Musik | Nummer 303/304 - Sept./Okt. 1999

Musik nicht nur für die Füße

Interview mit dem Musiker Rubén Blades

Mit einem neuen Album (“Tiempos”) hat sich Rubén Blades nach dreijähriger Schaffenspause zurückgemeldet. Der Star aus Panama, der sich in den 70ern bei Fania Records in New York seine Sporen verdiente und später die Salsa mit politischen Inhalten revolutionierte, blieb als Schauspieler in Hollywood ein kleiner Stern und scheiterte 1994 als Präsidentschaftskandidat in seiner Heimat. Als Musiker ist Blades jedoch eine unangefochtene Größe – in New York ebenso wie in Lateinamerika. Mit neuartigen Klängen versucht er jetzt, sich aus dem Korsett der eigenen Salsero-Legende zu befreien. Im Juli trat Rubén Blades zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt wieder in Berlin auf. Vor dem Konzert sprachen die Lateinamerika Nachrichten mit ihm über Panama, politische Karrieren und seine Musik.

Harald Neuber, Claudius Prößer

Sie leben in New York. Weshalb haben Sie die Vereinigten Staaten als Ihren Hauptwohnsitz gewählt?

Es ist schwierig, einen Wohnsitz zu wählen, wenn einem die Arbeit als Musiker und als Schauspieler nicht erlaubt, dort zu leben, wo man möchte. Sie nötigt einen dazu, den Wohnsitz dahin zu verlegen, wo ein Job angeboten wird. Anfang dieses Jahres war ich in Panama, mußte dann aber nach New York zurückkehren. Dort sind die Leute, mit denen ich zusammenarbeite und die meine Tourneen planen. Trotzdem versuche ich schon seit einiger Zeit, eine entsprechende Infrastruktur auch in Panama aufzubauen. Bei dem Album „La rosa de los vientos“ 1996 habe ich damit begonnen, auch in Panama zu produzieren. Ich hoffe, das in Zukunft ausweiten und auf eine kontinuierlichere Basis stellen zu können. Das würde mir dann auch einen dauerhaften Aufenthalt in Panama ermöglichen. Zudem widme ich mich derzeit auch nicht der Politik, was ja ein weiteres wichtiges Argument wäre, in Panama zu leben. Ich lebe von der Kunst, und sie ermöglicht es mir, meinen sozialen Status aufrecht zu erhalten. Das ist keine Frage der Einstellung, sondern eine rein arbeitstechnische Verpflichtung: Man lebt, wo man die Möglichkeit hat, zu arbeiten.

Worin lag der Schwerpunkt Ihrer politischen Arbeit nach der Präsidentschaftskampagne im Jahr 1994?

Die erste und grundlegende Verpflichtung war, eine unabhängige Gegenstimme zu den traditionellen Gruppen zu schaffen, die die Politik in Panama ausnahmslos kontrollierten. Die Partei Papa Egoro löste sich jedoch 1999, nach gerade fünf Jahren, auf. Sie hat sich nicht weiterentwickelt und hatte auch nie wirklich die Möglichkeit dazu. Mein Fehler war es, nicht zu erkennen, daß ich mich als Vorsitzender der Partei die ganze Zeit in Panama hätte aufhalten müssen. Nach der Parteigründung ging ich davon aus, die Grundstrukturen seien geschaffen – die sollten sich dann weiter entwickeln. In einer politisch reifen und entwickelten Gesellschaft ist das eine Selbstverständlichkeit. Im Falle Panamas war es ein Fehler, davon auszugehen. Obwohl sich Panama als Demokratie versteht, ist die Vorstellung eines Caudillos in den Köpfen noch sehr stark verankert. Daß da jemand auftritt und sagt: „Ihr müßt Ideen folgen und nicht Personen“, das genügt eben nicht.

Ist Ihre politische Karriere damit beendet?

Wir werden sehen. Wie gesagt: Mich stört die Idee des Caudillos, dieses Konzept, einem politischen Führer zu folgen. Deswegen haben wir ja schließlich die bestehenden Probleme. Deswegen handelt die Masse der Menschen politisch derart verantwortungslos nach dem Motto: „Dieser oder jener wird uns schon retten“. Die Zukunft wird zeigen, in welchem Ausmaß und in welcher Situation ein erneuter Einstieg in die Politik wieder sinnvoll ist. Das muß dann keineswegs in einer Präsidentschaftskampagne sein. Ich kann auch in einer anderen Position mitwirken, in der es unter Umständen sinnvoller und effektiver ist. Ich will lediglich daran teilhaben, eine politische Antwort auf die herrschenden Verhältnisse zu geben. Und dafür muß ich nicht der Chef sein.

Kürzlich hat der Kommandant des Südkommandos der US-Armee verlauten lassen, daß die Vereinigten Staaten auch nach ihrem Rückzug aus Panama an ihrem „Interventionsrecht“ festhalten, sollte „der Kanal in Gefahr sein“. Wie werden sich die gegenseitigen Beziehungen entwickeln?

Das wichtigste an den diesjährigen Ereignissen ist für Panama nicht unbedingt der Abzug der US-Truppen, sondern die Wiedereingliederung eines Gebietes, in dem eine ausländische rechtssprechung galt, in das Staatsterritorium. Emotional oder moralisch betrachtet ist der Truppenabzug für Panama sicherlich ein Sieg. Dafür sind viele gestorben. Die vorherige Situation konnte aber auch zur Folge haben, daß ein Panameño in seinem eigenen Land nach fremden Gesetzen und in einer fremden Sprache verurteilt wurde. Mit den US-Soldaten verläßt also gleichzeitig die US-Rechtsprechung das Land.
Diese neue rechtliche Einheit des Landes ist das wirklich bedeutsame Ereignis. Wir alle wissen, daß die Kanalverträge 1977 von den Präsidenten Torrijos und Jimmy Carter erst unterzeichnet wurden, nachdem eine Klausel eingefügt wurde, nach der die USA sich das Recht vorbehalten, in Panama zu intervenieren, sobald sie der Meinung sind, daß das Funktionieren des Kanals gefährdet sei. Insofern ist das alles eigentlich keine Neuigkeit. Denn mit oder ohne Vertrag besitzen wir nicht die Kraft, eine militärische Aktion der USA zu verhindern. Das wußten alle, als der Vertrag ausgehandelt wurde. Jetzt ziehen sich die USA zurück, wir haben die Rechtsprechung in der Kanalzone zurückerhalten, aber es ist ganz klar: Wenn sie wollen, schicken sie uns ihre Truppen wieder, wie 1989. [1989 rückten die USA militärisch in Panama ein und brachten Manuel Noriega in ein US-Gefängnis; d.Red.]

Glauben Sie, daß die Musik – insbesondere Ihre Musik – noch ein geeignetes Medium ist, um politische Inhalte zu transportieren?

Ich glaube schon. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang auf etwas hinweisen: Ich will mein politisches Engagement jenseits allen ideologischen Drucks verstanden wissen. Ich finde es wichtig, meine Musik so zu definieren. Denn die Vorstellung eines „politischen Liedes“, das Ausdruck einer Ideologie ist, ist für mich gleichbedeutend mit dem Tod der Kunst. Ich habe zum Beispiel ein Problem mit Kuba – und der Kunst. Wenn Du auf Kuba künstlerisch tätig bist, und das nicht im Rahmen der Revolution, dann hast Du ein Problem mit der Regierung am Hals. Sicher: Das exzellente Bildungsniveau ist eine der größten Errungenschaften der kubanischen Revolution. Aber was hast Du von einer Bildung, die Dir nicht erlaubt, frei zu denken? Alles muß sich im vorgegebenen Rahmen der Revolution bewegen. Was ich male, was ich singe, was ich schreibe, alles findet in einem winzigen vorgegebenen Spielraum statt. In diesem Sinne sehe ich auch keine Unterschiede zu einer Diktatur wie der von Pinochet: Wer die von einer Diktatur gesetzten Grenzen überschreitet, geht unter. Völlig gleichgültig, ob es die rechte oder die linke Faust ist, die Dich trifft.

Aber trotzdem sind Ihre Texte politisch gewesen.

Wenn „politisches Lied“ eine Musik bezeichnet, die eine bestimmte Ideologie unterstützt, dann ist das nicht mein Ding. Für mich ist der kritische Geist im künstlerischen Schaffensprozeß ausschlaggebend. Daß meine Lieder einen politischen Inhalt haben, ist eine andere Sache, denn das Politische in ihnen ist nur der Ausdruck dessen, was ich auf der Straße beobachte. Ein Lied, das in unserem modernen urbanen Kontext entsteht und nicht auf politische Themen eingeht, kann es eigentlich gar nicht geben. Ich könnte so etwas jedenfalls nicht schreiben. Aber nur weil Du ein Lied machst, das notwendigerweise politische Elemente enthält, wird daraus noch lange kein ideologisches Lied. Wenn man mich also mit Pablo Milanés oder Silvio Rodríguez in einen Topf wirft, sage ich: Einen Moment! So leicht lasse ich mich nicht in eine bestimmte Richtung einordnen. Natürlich macht Pablo gute Musik, Silvios Musik finde ich ausgezeichnet. Und daß man mich mit ihnen vergleicht, freut mich ungemein. Aber da hören die Gemeinsamkeiten auf. Denn ich verteidige kein Regime, und ich will nicht mit einer bestimmten politischen Tendenz identifiziert werden. Kritisch will ich sein, das ist klar. Wir brauchen eine Musik, die politische Realitäten anspricht, die unangenehme, die widerliche Dinge thematisiert. Wie das Lied „Sicarios“ (Auftragskiller) auf meinem neuen Album „Tiempos“. Ein sehr hartes, problematisches Lied. Aber das Böse muß in der Musik auftauchen, und zwar ganz ungeschminkt, so häßlich wie möglich, ganz im Brechtschen Sinne, stimmt’s? Ich will, daß das Publikum in meinen Konzerten diese ganze Scheiße erlebt, von der ich ihnen in meinen Liedern erzähle. Und wenn sie rauskommen, sollen sie darüber nachdenken, sie sollen wütend sein, sollen erregt sein und darüber streiten.
Der große Widerspruch besteht übrigens auch in der Musik zwischen Kunst und Kommerz. Es war genau dieser Widerspruch, der mich zur Musik brachte. Denn als ich im Jahr 1967 „Pablo Pueblo“ schrieb, hatte ich kein Geld. Ich lebte in einem Arbeiterviertel, mit meinen Eltern, meinen Geschwistern. Ich schreibe das Lied, es wird ein großer Erfolg, und ich bekomme dafür plötzlich mehr Geld, als mein Vater oder meine Mutter oder irgendjemand sonst im Viertel jemals verdient hatten. Auf einmal hatte ich keine finanziellen Sorgen mehr, und das, weil ich „Pablo Pueblo“ [ein Song, der den Alltag eines armen Arbeiters schildert; d. Red.] geschrieben hatte. Das ist doch paradox: Mir ging es mit einem Mal gut, aber den Leuten ging es genauso schlecht wie immer.

Sie erwähnten ihre neue CD „Tiempos“, auf der Sie mit einer neuen Gruppe zusammen spielen. Was hat sich geändert?

Ich habe mit einer costaricanischen Gruppe zusammengearbeitet, „Editus“, eine junge, ausgezeichnete Gruppe. Das sind Musiker mit einer klassischen Ausbildung, die ursprünglich im Symphonieorchester von Costa Rica gespielt haben. Trotz dieser musikalischen Prägung im klassischen europäischen Sinne haben sie aber ebenso ein Faible für die Musik der Karibik, die Musik Mittel- und Südamerikas. Mit dem neuen Album habe ich versucht, ein bißchen aus der ausschließlichen Verwendung afrokubanischer Elemente auszubrechen und andere – insbesondere aus der mittel- und südamerikanischen Musiktradition – zu entwickeln. Damit ziele ich auf eine universellere Musik ab, allerdings mit einer eindeutig lateinamerikanischen Prägung.
Ich glaube, es gibt einen bedeutenden Austausch zwischen der europäischen und der amerikanischen Musik, es gab eben nicht nur den afrikanischen Einfluß. Zum Beispiel wurde ja die Musik in den Vereinigten Staaten immer wieder von den deutschen Einwanderern beeinflußt – Polkas, Walzer, all das – ,die sich dann mit irischen und sonstigen Musikstilen verschmolzen haben. Das Akkordeon, das in der Tex-Mex-Musik, in der Cumbia gespielt wird, ist ja kein amerikanisches, sondern ein europäisches Instrument. Die Deutschen sind für ihre Akkordeonmusik berühmt, wenn ich mich nicht irre. Die Gitarre wurde von den Arabern auf die iberische Halbinsel gebracht, und mit den Spaniern gelangte sie dann nach Lateinamerika. Es gibt da also eine Kommunikation, eine Art musikalisches Netzwerk. Wir haben diese Vernetzung wenig wahrgenommen, weil wir nur auf die Hautfarbe derer sehen, die die Musik spielen. Wir schauen nicht auf den Geist, mit dem sie sie spielen. Auf diese Zusammenhänge will ich hinweisen. Und in unserem nächsten Album werden wir das noch weiter vorantreiben. So Gott will werde ich dann mit ein paar Musikern zusammenarbeiten, die Tex-Mex spielen, Akkordeon, und das zusammen mit Editus. Es wird aber genauso Salsa-Elemente beinhalten oder arabische Musik. In dieser Verbindung wird sich eine Familie präsentieren, die schon seit langer Zeit bekannt ist, aber die nie gemeinsam auf der Bühne gestanden hat. Das vorliegende Album ist ein Schritt in diese Richtung.
Die alten Pfade müssen verlassen werden?
Auf jeden Fall, darin liegt die Zukunft. Was ist denn im Norden mit der Rockmusik los? Nichts. Der lateinamerikanische Rock dagegen ist heute interessanter denn je. Das sind junge Leute, die Rock spielen, aber sie machen nicht den Rock der Unterentwicklung, sagen wir, eine Kopie der Rolling Stones. Sie haben nämlich begriffen, daß niemand die Stones auf Spanisch hören will. Die sind im Original besser. Diese jungen Musiker schaffen also etwas Neues, und die Stones hören sich das an und sagen „Hey, that’s great!“. Und ich will auch nicht immer das Gleiche machen. Außerdem käme ich mir sehr lächerlich vor, würde ich bestimmte Dinge kopieren, die gerade Mode sind. Im Moment hört alle Welt kubanische Musik. Aber wozu sollte ich jetzt auch kubanische Musik machen? Klar, ich mache Musik mit afrokubanischen Einflüssen. Aber mich reizt auch die Musik des Südens, da gibt es wunderschöne Sachen. Die Chacareras mit bombo legüero und cajas peruanas – toll!

Befürchten Sie nicht, daß ein Teil Ihres Publikums enttäuscht die Konzerte verläßt, weil sie mit Rubén Blades immer nur Salsa verbinden und das auch weiter hören wollen?

Nein, darüber mache ich mir keine Gedanken, da würde ich ja verrückt werden. Du kannst nie alle zufrieden stellen. Wenn 100 Leute ein Autogramm von mir wollen, und ich gebe 50, dann hält mich die eine Hälfte für einen prima Typen und die andere für ein Arschloch. Daran führt kein Weg vorbei. Was die Musik betrifft, habe ich 15 Platten veröffentlicht, die jeder hören kann. Sicher gibt es Leute, die hören das erste Lied und bekommen schon zuviel. Leute, die nur Musik für die Schuhsohle hören wollen, zum Abtanzen. Dennoch kommen auf jeden Salsa-Fan, der meinen Konzerten fernbleibt, drei Leute, die nichts mit Salsa am Hut haben und sagen „Hoppla, was ist das denn?“. Und vielleicht entdecken sie etwas Neues.

Aktuelle CD: Rubén Blades, “Tiempos”, Sony Music, 1999

KASTEN:
Sicarios – Auftragskiller

Vorsicht, denn wer mit dem Motorrad fährt,
wird von keinem Auto respektiert,
und die Busse? Schweigen wir davon!
Immer mit der Ruhe, denn wenn die Stunde kommt
und du nicht die Kontrolle verlierst,
werden sie uns nicht kriegen.
Reg dich ab und konzentrier dich.
Es ist zu spät, um zurückzuweichen.
Man tut, was getan werden muß,
wenn es nichts mehr zu sagen gibt.
Erinnere dich, die Farbe des Autos ist weiß,
europäisch und ganz neu, mit offiziellem
Nummernschild.
Es sind fünf, drei hinten, zwei vorne;
unser Mann ist auf dem Foto,
das ich dir eben gezeigt habe.
Fahr an die Seite vom Chauffeur
und denk nicht daran, was passieren wird.
Wir haben keine Zeit zu verlieren:
hau ab, wenn du mich schießen hörst.
Heute wird sich das Leben ändern.
Heute wird sich sein Leben ändern.
Heute wird sich mein Leben ändern.
Ich weiß nicht, ob der Typ gut ist, oder schlecht;
ich weiß nur, daß er diesmal der Verlierer ist.
Im Himmel ist Gott allmächtig;
auf der Erde der Befehl des Kartells.
Ich hoffe, daß das Maschinengewehr
nicht wieder schlappmacht
wie beim Training gestern.
Später, wenn ich für die Arbeit kassiert habe,
lade ich dich auf einen Drink ein,
lehne das ja nicht ab.
Ich fühle für ihn kein Mitleid.
Niemals im Leben hat er etwas für mich getan.
Wenn die Entscheidung zwischen ihm und mir ist,
wird es mir nicht wehtun, ihn sterben zu sehen.
Heute wird sich das Leben ändern.
Heute wird sich dein Leben ändern.
Heute wird sich mein Leben ändern

Rubén Blade

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