Bolivien | Nummer 379 - Januar 2006

Nach dem Chaos ist vor dem Chaos

Auch nach den Wahlen bleibt die politische Zukunft Boliviens ungewiss

Nach den unruhigen politischen Verhältnissen der letzten Jahre garantiert auch der jüngste Urnengang vom 18. Dezember 2005 keine Besserung. Zu unterschiedlich sind die Positionen der Parteien und Interessengruppen. Auch ist unklar, zu welchen Konstellationen es bei der wohl notwendigen Stichwahl um das Präsidentenamt kommen wird und wie sich das Militär verhält.

Manfred Kratz/LN

Selbst wenn die Ergebnisse von den Wahlen am 18. Dezember bei Redaktionsschluss bereits vorgelegen hätten, wäre ihre Bedeutung für die politische Situation Boliviens ungewiss. Im Wahlkampf dominierten die MAS (Bewegung zum Sozialismus), die die Nationalisierung der Ressourcen anstrebt, und die neoliberale PODEMOS (Demokratische und Soziale Kraft). Dennoch ist unklar, inwiefern es sich bei den jeweiligen Kampagnen nur um ideologische Rhetorik handelte. Die UN (Nationale Einheit) beließ es hingegen gleich bei Andeutungen. Hinzu kamen reine Ein-Punkt-Parteien und VertreterInnen von regionalen oder ethnischen Interessen. Die Indigene Bewegung Pachakuti des Präsidentschaftskandidaten Felipe Quispe fordert beispielsweise die Wiederherstellung des Kollasuyo, dem Kernland des Inka-Imperiums, und die Ausweisung aller Weißen.
Bei den Wahlen wurde nicht nur der Präsident und sein Vize in direkter Wahl neu bestimmt, sondern auch die Abgeordneten der beiden Kammern des Nationalkongresses. Erstmalig durften die BolivianerInnen außerdem die PräfektInnen wählen, die bislang vom Präsidenten der Republik ernannt wurden. Diese stehen an der Spitze der Verwaltung der einzelnen Departments.
Die Vorgeschichte dieser vorgezogenen Wahlen beginnt im Oktober 2003. Damals musste Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada zurücktreten, nachdem er die brutale Niederschlagung sozialer Proteste angeordnet hatte. Ihm folgte im Amt der damalige Vizepräsident Carlos Mesa Gisbert, der auf Grund des wachsenden öffentlichen Widerstands gegen die Politik seiner Regierung im Juni 2005 sein Amt aufgab. Seitdem führt als Interimspräsident der bisherige Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Eduardo Rodríguez Veltzé, die Geschäfte. Dieser hatte ursprünglich zu Wahlen am 4. Dezember aufgerufen. Sie mussten aber verschoben werden, weil Einsprüche gegen die Verteilung der Sitze in der Abgeordnetenkammer erhoben wurden. Diese Frage kann auch nach der Wahl noch zu rechtlichen Auseinandersetzungen führen, die die Gültigkeit der Wahlen in Frage stellen.
Gute Aussichten auf das Präsidentenamt hatten Jorge „Tuto“ Quiroga von PODEMOS und Jorge Doria Medina von der UN. Nach den letzten Umfragen führte jedoch der Kandidat der MAS, Juan Evo Morales, mit mehr als fünf Prozent Vorsprung. Bei dieser Konstellationen ist eine nachfolgende Stichwahl im Kongress zwischen den Kandidaten mit der relativen Mehrheit wahrscheinlich. Für Aufregung sorgte zuletzt das Militär. Zeitungsmeldungen zufolge hatte der Oberkommandierende des bolivianischen Militärs den Kongress aufgefordert, den Kandidaten zu bestätigen, der im ersten Wahlgang die – wenn auch nur relative – Mehrheit habe. Dies wäre vermutlich Morales. Rechte PolitikerInnen befürchten daher eine politische Rolle des Militärs nach dem Muster Venezuelas.
Der Ausgang der Wahlen war zu Redaktionsschluss kaum voraussehbar. Egal jedoch, wer letztlich Präsident wird, die Frage ist, wie lange er es bleibt

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