El Salvador | Nummer 370 - April 2005

Oscar Romero – Zeichen des Widerspruchs

Vor 25 Jahren wurde der Erzbischof von San Salvador erschossen

Auch 25 Jahre nach seiner Ermordung scheiden sich an Erzbischof Oscar Romero die Geister. Fragt man einfache Menschen in El Salvador nach ihm, so weist die Antwort immer in dieselbe Richtung: „Er hat die Wahrheit gesagt, er hat uns verteidigt, und deswegen haben sie ihn umgebracht.“

Martin Maier

Für viele Menschen El Salvadors geht von dem Märtyrerbischof bis heute Hoffnung und Ermutigung aus. Das zeigen Bilder von ihm, die in vielen ärmlichen Hütten hängen. Dagegen ist Romero für die Mehrheit der Mächtigen und Reichen noch immer ein Stein des Anstoßes. Die von ihnen kontrollierten Medien versuchen ihn totzuschweigen. Im schlimmsten Fall machen sie ihn verantwortlich für den Bürgerkrieg von 1980 bis 1992 mit seinen über 75 000 Toten. Im Umgang mit Oscar Romero und seinem Erbe zeigen sich die politischen, sozialen und kirchlichen Widersprüche El Salvadors.

Verhinderte Gerechtigkeit

Bis heute kam es in El Salvador zu keiner gerichtlichen Aufklärung seiner Ermordung. Dabei weiß man inzwischen ziemlich genau Bescheid über die Täter und ihre Hintermänner. Im Bericht der Wahrheitskommission von 1993 war schwarz auf weiß nachzulesen, was man bis dahin nur hinter vorgehaltener Hand sagen konnte: „Es ist völlig offensichtlich, dass der frühere Major Roberto D´Aubuisson den Befehl zur Ermordung des Erzbischofs gab und dass er den Mitgliedern seines Sicherheitsdienstes, die als „Todesschwadron“ agierten, genaue Anweisungen gab, wie der Mord zu organisieren und zu überwachen sei.“ Doch alle Verbrechen des Bürgerkriegs wurden fünf Tage nach der Veröffentlichung dieses Berichts unter den Teppich einer überstürzten und außerdem verfassungswidrigen Generalamnestie gekehrt. So ist es bezeichnend, dass das erste Gerichtsverfahren im Fall Romero im August/September 2004 ein Zivilprozess in den USA war. Dort wurde Álvaro Saravia, der seit 1987 in den USA lebt, als einer der Hauptbeteiligten in Abwesenheit schuldig gesprochen und zu einem Schadensersatz von 10 Millionen Dollar verurteilt.
Roberto D´Aubuisson gründete 1981 die ultrarechte Republikanisch-Nationalistische Allianz (ARENA). Sie stellt seit 1987 ununterbrochen die Regierung. Erzbischof Arturo Rivera y Damas erklärte vor den Wahlen 1994, ein Katholik könne nicht für die Partei stimmen, die vom Mörder Romeros, den sie bis heute als Helden verehrt, gegründet wurde. Neuerdings versucht die politische Rechte, aus dem 1991 verstorbenen D´Aubuisson einen nationalen Mythos zu machen, der das Land vor dem Kommunismus bewahrt habe. In einer der auflagenstärksten Tageszeitungen, dem Diario de Hoy, erschien dazu 2004 über mehrere Wochen verteilt eine achtteilige Sonderbeilage, in welcher seine angeblichen historischen Verdienste für das Vaterland ausgebreitet wurden.

Soziale Spaltung

Prophetisch prangerte Romero die soziale Ungerechtigkeit in El Salvador an. Die Wurzel der Probleme des Landes lag für ihn darin, dass ganz wenige fast alles und sehr viele nichts besaßen. So richtete er sich einmal an die Reichen mit den starken Worten: „Streift eure Ringe von den Fingern, oder es kommt der Tag, wo euch die Hände abgehackt werden.“ Das war keineswegs ein Aufruf zur Gewalt, sondern eine messerscharfe Analyse der Ursachen für die Gewalt in El Salvador. Viele dieser prophetischen Anklagen der Ungerechtigkeit treffen auch auf die heutige Situation El Salvadors zu, das im wesentlichen immer noch ein Land mit zwei Klassen ist: auf der einen Seite die extrem reiche Oberschicht, die vom Wiederaufbau und dem Wirtschaftswachstum nach dem Ende des Bürgerkriegs profitiert hat; auf der anderen Seite die große Mehrheit der Bevölkerung, die nichts von einer Friedensdividende verspürt hat und in immer größeres Elend sinkt. Nach neuen Zahlen der Vereinten Nationen müssen 1,3 Millionen Salvadorianer und Salvadorianerinnen mit weniger als einem Dollar pro Tag ums Überleben kämpfen.

Kirchen von „oben“ und „unten“

Schon zu Lebzeiten Romeros spiegelten sich in der katholischen Kirche die gesellschaftlichen Widersprüche und Spaltungen. So litt er besonders unter der Gegnerschaft des Nuntius und – mit Ausnahme von Arturo Rivera y Damas – der anderen Bischöfe. Auch heute bietet die katholische Kirche in El Salvador ein widersprüchliches Bild. Dies zeigt sich symbolisch in der Kathedrale der Hauptstadt, die in Wirklichkeit aus zwei Kirchen besteht: der „oberen“ Kirche mit einem glänzenden Steinboden und einem überdimensionalen Kronleuchter, in welcher Erzbischof Fernando Sáenz Lacalle vom Opus Dei Gottesdienst feiert; der „unteren“ Kirche der Krypta mit dem Grab Romeros, die an die Katakomben erinnert und wo sich sonntags die Gemeinden zum Gottesdienst versammeln, die seinem Erbe verbunden und treu sind.
Von Widersprüchen gekennzeichnet ist auch das Seligsprechungsverfahren Romeros, das 1990 eröffnet wurde. Nachdem es den Gegnern Romeros nicht gelungen war, ein solches Verfahren überhaupt zu verhindern, versuchten sie, Romeros Bild zu verfälschen. Dabei vermischte man seinen Einsatz und seine Stellungnahmen während der Zeit als Erzbischof mit denen vor seiner Bekehrung. Man erklärte ihn zu einem „frommen, heroisch fürsorglichen Bischof“. Die offensichtliche Absicht dabei war, seine karitative Sorge für die Armen in den Mittelpunkt zu stellen und seine prophetische Anprangerung der Ungerechtigkeit zu ignorieren.
Inzwischen wurden einer baldigen Seligsprechung neue Hindernisse in den Weg gelegt. Bis heute sitzen Gegner Romeros an einflussreichen Stellen im Vatikan. Noch leben in El Salvador die Mitglieder der Oberschicht, die auf die Nachricht seiner Ermordung mit Champagner angestoßen haben, und auch die Hintermänner aus dem Umkreis von Roberto D´Aubuisson. Weiterhin wird behauptet, Romero sei von bestimmten kirchlichen und politischen Gruppen manipuliert worden.
Für die theologische Inspiration Romeros steht das theologische Zentrum der Zentralamerikanischen Universität, das seinen Namen trägt, und das zu einem der wichtigsten Zentren der Befreiungstheologie in Lateinamerika geworden ist. Konservative kirchliche Kreise erklären seit Jahren, die Theologie der Befreiung sei tot. Das „Centro Monseñor Romero“ ist mit seiner Lehr- und Forschungstätigkeit sowie mit seinen Publikationen ein lebendiger Gegenbeweis. Dort findet Ende März 2005 ein internationales theologisches Symposion anlässlich des 25. Todestags von Oscar Romero statt. Gustavo Gutiérrez, der Vater der Theologie der Befreiung, wird dabei über Romeros Bedeutung für unsere Zeit sprechen.

Die Aktualität Romeros

Wie in einem Brennglas bündelten sich die Widersprüche El Salvadors kürzlich in folgendem Ereignis: Am 29. November 2004 wurde ein neues Kaufhaus des Unternehmens Simán eingeweiht, das in seiner Luxusarchitektur und mit 10.000 Quadratmetern Verkaufsfläche in Zentralamerika beispiellos ist. Die wichtigsten staatlichen Würdenträger, die Wirtschaftsoligarchie und das diplomatische Corps gaben sich ein Stelldichein. Der Präsident Elías Antonio Saca überschlug sich in seiner Rede in Lobeshymnen auf die Kaufhausdynastie Simán. Erzbischof Fernando Sáenz Lacalle segnete den Konsumtempel.
Nur wenige hundert Meter entfernt von dem Kaufhaus hausen die Menschen in elenden Hütten. Sie dürften kaum jemals zu den Kunden zählen und von den bewaffneten Wächtern schon am Betreten gehindert werden. Bei Romero lassen sich dazu passende Sätze finden: „Bei uns sind die schrecklichen Worte der Propheten auch heute noch grausame Wahrheit. Auch bei uns gibt es jene, die „den Unschuldigen für Geld und den Armen für ein paar Sandalen verkaufen“, jene, die in ihren Palästen Gewalt und Raub anhäufen; die den Armen in den Staub treten; die dafür sorgen, dass ein Reich der Gewalt entsteht, während sie in ihren Elfenbeinbetten liegen; die ein Haus nach dem anderen erwerben und sich ein Stück Land nach dem anderen aneignen, bis sie das ganze Land besitzen und Alleinherrscher sind.“
Hier die Hoffnung nicht zu verlieren, war schon für Romero eine schwierige Herausforderung. Doch eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche sah er darin, trotz allem die Hoffnung auf Veränderungen am Leben zu erhalten. Er predigte keine billige Hoffnung. Wie die Propheten Israels vertraute er darauf, dass Gott die Geschichte seines Volkes durch alle Untergänge, alle Untreue und Katastrophen hindurch doch zum Heil lenken würde. Einer seiner bekanntesten Hoffnungssätze lautet: „Über diesen Ruinen wird die Herrlichkeit des Herrn aufleuchten.“ So motiviert und inspiriert Oscar Romero bis heute viele in El Salvador und weltweit, sich für eine gerechtere und menschlichere Welt einzusetzen.

Martin Maier, ist Chefredakteur der „Stimmen der Zeit“ und Gastdozent an der Zentralamerikanischen Universität von San Salvador. Er arbeitete in den 80er Jahren als Pfarrer in El Salvador und fand am Morgen des 16.01.1989 die Leichen der sechs ermordeten Jesuiten, unter ihnen Ignacio Ellacuría, Rektor der Zentralamerikanischen Universität San Salvadors (UCA). Auf der Basis seiner Erfahrungen und persönlichen Kontakte zu ZeitgenossInnen Romeros schrieb Maier 2001 die Biographie „Oscar Romero. Meister der Spiritualität“.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da - egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende, alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren