Neue Frente – alte Contra
Zunächst erinnerten die Äußerungen von einigen FSLN-Comandantes, die in verschiedenen Interviews mit der BARRICADA ihre Meinung zum Demokratisierungsprozeß der Frente kundtaten, an die Nationalleitungs-Astrologie, mit der schon seit Jahren BerichterstatterInnen versucht hatten, Unterschiede und Konfliktlinien innerhalb der sandinistischen Führung herauszubekommen, indem zwischen den Zeilen die Wahrheiten vermutet wurden. Und auch in den vergangenen Monaten fiel es schwer, aus den durchaus unterschiedlich nuancierten Stellungnahmen von Bayardo Arce, Victor Tirado und Tomas Borge eine neue Linie herauszufinden. Einig waren sich alle darin, daß es einen Erneuerungsprozeß geben müsse, daß vor allem hierarchische Strukturen innerhalb der Frente und undemokratische Entscheidungsprozesse abgebaut werden müßten. Plötzlich bezichtigte sich die Frente selbst – sicher auch angesichts der großen Zahl der nach der Wahlniederlage als solche zu identifizierenden OpportunistInnen in ihren Reihen – als eine Organisation mit vertikalen Strukturen, in der die Entscheidungen von oben nach unten gefällt wurden und für langwierige Überzeugungsarbeit kein Raum war, als verbürokratisierte Mammutorganisation, die auch von Korruption nicht frei war. Die erste Entscheidung, die als Konsequenz aus dieser Einschätzung gefällt wurde, war die Öffnung zur “Massenpartei”, das heißt, die Abschaffung der politischen Bewährungsprobe für Eintrittswillige. Begründung: Wer in diesen Zeiten Mitglied der Frente werden will, tut dies nicht aus Karriere-Gründen.
Problematisch war in dieser Phase der Diskussion, daß die Tagesaktualitäten, die Contra-Entwaffnung, die Abschaffung revolutionärer Errungenschaften und die außenpolitische Isolation der Frente einen sofortigen Handlungsbedarf erzeugten, der mit einer längerfristigen Diskussion über Programmatik und Strukturen der Partei nicht in Einklang zu bringen schien. Gleichzeitig war aber innerhalb der Basis der FSLN ein Prozeß der Kritik an Führung und Strukturen bereits in Gang gesetzt, den abzublocken einem politischen Selbstmord der Leitungsebene gleichgekommen wäre. So kam es vorrangig darauf an, die Diskussion – die die Gefahr der Spaltung beinhaltete – in strukturierte und produktive Bahnen zu lenken. So fanden auf allen kommunalen Ebenen bereits Neuwahlen der Leitungsgremien statt, die mit einer kritischen Auswertung der Arbeit der letzten Jahre verbunden waren. Für die Strukturdebatte auf nationaler Ebene wurde ein konkreter Zeitplan erarbeitet. Erster Kulminationspunkt dieser Debatte war eine sandinistische Delegiertenversammlung Mitte Juni, auf der beschlossen wurde, die geplante erstmalige Neuwahl der Nationalleitung auf dem Parteitag – auch dem ersten – im Februar 1991 durchzuführen.
Innerhalb der FSLN gab es eine heftige Auseinandersetzungen zwischen den als solchen beschimpften “pactistas” und den “radikal linken” Positionen. Anlaß waren Einzelaktionen der Nationalleitung: beschwichtigende Haltung beim ersten Streik der Staatsangestellten Anfang Mai, geplanter Eintritt in die Sozialistische Internationale, Politik der Kooperation mit der UNO-Regierung, bzw. dem als “moderat” eingeschätzten Teil der UNO um Violeta Chamorro. Es setzte sich eine Kompromiß-Position durch, die klar formuliert, daß es in der derzeitigen Situation überhaupt keinen Grund gibt, mit der UNO-Regierung zu paktieren und damit eine Mitverantwortung für die sich ständig verschlechternden Lebensbedingungen zu übernehmen, sondern daß es vielmehr darauf ankomme, den Charakter der UNO-Politik deutlich zu machen und in der Verteidigung der sozialen Rechte der Bevölkerung auch gerade diejenigen zu erreichen und wiederzugewinnen, die am 25.Februar in Erwartung einer schnellen Lösung der wirtschaftlichen Misere des Landes der UNO ihre Stimme gegeben hatten. Das bedeutet eine fundamentale Opposition zum Politik-Modell der UNO und insbesondere der rechtsextremen Kräfte, die durch die Godoy-Gruppe und die aus Miami zurückkehrenden somozistischen Unternehmer repräsentiert werden. Über die Formen aber, wie diese fundamentale Opposition auszusehen hätte, wurde durchaus kontrovers diskutiert, wobei die Transformation der FSLN von einem “Ministerium für Mobilisierung” in eine politische Partei, die Überzeugungsarbeit zu leisten hat, im Mittelpunkt steht. Auf der parlamentarischen Ebene wird es, um der FSLN Spielräume der politischen Betätigung zu erhalten, Kompromisse geben müssen. Es wurde auch formuliert, daß es nicht das Ziel der FSLN ist, derzeit und so schnell wie möglich einen Sturz der Chamorro-Regierung herbeizuführen, sondern daß zunächst die politische Hegemonie zumindest in einer Mehrheit der Bevölkerung zurückerkämpft werden müsse. Was hätte die Frente auch anzubieten, würde die Regierung jetzt wieder an sie übergehen? (Selbst wenn das in einem friedlichen Szenario derzeit kaum denkbar erscheint.)
Dennoch, die Position der FSLN im jüngsten Generalstreik Anfang Juli verdeutlicht die neue Haltung. Zunächst erklärte die Frente ihre unbedingte Unterstützung der Streikenden und ihrer Forderungen und rief die sandinistische Basis auf, sich in die Reihen der FNT (Nationale ArbeiterInnenfront) einzugliedern (s.Erklärung vom 3.7.). Als die Situation unkontrollierbar erschien und in Managua eine Aufstandsstimmung wie 1979 registriert wurde, versuchte die FSLN erneut zu schlichten und beruhigend einzuwirken.
Der Antrag auf Eintritt als Vollmitglied in die Sozialistische Internationale, den die Nationalleitung der FSLN ohne breite Diskussion gestellt hatte, wurde zurückgezogen, eine Entscheidung darüber soll auf dem Parteitag im Februar gefällt werden.
Wenn der bisherige Prozeß der Diskussion innerhalb der Frente bewertet werden soll, dann sind zwei gegenläufige Tendenzen zu erkennen: Auf der einen Seite eine starke Kritik von Seiten der Basis an den hierarchischen Strukturen, die sich in der Abwahl von Leitungsmitgliedern und radikalen Forderungen zur Umgestaltung der Frente äußert; auf der anderen Seite eine Basis, die in der Zeit der “Orientierungslosigkeit” nach der Wahl, als es keine klaren Anweisungen von oben gab, zeitweise paralysiert schien und kaum handlungsfähig war. Neuer Anspruch und alte Verhaltensmuster werden sicherlich noch über den Parteitag im Februar hinaus die Realität der FSLN bestimmen.
Entwicklungszonen für die Contra – Entwaffnung eine Farce
Alle demonstrierten sie Optimismus: die Presse, die UNO-Regierung, Kardinal Obando y Bravo, der für die Contras eine Messe hielt und nicht zuletzt die SandinistInnen, die durch die scheinbar abgeschlossenen Entwaffnung der Contra ein strategisches Ziel erreicht sahen, auch wenn sie das die Regierung gekostet hatte. Die Contra-Verbände gaben in pressewirksam inszenierten Aktionen ihre Waffen an die Soldaten der UN-Truppen ab, die diese dann – ebenso pressewirksam – unmittelbar mit Schneidbrennern zerstörten. Daß noch Waffen in der Gegend um Chontales in der fünften Region versteckt waren, daran zweifelte niemand, doch schien der Moment gekommen, da die Contra als geschlossener militärischer Verband aufgehört hatte zu existieren.
Dies zu verhindern, war das von der Contra-Führung verfolgte Ziel bei Aushandlung der sogenannten “Entwicklungszonen”, Zonen also, in denen sich die Contras mit der finanziellen Ausstattung der USA für ihre “Reintegration” ansiedeln konnten, um zum zivilen Leben zurückzukehren, aber gleichzeitig in den bestehenden Verbänden zusammenzubleiben und insofern jederzeit bei intakt bleibender Befehlsstruktur wieder einsatzfähig zu sein. Große Worte waren mit der “Demobilisierungsfeier” verbunden, die von der internationalen Presse verfolgt wurde. Da sprach Israel Galeano, alias Comandante Franklyn, von einem “Nicaragua ohne Waffen und Soldaten”, von der friedlichen Zukunft, die das Land erwarte, jetzt, da es demokratisch geworden sei.
Die Ernüchterung für alle Zweck-OptimistInnen kam in den Tagen des Generalstreiks Anfang bis Mitte Juli, als sich plötzlich bewaffnete Regierungsanhänger mit sandinistischen Streikenden in Managua Feuergefechte lieferten, bei denen es sechs Tote und über dreißig Verletzte gab. Woher mögen die Waffen wohl gekommen sein, die plötzlich in Managua auftauchten? Die ersten Meldungen, nach denen die Contra in der explosiven Situation des Generalstreikes wieder voll einsatzfähig sei, mögen übertrieben gewesen sein, doch wurde die Gefahr für alle Welt sichtbar, die aus der laxen und nur unzureichend kontrollierten Entwaffnung der Contra für den Ablauf der sozialen Konflikte erwächst, die in Nicaragua sicher erst am Anfang stehen.
Dabei war die Einrichtung der Entwicklungszonen zunächst ein Zugeständnis an die Contra gewesen, daß auch von sandinistischer Seite aus als relativ ungefährlich eingeschätzt worden war. Die hiesigen Meldungen, daß der Contra ein Territorium zur freien Verfügung gestellt worden sei, das einem Sechstel des Landes entspreche, beruhen auf einem Mißverständnis, wie der ehemalige Bürgermeister von Managua, Carlos Carrión bei einem Besuch in West-Berlin klarstellte: Innerhalb dieses Territoriums können einzelne Gebiete zur Ansiedlung ausgewählt werden, vorrangig in bislang unbewohntem Gebiet, wo dann neue Infrastruktur erstellt wird. Um die genauen Orte werden allerdings noch heftige Konflikte geführt, z.B. wehrten sich die BewohnerInnen von San Juan del Sur, einer Gemeinde innerhalb des für die Contra-Ansiedlung vorgesehenen Gebietes, gegen die Schaffung von Ansiedlungszonen in ihrem Einzugsgebiet. Diese Gemeinde ist eine der wenigen, die noch von der FSLN regiert werden, aber nicht nur dort regt sich Widerstand. Auch in den Autonomen Regionalparlamenten der Atlantikküste, wo die bislang ebenfalls bewaffnet gegen die sandinistische Regierung kämpfende Indianer-Organisation YATAMA über eine Stimmenmehrheit verfügt, stimmten YATAMA und FSLN gemeinsam gegen eine Ansiedlung von Contras auf dem Gebiet der Autonomen Region.
Die Frage der eigenen Polizei, die die Contra unterhalten soll, wird von sandinistischer Seite aus eher gelassen gesehen. Es handele sich um eine Polizei, die lediglich normale Ordnungsaufgaben in diesen Gebieten übernehmen solle und zudem unter dem Oberbefehl der nationalen Sandinistischen Polizei stehe. Diese Lösung sei besser, als wenn bei normalen kriminellen Handlungen die für die Contras nicht zu akzeptierende Sandinistische Polizei oder gar das Heer einschreiten müsse.