Machtmonopol der Rechten gebrochen
Große Erfolge der FMLN bei den Wahlen
In San Salvador, wo knapp ein Drittel aller WählerInnen des Landes eingeschrieben sind, stand der Wahlsieger bereits am Sonntag abend fest: Mit rund 49 Prozent der Stimmen triumphierte Héctor Silva, “Kandidat der Zivilgesellschaft” für eine Koalition aus der ehemaligen Guerrila Frente Farabundo Martí de Liberación Nacional (FMLN), Convergencia Democrática (CD) und dem christlichen Movimiento de Unidad (MU), klar über den ARENA-Bewerber und bisherigen Bürgermeister Mario Valiente , der es nur auf gut 36 Prozent brachte.
Héctor Silva, in den USA geboren und von Beruf Gynäkologe, war während des Bürgerkrieges einer der Sprecher des Oppositionsbündnisses FMLN/ FDR in Mexiko. Bei den Wahlen von 1994 machte er sich einen Namen als Berater und Wahlkampfmanager des Präsidentschaftskandidaten der Opposition Rubén Zamora, der erst in der Stichwahl gegen Armando Calderón Sol verloren hatte.
“Wir werden ihnen zeigen, daß wir regieren können”, rief der 50jährige zukünftige Bürgermeister in der Wahlnacht tausenden jubelnden AnhängerInnen zu. Eine “Hauptstadt des 21. Jahrhunderts” wolle er schaffen, eine “Politik der Stabilität” machen. Silva kündigte unter anderem den Verzicht auf den Bau einer von Valiente geplanten, millionenteuren und höchst umstrittenen Müllanlage an.
Der Bürgermeisterposten von San Salvador gilt als eines der wichtigsten politischen Ämter im Land. Er war sowohl für den Christdemokraten Napoleon Duarte als auch für Calderón Sol das Sprungbrett in den Präsi-dentenpalast. Die FMLN handelt Silva bereits als möglichen Kandidaten für die Präsi-dent-schaftswahl 1999.
Außer in San Salvador hat die FMLN auch in nahezu allen anderen Großstädten der “area metropolitana” gewonnen. Als sensationell ist vor allem der Sieg der Linken in Santa Ana, der zweitgrößten Stadt des Landes und Kaffee-Metropole des Westens, zu bewerten. Auch weitere Departementshauptstädte (Sonate, Zacatecoluca, Chalatenango) gingen an die FMLN bzw. linke Wahlbündnisse; in einigen anderen bedeutenden Gemeinden wie Nueva San Salvador und San Vicente hat ARENA den Sieg der FMLN juristisch angefochten.
Letzten Zwischenergebnissen zufolge stellen die Ex-Guerilla oder von ihr eingegangene lokale Koalitionen in rund 60 der 262 Gemeinden des Landes die künftigen Bürgermeister. Bei den Wahlen von 1994 hatte die FMLN lediglich 15 Ortschaften an der Urne erobern können. ARENA gewann eigenen Angaben zufolge nur noch in etwa 115 Gemeinden (nach über 200 bei den Wahlen 1994), darunter in den Departementshauptstädten San Miguel, Usulutan, Sensuntepeque und San Francisco Gotera.
FMLN-Sperrminorität im Parlament
Bei den Parlamentswahlen zeichnete sich seit Beginn der Auszählung ein knappes Rennen zwischen FMLN und ARENA ab. Beide Parteien kamen auf rund 35 Prozent der Stimmen, was jeweils 28 bis 30 Mandaten in der 84-köpfigen Asamblea entspricht. In jedem Fall verfügt die Frente nunmehr alleine über das notwendige Drittel an Stimmen, um Verfassungsänderungen gutheissen oder verhindern zu können. Die Parlamentspräsidentin Gloria Salguero Gross der regierenden Alianza Republicana Nacionalista (ARENA) gestand ein, daß “das zukünftige Parlament pluralistischer sein wird.” ARENA werde künftig nicht mehr schalten und walten können wie gewohnt, kommentierte der derzeitige FMLN-Fraktionschef Gerson Martínez das Ergebnis: Von nun an herrsche ein Kräftegleichgewicht in El Salvador.
Das ist allerdings nur bedingt richtig. Denn klar ist ebenfalls, daß die rechte Par-la-ments-mehrheit auch für die kommenden drei Jahre bestehen bleibt. Sowohl die frühere Regierungspartei Partido de Conciliación Nacional (PCN), wie auch der rechte Flügel der zersplitterten Christdemokratischen Partei (PDC) schnitten mit jeweils rund acht Prozent und voraussichtlich ebensovielen Parlamentssitzen überraschend gut ab. Beide Parteien werden sich formalen oder informellen Koalitionen mit ARENA nicht verwehren.
Noch unklar war bei Redaktionsschluß das Abschneiden der übrigen Parteien. Den letzen bekanntgegebenen Zwischenergebnissen zufolge errangen CD, MU, das fundamentalistisch-religiöse Movimiento de Renovación Nacional sowie die von dem ultrarechten Zeitungskolumnisten Kirio Waldo Salgado gegründete Partido Liberal Democrática (PLD) jeweils zwei Sitze.
Trotz eines Stimmenanteils von weniger als einem Prozent ist auch Villalobos’ PD mit einem Vertreter in der neuen Asamblea vertreten – sie war in einigen Departements Wahlbündnisse mit den Christdemokraten eingegangen, ergatterte über diese Listenverbindung so eben noch ein Mandat und konnte ihre Zwangsauflösung dadurch zumindest vorläufig verhindern.
Geringe Wahlbeteiligung
Bei der Suche nach den Gründen für den großen Erfolg der FMLN hilft zunächst ein Blick auf die Wahlbeteiligung. Sie lag deutlich unter 45 Prozent – nur knapp eine Million Wahlberechtigte stimmten ab – und damit zehn Prozent weniger als noch 1994. Im Landesdurchschnitt hat die Frente also absolut an Stimmen weniger hinzugewonnen als es das Ergebnis auf den ersten Blick suggeriert.
ARENA behauptete sogar, die FMLN habe in Wirklichkeit keine einzige Stimme dazugewonnen, man selbst habe lediglich Wähler verloren, die einfach nicht zur Wahl gekommen seien.
Wie auch immer: Die Regierungspartei, die wie schon in der Vergangenheit einen ungeheuer aufwendigen Wahlkampf führte und dafür nicht nur Partei-, sondern auch erhebliche öffentliche Mittel investierte, hat mit ihrer Propaganda keine Mehrheit in der Bevölkerung mehr zu überzeugen vermocht. Bis zum Wahltag hatte ARENA weniger auf eine inhaltliche Auseinandersetzung über ihre – in den Augen auch vieler ehemaliger Anhänger weitesgehend gescheiterte – Politik gesetzt als vielmehr auf Polemik und Hetzpropaganda gegen die FMLN. In Fernsehspots wurden minutenlang von “den Terroristen” im Bürgerkrieg gesprengte Brücken und Strommasten gezeigt. In Zeitungsanzeigen oder bestellten Artikeln wurde die FMLN wahlweise der logistischen Unterstützung für die Zapatistas in Mexiko oder die MRTA in Peru beschuldigt, und wie bestellt flog zum rechten Zeitpunkt auch ein weiteres “FMLN-Waffenlager” in Managua auf. Die PD-Führung beteiligte sich übrigens in widerwärtigster Weise an dieser Propaganda, indem sie öffentlich führende FMLN-Vertreter der Beteiligung an Kriegsverbrechen bezichtigte.
Das von ARENA geschaffene Klima der Gewalt hatte auch praktische Folgen: In den Wochen vor der Wahl ermordeten vermutlich Todesschwadronen in Nejapa einen FMLN-Vertreter; fünf weitere Aktivisten der Partei wurden bei Überfällen verletzt und mußten im Krankenhaus behandelt werden.
Quittung für die schlechte Politik der ARENA
Das Kalkül jedenfalls, die FMLN als Vereinigung von “Terroristen” und “Kriminellen” zu bezeichnen und dadurch von den eigenen Mißerfolgen in der Wirtschaftspolitik und der Verbrechensbekämpfung abzulenken, ging nicht auf. Zwar verzeichnete die salvadorianische Ökonomie in den vergangenen Jahren den Statistiken zufolge kräftige Wachstumsraten, am Massenelend in El Salvador änderte sich jedoch nichts: Mehr als die Hälfte der rund fünfeinhalb Millionen EinwohnerInnen leben in extremer Armut. Auch bei ihrem Lieblingsthema “Verbrechensbekämpfung” versagte ARENA offensichtlich auf ganzer Linie. Das Land ist noch vor Kolumbien das gewalttätigste in Lateinamerika, jede Stunde stirbt ein Mensch eines gewaltsamen Todes. Eine Entwicklung, zu der die ARENA-Regierung wesentlich beigetragen hat, indem sie sich einer wirklichen Säuberung der Sicherheitsorgane widersetzte, Menschenrechtsverletzungen in der neuen Polizei PNC deckte und praktisch nichts gegen die hohe Zahl von Schußwaffen in privaten Händen unternahm.
Die FMLN hat sich, da bislang von der Machtteilhabe weitesgehend ausgeschlossen, auf den genannten Feldern zwar bisher nur wenig profilieren können. Sie hat aber mit dem Entschluß, sich an der politischen Schlammschlacht des Wahlkampfes nicht zu beteiligen, auf große Versprechungen zu verzichten und mit einem allgemein gehaltenen, reformistischen Programm, das an vorderster Stelle die Forderungen nach Senkung von Mehrwertsteuer, Mieten sowie Wasser- und Strom-gebühren umfaßt, richtig gelegen.
Der Wahlerfolg der FMLN ist auch deshalb besonders hoch zu bewerten, weil sich ARENA in den vergangenen drei Jahren standhaft geweigert hatte, das – weil es für eine niedrige Wahlbeteiligung sorgt und “technischen Wahlbetrug” erleichtert – sie begünstigende Wahlsystem zu reformieren. Alle Vorschläge einer gemischt besetzten Reformkommission – u.a. Einführung eines Personalausweises, der gleichzeitig zur Wahl berechtigt, Wahlpflicht an den Wohnorten und professionelle, parteilose Angestellte der Wahlbehörden – wurden von ARENA abgelehnt oder einfach nicht umgesetzt.
Chaotische Wahlvorbereitung
In der Praxis bedeutet dies: Im Wahlregister wimmelte es wie auch schon 1994 von Toten, längst Ausgewanderten und Mehrfachnennungen; ein Abgleich zwischen dem zentralen und den lokalen Wählerlisten fand praktisch nicht statt, Wahlausweise wurden nicht oder zu spät ausgehändigt. Gesetzeswidrig hatte das Finanzministerium zudem den Gratistransport für Wähler aus dem Kostenvoranschlag der Obersten Wahltribunals (TSE) gestrichen. Damit wurden, weil gleichzeitig der öffentliche Verkehr ruhte, hunderttausende von Personen zu langen Fußmärschen gezwungen, um in die Wahllokale zu gelangen. Bedeutende Unternehmen, wie etwa die Maquilas und Supermarktketten, hatten am Wahlsonntag nicht geschlossen; auch die rund 15.000 Angehörigen der Polizei konnten nicht wählen; zahlreiche lokale Wahlkommissionen beschwerten sich bis zum Schluß darüber, daß ihnen noch nicht einmal Schreibtische zur Verfügung gestellt und Telefonanschlüsse gelegt wurden, ganz zu schweigen von Computern oder Fahrzeugen.
Der Wahltag selbst verlief ohne größere Zwischenfälle. Dazu hat sicherlich auch die Präsenz von mehreren hundert internationalen Beobachtern beigetragen.
Wie Oligarchie, Militär und die politische Rechte auf den Wahlerfolg der FMLN reagieren ist Spekulation. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse getätigte Einzeläusserungen ergeben jedenfalls noch kein einheitliches Bild. Während Ex-Präsident Alfredo Cristiani, der das größte Finanzimperium El Salvadors dirigiert, vor wirtschaftlichem Rückgang warnte, erklärte der unterlegene ARENA-Bürgermeisterkandidat Valiente, er wolle für die FMLN beten