Parodie der Verlagswelt
Ein Interview mit dem mexikanischen Schriftsteller Daniel Sada über seinen neuen Roman Ritmo Delta, die Kommerzialisierung des Buchmarktes und seine Leidenschaft für die Sprache
Die Verlage tendieren dazu, Bücher in einen gewinnbringenden Markt unter vielen zu verwandeln, anstatt sie als Kunst- oder Denkwerke anzusehen. Glauben Sie, dass es sich hierbei um ein relativ neues Phänomen handelt oder gab es diese Tendenz bereits viel früher?
Diese Tendenz ist zunächst einmal absolut krankhaft. Mittlerweile soll der Schriftsteller gleichzeitig Verkäufer sein, um so auf dem Markt bestehen zu können. Diese angeblich erfolgreiche Explosion ist zwar keine neue Erscheinung, man sollte sich jedoch fragen, ob die Autoren, die so viel Wert auf Rezeption legen, völlig ehrlich mit ihrer emotionalen und intellektuellen Wahrnehmung umgehen. Meiner Meinung nach wissen sie bereits vorher, dass sie falsch spielen. Obwohl es natürlich auch sein kann, dass sie diese Art von Büchern veröffentlichen, weil sie einfach nicht mehr leisten können oder wollen. Natürlich würde auch ich gerne eine große Menge an Lesern erreichen – jedoch ohne dabei das Authentischste meines Geistes zu opfern.
Den Urnendiebstahl am Tag der Wahlen, eines der zentralen Ereignisse in Porque parece mentira la verdad nunca se sabe, haben Sie in Ihrer Jugend selbst miterlebt. Entspringt auch die Idee von Ritmo Delta, die Verlagsindustrie zu parodieren, einer persönlichen Erfahrung?
Nicht mit genauer Abbildungstreue, aber ich wollte schon immer die Schrillheit des Verlagsmarktes zum Thema eines Romans machen. Mir scheint, dass wir heutzutage von verschiedenen Krankheiten gequält werden. Eine von ihnen ist die zwanghafte Trägheit bei der Wahl der Lektüre, mit der wir folglich den Großteil des Angebots einer Buchhandlung übergehen. Ich möchte gerne herausfinden, weshalb eine Welt von Lesern nur ein bestimmtes Buch lesen sollte. Es erscheint mir symptomatisch und unverhältnismäßig, dass Harry Potter oder The Da Vinci Code Millionenauflagen erzielen, während die große Weltliteratur nur isoliert Erwähnung findet. Oder, mit anderen Worten, dass jedes Buch, das eine Herausforderung in der Lektüre darstellt, in die Verbannung geschickt wird.
War es schwierig für Sie, der Versuchung zu widerstehen, einfache, unterhaltende Bücher zu schreiben, die ein größeres Lesepublikum anziehen würden?
Ich finde es schwierig, ausfindig zu machen, wie eine neutrale Sprache aussehen könnte oder sollte. Chesterson sagte, dass ein Schriftsteller vor allem intelligent und verständlich sein sollte, aber ich frage mich: Verständlich für wen? Für die Hausfrauen? Für die Lebensmittelverkäufer? Für die Philologen? Es gibt Schriftsteller, die geltend machen, dass man in einer Sprache schreiben sollte, die einfach zu übersetzen ist, darin liege die ganze Leistung. Ich selbst glaube an gar nichts von alldem. Mir ist es wichtig, mich durch mein Werk ganz und gar auszusprechen. Meiner Wahrnehmung gegenüber authentisch zu sein, auch dann, wenn sich das Ergebnis dieser Aufgabe als inhaltlich dichter oder auch leichter erweist. Der klar strukturierte Satz mit Subjekt, Verb und Objekt ist für mich die Sprache der Werbung sowohl der Politiker als auch der Publizisten. Diese müssen sich tatsächlich um Klarheit in ihrer Aussage sorgen.
In Ihren früheren Romanen beschreiben die Erzähler die Träume einiger Charaktere. In Ritmo Delta nimmt das Träumen ebenfalls einen zentralen Platz ein. Wie denken Sie über die Welt der Träume?
Die Hälfte unseres Lebens verbringen wir träumend, sei es ausgehend von dem, was wir fürchten, oder von dem, was wir uns wünschen. Diese Vorstellung von einer vollkommenen Welt ist meinem Gefühl nach auch Teil der Fiktion. Ich habe niemals empfunden, dass ein Traum mich täuschen könnte. Die Träume enthüllen uns viel mehr, als unsere Vorstellungskraft uns bieten kann.
Zum ersten Mal in Ihrem Werk interessieren sich die ProtagonistInnen des Romans für Literatur und Geisteswissenschaften, und einer von ihnen, Dagoberto, ist sogar selbst Schriftsteller. Stellte es für Sie eine neue Herausforderung dar, einen Roman mit literarisch aufgeklärten Figuren zu schreiben?
Jedes Mal, wenn ich einen Roman schreibe, habe ich das Thema, das behandelt wird, schon lange vorher durchdrungen. Ich lasse mich nicht von Einfällen in letzter Minute leiten oder davon, was ich intuitiv für ein potenziell aktuelles Thema halte. Die Figuren meiner Romane sind Produkte meiner Fantasie: Es kann sich bei ihnen sowohl um Mörder, Intellektuelle oder Politiker, als auch um einfache Menschen handeln.
„Wir mögen die Literatur, weil wir die Realität nicht ertragen, oder weil sie uns unzureichend erscheint”, sagt der blinde Großvater Dagoberto Pastrana. Liegen Ihrem Gefallen an Literatur dieselben Motive zu Grunde?
Selbstverständlich. Ich glaube, dass sich jeder Künstler der Kreation zuwendet, da er das, was ihm die Realität liefert, als unzureichend empfindet. Er muss sich eine parallele Wirklichkeit schaffen, um das Leben mit mehr Fassung tragen zu können. Das betrifft auch die Lektüre – und ich halte mich für einen guten Leser.
Borges hat einmal zugegeben, dass er beim Schreiben seiner Jugendwerke, die reich an typisch argentinischen Ausdrücken sind, spezielle Wörterbücher benutzte. Nehmen Sie Wörterbücher mit Mexikanismen zu Hilfe, um die Umgangssprache in Ihren Werken aufleben zu lassen?
Ich interessiere mich sehr viel mehr für verlorene Sprachformen als für die heute dominanten. Eine Sprache kann man auf vielfältige Weise erforschen. Je tiefer ich in meine Sprache vordringe, desto mehr weite ich meine Vorstellungskraft aus; so kann ich den Betrug und Schwindel der Alltagssprache, ihre Reichweite und Grenzen entdecken. Es handelt sich dabei auch um eine Erforschung meiner selbst. Ihr Ziel ist es, zu erkennen, bis wohin die Logik der Sprache sich ein ästhetisches Fünkchen vorbehalten kann und bis zu welchem Punkt mein Wissen sensibel ist – oder auch nicht.
Ihre Novelle Una de dos wurde bereits verfilmt, und nächstes Jahr erscheint Luces Artificiales im Kino. In Ihren Büchern spielt Sprache eine fundamentale Rolle. Glauben Sie nicht, dass ein großer Teil der sprachlichen Komplexität durch eine Verfilmung verloren geht?
Das Kino nimmt eine Adaption der Geschichte vor. Es ist keinesfalls ein glaubwürdiges Mittel, um die Strategien des Romans an eine Geschichte anzupassen, die aus einer langen Strecke von Bildern besteht. Selbstverständlich impliziert die Übertragung vom Roman zum Film einen Verlust, aber das gleiche passiert schließlich auch bei der Übersetzung eines Buches.
Sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen Ihrer Romanverfilmungen?
Das Drehbuch von Una de dos habe ich in Gemeinschaftsarbeit mit Marcel Sisniega, dem Regisseur des Films, verfasst. Genauso wie bei Luces Artificiales. In Bezug auf Una de dos hatte ich mir die Aufgabe gestellt, den Charakter des Romans und seinen narrativen Rhythmus in der Verfilmung zu bewahren. Mit dem Ergebnis bin ich zufrieden.
Interview: José Antonio Salinas Übersetzung: Inga Opitz
Ritmo Delta. Planeta (Mexiko) 2005 / Ediciones Destino (Spanisch) 2005. 500 Seiten, Spanisch, ca.19 Euro