Kolumbien | Nummer 332 - Februar 2002

Müde des ewigen Krieges

Ziviler Widerstand von Indigenen könnte in Zukunft als Vorbild dienen

Dutzende von Massakern und Attacken fanden während der letzten Monate in der südkolumbianischen Provinz Cauca statt, die überwiegend von Indigenen bewohnt wird. Einige BewohnerInnen ergriffen nun die Initiative und gingen auf die Straße, um Attacken von Guerilla und Paramilitärs abzuwehren. Einzige Bewaffnung: Trommeln, Flöten und Lieder von Mercedes Sosa.

Tommy Ramm

Es soll noch kolumbianische Dörfer geben, die in den letzten Jahrzehnten nie einem Angriff bewaffneter Gruppen ausgesetzt waren. Andere verzeichnen in einem Jahr gleich mehrere, die meist zerstörte Kirchen, Agrarbanken, Polizeistationen und immer häufiger Wohnhäuser hinterlassen. Das Schema ähnelt sich fast immer: Die Guerilla stößt bis zum Dorfplatz vor, liefert sich Scharmützel mit der Polizei, wirft Bomben in Gebäude und zieht sich nach einigen Stunden wieder zurück. Paramilitärs suchen sich dagegen ihre Ziele in der Bevölkerung. Personen werden nach Namenslisten in ihren Häusern aufgesucht, verschleppt und massakriert, oder ganze Dörfer werden dem Erdboden gleich gemacht. Die BewohnerInnen verkriechen sich derweil unter ihren Betten und hoffen, den Angriff lebend zu überstehen. Das Resultat ist bei beiden bewaffneten Gruppen meist übereinstimmend. Halb zerstörte Ortschaften sowie Angst und Einschüchterung in der Bevölkerung.
Ein für die Angreifer unerwartetes Szenario ereignete sich jedoch am 12. November 2001 in dem Dorf Caldono in der Provinz Cauca, das überwiegend von Indigenen bewohnt ist. Während die FARC-Guerilla begann, sich Straße um Straße zur Polizeistation vorzuarbeiten, schnappte sich eine Hand voll Mutiger ein Megafon und Musikinstrumente, mit denen sie auf die Straße gingen. In wenigen Minuten versammelte sich das Dorf im strömenden Regen auf dem Hauptplatz, bildete einen Ring um die Polizeistation und forderte die Guerilla auf, ihren Willen auf ein Leben in Frieden zu respektieren und sich zurückzuziehen. Die versammelte Menge sang währenddessen Lieder von Mercedes Sosa. Die Guerilla stellte daraufhin das Feuer ein und verschwand in den Bergen.
Ein ähnlicher Fall fand zwei Tage zuvor im Nachbardorf Bolívar statt, das 2001 bereits drei Mal von der FARC attackiert wurde. Nach einem 15-stündigen Scharmützel hatten einige Bewohner die Nase voll, setzten sich in ein Auto und forderten die Bevölkerung per Megafon auf, aus ihren Häusern zu kommen und sich dem Angriff friedlich entgegenzustellen. Mit Erfolg. Auch dort musste sich die Guerilla verwirrt zurückziehen.
Dass man auch den Mut hat, den Paramilitärs die Stirn zu bieten, bewies das Dorf Corinto. Nach einem Massaker an 13 Bauern rief ein Vertreter des regionalen Indígena-Rats zu einem öffentlichen Protest gegen die paras auf und forderte ein entschiedenes Engagement der Bewohner gegen die rechten Milizen, wie es die Bewohner von Caldono und Bolívar gegen die Guerilla bewiesen hatten. So solle verhindert werden, dass diese beim nächsten Mal wieder in aller Ruhe Personen aus ihren Häusern holen und ermorden können.

Wiederbelebung des zivilen Widerstands

Offenbar entdecken indigene Gemeinden Kolumbiens eine Tradition wieder, die wegweisend sein kann, um eine zivile Friedensbewegung für ganz Kolumbien aufzubauen. Bereits in der Vergangenheit gab es unter den kolumbianischen Indigenen eine ausgeprägte Form, sich äußeren Einflüssen zu widersetzen. Angefangen bei den Spaniern, die sich bei ihren Eroberungszügen an einigen Indígena-Völkern erfolglos die Zähne ausgebissen haben, bis zu Gemeinden, die schon in den Achtzigern inmitten des Konflikts Mittel entworfen haben, sich bewaffneten Gruppen entgegenzustellen. In mehreren Regionen des Landes wurden „Friedenszonen“ ausgerufen, die jedoch nicht mehr respektiert werden. Die Cauca-Indigenen forderten die Guerilla und Paramilitärs auf, sich aus ihrem Gebiet fern zu halten und ihre Kultur und Tradition zu respektieren. Sie seien kein Teil des Konfliktes.
Dass diese Forderungen bis hin zu aktivem Handeln nun wiederbelebt wurden, liegt an der Zuspitzung der Auseinandersetzungen in den letzten Monaten. So haben allein durch Massaker und Morde im Jahre 2001 mindestens 1.090 Personen im Cauca den Tod gefunden. Laut dem Bürgermeister von Caldono hätten es die BewohnerInnen nun „satt gehabt“, immerzu Opfer der Auseinandersetzungen zu sein. Dabei sei der angewandte Protest auch ein Mittel gewesen, „den Gruppen zu zeigen, dass Stärke durch Zusammenhalt entsteht, nicht durch Waffen und Granaten.“
Eine Initialzündung für den neu entstandenen Protest markierte offenbar die Entführung von drei Deutschen Mitte letzten Jahres, die für die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) ein Drogensubstitutionsprojekt bei den Indigenen durchgeführt hatte. Nachdem die FARC die GTZler wegen „ungeklärter Machenschaften“ verschleppte, organisierten die Indigenen eine Demonstration von 6.000 Menschen, die deren Freilassung forderte. Viele machten sich auf, die Entführten in den anliegenden Bergen zu suchen.
Das Massaker der Paramilitärs in Corinto fand an Indígena-Vertretern statt, die noch im Mai des letzten Jahres einen Marsch gegen den verschärften Konflikt in ihrem Territorium organisierten. 42.000 Menschen machten sich damals auf den Weg bis nach Cali, wo sie Schutzmaßnahmen und ein entschiedenes Vorgehen gegen die rechten Milizen von der Regierung forderten. Der Mord der paras schüchterte sie nicht ein, sondern brachte die Gemeinden statt dessen dazu, ihre Rechte auf allen Seiten verstärkt einzufordern. Denn: „Es kann nicht sein, dass ein Massaker dem anderen folgt“, meinte Anatolio Quirá, Vertreter des Indigenenrats im Cauca (Cric). „Die Regierung unternimmt kaum etwas, um den Friedensprozess voranzubringen.“

Hilfe im Sinne des Plan Colombia

Der Friedensprozess mit der FARC-Guerilla steckte zu diesem Zeitpunkt abermals in einer Krise und Präsident Andrés Pastrana konnte sich die Zeit nehmen, der Region Mitte Dezember einen Besuch abzustatten, um sie für den „würdevollen Kampf für die Verteidigung der Autonomie und Kultur“ zu beglückwünschen. Im Gepäck hatte er ein Entwicklungspaket, das eine umfassende Elektrifizierung, 150 neue Häuser, asphaltierte Straßen und einen neuen Sportplatz beinhaltete. Des Weiteren sollten die BewohnerInnen in das „Familienprogramm in Aktion“ aufgenommen werden. Dieses wird finanziert aus dem Plan Colombia, genauso wie eine neue mobile Brigade der Armee ganz in der Nähe. Fernando Tapias, Kommandeur der kolumbianischen Streitkräfte und ebenfalls Besucher in der indigenen Widerstandsregion, kündigte eine Stationierung von 7.000 Soldaten bis März 2002 an.
Wahrscheinlich war das nicht die Antwort, die Quirá auf seine Forderungen für einen ernsthaften Friedensprozess erwartet hatte. Eine sinnvollere drückte der indigene Gouverneur im Cauca, Floro Tunubalá, nach dem Pastrana-Besuch aus. „Um den Frieden zu erreichen ist es notwendig, die Straflosigkeit, die Korruption und den Drogenanbau auszutilgen und eine wahrhafte politische Reform anzugehen. Das Geld des Plan Colombia muss dazu dienen, soziale Maßnahmen zu finanzieren, welche die Bauern und Indigenen davon überzeugen, nicht weiter Mohn, Koka und Marihuana anzubauen.“ In diesem Sinne hat sich bereits vor einigen Monaten eine südkolumbianische Initiative aus mehreren Gouverneuren entwickelt, die Alternativen für die Gelder des Plan Colombia vorschlägt. Der Großteil dient bisher ausschließlich zur militärischen Bekämpfung von Drogenfeldern. Hauptgeschädigte sind Indigene und Bauern in den südkolumbianischen Provinzen, deren Felder nach massiven Giftbesprühungen auf Jahre für den Ackerbau unbrauchbar sind.
Ein Analyst der regionalen Tageszeitung El País brachte den sich seit Monaten entwickelnden Widerstand im Cauca auf zwei wesentliche Punkte. Demnach hängt dieser einerseits von dem „langen Prozess der Schaffung einer realen Autonomie der indigenen Gemeinden mit ihren Traditionen, Gesetzen und Gewohnheiten ab“, der ihnen eine starke solidarische Gemeinschaft verschafft. Andererseits sei „eine Stärkung von Kommunen in Konfliktgebieten zu verzeichnen, die ihre eigenen Ziele mit kollektiven, direkten und pazifistischen Mitteln vertreten.“ Beide Punkte waren in der Entwicklung des kolumbianischen Konfliktes immer schwieriger zu realisieren. Ein Heer von mittlerweile über zwei Millionen internen Kriegsflüchtlingen macht es nahezu unmöglich, deren kulturelle Wurzeln wiederzubeleben. Organisierte Gemeinden wurden in der Vergangenheit immer öfter Ziele von Gräueltaten durch Paramilitärs, funktionierende Kommunen deshalb immer seltener. Erst eine aktive Unterstützung auf regionaler Ebene durch den indigenen Gouverneur ließ eine Wiederbelebung der Gemeinden im Cauca zu.

Muss Widerstand indigen sein?

Äußerst schwierig wird es jedoch, wenn man DurchschnittskolumbianerIn ist, alleingelassen in den Weiten der Selva lebt und zum Spielball machtpolitischer Interessen wird. Die BewohnerInnen des Dorfes Belén de los Andaquís in der Provinz Caquetá wollten sich ein Beispiel an der Widerstandsform der Indigenen nehmen und laufen nun Gefahr, Opfer ihrer regionalen Gegebenheiten und medialer Fehldarstellungen zu werden. Nachdem die FARC bereits zwei Mal im Jahr 2001 das Dorf attackierte, erklärte sie, dass sie entweder zu Weihnachten oder Neujahr wiederkommen werde, da sie im Caquetá weitgehend die inoffizielle Macht ausübt. Als Mauricio Arenas, Leiter des Dorfradios Radio Los Andaquís am Abend des 31. die Weihnachtskassette seines Senders wechseln wollte, hörte er entfernt Schüsse. Spontan entschied er sich, die BewohnerInnen über den Äther dazu aufzurufen, mit weißen Kleidern und Laken zum Dorfplatz zu gehen, um gegen eine neue Attacke zu protestieren. Nach einer Weile versammelten sich die BewohnerInnen tatsächlich und sangen die Nationalhymne. Zwar konnten sie die Guerilla nicht davon abhalten, drei Häuser zu zerstören, die mutmaßlichen Paramilitärs gehörten. Angekündigt gewesen war jedoch die Zerstörung von elf Gebäude. Gleichzeitig ist allerdings wegen ihrer Aktion nun die Angst vor Racheakten gewachsen.
Im Gegensatz zu den Indigenen im Cauca schützten die BewohnerInnen nicht die Polizeistation, sondern machten lediglich auf ihr „Recht auf ein friedliches Leben“ aufmerksam. In den Fernsehnachrichten wurde ihr Protest jedoch verzerrt und instrumentalisiert. Der größte Sender des Landes Caracol berichtete, die BewohnerInnen hätten sich schützend um die Polizeistation versammelt. Eine folgenreiche Lüge, wie ein Bewohner gegenüber LN berichtete: „Alle wissen, dass auf einer nahe gelegenen Finca 1.200 Paramilitärs ausgebildet werden und die Polizei Kontakte zu ihnen pflegt. Es gibt viele von den paras im Dorf. Nun glaubt die Guerilla, wir wollten diese beschützen. Das stimmt aber nicht.“
Die BewohnerInnen befürchten nun Vergeltungsaktionen. Im Dorf kursiert das Gerücht, die FARC hätte angekündigt, beim nächsten Mal auf Protestierende mit weißen Laken zu schießen.

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