Mauss & Co.
Hintergründe eines gescheiterten Geschäftes
16. November 1996, kurz vor Mitternacht: Auf dem Flugplatz Rionegro bei Medellín möchten drei Deutsche eine privat gecharterte Maschine nach Cartagena besteigen. Doch ein Polizist der Anti-Entführungseinheit Gaula, die Mauss seit Tagen im Visier hatte, verständigt seinen Vorgesetzten, Oberst Santoyo. Dieser gibt Anweisung, die Deutschen bei der Paß- und Gepäckkontrolle hinzuhalten. Nach seiner Ankunft begrüßt Santoyo Brigitte Schöne, die Gattin eines ehemaligen BASF-Managers, die sich drei Monate lang in der Gewalt der Guerillagruppe ELN (Nationale Befreiungsarmee) befunden hatte. Dann läßt er Mauss und seine Frau Ida festnehmen.
Am folgenden Tag präsentiert der Gouverneur Antioquias, Alvaro Uribe Vélez, der Presse das Ehepaar Mauss samt dem beschlagnahmten Material: diverse Pässe und andere Ausweise, Kreditkarten, vier Handys, ein Satellitentelefon, ein Faxgerät, ein Anrufbeantworter, ein Laptop und schließlich eine Liste mit 80 “terroristischen Organisationen”. Uribe fuhr schweres Geschütz auf: Mauss stecke mit der ELN unter einer Decke, es sei sogar denkbar, daß er der Guerilla bei der Auswahl von Entführungsopfern helfe. General Rosso José Serrano, der Chef der kolumbianischen Polizei, bezeichnete Mauss gar als “Söldner” und “Mitglied eines internationalen Netzwerks von Terroristen”.
Am 3. Dezember klagte die Staatsanwaltschaft Werner und Ida Mauss wegen Beteiligung an einem “gravierenden Entführungsfall zur Gelderpressung”, “Planung einer Entführung” und “Gebrauchs falscher öffentlicher Dokumente” an.
Geschäfte mit Mannesmann und Siemens
Werner und Ida Mauss sollen von 1984 bis 1987 in Kolumbien gewohnt haben, just zu der Zeit, in der Mannesmann die Pipeline von Puerto Limón (Arauca) nach Coveñas an der Karibikküste baute. Mit unkonventionellen Methoden half Mauss dem Düsseldorfer Multi über lästige bürokratische Vorschriften hinweg, die beispielsweise vorschrieben, nicht mehr als 10 Prozent der 4.000 benötigten Fachkräfte dürften Deutsche sein. Also schleuste Mauss deutsche Mannesmann-Angestellte als Touristen ins Land und – mit 300 US-Dollar Bestechungsgeld pro Nase – wieder hinaus. Auch Maschinen, Röhren und Pumpen wurden mit Hilfe geschmierter Zollbeamter ins Land geschmuggelt. Schließlich löste er das Problem mit der ELN, die zu Beginn des Projekts zwei Ingenieure entführte und Anschläge auf den Bau verübte. Mauss organisierte die Zahlung von angeblich vier Millionen US-Dollar und weiteren Monatsraten à 200.000 US-Dollar an die Guerilla, um die Fertigstellung der Pipeline sicherzustellen. Diese Finanzspritzen trugen erheblich dazu bei, daß sich die ELN in jenen Jahren als zweitgrößtes Guerillaheer Kolumbiens konsolidieren konnte. Seitdem führt sie jährlich rund 40 Anschläge auf genau diese Pipeline durch, um – so die Rechtfertigung – eine Erdölpolitik im nationalen Interesse einzufordern.
1990 traten “Klaus und Michaela Möllner” als “besondere Delegierte für informelle Gespräche” für Siemens in Erscheinung, wie die Erlanger Zentrale dem damaligen Gouverneur Antioquias mitteilte. Siemens ist am deutsch-spanischen Konsortium Metromed beteiligt, das seit 1985 die Medelliner S-Bahn baut, ein äußerst kostspieliges und umstrittenes Projekt. Die Madrider Zeitung El Mundo behauptete Anfang dieses Jahres, Metromed habe allein an Bestechungsgeldern 45 Millionen US-Dollar verbraucht.
Mauss versprach seinerzeit dem kolumbianischen Vertragspartner Metro de Medellín, durch Intervention bei der Bundesregierung und Banken die Kosten um 600 Millionen US-Dollar zu senken, wenn er Forderungen von Metromed in Höhe von 150 Millionen US-Dollar anerkenne. Daraus wurde nichts, doch heute reklamiert Metromed immer noch 103 Millionen US-Dollar – Sachverwalter für das Konsortium ist in dieser Angelegenheit der Ex-Konsul in Berlin, Carlos Villamil.
Ein weiteres Siemensprojekt ist – vorläufig – geplatzt, und zwar die großangelegte Modernisierung des kolumbianischen Einwohnermelderegisters. Denn gerade an dem Tag, an dem Siemens als eindeutiger Favorit für den Zuschlag proklamiert wurde, kam ein bei Mauss gefundenes Schreiben ans Tageslicht, in dem ihn der Ex-Senator Eduardo Mestre um 50.000 US-Dollar für ein “gelungenes Geschäft” bittet; alles spricht dafür, daß damit der Vertrag mit der Meldebehörde gemeint war. Mestre, Villamil und Mauss kennen sich seit 1991.
Friedensengel Mauss
Villamil ist auch derjenige, auf den die Version vom “Friedensengel Mauss” zurückgeht. Danach stamme die Idee für Verhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der ELN, die unter der Ägide Helmut Kohls im Bonner Kanzleramt steigen sollten, vom deutschen Multiagenten. Zur Vorbereitung reiste Innenminister Horacio Serpa im Juli in offizieller Mission nach Deutschland, wo er im kitschigen Mauss-Schloß an der Mosel nächtigte, in Bonn mit Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer und in München mit Siemens-Chef Heinrich von Pierer zusammentraf.
Kernstück von Serpas fünfstündiger Verteidigungsrede vor dem Kongreß am 6. Dezember war denn auch sein farbiger Bericht von dieser Reise. Tief beeindruckt zeigte er sich vom Frankfurter Flughafen, von Mauss’ Mercedes mit vier Telefonen und Radaranlage sowie der Fahrt mit dem 550 Stundenkilometer schnellen Transrapid. Mit von Pierer habe er sich über Kolumbien unterhalten, über Fußball und – am Rande – über die Millionen-Reklamation an Metro de Medellin. Er habe den Siemens-Leuten allerdings versichert, dies liege außerhalb seiner Kompetenz. Bei den Gesprächen mit Schmidbauer sei es vor allem um die geplanten Friedensverhandlungen gegangen. Außerdem sollte die Bundesregierung gut Wetter bei Bill Clinton machen, der Tage zuvor dem kolumbianischen Präsidenten Ernesto Samper das Einreisevisum in die USA entzogen hatte.
Über Fußball geredet
Über diese Treffen gibt es ein sogenanntes “Nicht-Dokument”, das auf einem Protokoll von Ida Mauss basieren soll, sowie ein Villamil-Memorandum an Samper. In ersterem ist auch die Rede von Verhandlungen mit der Drogenmafia, doch will niemand dieses Thema aufgebracht haben. Die Bundesregierung behauptet, der Wunsch zu diesen informellen Kontakten sei von Kolumbien ausgegangen.
Zurecht wurde im kolumbianischen Kongreß auf die zweifelhafte Verknüpfung von Geschäftsinteressen und etwaigen Friedensgesprächen verwiesen. Serpa, Schmidbauer und auch das Agentenpärchen führen zu ihrer Verteidigung wortreich die “Friedensmission” an. Serpa – dessen Vetter Jorge mit dem Modernisierungsprojekt des Melderegisters betraut war – versicherte hoch und heilig, Mauss nur als Kontaktmann zum Kanzleramt zu kennen. In seine “unkonventionellen, humanitären Missionen” (Schmidbauer) als “Kommissionär der ELN” (kolumbianische Polizei) sei er nicht eingeweiht gewesen. Das Ende seiner Rede nutzte Serpa gar, um sich erstmals öffentlich als Präsidentschaftskandidat für 1998 ins Spiel zu bringen. Das Ergebnis – über 80 Prozent der Abgeordneten lehnten den Mißtrauensantrag gegen ihn ab – war ein politischer Triumph.
Geschickt hatten es Serpa und sein möglicher Rivale Uribe vermieden, sich gegeneinander ausspielen zu lassen. Innerhalb der dominierenden liberalen Partei sind sie die markantesten Vertreter des linken beziehungsweise rechten Flügels; die Mauss-Affäre nutzte Uribe endgültig, um sein Image als unbeirrter Saubermann gegen die Guerilla und ihre Helfershelfer zu festigen. Generalstaatsanwalt Alfonso Valdiviso, der ebenfalls als Präsidentschaftskandidat im Gespräch ist und in dessen Händen das Schicksal der beiden Deutschen nun liegt, sprach von einer “ernsten Gefährdung der nationalen Sicherheit.”
Die Stimmung im Lande bei dieser Frage geht in Richtung einer Politik der “harten Hand” im Sinne von Uribe und Valdivieso, zumal Mauss auch mit Waffenimporten für die ELN in Verbindung gebracht wurde. Daher scheint es durchaus denkbar, daß die Bundesregierung – die Mauss über die Botschaft nach Kräften unterstützt hatte und ihn jetzt loseisen möchte – zunächst einmal auf Granit beißt, jedenfalls, solange die Affäre in den Schlagzeilen bleibt. Andererseits dürften einflußreiche Politiker in beiden Ländern – allen voran Samper, Serpa und Schmidbauer – sehr daran interessiert sein, daß Mauss sein Wissen über die Schattenseiten der deutsch-kolumbianischen Beziehung für sich behält.