Lateinamerika | Nummer 289/290 - Juli/August 1998 | USA

Margaritas lange Reise nach Nueva York

Eine junge Frau aus El Salvador erzählt von den Strapazen ihrer Flucht

Ihr dritter Versuch war endlich erfolgreich. Margarita Castro Mejía ist es gelungen, die mexikanische und die US-amerikanische Grenze heimlich hinter sich zu lassen. Die 18jährige sah zuhause in El Salvador keine Perspektive mehr, außerdem war ihr Freund in New York. Sieben Wochen sollte es dauern, bis sie ihr Ziel erreicht hatte – nach vielen Strapazen, Zweifeln und Gefahren. Was ihr auf dieser Flucht alles passierte, erleben viele, die sich auf den Weg in den Norden machen.

Margarita Castro Mejía, Bernd Kappes

Am 4. November 1997 bin ich mit einem großen Schmerz im Herzen aus meinem Haus gegangen. Meine Familie war sehr traurig, daß ich ging. Mit diesem Schmerz habe ich mich verabschiedet und zog mit anderen Leuten in Richtung San Salvador los. Wir kamen in einem Hotel in San Salvador an. Es war schon spät in der Nacht, und wir blieben dort bis zum anderen Tag. Gegen 11 Uhr morgens kam ein Bus, um uns abzuholen. Wir sind zu einem anderen Hotel gefahren, wo wir uns mit ganz vielen Leuten trafen – es waren ungefähr 75 Personen. Dann kamen zwei Busse, zwei Gruppen wurden gebildet, und wir fuhren Richtung Guatemala.
Gegen 3 Uhr nachmittags waren wir an der Grenze, wo wir alle ausstiegen, damit wir die Aufenthaltserlaubnis für Guatemala bekämen. Wir fuhren weiter und gegen 6 Uhr waren wir in der Hauptstadt. Dort hielten wir uns 15 Minuten auf. Dann ging es weiter, und wir fuhren die ganze Nacht im Bus, bis wir an einen Ort kamen, der Naranjo heißt. Von dort gibt es viele Wege, um an die Grenze nach Mexiko zu kommen. Wir mußten vier Tage bleiben. Danach haben uns die coyotes (so nennt man die Leute, die man bezahlt, damit sie einen in die USA bringen) abgeholt und an das Ufer eines Flusses gebracht. Dort sind wir in ein paar Boote eingestiegen.

Coyotes als Wegführer

Wir fuhren in der Nacht auf dem Boot ca. zwei Stunden, bis wir an einen Ort kamen, der Campamento Santa Clara heißt. Dort ruhten wir uns 15 Minuten aus. Die Männer gingen los, zu Fuß, und uns Frauen nahmen sie auf einem Traktor mit. Wir stiegen ein, und als wir bereits aufgestiegen waren, kam eine Gruppe von den Männern zurückgerannt. Sie waren sehr erschöpft und sagten, daß wir aussteigen sollten, weil an der Grenze zu Mexiko eine Gruppe von Soldaten sei, und daß einige von der Gruppe gefaßt worden seien. Nach und nach tauchten auch die anderen Männer auf. Noch am anderen Tag kamen einige Männer, die in den Wäldern geschlafen hatten, weil sie in der Dunkelheit nicht zurückkommen konnten. Aber noch immer fehlten elf von uns. Die Soldaten hatten sie gefaßt. Wir verbrachten also die ganze Nacht und den ganzen Tag dort. Es gibt dort einige Häuser, und die coyotes kauften den Bewohnern dort eine Kuh ab, schlachteten diese und gaben uns zu essen. Als es dunkel wurde, es war 12 Uhr nachts, haben uns die coyotes abgeholt. Wir wanderten eineinhalb Stunden. Gott sei Dank waren dort keine Soldaten, und wir konnten ohne Gefahr passieren. Gegen 1.30 Uhr kamen wir an einen Ort mit Namen San Luis, wo wir uns in einige Häuser flüchteten. Der coyote zahlte, damit wir dort bleiben konnten. Er bezahlte auch für das tägliche Essen. Dort blieben wir also. Sie sagten, wir könnten nicht weitergehen, weil es einen Posten mit mexikanischen Soldaten gäbe.

Warten, wandern, rennen

Erst neun Tage später gingen wir weiter. Wir starteten gegen 7 Uhr abends. 20 Minuten, nachdem wir losgegangen waren, mußten wir rennen, und ich stürzte und verstauchte mir den Fuß. Es tat fürchterlich weh. Der Fuß ist mir angeschwollen. Und je mehr ich wanderte, desto mehr tat es weh. Später ging ich gestützt auf die Schultern einer compañera. Danach hat mir ein Mann aus Honduras geholfen, meinen Rucksack zu tragen. So sind wir die ganze Nacht gewandert bis 3.30 Uhr morgens. Dann kamen wir an das Ufer eines Flusses und stiegen wieder in Boote, mit denen wir dann vier Stunden unterwegs waren. Als es langsam hell wurde, kamen wir an einen Ort, wo sie uns aus den Booten rausließen. Wir wanderten in schlammigem Wasser. Ich hielt es kaum aus zu gehen, mit meinem Schmerz im Fuß. Bei jedem Schritt fiel ich hin. Dann hat mich der Honduraner, der meinen Rucksack getragen hatte, am Arm gefaßt und mir beim Gehen geholfen. So sind wir 45 Minuten gegangen, ich immer mit der Hilfe dieses Mannes, bis wir aus dem Schlamm heraus waren. Wir gingen auf einer Straße, bis wir an einem bestimmten Ort in einige Laster einstiegen. Da wir in Guatemala mit mehr Leuten zusammengekommen waren, waren wir jetzt fast 200 und haben uns auf zwei Laster verteilt.
Um 7 Uhr morgens fuhr der Laster los. Dann wurde es immer wärmer. Wir hielten die Hitze nicht mehr aus. Alle fuhren wir stehend, nur drei Kinder und zwei schwangere Frauen fuhren vorne, sitzend, auch ich fuhr im vorderen Teil. Und dann, nach kurzer Zeit, wurde es den Leuten schwindelig, weil der Laster mit einer Plane versiegelt war und keine Luft hereinkam. Es war wie die Hölle. Fast alle Männer fielen um wegen Müdigkeit, wegen Übernächtigung, und der Hunger ließ sie schwindelig werden. Außerdem hatten wir alle unsere schmutzigen Sachen an, voll von Schlamm. So entstand ein sehr unangenehmer Geruch, aber Gott sei Dank wurde nur eine vierzehnjährige Frau ohnmächtig.
Dann aber mußten wir die Grenzkontrollen, la migra, passieren. Zwei passierten wir – wir alle in absoluter Stille, weil der Fahrer zur migra sagte, daß er andere Dinge in seinem Laster transportiere. Aber die dritte Kontrolle hielt uns an. Die migra stieg ein. Weil die Leute es nicht mehr aushielten, hatten sie mit Messern einige Löcher in die Plane geschnitten, damit Luft hereinkäme. Das hatte die migra bemerkt und konnte durch die Löcher sehen, daß Menschen im Laster waren. Sofort entfernten sie die Kartons, die den Blick in den hinteren Teil des Lasters verdeckten, und wir mußten alle aussteigen.
Wir mußten zur Kontrollstelle. Uns Frauen und Kinder brachten sie außerhalb des Zaunes unter. Aber die Männer wurden eingesperrt. Wir wuschen uns alle und zogen uns um. Weil wir so Hunger hatten, kauften wir ein Brot mit Fleisch und eine Cola. Danach brachten sie uns in ein anderes Gefängnis, wo sie uns zu essen und Wasser zu trinken gaben. Mir ging es sehr schlecht und ich konnte kaum mehr laufen wegen meiner geschwollenen Füße voller Blasen. Ich ertrug meine Schuhe nicht mehr und zog sie aus. Dann sagte uns der coyote leise: Ich werde nicht nach El Salvador zurückkehren. Ich werde es noch einmal mit euch versuchen. Den coyote hatten sie nämlich auch geschnappt, aber wir hatten ihnen erzählt, daß wir allein unterwegs gewesen seien. Gegen 10 Uhr nachts haben sie uns frei gelassen.
Ein Bus des Grenzschutzes brachte uns zurück und gegen 6 Uhr morgens kamen wir in Mesillas an, an der Grenze zwischen Guatemala und Mexiko. Der coyote brachte uns zu einem Hotel in der Nähe und sagte zu uns allen: Wir werden nicht zurückkehren, wir gehen weiter, noch einmal, vorwärts. Ich sagte ihm, daß ich zurückfahren würde, weil ich krank sei. Aber er sagte mir, daß wir drei Tage hier bleiben würden und daß es mir nach diesen drei Tagen besser gehen würde. Er kaufte mir Tabletten und ein compañero hat mir den Fuß massiert, und so ging es meinem Fuß nach drei Tagen besser.

Die ersten geben auf

Wir fuhren wieder los, zwei Busse mit uns allen. Das heißt, nicht mit allen, weil ungefähr 20 zurückfuhren. Sie sagten, sie würden diese schreckliche Reise nicht aushalten, und wir hätten ja noch nicht einmal die Hälfte geschafft. Es ging durch viele Teile Guatemalas, den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht, bis wir am Morgen gegen 5 Uhr wieder in Naranjo ankamen, wo wir schon einmal gewesen waren. El Naranjo ist ein Ort im Petén, ein Departamento von Guatemala. Dort blieben wir zwei weitere Tage. Dann gingen wir los und in Booten überquerten wir den Fluß. Wir stiegen in große Autos ein und fuhren auf einer Straße, auf der ich schon im August gefahren war, als ich bei meinem allerersten Versuch scheiterte, sie mich erwischt hatten und ich nach Hause zurück bin. Ich bin also noch einmal auf denselben Wegen gefahren, teilweise gingen wir aber auch zu Fuß. Wir kamen an einen Ort, der Buenos Aires heißt, wie die Hauptstadt von Argentinien, mitten in den Bergen. Von dort sind es zweieinhalb Stunden bis zur Grenze nach Mexiko. Vier Tage waren wir dort in Häusern. Die coyotes zahlten Unterkunft und Essen. Nach vier Tagen gingen wir weiter.
Gegen 4.30 Uhr am Nachmittag waren wir in der Nähe der Grenze. Wir warteten, bis es dunkel wurde. Wir waren klatschnaß, weil es zu regnen begonnen hatte. Alle Wege waren voller Wasser. Als es dunkel war, überquerten wir die Grenze, mehr rennend als gehend. Das Unwetter hörte nicht auf, im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Wir gingen die ganze Nacht, durchnäßt, mit kurzen Pausen. Wir gingen durch ein Stück voller Schlamm und nur mit großer Anstrengung bekamen wir die Füße hoch. Manchmal reichte uns auch das Wasser bis zum Gürtel.

Hunger und Zweifel

Als es hell wurde, kamen wir zu einer Scheune am Ufer eines Flusses. Der Ort heißt Cariba und gehört schon zu Mexiko. Dort blieben wir viele Tage. Wir waren hungrig. Alle waren zerstochen von den Mücken. Viele sind krank geworden. Ich hatte nur eine Grippe. Es verging Tag um Tag und sie holten uns nicht ab. Wir begannen schon, die Hoffnung zu verlieren. Viele vertrauten den coyotes nicht mehr. Einige gaben auf und kehrten um. Wir blieben mit ungefähr 60 Leuten zurück. Dann – nach ca. 14 Tagen – brachten sie uns Essen, und in der Nacht gingen wir wieder los. Sie haben uns in kleinen Booten transportiert. Wir überquerten den Fluß und kamen zu einer Straße. Einige Autos kamen und brachten uns zu einem Ort namens Aguila, der zum Bundesstaat Tabasco gehört. Von dort ging es mit den Autos zu einer Finca in der Nähe, wo wir noch einmal zwei Wochen blieben. Sie sagten uns, daß uns wieder ein Laster abholen würde, aber die Leute verzweifelten wieder. Da wir nicht genug zu essen hatten, war es so, daß wir immer nur jeden zweiten Tag essen konnten. Deswegen gaben noch einmal 28 von uns auf und kehrten um. Wir waren noch jetzt noch 32, dazu noch zwei coyotes. Ich habe die Hoffnung nicht verloren, ich wollte weiter, und ich habe Gott um Hilfe gebeten.
Mit den 32 Leuten fuhr der Laster los, der endlich kam, um uns abzuholen. Nun konnten wir sehr bequem fahren, weil er sehr groß war und wir alle liegen und schlafen konnten. Wir stiegen gegen 2 Uhr nachts ein und beteten alle zu Gott, daß sie uns nicht wieder anhalten würden. Aber der Fahrer bezahlte alle Posten der migra, damit sie uns durchließen. Angeblich sind die mexikanischen Soldaten unbestechlich, sie wollen das Vaterland nicht verraten. Aber sie haben uns nie angehalten. Man mußte ihnen nur das Geld geben, und wir konnten weiterfahren.

Schock nach kurzem Glück

Gegen 8 Uhr morgens waren wir in Puebla. Dort waren wir zwei Tage lang in einem Hotel. Von dort ging es weiter, im Auto, im Bus oder im Taxi, nach D.F., der großen Stadt von Mexiko. Mit großer Neugier habe ich alles angeschaut in dieser großartigen Stadt, in der ich zum ersten Mal war. Gegen 8 Uhr abends haben sie uns zum Busbahnhof gebracht und zahlten den Bus nach Matamoros zur Grenze zu den Vereinigten Staaten. Ich war glücklich, weil ich noch nie soweit gekommen war.
Aber dann weiß ich nicht, was passierte. In meiner Gruppe waren wir zu siebt mit dem Führer in einem Auto unterwegs, als plötzlich ein Wagen der migra auftauchte – sie haben uns geschnappt. Wir mußten in ihr Auto einsteigen. Aber der coyote gab uns ein Zeichen, daß wir abhauen sollten, und das taten wir. Mein Rucksack verhakte sich im Auto und so rannten die anderen mich über den Haufen. Deswegen konnte mich die migra zunächst festhalten, mich und noch einen Jungen. Ich habe dem Polizisten gesagt: Laß mich los! Als er mich an der Schulter packte, verpaßte ich ihm einen Kinnhaken und riß mich mit aller Kraft los. Ich rannte, so schnell ich konnte, und sagte auch dem Jungen, daß er laufen sollte, was er auch tat. Ich erreichte den coyote und die anderen und wir versteckten uns hinter einem großen Wagen. Die Autos der migra fuhren auf der Straße vorbei. Ich betete, und mein Herz schlug, und ich betete mehrmals den 91. Psalm. Dann kam der coyote und nahm uns mit zu einem anderen Ort. Er sagte uns, wir sollten uns unauffällig verhalten. Dann kam der Führer, und wir fuhren im Bus und in der Metro. Gott sei Dank haben sie uns nicht noch einmal festgenommen.
Am anderen Tag trafen wir alle anderen wieder und fuhren mit einem Bus weiter. An jedem Posten der migra zahlten die coyotes. Um 5 Uhr morgens kamen wir in Matamoros an. Ich glaubte, zu träumen, dachte schon, US-auf amerikanischen Boden zu stehen. Aber wir waren noch lange nicht an unserem Ziel.

Endlich am Rio Bravo

Wir versteckten uns in einem Wald. Dann brachten sie uns mit einigen Autos in die Nähe des Rio Bravo. Abends um 8 Uhr gingen wir wieder los und begannen zu wandern. Um 1.30 Uhr waren wir am Fluß. Ich hatte Angst, weil ich nicht schwimmen kann und das Wasser tief war. Aber ein Mann hat mich hinübergebracht. Ganz schnell zogen wir uns die nassen Sachen aus und gingen weiter. Wir waren darauf eingestellt, daß wir rennen müßten, wenn es nötig wäre, aber Gott sei Dank war kein Grenzposten da. Wir konnten passieren. Nach 15 Minuten kamen wir zu einem Dorf. Nach kurzer Zeit kam ein Auto und nahm uns mit. Ich war eine der ersten, die einstieg. Die anderen mußten warten, sie wurden später abgeholt. Wir wurden zu einem Haus in Bronsville/Texas gebracht. Dort telefonierten wir mit denen, die auf uns warteten, denn wir waren ja schon in den USA. Der coyote bat nun um das Geld, das unsere Verwandten für unsere Reise bezahlen sollten. Sie haben das Geld geschickt. Weiter konnten wir aber noch nicht.

Im Land der Träume ist es bitterkalt

Ich hatte immer noch Angst, weil wir noch die Wüste La Quilena durchqueren mußten. Nach vierzehn Tagen Warten haben sie uns abgeholt, wieder mit dem Auto. Diesmal war es ein Auto von einem Unternehmen. Sie haben uns unter dem Werkzeug versteckt, damit niemand den Verdacht schöpfen könnte, daß das Auto Menschen transportierte. Es war für alle unbequem, einer lag auf dem anderen, und so fuhren wir im Glauben an Gott, daß alles gut ginge. Als wir an den Ort kamen, wo wir wieder zu Fuß gehen mußten, sind wir alle schnell vom Auto runter. Wir mußten über einen sehr hohen Zaun klettern und fingen wieder an zu wandern. Der Führer, der diese Wege kannte, ging voraus. Alles war voller Wasser. Weil es am Vortag Eis geregnet hatte, war das Wasser sehr kalt, so daß die Füße wehtaten.
Am frühen Morgen konnte ich nicht mehr. Ich glaube, daß meine Füße gefroren waren. Meine Hose hatte mir die Beine wundgeschürft. Ich war völlig erschöpft und müde. Wir alle konnten nicht mehr, aber wir wanderten, bis es hell wurde. Dann versteckten sie uns in einem Wald, wo wir den ganzen Tag blieben. Ich schlief fest. Als ich aufwachte, wollte ich aufstehen, aber ich konnte nicht. Ich spürte meine schweren Füße und mein ganzer Körper tat weh. Ich konnte meine Füße nicht bewegen. So blieb ich auf derselben Stelle liegen. Alle schliefen. Nach diesem Tag, den wir zum Ausruhen hatten, waren wir alle wieder bereit zum Weitergehen.
Als es dunkel war, brachen wir auf. In der Nacht wurde es wieder sehr kalt, und wieder war es kaum auszuhalten. Wir gingen über Sand und ich fiel weit zurück, weil ich nur mit Schwierigkeiten gehen konnte. Ich konnte nicht mehr. Die anderen gingen weiter. Dann aber wurden es immer mehr, die nicht mehr konnten. Ich habe Gott um Kraft gebeten und er hat sie mir gegeben. Ich hatte zwei Geschwulste an der Leiste, meine Knie taten weh und mit meinen Füßen war es noch schlimmer. Gegen 4 Uhr kamen wir an den Ort, wo auf uns gewartet wurde. Wir überquerten Straßen, und wir mußten rennen, und ich sagte dem coyote, daß ich nicht mehr konnte. Er nahm mich an der Hand und half mir beim Gehen. Wir mußten an einer Bahnlinie entlang laufen. Ich humpelte. Aber ich lief, und schließlich kamen wir an. Es kam mir vor, als ob es Jahre gedauert habe.
Um 5 Uhr morgens kam ein Auto, das uns abholte. Zu elft stiegen wir ein. Die anderen mußten auf das nächste warten. Es war unbequem, aber ich fühlte mich besser, weil wir nicht mehr wandern mußten. Nach zehn Minuten sagte der Fahrer plötzlich: Mein Gott, die Polizei ist hinter uns. Ich spürte mein Herz schlagen und hatte große Angst. Der Fahrer sagte: Betet, daß sie uns nicht anhalten. Ich würde nur schlecht laufen können, wenn es darauf ankäme und dachte, daß sie mich festnehmen würden, weil ich nicht mehr konnte. Ich betete, aber es war umsonst.
Nachdem die Polizei sechs Minuten hinter uns her gefahren war, machte sie die Warnlichter an. Der coyote sagte, daß wir alle herausspringen und laufen sollten. Ich war eine der ersten, die es wagte, aber beim Herausspringen stürzte ich. Ich stand schnell wieder auf und lief so schnell ich konnte. Als der Polizist Halt! rief, lief ich noch schneller. Der Führer lief voraus und wir folgten ihm. Wir liefen lange Zeit, dann versteckten wir uns. Aber vielleicht hat uns die Polizei nicht richtig verfolgt. Sie nahmen allerdings drei Frauen fest, die einfach nicht mehr laufen konnten. Dann ging der Führer mit dem coyote los, um nach einem Weg zu suchen. Sie sagten uns, sie wollten uns in der Nacht abholen.
Wir blieben also allein und hatten Angst, daß man uns finden würde. Aber Gott sei Dank kam den ganzen Tag niemand. In der Nacht kehrte der coyote zurück, um uns abzuholen. Weil es dunkel war, erinnerte er sich nicht an den Weg, aber dann kamen wir an einen Ort mit einem Haus, das nur noch aus Teilen der Wände bestand – alles alt und kaputt. Dort versteckten wir uns. Der Fahrer war noch nicht da, er kam erst, als es schon fast hell wurde. Wir stiegen ein und beteten zu Gott, daß uns nichts passieren möge, und so kamen wir zu einem Hotel in Corpus Christi.
Wir aßen, tranken Wasser und wuschen uns. Wir hatten uns seit fünf Tagen nicht geduscht. Ich genoß es und fühlte mich sehr gut nach der Dusche. Danach legten wir uns in ein großes Bett. Aber weil ich schon so viele Tage nicht mehr in einem Bett geschlafen hatte, kam es mir sehr unbequem vor. Als ich wieder aufwachte, spürte ich ich meinen Körper überall. Es war ein Gefühl, als ob Dutzende von Stockschlägen auf ihn geprasselt wären. Er war voller dunkler Flecke. Aber ich war glücklich, weil ich einen Teil der Gefahr hinter mir hatte. Wir blieben noch einen weiteren Tag an diesem Ort.

Ein letzter Schreck vor dem Ziel

In der Nacht fuhren wir mit dem gleichen Auto Richtung Houston/Texas. Das Auto war ständig kaputt, aber wir kamen an, und ich war sehr glücklich und dankte Gott. In Houston blieben wir zwei Tage. Am dritten Tag ging das Gerücht um, die Polizei wisse, daß wir in diesem Haus waren. Der Führer wollte uns deshalb zu einem anderen Ort bringen. Zuerst die Frauen, dann wollte er zurückkommen, um die Männer zu holen. Aber wegen des Gerüchtes, die Polizei komme, wollten sie nicht bleiben, und so sind die Männer auch eingestiegen, so daß wir elf Leute und der Fahrer waren. Nach kurzer Zeit machte das Auto ein sehr häßliches Geräusch. Es war völlig überladen, weil es nur für fünf Personen gebaut war. Das Auto fing nun auch an zu rauchen. Wir sprangen alle heraus und rannten. Ich habe nicht einmal zurückgeschaut. Man hörte schon eine Sirene. Der Fahrer versteckte uns in dem Garten eines Hauses in der Nähe. Dann ging er, um sich umzusehen, kam aber plötzlich zurück und rief: Wir müssen abhauen! Er bildete zwei Gruppen, zu jeder Seite eine. Wir sahen das Auto, das wir brennend zurückgelassen hatten, daneben Polizei und Feuerwehr. Wir kamen zu einer Tankstelle. Von dort holten sie uns ab und brachten uns zu einem Hotel, wo wir die Nacht über blieben. Am nächsten Morgen ging es zu einem, Haus, in dem wir dann fünf Tage waren. Dann kam ein Benz und brachte uns nach Nueva York. Das hat zwei Nächte und zwei Tage gedauert. Es war das erste Mal, daß ich die große Stadt Nueva York sehen konnte, von der ich so geträumt hatte. Und trotz der Alpträume, die ich durchgemacht habe, bin ich schließlich angekommen und habe meinen Freund getroffen, den Mann, den ich liebe.
Das war die große Geschichte, die ich erlebt habe, während der großen Reise. Ich bin stolz, daß ich erfolgreich gewesen bin, denn schließlich bin ich angekommen, am 22. Dezember 1997.

Übersetzung: Bernd Kappes

PS: Margarita wohnt nun zusammen mit ihrem Freund in New York bei der Familie dessen Patenonkels, der auch das Geld für den coyote vorgestreckt hatte. Sie putzt die Wohnungen reicher, weißer US-Amerikaner. Einen anderen Job könnte sie wegen ihres Status als Illegale auch gar nicht ausüben. Margarita ist zufrieden und betont, daß sie höchstens vier oder fünf Jahre mit ihrem Freund in den USA bleiben will. Dann soll es mit dem gesparten Geld nach El Salvador zurückgehen, um dort ein gutes Leben zu beginnen.
Die Theatergruppe des Weltladen Marburg hat den Text als Körpertheater inszeniert. Die Aufführung findet am 5. Juli, 17.00 Uhr, in der Waggon-Halle Marburg statt.

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