Nummer 228 - Juni 1993 | Paraguay

Neuer Präsident aus den Reihen der alten Stroessner-Partei

Zerstrittene Opposition verpaßt die Chance zum Machtwechsel

Der Abschluß des Demokratisierungsprozesses in Paraguay läßt weiter auf sich warten. Mit großer Spannung und Hoffnung wurden die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 9. Mai erwartet. Zum ersten Mal seit den vierziger Jahren gab es die Möglichkeit, über einen politischen Wechsel im Land zu entscheiden. Doch die Enttäuschung war groß, denn die früher mit der Diktatur liierte “Colorado”-Partei brachte mit 40 Prozent der Stimmen ihren Präsidentschaftskandidaten Juan Carlos Wasmosy durch. Alles bleibt beim Alten – oder auch nicht. Immerhin stellt die Opposition jetzt die Mehrheit im Parlament. Ob sie diese Mehrheit jedoch zu nutzen imstande sein wird, hängt von ihrer Fähigkeit ab, der regierenden “Colorado”-Partei gemeinsame Konzepte entgegenzusetzen.

Peter Altekrüger/-jo

Stroessner ging – der Beginn eines steinigen Wegs zur Demokratie

Die Zerstrittenheit der Opposition hat den “Colorados” bei den Präsidentschaftswahlen den Sieg beschert und somit zunächst die Perspektive auf eine demokratische Öffnung Paraguays blockiert. Juan Carlos Wasmosy reichte eine relative Mehrheit von 40 Prozent, um den Einfluß der Partei des Ex-Diktators Alfredo Stroessner auch für die kommenden fünf Jahre zu sichern. Nach fast 35 Jahren Militärdiktatur wurde Stroessner im Februar 1989 in einem blutigen Militärputsch gestürzt. Der Führer des Staatsstreiches, General Andres Rodríguez, kündigte noch in derselben Nacht die Demokratisierung Paraguays an. Dieses Versprechen machte ein Mann, der in der Militärhierarchie unmittelbar hinter Stroessner stand und der seinen gewaltigen Reichtum während der Diktatur zusammengerafft hatte. So groß die Hoffnungen nach der Vertreibung Stroessners ins brasilianische Exil waren, so gering erschienen die Chancen auf Veränderung. Rodríguez nutzte die Gunst der Stunde und wurde kurz nach dem Putsch im Mai 1989 als Kandidat der offiziellen “Colorado”-Partei, die auch schon Stroessner als politische Basis gedient hatte, mit offiziell über 70 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt.
Die nach dem Abgang Stroessners immer stärker werdende Opposition zwang Rodríguez und die “Colorado”-Partei zu schrittweisen Zugeständnissen. Dabei nutzten die GegnerInnen Rodríguez’ die Freiräume aus den nach dem Putsch wiedereingeführten Grundrechten der Presse- und Versammlungsfreiheit. Höhepunkt dieser Entwicklung waren die Kommunalwahlen von 1991. Der Bürgermeisterposten in Asunción, eines der wichtigsten Ämter in Paraguay, ging an den unabhängigen und als links geltenden Kandidaten Carlos Filizzola der Bewegung “Asunción für alle”. Doch der über 35 Jahre gut funktionierende Apparat der “Colorados”, offiziell auch unter dem Namen “Nationale Republikanische Vereinigung” (ANR) agierend, hatte nur wenig von seiner Wirksamkeit eingebüßt. Trotz der Fraktionierung der Partei nach dem Sturz Stroessners wahrte sie in entscheidenden Momenten nach außen stets eine gewisse Einheit. Die kommunalen Parteisektionen sind nach wie vor relativ leicht zu mobilisieren. Dies zeigte sich Ende 1991 anläßlich der Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung. Die “Colorados” erzielten wie zu Zeiten der Diktatur eine absolute Mehrheit. Die 1992 von diesem Gremium verabschiedete Verfassung wurde als die Grundlage des neuen demokratischen Paraguays dargestellt. Obwohl die “Colorados” über die absolute Mehrheit verfügten, entsprach die Verfassung in vielen Punkten den Forderungen der Opposition. Abgeordnete aus den eigenen Reihen stimmten oft aus machtpolitischem Kalkül gegen die offizielle Linie der Partei. In einem Punkt waren sich die “Colorados” jedoch einig: Wahlen werden bereits im ersten Wahlgang mit relativer Stimmenmehrheit entschieden. Das Kalkül, mit dieser Wahlrechtsreform die in sich gespaltene Opposition zu überflügeln, ging schließlich auf.

Kandidatenkür als Farce: Pressemanipulationen und interner Wahlbetrug

Der Wahlkampf um das Präsidentenamt begann schon sehr zeitig. Bereits unmittelbar nach dem unerwarteten Sieg des unabhängigen Kandidaten Filizzola bei den Kommunalwahlen erklärte der reiche Unternehmer Guillermo Caballero Vargas seine Kandidatur. Anfangs war er um ein ausgesprochen sozialdemokratisches Image bemüht. Da die Sozialdemokratie in Paraguay aber kaum eine Basis hat – nur die eher unbedeutende “Febrerista”-Partei baut auf sozialdemokratischen Grundsätzen auf – wurde mehr auf den Aspekt des Neuen, Unverbrauchten und Erfolgreichen gesetzt. Caballero Vargas stützte sich auf das Bündnis “Nationales Zusammentreffen” (“Encuentro Nacional”), einen Zusammenschluß verschiedener kleiner Organisationen, Parteien und Parteiflügel. Vargas investierte Millionen in den Wahlkampf. Vor allem Presse und Rundfunk wurden von ihm beherrscht, ausgesprochen tendenziöse und wahrscheinlich gekaufte Artikel und Wahlprognosen unterstützten seine Kandidatur.
Der zweite Oppositionskandidat, Domingo Laino, wurde von der “Authentisch Liberal Radikalen Partei” (PLRA) nominiert. Er zehrte vor allem von seinem Ruf als unerschrockener Kämpfer gegen die Stroessner-Diktatur. Allein 1988 wurde er zehnmal verhaftet. Die PLRA besteht bereits seit über einhundert Jahren und verfügt vor allem in den ländlichen Gegenden traditionell über eine große AnhängerInnenschaft, die sie auch in den Jahren der Diktatur bewahrte.
Der dritte aussichtsreiche und letztlich siegreiche Kandidat war Juan Carlos Wasmosy, nominiert von der herrschenden “Colorado”-Partei. Er ist ebenfalls reicher Unternehmer und vorrangig in der Baubranche tätig, die seit dem Bau des Itaipú-Staudamms an der Grenze zu Brasilien ständig wächst.
Bereits seiner Nominierung als Präsidentschaftskandidat hing der Ruch von Betrug und Manipulation an. Wasmosy, erklärter Favorit des derzeitigen Präsidenten Rodríguez sowie der nach wie vor sehr mächtigen Militärs, hatte die parteiinternen Wahlen gegen den erzkonservativen und stroessnerfreundlichen Luis María Argana verloren. Eine von der Parteiführung eingesetzte Untersuchungskommission erklärte diese interne Wahl mit dem zweifelsohne berechtigten Hinweis auf Manipulationen für ungültig und ernannte prompt den als gemäßigt geltenden Wasmosy zum Sieger. Argana rief daraufhin offen dazu auf, nicht für Wasmosy zu stimmen. Seine zahlreiche AnhängerInnenschaft stand daher vor dem offensichtlichen Dilemma, mit der Erststimme (Präsidentenstimme) entweder einen Oppositionskandidaten zu wählen oder einen ungültigen Wahlschein abzugeben. Die meisten AnhängerInnen Arganas stimmten für Caballero Vargas, denn die Stimme dem liberalen Erzfeind Domingo Laino zu geben, kam für diesen konservativsten Teil der “Colorados” nicht in Frage.

Wahlkampf mit Mauscheleien

Caballero Vargas hatte zwar Presseberichten zufolge leichte Vorteile in Asunción, verfügte aber in den ländlichen Regionen über keine nennenswerte politische Basis. Die “Colorado”-Partei mobilisierte ihre AnhängerInnen mit populistischen Losungen und vor allem mit dem Schüren von Angstpsychosen: Falls die Opposition siegen würde, bekämen alle “Colorados” die Rache für die langjährige Unterdrückung während der Diktatur zu spüren, zum Beispiel durch den Verlust des Arbeitsplatzes in Staatsunternehmen oder im öffentlichen Dienst.
Am 9. Mai, dem Wahlsonntag, standen nicht nur das Präsidenten- und das neu geschaffene Vizepräsidentenamt, sondern auch 45 Senatoren- und 80 Deputiertensitze sowie 17 Gouverneursposten und 167 Gouverneursräte zur Abstimmung. Das Wahlverfahren selbst war ausgesprochen umständlich. In Asunción galt es drei, im übrigen Land fünf Stimmzettel auszufüllen. Um unmittelbarem Wahlbetrug vorzubeugen, waren zahlreiche Kontrollmechanismen eingeführt worden. Die Stimmabgabe selbst verlief recht ruhig, die Beteiligung war mit über 70 Prozent ausgesprochen hoch. In der Provinz Alto Paraguay kam es zu Übergriffen und Manipulationsversuchen durch “Colorados”, die vor allem der Einschüchterung der Opposition und der indigenen Bevölkerung dienen sollten. Gerüchte, daß Personalausweise, die zur Identifizierung als Wahlberechtigte notwendig sind, aufgekauft wurden, konnten allerdings nicht bewiesen werden.
Der eigentliche Eklat begann mit Schließung der Wahllokale um 17 Uhr. Bereits Minuten später gab Humberto Rubin vom bekannten Radiosender Nanduti Hochrechnungen bekannt, die die “Colorado”-Partei zur Siegerin erklärten. Diese Prognose beruhte auf willkürlichen Befragungen von WählerInnen beim Verlassen der Wahllokale. Offensichtlich wurden diese Aussagen gekauft. Pikanterweise unterlag gerade Radio Nanduti während der Stroessner-Diktatur harten Verfolgungen und direkten Repressalien durch die “Colorados”. Mit Bekanntgabe dieses “Ergebnisses” begannen sofort im ganzen Lande Siegesfeiern der AnhängerInnen der “Colorados”, deren Schar erstaunlich schnell um zahlreiche “ÜberläuferInnen” anwuchs.
Offensichtlich sollten so schnell wie möglich vollendete Tatsachen geschaffen werden. Offizielle Angaben zu einem Teil der Wahlbezirke lagen dagegen erst 24 Stunden nach der Wahl vor. Gleichzeitig wurde die Auswertung der unabhängigen Initiative SAKA (Guaraní-Wort für Transparenz) von offizieller Seite lahmgelegt. Die staatliche Telefongesellschaft ANTELCO unterbrach unter dem Vorwand technischer Probleme, die eigenartigerweise nur bei SAKA auftraten, alle entscheidenden Telefonleitungen. Erst durch massive Einflußnahme des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, der eine BeobachterInnengruppe leitete, intervenierte Präsident Rodríguez bei der Telefongesellschaft. Schließlich konnten die MitarbeiterInnen von SAKA doch noch ihre Ergebnisse zur Auswertung nach Asunción weiterleiten.
Die Parallelauswertung dieser Initiative bestätigte am Ende allerdings bis auf geringe Differenzen die offiziellen Wahlergebnisse. Die befürchtete Manipulation der Wahlergebnisse blieb anscheinend aus. Alles spricht indessen dafür, daß die “Colorado”-Partei darauf vorbereitet war, Wahlfälschungen vorzunehmen. Eine “interne” Stimmenauszählung, die den Sieg Wasmosys ergab, machte Manipulationen jedoch überflüssig.
Zweifel an der Sauberkeit der Wahlen wurden auch durch die Tatsache genährt, daß am Wahltag völlig überraschend die Landesgrenzen geschlossen wurden. Eine Million ParaguayerInnen, die beispielsweise in Argentinien wohnen, wurden daran gehindert, ihre Stimme abzugeben. Die im Ausland lebenden ParaguayerInnen gelten fast ausschließlich als AnhängerInnen der Opposition.

Favorit der Militärs neuer Präsident

Eine Woche nach der Wahl lagen noch immer keine offiziell bestätigten Wahlergebnisse vor. Den bisher veröffentlichten Angaben zufolge, die aber kaum noch größeren Veränderungen unterliegen werden, wird Juan Carlos Wasmosy von der “Colorado”-Partei der neue Präsident Paraguays und Angel Roberto Seifert neuer Vizepräsident. Wasmosy erhielt 40,3 Prozent der abgegebenen Stimmen, Laino 32 Prozent und Caballero Vargas 23,4 Prozent. Die “Colorados” verfügen über insgesamt 60 Senatoren und Deputierte, die Liberalen über 49 und die “Nationale Zusammenkunft” entsendet 16 Abgeordnete ins neue Parlament. Die “Colorado”-Partei wird zukünftig in 13 Provinzen und die Liberalen in vier Provinzen den Gouverneur stellen.
In Paraguay wird es von 1993 bis 1998 eine Regierung geben, die fast zwei Drittel der WählerInnen gegen sich hat. Die “Colorado”-Partei profitierte davon, daß zwei fast gleich starke Oppositionskandidaten gegeneinander antraten und sich die Stimmen streitig machten. Damit sind die Oppositionsführer mitverantwortlich für den Erfolg der “Colorado”-Partei, denn ein gemeinsamer Kandidat hätte gewiß die Mehrheit der WählerInnen hinter sich gebracht.
Wie schon zu Zeiten der Stroessner-Diktatur macht sich der Mangel an politischer Zusammenarbeit zwischen den Oppositionskräften schmerzhaft bemerkbar. Die Chance für einen politischen Wechsel und die Fortführung der Demokratisierung wurde für weitere fünf Jahre vertan. Allerdings ist die Opposition mit einer Mehrheit im Parlament jetzt seit Jahrzehnten erstmals in der Lage, in Paraguay Politik und gesellschaftliche Veränderung mitzubestimmen oder gar zu erzwingen, denn mit der neuen Verfassung sind auch die Rechte des Parlaments gewachsen. Es bleibt zu hoffen, daß sowohl die “Authentisch Liberal Radikale Partei” als auch die “Nationale Zusammenkunft” aus den Wahlen entsprechende Lehren gezogen haben und eine gemeinsame parlamentarische Arbeit anstreben. Die parlamentarische Zusammenarbeit könnte für die Wahlen von 1998 zu einer Listenverbindung der Oppositionsparteien führen, deren Erfolg dann den endgültigen Schlußstrich unter die Stroessner-Diktatur bedeuten könnte.

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