Ecuador | Nummer 467 - Mai 2013

Langsam wachsen statt schnell entwickeln

Interview mit dem Agronomen José Cueva über widersprüchliche Regierungspolitik und wie diese die Entwicklung nachhaltiger Landwirtschaft verhindert

Unangepasste landwirtschaftliche Nutzung ist eine Bedrohung für den Erhalt von Natur, Artenvielfalt und Klima in der tropischen Bergregion Intag im Nordwesten Ecuadors. Eine andere, nicht weniger verheerende Bedrohung liegt unter der Erde: über zwei Millionen Tonnen Kupfer. Die Regierung Correa will diese Ressource mit dem chilenischen Bergbauunternehmen Codelco ausbeuten. In mehr als 18 Jahren Widerstand gegen den Bergbau sind jedoch zahlreiche nachhaltige, gemeindebasierte Alternativen entstanden. Ein Gespräch über Landwirtschaft, Landflucht und Entwicklung mit dem Agronom José Cueva.

Interview: Bettina Hoyer

Hidroíntag sieht den Bau von zehn kleinen Wasserkraftwerken mit einer Gesamtleistung von 100 Megawatt vor, um die Region mit Strom zu versorgen. Überschüsse sollen verkauft und damit der Bau von Straßen, Schulen und Gesundheitszentren finanziert werden. Dadurch dürfte neben einer autarken Stromversorgung auch mehr Geld in die Kassen der Gemeinden fliessen, zahlreiche Arbeitsplätze würden geschaffen. Letztes Jahr waren Sie optimistisch, dass noch 2012 das erste Kraftwerk gebaut werden kann. Wie steht es jetzt um das Projekt?
Als die Finanzierung der Studie für das Wasserkraftwerk in Nangulví mit Hilfe der finnischen Regierung bewilligt war, gab es eine direkte Intervention der Regierung. Wir erhielten im Oktober 2012, als wir ein Konto eröffnen wollten und eine Administration für das Projekt suchten, ein Schreiben der Regierung mit einem formalen Einspruch des Ministeriums für erneuerbare Energien. Dort werden zwei widersprüchliche Argumente angeführt: Zum einen heißt es, das Projekt sei sehr klein, Investitionen in Ecuador sollten jedoch auf Großprojekte abzielen, die auf nationaler Ebene wiederholbar wären – und dafür sei dieses Projekt zu klein. Zum anderen hieß es: Ein Gemeinderat – das wäre in diesem Fall der Gemeinderat von Peñaherrera – könne ein solch großes Projekt nicht stemmen. Vor kurzem erfuhren wir, dass die Regierung Correa eine Übereinkunft mit Privatfirmen in Höhe von 700 Millionen US-Dollar für den Bau von kleinen Wasserkraftwerken getroffen hat. Und ein gemeindebasiertes Projekt wie unseres wird einfach zur Seite geschoben.

Die Regierung will mit dem Bergbauvorhaben „Llurimagua“ die Kupfervorkommen fördern. Früher hieß die Konzession „Junín“, so wie das Dorf, das ganz unmittelbar betroffen ist. Werden die Leute sich noch einmal gegen den Bergbau stemmen?
Ich weiss nicht, wie die Leute reagieren würden, wenn morgen eine Gruppe von Minenarbeitern in Junín ihr Lager aufschlägt. Sehr wahrscheinlich würden die Bewohner von Junín den Minenarbeitern den Zugang verwehren. Als vor einigen Monaten das staatliche Minenunternehmen ins Intag kam, um sich den Gemeinden anzunähern und zu einer Reihe von Workshops in den Dörfern einlud, sprachen sich die Einwohner in allen Ortschaften einstimmig und öffentlich gegen den Bergbau aus. In Peñaherrera und Junín konnten sie den Workshop nicht einmal durchführen.

Wird es möglich sein, den Kaffeeanbau, den Tourismus und andere Projekte fortzuführen, solange die Explorationsarbeiten laufen?
Genau das ist unser Part: Weitermachen. Aber es gibt eine ganz andere Gefahr: Dass sie beginnen, viele Leute anzustellen, und sei es fürs Nichtstun. Das ist ein Mittel, Leute ruhigzustellen. Dadurch wird jedoch die Arbeitskraft teurer. Das ist auch damals in Junín passiert, als die Bergbaufirma Ascendant Copper viele Leute unter Vertrag nahm. Viele Fincas, Geschäfte und Viehzuchtbetriebe mussten damals aufgeben. In der Nachbarregion Manduriaco, wo ein großes Wasserkraftwerk gebaut wird, geschieht genau das im Moment. Das Kraftwerk gibt mit 25 US-Dollar pro Tag den Preis vor, aber damit können wir nicht konkurrieren. Der Lohn in der Landwirtschaft liegt bei 15 US-Dollar.

Gibt es denn dort für alle Arbeit?
Nein, aber niemand arbeitet dort mehr für einen niedrigeren Lohn. Die Leute gehen dann lieber nach Quito auf Jobsuche, arbeiten als Polizisten, bei Wachdiensten oder als Fahrer. Das ist kein besseres und auch kein ruhigeres Leben, aber sie haben die Sicherheit, am Monatsende einen Lohn zu erhalten. Für Bauern gibt es diese Sicherheit nicht, die Bedingungen in der Landwirtschaft sind prekär: Keine Versicherungen – und die Produktivität ist niedrig. Wir haben hier keine Landwirtschaft, die den Wettbewerb mit der Stadt gewinnen könnte. Laut Zensus ist die Bevölkerung im Intag im Zeitraum von 2000 bis 2010 um fünf Prozent zurückgegangen.

Warum sind die Bedingungen in der Landwirtschaft so prekär?
Die Topographie im Intag ist extrem: 85 Prozent der Fläche liegt an Hängen, die steiler sind als 35 Grad. Deshalb ist Intag eigentlich nicht für die Landwirtschaft bestimmt. Intag wurde vor etwas mehr als 100 Jahren vor allem von Vertriebenen und Landlosen der Haciendas aus der Sierra besiedelt. Armut und Landnot trieben sie her. Hier gab es Land und das nahmen sie sich. Zwei Generationen lang konnten die Siedler eine hohe Produktivität durch Fläche erzielen. Doch jetzt sind die Böden erschöpft. Die Landwirtschaft ist nicht mehr rentabel, die Jugend wandert ab. An diesem Punkt wäre eine Intervention angebracht, die logischerweise vom Staat hätte kommen sollen, um eine Landwirtschaft zu fördern, die an die Steilhänge, die hohen Niederschläge und die starke Sonneneinstrahlung angepasst ist. Das ist jedoch nie geschehen. In diesem Kontext entstehen die sozialen, landwirtschaftlichen und Umweltorganisationen des Intag, denn auf der anderen Seite tauchte der Staat dann doch auf: mit der Anordnung, das Land zu entvölkern, um Platz für Bergbau und Infrastruktur zu machen.

Wann war das?
Etwa vor zwölf bis 15 Jahren. In diesem Kontext tauchen die Initiativen für Agroforst auf. Das ist die „Alternative“ für die landwirtschaftliche Produktion in solchen Regionen, in denen die einzige „Kultur“ mit Potential der Baum ist. Bäume schaffen ihre eigene Biomasse und ihre eigene Fruchtbarkeit, die die Böden hier sofort verlieren, wenn die Bäume gefällt werden. Agroforst ist also die große Herausforderung für die Organisationen. Und ohne finanzielle Ressourcen.

Gab es Unterstützung durch die Behörden?
Nein, in der Geschichte des Intag dürfte die Unterstützung der Organisationen durch die Behörden insgesamt nicht einmal 20 Prozent betragen. Finanzielle Mittel erhielten wir von kleinen Organisationen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Doch um alternative Modelle zu entwickeln, braucht es auch einen kulturellen Wandel. Die Siedler wissen nicht, dass man mit dem Wald arbeiten, einen neuen Wald schaffen muss. Dafür ist ein Wandel der Mentalität nötig. Ein anderer Faktor, der uns viele Schwierigkeiten bereitet, ist die Bildung.

Weshalb erachten Sie das als schwierig?
Ein Teil jenes „Pakets“, um den Leuten die Souveränität zu nehmen und zu erreichen, dass sie für den Markt arbeiten, war in den 1970er und 1980er Jahren die Bildung. Die Vermittlung von Werten, die von außen kommen: Markt, Fortschritt, Entwicklung. Das nationale Bildungsmodell – und das sage nicht nur ich, das sagen landesweite Untersuchungen und der Präsident selbst erkennt das alle halbe Stunde an, ohne daran etwas zu ändern – ist dazu gemacht, die Menschen vom Land wegzuholen. Die Spezialisierungen hier an den Schulen sind Handel, Verwaltung und Rechnungswesen. Gut, es gibt auch „Landwirtschaft“, aber dort wird die Mentalität der Agroindustrie vermittelt.

Gibt es denn Mikrokredite oder andere Hilfen?
Nein. Ein Kredit für langwierige Prozesse wie den Kaffeeanbau, müsste sieben bis zehn Jahre laufen, damit er abbezahlt werden kann. Auch wenn das System, mit dem wir arbeiten, dir ab dem ersten Jahr ein Einkommen bringt – die Kaffeepflanze liefert erst ab dem fünften Jahr einen guten Ertrag. Keine Bank in Ecuador gibt dir Geld dafür. Unsere Bauern haben aus eigener Tasche investiert. Deshalb geht alles sehr langsam.

Ermüdet das die Leute?
Es bewirkt vor allem, dass die Menschen die neuen Wirtschaftsstränge in der Region kaum sehen. Die Kooperation der Werkstätten des Gran Valle und die Vereinigung der Kaffeebauern bewegen jährlich mehr als 500.000 US-Dollar, die hier in der Region bleiben. Es handelt sich dabei nicht um große Infrastrukturmaßnahmen, aber es könnten neue Einkommensmöglichkeiten für viele Familien sein.

Infokästen:

José Cueva
Der 39-jährige José Cueva lebt seit 1997 im Intag. Seine Frau und er betreiben dort eine Finca und bauen unter anderem Kaffee, Bananen und Zuckerrohr an. Der Agronom ist Mitbegründer der Kaffeebäuer_innenkooperative AACRI und Koordinator des Dachverbandes „Coordinadora Zonal de Intag“, in dem sich Gemeinden, Lokalregierungen und soziale Organisationen zusammengeschlossen haben, um soziale und Umweltprobleme der Region zu lösen.

Der Kampf im Intag
Seit den 1990er Jahren kämpfen Bewohner_innen der tropischen Bergregion Intag im Nordwesten Ecuadors (Provinz Imbabura) gegen die Umsetzung von Bergbaulizenzen. Bisher haben sie 23 Lizenzen abgewehrt und dabei auch schon mal die von Minenunternehmen geschickten Paramilitärs friedlich entwaffnet. Gleichzeitig begannen die Einwohner_innen, nachhaltige Alternativen für die Region zu entwickeln: Kaffeeanbau, Ökotourismus, Ökolandbau, Aufforstung, Bildungsprojekte.
Jetzt will die Regierung Correa den „Kupferschatz“ von geschätzten 2,2 Mio. Tonnen in unmittelbarer Nähe eines der 34 Hotspots mit der höchsten Artenvielfalt weltweit heben. Ecuador brauche dieses Geld, sagte der Präsident jüngst in Berlin auf einer Veranstaltung an der TU Berlin, für die Beseitigung der Armut im Land. Mitglieder des deutschen Solivereins Intag e.V. haben gemeinsam mit der Organisation Rettet den Regenwald e.V. mehr als 61.000 Unterschriften gegen dieses Vorhaben gesammelt und dem ecuadorianischen Minister für Strategische Sektoren, Rafael Poveda Bonilla, in Berlin übergeben. Der nachhaltigere Entwicklungsweg sei ein Weg ohne Bergbau im Intag, fordern die Bergbaugegner_innen.
Weitere Informationen: Intag e.V., Dokumentarfilm Under Rich Earth, Coordinadora Zonal de Intag

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