Nicaragua | Nummer 194/195 - Juli/August 1990

Neue Frente – alte Contra

Vier Monate nach ihrer Wahlniederlage, nach einer Zeit von heftigen Diskussio­nen in allen Schattierungen und in einer Zeit der sich verschärfenden wirtschaftli­chen, sozialen und politischen Situation, hat der Erneue­rungsprozeß der FSLN einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Auf der sandinistischen Parteiver­sammlung Mitte Juni wurde eine Strategie der FSLN bechlossen, die die Frente wieder in die politische Offensive brin­gen soll. Langfristige programmatische Dis­kussionen werden auf dem ersten sandinistischen Parteitag im Fe­bruar 1991 ge­führt werden.
Doch die FSLN hat auch kaum Zeit, in Ruhe einen Prozeß der Selbstreflexion vorzunehmen. Die sozialen und poli­tischen Konflikte im Land, ausgelöst durch die “Roll-Back”-Politik der UNO-Regierung, die mittlerweile nie­mand mehr als “moderat” bezeichnen kann, verlangen eine sofort handlungs- und kampffähige Opposition.

Bernd Pickert

Zunächst erinnerten die Äußerungen von einigen FSLN-Comandantes, die in verschiedenen Interviews mit der BARRICADA ihre Meinung zum Demokrati­sierungsprozeß der Frente kundtaten, an die Nationallei­tungs-Astrologie, mit der schon seit Jahren BerichterstatterInnen versucht hatten, Unterschiede und Kon­fliktlinien innerhalb der sandinistischen Führung herauszubekommen, indem zwischen den Zei­len die Wahrheiten vermutet wurden. Und auch in den vergan­genen Monaten fiel es schwer, aus den durchaus unterschiedlich nuan­cierten Stellungnahmen von Bayardo Arce, Victor Tirado und Tomas Borge eine neue Linie herauszufinden. Einig waren sich alle darin, daß es einen Erneuerungspro­zeß geben müsse, daß vor allem hierar­chische Strukturen innerhalb der Frente und undemokratische Ent­scheidungsprozesse abgebaut werden müßten. Plötz­lich bezichtigte sich die Frente selbst – sicher auch angesichts der großen Zahl der nach der Wahlniederlage als solche zu identifizierenden Oppor­tunistInnen in ih­ren Reihen – als eine Organisation mit vertikalen Strukturen, in der die Entschei­dungen von oben nach unten gefällt wurden und für langwierige Überzeu­gungsarbeit kein Raum war, als verbürokratisierte Mammutorganisation, die auch von Korruption nicht frei war. Die erste Entscheidung, die als Konsequenz aus dieser Einschätzung gefällt wurde, war die Öffnung zur “Massenpartei”, das heißt, die Abschaffung der politischen Bewäh­rungsprobe für Eintrittswillige. Be­gründung: Wer in diesen Zeiten Mitglied der Frente werden will, tut dies nicht aus Karriere-Grün­den.
Problematisch war in dieser Phase der Diskussion, daß die Tagesak­tualitäten, die Contra-Entwaffnung, die Abschaffung revolutionärer Errungenschaften und die außenpolitische Isolation der Frente einen sofortigen Handlungsbedarf erzeug­ten, der mit einer länger­fristigen Diskussion über Programmatik und Strukturen der Partei nicht in Einklang zu bringen schien. Gleichzeitig war aber inner­halb der Basis der FSLN ein Prozeß der Kritik an Führung und Strukturen bereits in Gang gesetzt, den abzublocken einem politi­schen Selbstmord der Leitungsebene gleichgekommen wäre. So kam es vorrangig darauf an, die Diskussion – die die Gefahr der Spaltung beinhaltete – in strukturierte und produktive Bahnen zu len­ken. So fanden auf allen kommunalen Ebenen bereits Neuwahlen der Leitungs­gremien statt, die mit einer kritischen Auswertung der Arbeit der letzten Jahre verbunden waren. Für die Strukturdebatte auf natio­naler Ebene wurde ein kon­kreter Zeitplan erarbeitet. Erster Kulmi­nationspunkt dieser Debatte war eine sandinistische Delegierten­versammlung Mitte Juni, auf der beschlossen wurde, die geplante erstmalige Neuwahl der Nationalleitung auf dem Parteitag – auch dem ersten – im Februar 1991 durchzuführen.
Innerhalb der FSLN gab es eine heftige Auseinandersetzungen zwischen den als solchen beschimpften “pactistas” und den “radikal linken” Positio­nen. Anlaß wa­ren Einzelaktionen der National­leitung: be­schwichtigende Haltung beim ersten Streik der Staats­angestellten Anfang Mai, geplanter Eintritt in die Sozialistische Internationale, Politik der Kooperation mit der UNO-Regierung, bzw. dem als “moderat” eingeschätzten Teil der UNO um Violeta Cha­morro. Es setzte sich eine Kompromiß-Position durch, die klar formu­liert, daß es in der derzeiti­gen Situation überhaupt keinen Grund gibt, mit der UNO-Regierung zu paktie­ren und damit eine Mitverant­wortung für die sich ständig verschlechternden Le­bensbedingungen zu übernehmen, sondern daß es vielmehr darauf ankomme, den Charak­ter der UNO-Politik deutlich zu machen und in der Verteidigung der sozialen Rechte der Bevölkerung auch gerade diejenigen zu errei­chen und wie­derzugewinnen, die am 25.Februar in Erwartung einer schnellen Lösung der wirtschaftlichen Misere des Landes der UNO ihre Stimme gegeben hatten. Das bedeutet eine fundamentale Opposi­tion zum Politik-Modell der UNO und insbe­sondere der rechtsextre­men Kräfte, die durch die Godoy-Gruppe und die aus Miami zurück­kehrenden somozistischen Unternehmer repräsentiert werden. Über die Formen aber, wie diese fundamentale Opposition auszusehen hätte, wurde durchaus kontrovers diskutiert, wobei die Transforma­tion der FSLN von einem “Ministerium für Mobilisierung” in eine politische Partei, die Überzeu­gungsarbeit zu leisten hat, im Mit­telpunkt steht. Auf der parlamentarischen Ebene wird es, um der FSLN Spielräume der politischen Betätigung zu erhalten, Kompro­misse geben müssen. Es wurde auch formuliert, daß es nicht das Ziel der FSLN ist, derzeit und so schnell wie möglich einen Sturz der Chamorro-Regie­rung herbeizuführen, sondern daß zunächst die politische Hegemonie zumindest in einer Mehrheit der Bevölkerung zurückerkämpft werden müsse. Was hätte die Frente auch anzubieten, würde die Regierung jetzt wieder an sie übergehen? (Selbst wenn das in einem friedlichen Szenario derzeit kaum denkbar erscheint.)
Dennoch, die Position der FSLN im jüngsten Generalstreik Anfang Juli verdeut­licht die neue Haltung. Zunächst erklärte die Frente ihre unbedingte Unterstüt­zung der Streikenden und ihrer Forderun­gen und rief die sandinistische Basis auf, sich in die Reihen der FNT (Nationale ArbeiterInnenfront) einzugliedern (s.Erklärung vom 3.7.). Als die Situation unkontrollierbar erschien und in Mana­gua eine Aufstandsstimmung wie 1979 registriert wurde, versuchte die FSLN er­neut zu schlichten und beruhigend einzuwirken.
Der Antrag auf Eintritt als Vollmitglied in die Sozialistische In­ternationale, den die Nationalleitung der FSLN ohne breite Diskus­sion gestellt hatte, wurde zu­rückgezogen, eine Entscheidung dar­über soll auf dem Parteitag im Februar ge­fällt werden.
Wenn der bisherige Prozeß der Diskussion innerhalb der Frente bewertet werden soll, dann sind zwei gegenläufige Tendenzen zu erkennen: Auf der einen Seite eine starke Kritik von Seiten der Basis an den hierarchischen Strukturen, die sich in der Abwahl von Leitungsmitgliedern und radikalen Forderungen zur Umge­staltung der Frente äußert; auf der anderen Seite eine Basis, die in der Zeit der “Orientierungslosigkeit” nach der Wahl, als es keine klaren Anweisungen von oben gab, zeitweise paralysiert schien und kaum handlungsfähig war. Neuer An­spruch und alte Verhaltensmuster werden sicherlich noch über den Parteitag im Februar hinaus die Realität der FSLN bestimmen.
Entwicklungszonen für die Contra – Entwaffnung eine Farce
Alle demonstrierten sie Optimismus: die Presse, die UNO-Regierung, Kardinal Obando y Bravo, der für die Contras eine Messe hielt und nicht zuletzt die San­dinistInnen, die durch die scheinbar abge­schlossenen Entwaffnung der Contra ein strategisches Ziel erreicht sahen, auch wenn sie das die Regierung gekostet hatte. Die Contra-Verbände gaben in pressewirksam inszenierten Aktionen ihre Waffen an die Soldaten der UN-Truppen ab, die diese dann – ebenso presse­wirksam – unmittelbar mit Schneidbrennern zerstörten. Daß noch Waffen in der Gegend um Chontales in der fünften Region versteckt waren, daran zweifelte niemand, doch schien der Moment gekommen, da die Contra als geschlossener militärischer Verband aufgehört hatte zu existieren.
Dies zu verhindern, war das von der Contra-Führung verfolgte Ziel bei Aus­handlung der sogenannten “Entwicklungszonen”, Zonen also, in denen sich die Contras mit der finanziellen Ausstattung der USA für ihre “Reintegration” ansie­deln konnten, um zum zivilen Leben zurückzukehren, aber gleichzeitig in den bestehenden Verbänden zu­sammenzubleiben und insofern jederzeit bei intakt bleibender Be­fehlsstruktur wieder einsatzfähig zu sein. Große Worte waren mit der “Demobilisierungsfeier” verbunden, die von der internationalen Presse ver­folgt wurde. Da sprach Israel Galeano, alias Comandante Franklyn, von einem “Nicaragua ohne Waffen und Soldaten”, von der friedlichen Zukunft, die das Land erwarte, jetzt, da es demokra­tisch geworden sei.
Die Ernüchterung für alle Zweck-OptimistInnen kam in den Tagen des General­streiks Anfang bis Mitte Juli, als sich plötzlich bewaff­nete Regierungsanhänger mit sandinistischen Streikenden in Managua Feuergefechte lieferten, bei denen es sechs Tote und über dreißig Verletzte gab. Woher mögen die Waffen wohl ge­kommen sein, die plötzlich in Managua auftauchten? Die ersten Meldungen, nach denen die Contra in der explosiven Situation des Generalstreikes wieder voll einsatzfähig sei, mögen übertrieben gewesen sein, doch wurde die Gefahr für alle Welt sichtbar, die aus der laxen und nur unzu­reichend kontrollierten Entwaffnung der Contra für den Ablauf der sozialen Konflikte erwächst, die in Nicaragua sicher erst am An­fang stehen.
Dabei war die Einrichtung der Entwicklungszonen zunächst ein Zuge­ständnis an die Contra gewesen, daß auch von sandinistischer Seite aus als relativ ungefähr­lich eingeschätzt worden war. Die hiesigen Meldungen, daß der Contra ein Ter­ritorium zur freien Verfügung ge­stellt worden sei, das einem Sechstel des Landes entspreche, beru­hen auf einem Mißverständnis, wie der ehemalige Bürgermeister von Managua, Carlos Carrión bei einem Besuch in West-Berlin klar­stellte: Inner­halb dieses Territoriums können einzelne Gebiete zur Ansiedlung ausgewählt werden, vorrangig in bislang unbewohntem Ge­biet, wo dann neue Infrastruktur erstellt wird. Um die genauen Orte werden allerdings noch heftige Konflikte ge­führt, z.B. wehr­ten sich die BewohnerInnen von San Juan del Sur, einer Ge­meinde innerhalb des für die Contra-Ansiedlung vorgesehenen Gebietes, ge­gen die Schaffung von Ansiedlungszonen in ihrem Einzugsgebiet. Diese Gemeinde ist eine der wenigen, die noch von der FSLN regiert werden, aber nicht nur dort regt sich Widerstand. Auch in den Au­tonomen Regionalparlamenten der Atlan­tikküste, wo die bislang ebenfalls bewaffnet gegen die sandinistische Regierung kämpfende Indianer-Organisation YATAMA über eine Stimmenmehrheit ver­fügt, stimmten YATAMA und FSLN gemeinsam gegen eine Ansiedlung von Contras auf dem Gebiet der Autonomen Region.
Die Frage der eigenen Polizei, die die Contra unterhalten soll, wird von sandini­stischer Seite aus eher gelassen gesehen. Es han­dele sich um eine Polizei, die le­diglich normale Ordnungsaufgaben in diesen Gebieten übernehmen solle und zudem unter dem Oberbefehl der nationalen Sandinistischen Polizei stehe. Diese Lösung sei besser, als wenn bei normalen kriminellen Handlungen die für die Contras nicht zu akzeptierende Sandinistische Polizei oder gar das Heer ein­schreiten müsse.

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