“Musik ist keine universelle Sprache”
Interview mit Jocy de Oliveira
Wir wußten nicht einmal, daß es eine Opernszene in Brasilien gibt. Warum ist das hier in Europa nicht so bekannt?
Ich denke, daß das meiste, was aus Brasilien kommt, Pop oder andere eher kommerzielle Dinge sind. Und meistens, wenn die Regierung Dinge in die Welt schickt, denkt sie viel mehr in den stereotypen Bildern von Brasilien, die auch die Europäer im Kopf haben. Und das sind Karneval und Fußball – und das war`s. Sie kümmern sich viel zu wenig um die sehr verschiedenartige Kultur, die Brasilien hat. Ich meine die zeitgenössische Kunst, sicher auch Folklore und all` die Andenken an unsere Traditionen. Die Kultur ist sehr umfassend.
Was haben Sie außerhalb Brasiliens schon gemacht?
Ich trete schon seit 30 Jahren in Europa und im Ausland auf, lange Zeit aber in erster Linie als Pianistin. Und einige meiner Schallplatten wurden hier in Deutschland veröffentlicht, weil ich viele Jahre mit dem Einüben der Werke von Messiaen verbracht habe. Auch Neue Musik, wie beispielsweise Werke von Cage oder Stockhausen, habe ich sehr viel aufgeführt. Inzwischen habe ich auch sehr viel selbst komponiert.
Wen wollen sie mit Ihrer Musik erreichen?
Ich habe einige meiner Werke Open-Air gespielt, und da hatten wir wirklich ein riesiges Publikum, was sehr interessant ist, weil ich dann Werke wie dieses Leuten nahebringen kann, die sonst nicht unbedingt ins Theater gehen. Sie sind diese Art von Musik nicht gewöhnt, und es ist eine Herausforderung, ihre Reaktion zu bekommen.
Wollen sie dem Publikum eher klassische oder experimentelle Opern vorführen, oder steht der Inhalt im Vordergrund? Sie versuchen ja auch, die Kultur der Yanomami darzustellen.
Der erste Teil von “illud tempus”behandelt mehr mythische Texte, der zweite Teil befaßt sich mit weiblichen Träumen. Und dann habe ich auch ein paar Geschichten und Träume eingebaut, die sich auf die Yanomami beziehen, die alte Steinzeit-Kultur, die in Brasilien immer noch existiert. Im letzten Teil kommen zwei Märchen vor, die ich so erzähle, wie ich sie sehe…
…und die in Brasilien berühmt sind?
Nicht unbedingt. Die Wolfsfrau beispielsweise ist aus der mexikanischen Wüste. Ein anderes Märchen kann man mit kleinen Abwandlungen sowohl in Brasilien als auch in Nordamerika finden. Es ist manchmal unglaublich: In verschiedenen Kulturen werden sie zwar leicht unterschiedlich erzählt, aber diese berühmten Märchen sind immer wieder zu erkennen.
Steht die Rolle der Frau innerhalb der Gesellschaft und der Natur im Mittelpunkt des Werkes?
Ja, im Mittelpunkt steht die Frau, aber auf sehr verschiedene Arten und in einer sehr subtilen Weise, nicht ganz offensichtlich und nicht richtig linear oder erzählend. Meine Art zu erzählen ist sehr symbolisch. Es ist wichtig, das Publikum zu vielen unterschiedlichen Empfindungen und Eindrücken anzuregen, damit sie ihre eigenen Träume dazu entwickeln. Die Hauptsache ist, Symbole zu benutzen, um einen magischen Augenblick zu erzeugen, um diese ganzen Mythen, die irgendwie verloren gegangen sind, wiederzugewinnen.
Sehen sie sich selbst als eine brasilianische Künstlerin oder eher als eine experimentelle Weltkünstlerin?
Ich fühle mich nicht wirklich brasilianisch oder chinesisch oder japanisch oder was auch immer. Und ich denke, daß durch die Musik, die keine universelle Sprache ist…
Was meinen sie damit, daß die Musik keine universelle Sprache ist?
Sie ist es absolut nicht, denn wenn sie Beethovens Fünfte in Madras spielen würden, fänden es die Leute dort furchtbar. Sie würden es für etwas wirklich Exotisches, Fremdes halten. Sie sind es nicht gewöhnt.
Das wäre ein falsches Konzept. Aber der charismatische Effekt eines Stückes oder der magische Augenblick einer Aufführung – damit kann man wirklich Kulturen zusammenbringen. Das ist etwas, was ich gerne intensiver machen würde. Das habe ich in den USA viel mehr gemacht als in Europa: Beispielsweise nur mit dem Set-Designer und vielleicht zwei Schauspielern zu kommen, um dann mit Musikern und Schauspielern von dort zu arbeiten und die Möglichkeit eines Ideenaustausches zu haben, um dann ein gemeinsames Werk vorführen zu können.
Ich habe vier Stücke für das Fernsehen gemacht. Die einzige Bedingung, die ich stellte war, daß ich alles selber machen durfte, daß ich bei der ganzen Aufnahme beteiligt sein durfte und daß alles exakt gemacht wurde, ohne Cuts – genau so, wie ich es mir ausgedacht hatte.
Das ist also möglich?
Ja, das war möglich. Es war perfekt. Aber das war ein öffentlicher Sender. Mit einem kommerziellen Sender wäre es nicht möglich gewesen, sie würden es niemals machen.
Also können das Fernsehen und die Massenmedien ein Träger für Ihre Botschaft oder für Ihr Experiment sein?
Ja, ich habe Video und alle möglichen Arten von visuellen Möglichkeiten, wie Holographie und Laser genutzt und auch einige Stücke zur Unterhaltung gemacht. Ich denke, sie sind nur ein Medium. Es ist egal, was der Vermittler ist.