OAS streckt die Hand aus
Kuba darf wieder in die Organisation Amerikanischer Staaten, Havanna will aber nicht
Als die Welt von dem Putsch in Honduras noch nichts ahnte, fand dort Anfang Juni ein anderes historisches Ereignis statt: Auf der 39. Tagung der OAS vom 2. bis 4. Juni in San Pedro Sula stand Kubas Verhältnis zu den USA auf der Tagesordnung. Obama‘s „Change“ wurde mit Kubas Sozialismus konfrontiert. Die Erwartungen waren hoch, ein „Lackmustest für die Lateinamerika-Politik der neuen US-Regierung“, so Julia Sweig vom Council of Foreign Relations. Hugo Chávez prophezeite, es würde ein „spannender Kampf:“ Wenn die OAS sich nicht dem Willen ihrer Mitgliedsstaaten unterordne, sei es an der Zeit, diese Organisation zu verlassen, so der venezolanische Präsident. Er träumte bereits von einer Organisation Lateinamerikanischer Staaten (OLAS). Manuel Zelaya, der honduranische Gastgeber, der wenige Wochen später vom Militär abgesetzt wurde, sprach während seiner Eröffnungsrede von der Notwendigkeit, auf intelligente Weise alte Fehler zu korrigieren. Er erinnerte daran, dass die lateinamerikanischen Staaten sich bereits während ihres Gipfels der Rio-Gruppe im Dezember 2008, bei dem Kuba als Mitglied aufgenommen wurde, darauf geeinigt hatten, bei der nächsten OAS-Sitzung das Ende der Ära ohne Kuba zu bewirken. In Bezug auf die sich häufenden staatlichen Interventionen in die globale Wirtschaft, erinnerte Zelaya daran, dass Kuba 1962 von der Zusammenarbeit mit der OAS ausgeschlossen wurde, weil es damals „sozialistische Ideen und Prinzipien“ proklamierte, die heutzutage in aller Welt, inklusive den USA und Europa angewendet würden. Genau genommen besagte jene Resolution VI, dass „Marxismus-Leninismus inkompatibel mit dem interamerikanischen System“ sei und die „Einreihung in den kommunistischen Block die Einheit und Solidarität der Hemisphäre“ bräche.
Als einen „entscheidenden Sieg“ wertete dann auch der kubanische Parlamentspräsident Ricardo Alarcón die Entscheidung der OAS, sein Land wieder mit in die Organisation aufzunehmen. Am 3. Juni dieses Jahres beschloss der 1948 gegründete Staatenbund, eben jene Resolution für wirkungslos zu erklären, die am 31. Januar 1962 Kuba von seinen aktiven Rechten darin entband und somit de facto ausschloss. Da zwar der „kommunistische Block“ nicht mehr besteht, Kuba formal sich jedoch nach wie vor als „marxistisch-leninistisch-martianischen Staat“ (Verfassung 1992) sieht, ist dieser Schritt in den Augen vieler Konservativer und Antikommunisten eine Niederlage und ein Dorn im Auge. Es sei der größte Kompromiss, den die USA jemals in der OAS eingegangen seien, zitierte die Washington Post anonyme Verhandlungsleiter der US-Delegation.
US-Außenministerin und Verhandlungsleiterin Hillary Clinton war bereits vorzeitig aus San Pedro Sula (Honduras) mit den Worten „Es gibt keinen Kompromiss“ abgereist. Die venezolanische und nicaraguanische Delegationen hatten ebenfalls gedroht abzureisen, allerdings für den Fall dass Kuba nicht wieder aufgenommen werde. Sie blockierten eine Resolutionsvorlage aus Washington, die die Wiederaufnahme an strenge Bedingungen knüpfte. Es folgten viele Telefonate, darunter auch eines zwischen US-Präsident Obama und Brasiliens Präsident Lula, auch an einen 215 US-Dollar Millionen schweren Entwicklungskredit der USA an Honduras soll erinnert worden sein, so die Washington Post in Berufung auf Verhandlungsteilnehmer. Daraufhin wurde die nun verabschiedete Erklärung ausgearbeitet, die schließlich ohne Gegenstimmen angenommen wurde. Somit wurde eine Konsens- und Dialogfähigkeit auch unter den veränderten hegemonialen Bedingungen des amerikanischen Kontinents gewahrt.
In dem nun gültigen Beschluss wird neben der Rücknahme der Resolution VI von 1962 der Weg geebnet für Kubas Wiederaufnahme in die Organisation. Diese erfolgt jedoch nicht automatisch, sondern als Ergebnis eines „von der kubanischen Regierung zu beginnenden Dialogs“, der „nach den Praktiken, Aufgaben und Prinzipien“ der OAS zu erfolgen habe. Diese beinhalten seit der 2001 verabschiedeten Demokratischen Charta „demokratische und menschenrechtliche Prinzipien“, die nach Meinung der USA in Kuba nicht verwirklicht seien. Obwohl die Regierung in Havanna immer wieder betont, dass auch dort freie und geheime Wahlen stattfinden, ist zumindest die Bedingung eines pluralistischen Mehrparteiensystem eindeutig nicht gegeben. Die Resolution sei deshalb ein geeignetes Instrument für die Obama-Regierung, Kuba auf diese Weise „kollektiv unter Druck zu setzen,“ so José Miguel Vivanco, Direktor von Human Rights Watch Amerika.
Allerdings beabsichtigt die Regierung in Havanna gar nicht, der Einladung der OAS zu folgen. In einer offiziellen Stellungnahme vom 8. Juni kündigte sie an, dass Kuba „nicht in die OAS zurückkehren wird.“ Diese Haltung ist nicht neu und dürfte auch den meisten Regierungschefs Lateinamerikas bewusst gewesen sein, die für diese Resolution bereits seit der Aufnahme Kubas in die Rio-Gruppe im vergangenen Dezember arbeiteten. In Havanna wertet man die Entscheidung in Honduras allerdings als symbolisch-strategisch sehr wichtig. Der „last-minute Konsens“ sei „gegen den Willen Washingtons“ entstanden, der Imperialismus sei mit „seinen eigenen Mitteln geschlagen“ worden, so die Stellungnahme weiter. In diversen Zeitungsartikeln der beiden offiziellen Tageszeitungen granma und juventud rebelde, sowie den staatlichen Fernsehkanälen wurde die OAS als „Kolonialministerium der USA“ (so erstmals Kubas damaliger Außenminister Raúl Roa 1962) gebrandmarkt. Angesichts ihres Versagens oder gar Komplizenschaft in Jahrzehnten von Diktaturen und genozidartigen Massakern, aber auch dem ökonomischen Krieg gegen Kuba, sei die OAS nicht das geeignete Instrument für ein neues Lateinamerika des 21. Jahrhunderts. Es scheint Kuba daher nicht nur um Wiederaufnahme, sondern eher um eine historische Aufarbeitung und Wiedergutmachung zu gehen. Man möchte auch nicht seine Regierungsform zum Verhandlungsgegenstand der Aufnahme in eine Organisation werden lassen.
Neben dem damaligen Antrag von 1962, Kuba von seinen Mitgliedsrechten in der OAS zu entbinden, der mit 14 von 21 damaligen Mitgliedsstimmen äußerst knapp und unter viel diplomatischem Druck der USA angenommen wurde, wurde mit mehr Unterstützung beschlossen, den Waffenverkauf nach Kuba zu stoppen, ihre „subversive Aktivitäten zu überwachen“ und ein Handelsembargo zu errichten. Auch brachen daraufhin bis auf Mexiko alle Staaten des Kontinents ihre Beziehungen mit der kommunistisch regierten Karibikinsel ab.
Vor allem mit der Linkswende in Lateinamerika des letzten Jahrzehnts, die in Wechselbeziehung zu der unilateralen Politik der zwei Amtszeiten George W. Bushs stand, haben sich die Koordinaten auf dem Kontinent verschoben. Kuba war bereits vor dem OAS-Gipfel regional wieder integriert. Nach dem Wahlsieg von Mauricio Funes in El Salvador im März dieses Jahres unterhielt Kuba erneut Beziehungen zu allen amerikanischen Staaten mit Ausnahme der USA. Alleine in diesem Jahr haben mehr als zehn lateinamerikanische Staatschefs die Karibikinsel besucht. Allerdings leidet die kubanische Wirtschaft immer noch unter erheblichem Devisen- und Kreditmangel, so dass eine Aufhebung des US-Embargos und eine Mitgliedschaft in der OAS entscheidende Erleichterungen zur Folge haben könnte. Denn trotz eines allgemeinen Aufschwungs der kubanischen Wirtschaft in den letzten Jahren, haben sich die Kennzahlen in der jüngsten Vergangenheit wieder stark verschlechtert: Nickelpreise und -produktion sind infolge der Krise um fast 40 Prozent gesunken, die Landwirtschaftsproduktion um sieben Prozent, der Tourismus ging im März um fast drei Prozent zurück, die ausländischen Unternehmen haben 13 Prozent ihrer Verträge mit Kuba ausgesetzt, so der Ökonom Carmelo Mesa-Lago. Zusätzlich verursachten die Hurrikans des letzten Jahres Schäden in Höhe von über 5 Milliarden US-Dollar, 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), vernichteten 30 Prozent der Ernte und beschädigten oder zerstörten 600.000 Häuser, so dass die Wohnungsknappheit auf fast eine Millionen angewachsen sei. Zugleich zahlt die kubanische Regierung nach eigenen Angaben fast 20 bis 30 Prozent mehr für internationale Kredite als andere Staaten. Zuletzt musste Kuba die Schuldenbedienung an verschiedene Gläubiger aussetzen. So gesehen würde die Wiederaufnahme in die OAS zugleich die Möglichkeit eröffnen, an dringend benötigte Kredite der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IADB) zu gelangen. In seiner Zeitungskolumne „Reflexiones“ vom 3. Juni stellte Fidel Castro jedoch klar, dass Kuba nicht wieder zu jenen Ländern zu gehören gedenkt, die „von dem kleinen Finger der USA abhängen“ und ihrem Einfluss auf Weltbank, Internationalen Währungsfonds oder IADB, deren neoliberale Austeritätspolitik für eine Zunahme der Armut und Abhängigkei in den vergangenen Jahren geführt habe.
Obwohl die Politik der neuen US-Regierung eindeutig einen Paradigmenwechsel in der Wahl ihrer Methoden und Rhetorik darstellt, bleiben Interessen und strategische Ziele ähnlich. Die Isolations- und Blockadepolitik gegenüber Kuba war von Anbeginn umstritten. Schon in der Vorbereitung zu jener legendären OAS-Konferenz im Januar 1962 in Punta del Este, als Kubas Vertreter Ernesto Che Guevara ausgeschlossen wurde, warnte der damalige argentinische Präsident Arturo Frondizi davor, dass die USA von Kuba „besessen“ seien und diese Politik die Bedürfnisse der Kontinents vernachlässige sowie Fidel Castro stärken würde.
Vor einer ähnlichen Frage nach der Wahl der Mittel stehen die USA auch heute: Wandel durch Annäherung oder Isolation. Für beide Positionen lassen sich Argumente und Interessen identifizieren, das Pendel scheint sich jedoch von der Isolationshaltung entfernt zu haben. In diesem Kontext stellt auch die jetzige Initiative der OAS ein neues historisches Moment dar. Die jüngsten Verhandlungen in der OAS, der Druck und das vereinte Vorgehen von lateinamerikanischen Staaten auch gegen den Willen Washingtons bestimmte Positionen durchzusetzen, macht neue Handlungsfelder und Hegemoniekämpfe sichtbar. Ebenso wie die jüngsten Anordnungen der US-Regierung, Einschränkungen im Reise- und Kommunikationsbereich aufzuheben, beinhaltet auch der jüngste Beschluss stets die Möglichkeit, diese Maßnahmen als Mittel einzusetzen, um Veränderungen in einem von den USA angestrebten Sinne anzustreben. Dieser Konditionierung ist sich die Regierung in Kuba bewusst und agiert entsprechend vorsichtig auf Einladungen wie jüngst die der OAS. Bisher plant sie nicht, den Dialog mit der OAS zu intensivieren.