Mexiko | Nummer 491 - Mai 2015

Paramilitarismus als Politik

Die neueste Vertreibung einer indigenen Gemeinde in Chiapas verdeutlicht die starke Präsenz der paramilitärischen Organisation CIOAC-H in der Region

Am 23. Februar wurde die indigene Gemeinde Primero de Agosto gewaltsam durch die paramilitärische Organisation CIOAC-H von ihrem Land vertrieben. Der bisherige Höhepunkt der Aggressionen resultiert aus einem Konflikt um den Rechtsanspruch auf das besiedelte Gebiet.

Ardilla Negra

„Wir leben unter unmenschlichen Bedingungen bedroht von Regen, Kälte und Hitze; bedroht von den Anwohnern des Ejidos Miguel Hidalgo, ermordet und entführt zu werden.“ So lautet es in der letzten öffentlichen Mitteilung der Gemeinde Primero de Agosto aus ihrem Exil. Am 23. Februar dieses Jahres wurden die Bewohner*innen mit Waffengewalt von ihrem Grundstück vertrieben. Sie sind die jüngsten Opfer der paramilitärischen Gewalt der CIOAC-H, einer Abspaltung des Unabhängigen Verbands der Landarbeiter und Bauern (CIOAC). Bereits vor gut einem Jahr war die Organisation auf ähnlich unangenehme Weise in Erscheinung getreten: Am 2. Mai 2014 attackierten die Paramilitärs die zapatistische Gemeinde La Realidad, zerstörten dabei die autonome Schule und Klinik und ermordeten den zapatistischen Lehrer José Luis Solís, genannt Galeano (siehe LN 480).
Bei Primero de Agosto handelt es sich nicht um eine zapatistische Gemeinde, aber auch sie befindet sich im Widerstand gegen die Politik der mexikanischen Regierung. Das am 1. August 2013 von 17 Tolojabal sprechenden Familien besiedelte Land gehörte bis 1994 zum Ejido Miguel Hidalgo. Im Zuge des Aufstandes der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) wurde es jedoch zurückgewonnen und gehört seitdem offiziell nicht mehr zum Ejido (Gemeindeland, Anm.d.Red.). Die Autoritäten von Miguel Hidalgo haben demnach keinen Rechtsanspruch auf das Gebiet. Dennoch sehen sich die Bewohner*innen von Primero de Agosto seit ihrer Gründung permanenten Aggressionen und Bedrohungen ausgesetzt.
Am 9. Mai letzten Jahres, nur eine Woche nach dem Mord an Galeano, drangen Autoritäten des Ejido Miguel Hildalgo und Mitglieder der CIOAC-H in die Gemeinde ein. Sie schlugen mit Stöcken und Macheten auf die Bewohner*innen ein und verletzten einen jungen Mann stark am Hals. In der Folge verlor der 24-Jährige die Beweglichkeit seines linken Armes und hat seither keinerlei medizinische Versorgung erhalten.
Aufgrund der andauernden Gewalt und den Vereibungsdrohungen, wandten die Bewohner*innen von Primero de Agosto sich Mitte letzten Jahres an das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas in San Cristóbal. Daraufhin begann ein Dialog zwischen den Ejido-Autoritäten, der Bundesstaatsregierung von Chiapas und den 17 Familien. Sie einigten sich darauf, weitere physische und verbale Aggressionen zu unterlassen und hielten dies schriftlich in einem Abkommen fest.
Die Gewalt nahm jedoch kein Ende und erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt nun in der Vertreibung durch die CIOAC-H, der auch Ejido-Autoritäten angehören. „Ich befand mich gerade in der Küche um Tortillas zuzubereiten, als ich sah, wie 15 bewaffnete und vermummte Männer mit großen schwarzen Schusswaffen angerannt kamen und unsere Häuser umzingelten“, berichtet die 19-jährige Elvira Méndez Pérez, die im siebten Monat schwanger ist. Insgesamt waren es über 50 Personen, unter ihnen auch Kinder, die zum Verlassen ihrer Gemeinde gezwungen wurden. Zudem zerstörten die Angreifer ihre Häuser und Pflanzen und raubten die Ernteerträge, Tiere, Kleidung und den Hausrat.
Die Verflechtung zwischen Paramilitarismus, lokalen Autoritäten und Regierung ist kein Einzelfall. Die mexikanische Regierung führt zwar keinen offenen Krieg mehr gegen die aufständischen Gemeinden, inoffiziell aber versucht sie durch verschiedenste Methoden den indigenen Widerstand zu brechen. Der Paramilitarismus ist dafür, neben psychischer Gewalt und manipulativen Regierungsprogrammen, mit denen regierungstreue Gemeinden stark bevorzugt werden, ein Instrument. Begleitet wird diese Zermürbungstaktik von einem rassistischen Diskurs. Die Konflikte in den Gemeinden werden mit der „gewaltvollen Natur“ der Indigenen begründet und als inner- oder interethnische Konflikte dargestellt.
Die Bewohner*innen von Primero de Agosto leben seit ihrer Vertreibung unter Plastikplanen in einem nahegelegenen Waldstück. Die Versorgung mit dem Nötigsten ist trotz zahlreicher Unterstützungen aus umliegenden Gemeinden nur ungenügend. Denn diese haben oft selber nur wenig. Die Kirche der eine Stunde entfernten Gemeinde Las Margaritas versorgt die Vertriebenen wöchentlich mit Trinkwasser, was jedoch kaum die gesamte Woche abdeckt. Die mangelhaften hygienischen Zustände führen zu Krankheiten. Besonders die zwölf Kinder leiden unter diesen Bedingungen. „Unsere Kinder erkranken an Husten, Fieber, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Typhus und fragen uns ständig, wann wir zurück nach Hause gehen“, berichten die Frauen der Gemeinde. Außerdem lebt die Gemeinde in ständiger Furcht vor erneuter Gewalt. „Ich fühle mich in Gefahr, ohne irgendeinen Schutz. Ich habe Angst, dass mir oder meinen compañeros etwas passiert“, berichtet María Rodriguez. Dies hat zur Folge, dass sie kaum schlafen können und somit keine Erholung finden. Fast täglich kommen Ejido-Autoritäten und Angehörige der CIOAC-H vorbei und drohen mit erneuter Vertreibung oder gar Ermordung.
Bereits zwei Tage nach der Verteibung gab es ein Treffen mit der Regierung von Chiapas. Die Autoritäten des Ejidos Miguel Hidalgo erschienen jedoch nicht. Dennoch wurde ein Abkommen unterzeichnet, in dem es heißt, zur Lösung des Konflikts das entsprechende Stück Land mit einer Größe von 74 Hektar in zwei gleich große Stücke zu teilen – eines für Primero de Agosto und eines für Miguel Hidalgo. Angesichts der Tatsache, dass letztere keinerlei Rechtsanspruch auf das Stück Land haben, ist diese Lösung alles andere als gerecht. Doch selbst dies hat die Regierung bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht durchgesetzt. Seit mehr als zwei Monaten leben die Bewohner*innen von Primero de Agosto nun schon in ihren Notunterkünften. „Wir sind sehr traurig über diese Zwangsvertreibung. Wir wollen so schnell wie möglich in die Gemeinde Primero de Agosto zurückkehren, denn dort ist unser Leben und dort sind wir sicher“, heißt es von den Frauen. „Wir fordern, dass die Regierung ihrer Verpflichtung nachkommt.“
Neben der sofortigen Rückkehr in ihre Gemeinde fordern ihre Bewohner*innen Gerechtigkeit. Die Verantwortlichen sollen zur Rechenschaft gezogen und der entstandene Schaden wieder gutgemacht werden. Neben dem Wiederaufbau der Häuser und der Rückgabe der Ernteerträge und Tiere beinhaltet dies auch die Durchführung einer chirurgischen Behandlung des Bewohners, der die Beweglichkeit seines Armes verloren hat. Doch von Gerechtigkeit ist derzeit keine Spur, wie es in Mexiko die Regel ist.
Im gut zwei Autostunden von Primero de Agosto entfernten La Realidad eröffneten die Zapatistas indes am 1. März dieses Jahres eine neue Schule sowie eine Klinik. Finanziert wurden diese durch die nach wie vor lebendige nationale wie internationale Solidaritätsszene.
Bleibt zu hoffen, dass es auch im Konflikt um die Gemeinde Primero de Agosto bald zu einer Lösung kommt. An ihrem Kampfesgeist besteht kein Zweifel, aber so lange die Regierung nicht für ihren Schutz und die Rückkehr in ihre Gemeinde einsteht, werden die Agressionen von Seiten des Ejido Miguel Hidalgo und der Paramilitärs wohl weitergehen.


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