Belize | Nummer 227 - Mai 1993

Ökotourismus auf Abwegen

Belize auf der schweren Suche nach dem “grünen” Geld

“Öko-Terrorismus in Hachet Cay” schlug den LeserInnen die Schlagzeile der populären Wochenzeitung Belizes Amandala letztes Jahr entgegen. Die Zeitung nahm an dem US-amerikanischen Besitzer eines Freizeitparks Anstoß, der Teile des Korallenriffs Hachet Cay gesprengt hatte, um so den Zugang für TouristInnenboote zu erleichtern. Das starke Medieninteresse und die Empörung der Öffentlichkeit angesichts solcher Methoden sind Zeichen eines neuen Umweltbewußtseins in Belize; Folge der “Öko-Tourismus-Revolution”, so bezeichnete es die US-amerikanische Eco-Tourism-Society . Der Vorfall macht auch deutlich, wie sehr die ursprüngliche Vision von Öko-Tourismus – überschaubar, unter örtlicher Kontrolle und ökologisch sensibel – den Bach runtergeht.

Egbert Higinio, Ian Munt, Übersetzung: Martin Ziegele

Öko-Tourismus heißt die neue Mode im Urlaubs- und Reisegeschäft. Die drei S des klassischen Tourismus – Sonne, See und Sand – sind out. Heute verlangen Touristen der westlichen Welt zunehmend nach alternativem Tourismus, der je nach Wortwahl als angemessen, erträglich oder einfach nur als “Öko” bezeichnet wird. ÖkotouristInnenn sind es leid, unter Aufsicht Kulturerlebnisse zu konsumieren, die abseits von jeglicher Realität inszeniert werden. Sie sind es leid, sich mitschuldig zu fühlen an einem Urlaub, der das natürliche Gleichgewicht zerstört. Sie sind auf der Suche nach weniger frequentierten, abseits gelegenen Zielen. Im Gefolge der neuen sozialen Bewegungen, für die Umwelt und Kultur immer schon zentrale Begriffe waren, fragen diese BesucherInnen nach Urlaub in einer ursprünglichen Umwelt, in die eine “unversehrte” lokale Kultur eingebunden ist.
Oberflächlich betrachtet könnte Belize eine große Anziehung auf diese neuen Mittelklasse-Touristen ausüben, die so besorgt sind, den Standard-TouristInnen aus dem Weg zu gehen. Die ehemalige britische Kolonie erlangte 1981 ihre Unabhängigkeit und ist gesegnet mit einer üppigen Natur, wie z.B. einem atemberaubenden Felsen und Korallenriff, das zweitgrößte nach dem australischen Great Barrier Reef , oder großen, noch intakten tropischen Regenwäldern oder idyllischen Tropeninseln, die nur aus einer Sandbank bestehen. Belize kann auch stolz auf die beeindruckenden, archäologischen Stätten der Maya-Zivilisation sein – sie sind heute einer der Hauptanziehungspunkte der Ruta May. Dennoch wurde die kleine englischsprachige Nation an der karibischen Küste Zentralamerikas bis vor kurzem selten bereist und sah sich kaum ökologischer Bedrohung ausgesetzt.

Die Regierung entdeckt den Tourismus

Vor dem Wahlsieg der Rechtspartei United Democratic Party (UDP) im Jahr 1983 gab es in Belize kaum Regierungsunterstützung für Tourismus. Die UDP spürte, daß sich die Urlaubswünsche von Touristen aus den Industrienationen veränderten und sich eine neue, “grünere” Art von Tourismus entwickelte. Dies nahm die Regierungspartei zum Anlaß, Tourismus marktwirtschaftlich zu organisieren, um so an dringend benötigte Devisen zu gelangen und um die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. 1989 intensivierte die nach den Wahlen wieder an die Macht gelangte, nationalistisch ausgerichtete People’s United Party (PUP) die Anstrengungen. Sowohl die UDP als auch die PUP unterscheiden sich in ihrer pro-US Haltung und einer Politik der freien Marktwirtschaft kaum voneinander. Obwohl die PUP dem Tourismusgeschäft früher ablehnend gegenüberstand, schwenkte sie flugs auf die neue Modewelle des “anderen” Tourismus um. Die Aussicht auf Profit war der Anlaß, die Förderung von Tourismus als zweitwichtigstes Ziel in den Katalog der Regierungsziele aufzunehmen.
Ein neuer internationaler Flughafen empfängt nun die ankommenden TouristInnen, und eine Reihe von Luxushotels sind erst vor kurzem fertiggestellt worden. Die Regierung hat eine Reihe von Natur-, Meeres- und Archäologieschutzzonen festgesetzt, um sicherzustellen, daß die TouristInnenattraktionen in gutem Zustand bleiben. Sie hat ebenfalls kleine Gemeinden dazu ermutigt das Tourismuspotential abzuschöpfen. Die Strategie der Regierung basiert auf dem Konzept der Verträglichkeit; das heißt, sie ist bestrebt, die wertvolle Flora und Fauna zu erhalten und sich für die von den Öko-TouristInnen so geschätzte Authentizität von Natur und Kultur einzusetzen. Die Baboon Sanctuary Community und die von Frauen betriebene Sandy Beach Women’s Kooperative sind zwei solcher Projekte; ähnliche sprießen in anderen Gebieten aus dem Boden.
Die Anstrengungen beginnen Gewinn abzuwerfen. Die Zahl internationaler TouristInnen ist kontinuierlich von weniger als 100 000 im Jahr 1985 zu einer Viertelmillion im Jahr 1990 gestiegen. Die Erträge aus dem Tourismus sollen nach Schätzungen heute bereits 26% des Bruttosozialproduktes von Belize bilden. Zeichen dafür, daß Belize ganz oben auf der neuen Ökotourismuswelle schwimmt, ist die Wahl Belizes als Tagungsort zweier Konferrenzen über Öko-Tourismus: der “Ersten Karibischen Öko-Tourismus Konferenz” und des “Ersten Weltkongresses für Tourismus und Entwicklung”.

Alter Tourismus in neuen Kleidern

Trotz einiger ermutigender Resultate produziert das Gros des Ökotourismus in Belize dieselben Probleme wie der traditionelle Massentourismus: Devisenschwund, Fremdbesitz und Umweltverschmutzung. Ein Beispiel ist ein vorgesehenes, mehrere Millionen Dollar verschlingendes Projekt mit dem Namen Belize City Tourism District, das zwangsläufig das Kapital ausländischer InvestorInnen und US-dominierter Kreditgeber wie der Weltbank erfordern wird.
Architekten aus New Orleans/USA haben gerade im Auftrag der staatlichen US-AID eine Studie zur Entwicklung dieses promenadenartigen Erholungsparks abgeschlossen. Die PlanerInnen wollen eine exklusive Zone in der Innenstadt von Belize City errichten, mit neuen Hotels, Einkaufsmöglichkeiten, einer Strandpromenade mit Restaurants und Cafés, einem folkloristischen Kunst- und Lebensmittelmarkt und einen Hafen für kleinere Yachten, die in der Karibik kreuzen. Solch ein Projekt wird das Uferareal der Hauptstadt in ein pied-á-terre für Möchtegern-Öko-TouristInnen verwandeln, die sich aller Voraussicht nach dort sicher und geschützt von den innerstädtischen Problemen fühlen würden, die in Reiseführern über Belize bereits legendär geworden sind.
Nicht genug, daß die BelizerInnen nur wenig von diesem Großprojekt profitieren werden, hinzu kam, daß örtliche RepräsentantInnen während der Planungsphase nicht einmal konsultiert wurden. Das Planungsbüro von Belize City kam das erste Mal mit dem Projekt in Berührung als dieses in einer Modellausführung in den Schaufenstern eines Supermarkts ausgestellt wurde. In dieser 60 000 Einwohner Stadt wird der Gürtel immer enger geschnallt und die Armut steigt. Dennoch priesen die US-BeraterInnen das Projektkonzept , weil es dem Stadtrat erlaube, seine Möglichkeiten zu konzentrieren: auf die Instandhaltung des neuzuschaffenden Tourismusdistrikts, einschließlich Straßensäuberung und-ausbesserung. Ausgaben für solche Aufgaben werden jedoch vermutlich in anderen Gemeinden gekürzt werden , um das notwendige Kapital für den Tourismusbereich freizusetzen.

Deckmäntelchen und die Macht des Geldes

Anderswo in Belize verursacht der Reiz des Tourismus-Dollars gleichermaßen erschreckende Folgen. Es stellt sich mehr und mehr die Frage, ob mittlerweile nicht jedes Tourismusprojekt unter dem Deckmäntelchen des Öko-Tourismus daherkommt – in der Hoffnung einen Platz in einer attraktiven, natürlichen Umgebung zu ergattern.
Die Kontroverse um die vorgelagerte Insel Ambergris Caye hat die ernsten Zweifel über das Maß und das Wesen von Tourismus-Entwicklung nicht gerade weniger werden lassen. Propagiert als ein größerer Beitrag zur Reinvestierung in das Volk von Belize – ein Rekurs auf das Wahlmotto von 1989 “BelizerInnen zuerst” – kaufte die Regierung zwei Drittel eines 8000 Hektar großen Geländes auf Ambergris Caye von dem US-Eigentümer wieder zurück. Die meisten erwarteten, daß die neu gegründete staatliche Ambergris Caye Planning Authority (ACPA) ihre Zuständigkeit und Planungskompetenz auf das Pinkerton Gelände (so der Name des zurückgekauften Grundstückteils) würde ausdehnen können. Stattdessen wurde eine neue Entwicklungsgesellschaft aus der Taufe gehoben, die keinerlei Verbindung zur ACPA hatte.
Namens der neuen Gesellschaft, die vom Minister für Tourismus und Entwicklung Glenn Godfrey (der auch Justizminister ist) ernannt wurde und ihm auch untersteht, wurde ein 50 Millionen Dollar schweres Projekt “nachhaltiger Entwicklung” in die Wege geleitet. Obwohl die RepräsentantInnen der Gesellschaft es als ein “integriertes und ökologisch einwandfreies Konzept zur Entwicklung eines Ferienortes” bezeichnen, wird es die üblichen touristischen Anlagen haben: wenigstens ein Hotel internationaler Klasse, zwei Kurhotels, drei bis fünf Luxusferienhütten, zwei Golfplätze, Wohnhäuser und Nobelvillen in der Stadt, 1000 Luxusbungalows, Polofelder und Reitställe.
Die Hälfte des Geländes wurde von den Planungen ausgenommen und -vorerst- unter Naturschutz gestellt. Nur 1000 Hektar des Areals werden auch für die BelizerInnen zugänglich sein. Die Menschen der Gegend sind aufgebracht. Nicht zuletzt, weil 3000 Hektar in den Besitz einer US-Erschließungsfirma übergehen werden. Ganze zwei Tage vor Unterzeichnung des Vertrages präsentierte Godfrey das ausgehandelte Vertragswerk zum ersten Mal der ACPA. Er versicherte, die Verhandlungen – bei denen die ACPA nicht mit am Tisch saß – hätten über zwei Jahre gedauert. “Wenn das vorgestellte Vertragswerk für die Entwicklung der Ambegris Caye so gut ist, warum wird es den Menschen dann nicht bekannt gemacht?”, fragte sich der erzürnte Fidel Ancona, Mitglied der ACPA. “Als die Regierung das Gelände erwarb, erzählten sie uns, ohne mit der Wimper zu zukken, wir bekämen die Kontrolle über unser Land zurück und könnten uns sinnvoll an allem beteiligen. Für mich haben sie dieses Versprechen angesichts der Tatsache, daß 75% an ausländische InvestorInnen und nur 25% an die BelizerInnen gegangen sind, nicht gehalten.”
Obwohl es der ACPA gelang, die Unterzeichnung des Vertrages hinauszuschieben, zeigt der ganze Vorfall doch, daß bei groß angelegten Entwicklungsprojekten die lokale Einflußnahme und Kontrolle sehr gering, wenn nicht sogar völlig unmöglich ist.

Der Norden ist bereits an den Futtertöpfen

Ein Großteil der Tourismusindustrie ist bereits in den Händen der kleinen, aber mächtigen Gruppe von nach Belize Eingewanderten. Bei der Öko-Tourismuskonferenz waren 25% der Delegierten BürgerInnen der USA. Noch bezeichnender ist der Anteil der KongreßteilnehmerInnen aus Belize, die ehemals BürgerInnen Kanadas oder der USA waren: 43%
Diese ImmigrantInnengemeinde hat sich zu einer entschlossenen und einflußreichen Lobby gemausert. Immigrierte BesitzerInnen von Öko-Urlaubsresorts, die im westlichen Cayo-Distrikt an Flüssen gelegen sind, haben sich strikt gegen weitere Tourismusprojekte ausgesprochen. Die von US-AID initiierte Belize Tourism Industry Association, ein Zusammenschluß privater Interessen, erlebte bei der Wahl ihrer FunktionärInnen im Jahr 1992 nach dem Vorschlag einiger Mitglieder, nur BürgerInnen von Belize für diese Ämter zu nominieren schwere Tumulte. Über die Hälfte der Anwesenden wäre von vornherein von den Ämtern ausgeschlossen gewesen.
Einstweilen betont Belize aufs Neue voll Zuversicht seine Bereitschaft zum Öko-Tourismus und sonnt sich in der Zustimmung des internationalen Tourismus, die es dafür erhält.
“Naturschutz und Ökotourismus gedeihen am besten dort, wo die Sonnenstrahlen bis in die kleinsten, selbstbestimmten Verwaltungseinheiten und Gemeinden vordringen” Diese wonnige Beschreibung stammt von Minister Godfrey. Er wiederholte sie in Rio de Jainero bei der UNCED, als er ZuhörerInnen versicherte, daß “Ökotourismus in lokaler Verantwortlichkeit” das Hauptanliegen seiner Regierung bei Vermarktung und Entwicklung sei.
Aber es ist noch lange nicht klar, ob Belize wirklich erfolgreich den “Verlockungen und Verheißungen des Massentourismus ” widerstanden hat, wie es Godfrey immer so gerne betont. Der Traum einer von Belize selbst kontrollierten Tourismusindustrie in Einklang mit Umwelt, Kultur und Tradition schwindet. Im Gegenteil, die Selbstbestimmung Belizes wird im Ausverkauf an den Meistbietenden vergeben. Wie heißt es doch so schön in einer Werbeanzeige des Ambergris Caye Club Carribean: “Besitzen Sie Ihr eigenes, kleines Paradies … Schon ab 9950 Dollar sind Sie dabei … eine profitversprechende Kapitalanlage.”
Im selben Maß wie ausländische Kontrolle an kleinen wie großen Tourismusanlagen steigt, wie immer größere Projekte entstehen, die unweigerlich irreparable Schäden in der Umwelt nach sich ziehen werden, gerät auch das Projekt Tourismus in Belize mehr und mehr außer Kontrolle.
“Belize und die BelizerInnen”, meint der Herausgeber der Wochenzeitung Amandala nach dem Hatchet Cay Debakel, “werden in diesem ganzen Rennen von denen niedergetrampelt, die unsere Gesetze und Traditionen bestenfalls noch als lästig bezeichnen und unsere Souveränität als die ihrige betrachten.”


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