine Familie ernähren?“
In Piura und Tumbes, im Norden des Landes, verwandelten sintflutartige Regenfälle von bis zu zwölf Stunden die Straßen in Flüsse. Mehrere Häuser stürzten ein. Auch Arequipa und Cusco sind betroffen, Erdrutsche brachten Häuser zum Einsturz, der Regen ließ Flüsse über die Ufer treten. Nach Regierungsangaben starben insgesamt mehr als zehn Menschen, Zehntausende sind betroffen, Tausende Häuser eingestürzt oder unbewohnbar geworden.
Das Nationale Institut für Zivilschutz (INDECI) bemühte sich, schnellstmöglich Wege freizuräumen und Menschen zu befreien, die von den Fluten eingeschlossen worden waren. Keine leichte Aufgabe: „Das ist der erste kritische Punkt, an dem wir im Moment arbeiten. Wir sind an einer Brücke, die eigentlich den Zugang zu den Bewohnern in höheren Gebieten ermöglicht, aber diese ist nach der Schlammlawine völlig unzugänglich. Das ganze Geröll hat die Brücke blockiert“, sagte ein Mitarbeiter. Der noch amtierende Präsident Ollanta Humala inspizierte die Aufräumarbeiten auf der Carretera Central nach den Erdrutschen von einem Helikopter aus. Begleitet wurde er vom Verteidigungsminister Jakke Valakivi, der die Arbeit des Militärs überprüfte, das in Huarochirí mit schweren Maschinen die logistische Unterstützung übernahm und die Reisenden versorgte, die auf den Straßen festsaßen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Peru von heftigen Überflutungen getroffen wird. Starke Regenfälle sind in den Monaten Dezember bis März im Hochland und im Regenwald üblich. Allerdings blieb der Regen ab Dezember in vielen Regionen des Landes aus. In Puno wurde wegen der Dürre im Januar der Notzustand ausgerufen. 40 bis 60% der Ernte seien verloren, sagte das regionale Landwirtschaftsamt von Puno vor dem großen Regen. Dann kam der Regen und zerstörte den Rest.
Meteorologen betrachten die derzeitigen Klimaerscheinungen als Folge des natürlichen Klimaphänomens El Niño, bei dem sich die Meeresoberfläche am Äquator deutlich erwärmt. Je nach Region können dann heftige Regenfälle oder Dürren entstehen. Die peruanischen Behörden hatten bereits im vergangenen Jahr gewarnt, dass El Niño in diesem Jahr besonders heftig ausfallen würde, die Weltorganisation für Meteorologie sprach sogar vom stärksten El Niño seit 15 Jahren. Im Laufe der Monaten schwächten die Behörden die Prognosen jedoch immer weiter ab, bis man zuletzt nur noch von „moderaten“ Folgen sprach.
Der Nationale Dienst für Meteorologie und Hydrologie (SENAMHI) empfiehlt den peruanischen Behörden seit Jahren, sich entsprechend auf die jährlich niedergehenden Wassermassen einzustellen und Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Diese blieben aus der Sicht des Landwirtschaftsministers Juan Manuel Benites und des Ministers für Wohnungsbau-, Bau- und Sanitärwesen, Francisco Dumler, aber trotz aller Warnungen auch in diesem Jahr aus. „Viele Städte an der Küste wie Piura oder Tumbes waren nicht auf den Regen vorbereitet“, sagte Dumler. Die Stadt- und Regionalverwaltungen hätte verstärkt in Entwässerungssysteme investieren müssen, aber dies sei nicht geschehen. Nach Angaben der unabhängigen Beobachtungsstelle für Infrastruktur IPT seien im ersten Halbjahr 2015 die öffentlichen Investitionen der Lokalregierungen in Infrastrukturmaßnahmen um 30% und die der Regionalregierungen um 10% gesunken.
Dabei hatte die Regierung bereits im Voraus angekündigt, angesichts des drohenden El Niño zusätzliche Gelder bereitzustellen. Ihr zufolge überwies das Wirtschaftsministerium bereits 2014 mehrere Hundert Millionen Soles (mind. 25 Millionen €, Anm. d Red.) für die Prävention und angemessene Vorbereitung auf die Katastrophensituation an den Transportsektor sowie an die Regional- und Lokalregierungen. Ein Jahr später sei die Summe sogar noch erhöht worden. Laut José Gálvez, dem stellvertretenden Koordinator des peruanischen Gemeindeverbandes AMPE, ist bei den Stadtverwaltungen allerdings nichts von diesem Geld eingetroffen. Dafür sind seiner Meinung nach die schwachen regionalen Regierungen verantwortlich. Das Geld werde zwar theoretisch zugeteilt, komme aber in der Praxis oft nicht dort an, wo es hin soll, bestätigte Victor Fuentes vom Peruanischen Wirtschaftsinstitut IPE.
Insbesondere die Städte im Norden, die von den Regenfällen besonders stark betroffen sind, haben aus den Lektionen der vergangenen Jahre wenig gelernt, schrieb die Zeitung El Comercio. Als im Februar 1998 die Stadt Trujillo in den Fluten versank und Leichen und Särge durch die Straßen schwappten, weil die Wassermassen Gräber auf einem Friedhof freigelegt hatten, hätte dies einen Wendepunkt im Umgang mit den wiederkehrenden Naturkatastrophen markieren können. Damals hatten die Regenfälle, Überflutungen und Erdrutsche fast 500 Menschen das Leben gekostet und Schäden in Millionenhöhe verursacht.
„Wir haben nicht viel dazugelernt“, sagte Gilberto Romero, Vertreter des Zentrums für Erforschung und Prävention von Katastrophen (PREDES). „Städtische Gebiete wachsen weiter wie bisher durch illegale und unkontrollierte Landnahmen an den unsichersten Orten“. Er glaubt, die Menschen seien heute noch verwundbarer als früher. Das sind keine guten Voraussetzungen für den nächsten Niño.