Mexiko | Nummer 288 - Juni 1998

Nicht alle Ausländer sind unerwünscht

Während internationale MenschenrechtsbeobachterInnen aus Chiapas verbannt werden, kooperiert die mexikanische Armee mit US-Militärs

“Die Kampagne, die von einigen Mexikanern und Gruppen mit sehr speziellen Interessen geführt wird, die Mexiko als ein Land der Repression und Gewalt darstellt, ärgert uns, und manchmal beleidigt sie uns sogar“, gab sich Präsident Ernesto Zedillo Mitte Mai in einer Ansprache vor einigen hundert Studenten erzürnt. Das „Image des Autoritarismus“, das im Ausland über Mexiko verbreitet werde, sei „absolut falsch“. Erklärungen dieser Art wiederholen die mexikanischen Behörden zur Zeit gebetsmühlenartig, meist garniert mit dem Hinweis, daß man sich die Einmischung von außen in mexikanische Angelegenheiten strikt verbete.

Boris Kanzleiter

Auf allen politischen Ebenen unternimmt die Regierung in diesen Wochen den Versuch, internationale Menschenrechtsbeobachtung in Mexiko zu diskreditieren und unmöglich zu machen. Zu diesem Zweck wird eine Medienkampagne geführt und die Anstrengungen auf diplomatischem Parkett verstärkt.
Zahlreiche unabhängige MenschenrechtsbeobachterInnen wurden durch die Behörden bereits ausgewiesen, meist mit der Begründung, sich in innere Angelegenheiten einzumischen, was AusländerInnen laut Artikel 33 der Verfassung untersagt ist. Gleichzeitig verstärkt das Militär den Krieg niedriger Intensität gegen die Zapatistas in Chiapas – mit ausländischer Hilfe.
Anfang Mai haben die mexikanischen Behörden ausländischen MenschenrechtsbeobachterInnen eine Reihe von Kriterien gestellt, die sie in Zukunft erfüllen müssen, um ihrer Arbeit nachgehen zu können. Demnach muß 60 Tage vor der Einreise ein Antrag auf ein Visum gestellt werden. Außerdem verlangen die Behörden eine detaillierte Liste aller Personen und Organisationen, mit denen sich der Beobachter treffen möchte. Desweiteren müssen alle Orte, die besucht werden sollen, benannt werden. Es werden nur Personen zugelassen, die eine Mitarbeit in einer anerkannten Menschenrechtsorganisation nachweisen können. Die Reisezeit ist auf maximal zehn Tage beschränkt, und Delegationen dürfen nicht mehr als zehn Mitglieder zählen.

Regierung verhindert Beobachtung

Auch für den Fall, daß alle Kriterien erfüllt sind, behält sich das Innenministerium vor, innerhalb von 30 Tagen nach der Beantragung des Visums die Einreise zu verbieten. Personen, die das entsprechende Visum nicht erteilt bekommen und dennoch an Menschenrechtsbeobachtungen in Mexiko teilnehmen, werden in Zukunft mit der sofortigen Ausweisung rechnen müssen, so wie über 200 Personen seit Ausbruch der Rebellion in Chiapas Anfang 1994.
Falls die mexikanischen Behörden mit diesem Katalog Ernst machen, wird die unabhängige Beobachtungstätigkeit in Mexiko praktisch ausgeschlossen. Allein die Begrenzung eines Aufenthaltes auf zehn Tage macht eine sinnvolle Arbeit zunichte. Außerdem würde eine Erfüllung der Kriterien, wie die US-Organisation Human Rights Watch befürchtet, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen zusätzlich gefährden. „Menschenrechtsbeobachter dürfen nicht gezwungen werden, die Namen der Zeugen und Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu nennen, um sie interviewen zu dürfen, da sie diese Informationen Repressalien aussetzen könnten. Außerdem könnte eine angekündigte Information über die Orte, die besucht werden sollen, zu einer ernsten Gefahr für die BewohnerInnen dieser Orte führen, da sie Angriffen oder der Beobachtung durch die Behörden ausgesetzt werden könnten“, schreibt Dr. José Miguel Vivanco, der Direktor von Human Rights Watch für Amerika in einem Protestbrief an Präsident Ernesto Zedillo.
Die Verschärfung der Einreisebestimmungen und die Ausweisungswelle von internationalen BeobachterInnen kommt genau zu einem Zeitpunkt, an dem die Präsenz von MenschenrechtlerInnen in Mexiko immer wichtiger wird.
Nach übereinstimmender Einschätzung von internationalen Organisationen wie Human Rights Watch und amnesty international sowie mexikanischen Gruppen wie dem Centro de Derechos Humanos Fray Bartolomé de las Casas oder dem Centro de Derechos Humanos Miguel Augustín Pro-Juárez verschlechtert sich die Menschenrechtslage zusehends. In einem Brief an das Europäische Parlament machen die mexikanischen Gruppen darauf aufmerksam, daß die „Zahl extralegaler Hinrichtungen, das Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Festnahmen“ ansteige. Gleichzeitig wachsen die Militarisierung und die von den Behörden geduldeten Aktivitäten von paramilitärischen Gruppen in verschiedenen Teilen des Landes.
In ihrem Brief von Mitte Mai fordern sie das Europäische Parlament daher auf, die Funktion eines Sonderberichterstatters zur Menschenrechtssituation in Mexiko einzurichten. Dieser Repräsentant der fünfzehn Mitgliedsstaaten der EU soll der Delegation der Europäischen Kommission in Mexiko untergeordnet sein und jährliche Berichte abgeben. Die mexikanischen MenschenrechtlerInnen versprechen sich davon, daß nach der Ratifizierung des Kooperationsabkommens zwischen Mexiko und der EU, das letzten Dezember geschlossen wurde, das Europäische Parlament auf die mexikanische Regierung Druck wegen der Einhaltung der Menschenrechte ausübt.

US-Training für mexikanisches Militär

Während Präsident Zedillo durch die internationalen MenschenrechtsbeobachterInnen Mexikos Souveränität bedroht sieht, verstärkt die Regierung mit Hochdruck die militärische Zusammenarbeit mit den USA. Mexiko ist mittlerweile das Land, das die größte Anzahl von Offizieren stellt, die durch das US-Militär in den USA ausgebildet werden. Nachdem am 23. Februar 1995 mit William Perry zum ersten Mal seit 1948 ein US-Verteidigungsminister Mexiko besuchte und im März 1996 eine Reihe von militärischen Kooperationsabkommen geschlossen wurden, ist die Zahl der Offiziere, die in der School of Americas (SOA) in Fort Bragg ausgebildet werden, von 15 (1994) auf 333 (1997) gestiegen. Die SOA ist ein Ausbildungszentrum des Pentagon, in dem Generationen lateinamerikanischer Militärs trainiert wurden, bevor sie in ihren Ländern an führender Stelle in der Aufstandsbekämpfung eingesetzt wurden. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Offiziere, die an den brutalsten Menschenrechtsverbrechen der letzten Jahrzehnte in Lateinamerika beteiligt waren, so etwa 48 der 69 Offiziere, die von einer UN-Kommission der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen während des Krieges in El Salvador angeklagt wurden. Neben der SOA bestehen laut Angaben des Pentagon weitere 16 Ausbildungszentren des US-Militärs, in denen zur Zeit mexikanische Offiziere trainiert werden.
Die US-Militärhilfe umfaßt auch umfangreiche Waffenlieferungen, wie John Saxe Fernández, Militärexperte und Universitätsdozent in Mexiko-Stadt, zusammenfaßt: „1997 gab es eine Steigerung von 400 Prozent bei der Lieferung von Militärtechnologie aus den USA an Mexiko, verglichen mit den Vorjahren. Der Haushalt des US-Verteidigungsministeriums für die Ausbildung von mexikanischen Militärs wurde um 800 Prozent gesteigert.“ Diese Zusammenarbeit dient freilich dem Schutz der nationalen Souveränität, wie aus dem mexikanischen Verteidigungsministerium zu vernehmen ist.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren