Mexiko | Nummer 337/338 - Juli/August 2002

Politische Gefangene in Mexiko

Die Befreiung von Erika Zamora und Efrén Cortés

Erika Zamora und Efrén Cortés wurden im Jahr 1998 bei dem vom mexikanischen Militär verübten Massaker El Charco in Guerrero verhaftet und angeklagt, Kommandanten der Guerilla ERPI zu sein. Nach fast vier Jahren Haft wurden sie nun freigesprochen und fordern die Aufklärung des Massakers sowie die Bestrafung ihrer Folterer.

Anders Schneider

Nach fast vier Jahren Gefangenschaft wurden die beiden politischen Häftlinge Erika Zamora Pardo und Efrén Cortés Chávez am 30. Mai diesen Jahres in die Freiheit entlassen. Das erste Kammergericht des Bundesstaates Guerrero bewilligte die Aufhebung des Urteilsspruchs, da die klagende Staatsanwaltschaft die zugeschriebenen Delikte nicht ausreichend beweisen konnte.
Erika Zamora befand sich zuletzt im Gefängnis in Chilpancingo (Guerrero), und wurde dort zu ihrer Entlassung von vielen Freunden und Studienkollegen empfangen. Noch deutlich von ihrem, einen Tag vor der Freilassung beendeten, 20-tägigen Hungerstreik gezeichnet, trat sie inzwischen mehrfach an die Öffentlichkeit. Efrén Cortés hingegen hielt sich nach der Freilassung aus dem Hochsicherheitsgefängnis Puente Grande im Bundesstaat Jalisco eher im Hintergrund.
Die beiden Studenten der Nationalen Autonomen Universität Mexikos (UNAM) wurden 1998 während dem Massaker von El Charco im Bundesstaat Guerrero festgenommen. In der Nacht des 7. Juni 1998 drang ein Militärkommando, auf der Suche nach einer vermeintlichen Konspiration der Guerilla ERPI, in das Schulgebäude der Gemeinschaft El Charco in der Gemeinde Ayutla de los Libres ein. In der Schule nächtigten in diesen Tagen jedoch mehr als vierzig Bauern der Region, die an einer Gemeindeversammlung teilnahmen. Drei Studenten der UNAM, unter ihnen Erika Zamora und Efrén Cortés, hielten sich im Rahmen einer Alphabetisierungskampagne gemeinsam mit den Bauern in der Schule auf.

Massaker im Morgengrauen

Im Morgengrauen eröffneten die Militärs das Feuer auf die Schlafenden und verübten ein Massaker, bei dem 10 Bauern und der Student Ricardo Zavala ums Leben kamen. 22 Personen wurden verhaftet. Rechtfertigung suchte das Militär damit, dass angeblich 14 Waffen in der Schule vorgefunden wurden, die Vorwürfe sind allerdings sehr zweifelhaft und wurden von den überlebenden Bauern und Studenten stets dementiert. Aufgefundene subversive Propaganda, die inzwischen als öffentlich zugängliches Material wie Handbücher zur Alphabetisierung, Exemplare der Tageszeitung La Jornada oder das Popol Vuh de Maya identifiziert werden konnten, wurden als weiterer Beweis für die Zugehörigkeit zur Guerilla bewertet.

Mexikanische Art von Verfahren

Erika Zamora wurde nach dem Massaker mehr als 30 Stunden von Soldaten in Gefangenschaft genommen. Ihre ersten Aussagen nahm man ihr ohne die Anwesenheit eines Anwaltes ab. Allein dieser Umstand hätte eine automatische Annullierung des Gerichtsverfahrens zur Folge haben müssen, doch auch heute werden in Mexiko solche elementaren Rechte eines jeden in Haft genommenen verletzt. Die 9. Militärregion mit Sitz in Acapulco nahm Erika Zamora in Gewahrsam. Sie wurde dort geschlagen und gefoltert, um Geständnisse zu erzwingen, die später in den Anklagen Verwendung fanden. Demnach hatte Erika Zamora ausgesagt, für die Guerilla unter dem Decknamen Rosario gearbeitet zu haben, der Bezug auf jene Gemeinde El Rosario nehmen sollte, in der sie 21 Jahre zuvor geboren wurde.
Nach dem Massaker in El Charco konzentrierten sich die Anklagen der Staatsanwaltschaft auf die zwei überlebenden Studenten, die als Kommandanten der ERPI ausgemacht wurden. Erika Zamora und Efrén Cortés wurden wegen Anstiftung zur Rebellion und unerlaubten Waffenbesitzes zu mehr als acht Jahren Gefängnis verurteilt.

Kaum noch Hoffnung auf Gerechtigkeit

Nach den zahlreichen Irregularitäten, die in ihrem Fall aufgetreten waren, hatten Zamora und Cortés zuletzt kaum noch Hoffnung, dass ihnen Gerechtigkeit wiederfahren würde. Gemeinsam mit anderen politischen Häftlingen des Landes traten sie im Mai in einen Hungestreik. Erika Zamora beendete diesen nach 20 Tagen, einen Tag vor ihrer Entlassung. In dieser Zeit erhielt sie nachdrücklich die Unterstützung namhafter Persönlichkeiten, wie die General José Francisco Gallardo Rodríguez, der seinerseits ebenfalls acht Jahre als politischer Häftling im Gefängniss gesessen hatte. General Gallardo hatte damals Kritik an den Menschenrechtsverletungen des mexikanischen Militärs geübt, und sich für die Einführung eines Militärombudsmann eingesetzt. Seine Strafe wurde dann von 28 Jahren und acht Monaten auf acht Jahre reduziert, das Urteil an sich aber nicht aufgehoben. Nach seiner Freilassung am 7. Februar dieses Jahres erklärte Gallardo, dass er weiterhin vor den Gerichten auf die Anerkennung seiner Unschuld seitens der Regierung bestehen wird.
Erika Zamora und Efrén Cortés wurden unter der damaligen PRI-Regierung Ernesto Zedillos verurteilt, jedoch befanden sie sich auch nach dem Regierungsantritt der PAN im Jahr 2000 weiterhin in Haft.
Wie ernst es der Regierung von Präsident Vicente Fox mit der Freilassung der beiden Studenten ist, wird sich daran zeigen, wie sie mit den Menschenrechtsverletzungen in Mexiko und im Speziellen mit dem Fall El Charco umgeht. Nach fast vier Jahren Gefangenschaft sind die zwei Studenten zwar freigelassen worden, aber ihre Folterer und die Verantwortlichen des Massakrers sind noch immer auf freiem Fuß.

Täter ohne Strafe

Zamora kündigte inzwischen an, dass sie weiterhin Wege suchen wird, um gegen die Straflosigkeit zu kämpfen, damit die beiden verantwortlichen Generäle Luis Humberto López Portillo Leal und Alfredo Oropeza Garnica vor zivile Gerichte gestellt werden: „Sie sollen nicht nur die vier Jahre bezahlen, die sie mich meiner Freiheit beraubten, sondern auch alle Ungerechtigkeiten, Folterungen und Verletzungen der Menschenrechte, die sie zu verantworten haben.“
Die Fox-Regierung entließ bereits vor Erika Zamora und Efrén Cortés politische Gefangene aus der Haft, ohne jedoch zur Aufklärung der Fälle beizutragen oder den Folterungen nachzugehen. Stattdessen genießen die Täter noch immer Straflosigkeit, während die Regierung ihren guten Willen international zu präsentieren weiß.

Entlassung ohne Feispruch

Erinnert sei hier an die beiden Umweltschutz-Aktivisten Rodolfo Montiel und Teodoro Cabrea, die am 8. November letzten Jahres nach der Intervention von Präsident Fox aus humanitären Gründen entlassen wurden, ohne jedoch von den Anklagen freigesprochen zu sein.
„Meine Freiheit habe ich nicht Fox zu verdanken”, äußerte Erika Zamora, denn diese Freilassung war weder ein Zugeständnis, noch eine Geste des guten Willens der Regierung, sondern „schlicht und einfach ein Akt der Gerechtigkeit.”

Ehemaliger General unterstützt Amnestie

Erika Zamora, Efrén Cortés und General Gallardo unterstützen ein bundesweites Amnestiegesetz für die vielen, noch immer in Haft befindlichen politischen Gefangenen Mexikos. „Ich gebe zu, dass meine Freilassung ein wichtiger Schritt für die Gerechtigkeit in Mexiko ist”, sagte Erika Zamora bei ihrer Begrüßung in der UNAM, „aber wenn Präsident Fox seinen Menschenrechtsdiskurs auch in der Realität umsetzen will, sollte er eine sofortige Revision der Fälle der vielen anderen politischen Gefangenen anordnen, die sich noch immer in Gefangenschaft befinden.” Die bekanntesten Fälle sind die der zapatistischen Gefangenen. Bei den Gebrüdern Cerezo Contreras handelt es sich beispielsweise um drei Studenten, die gemeinsam mit zwei weiteren Personen angeklagt wurden, am 8. August 2001 im Namen der Guerilla FARP Anschläge gegen Filialien der Bank Banamex verübt zu haben. Alejandro, Héctor und Antonio Cerezo Contreras befinden sich seitdem im Hochsicherheitsgefängnis La Palma des Bundesstaat México. Die Beweise sind mangelhaft und ähnlich unglaubwürdig, wie sie es schon im Fall Erika Zamora und Efrén Cortés waren. Vieles deutet darauf hin, dass die drei Brüder nur deshalb als Beschuldigte ausgewählt wurden, weil angenommen wird, dass ihre Eltern Angehörige der ERPI in Guerrero seien. Kann man die Eltern nicht auffinden, sollen eben die Söhne dafür büßen – auch heute wird in Mexiko nicht von solch schmutzigen Methoden abgelassen. Um zu beweisen, dass der Staatsapparat alles unter Kontrolle hat, zieht es die Regierung vor, schnellstmöglich vermeintliche Schuldige für die Anschläge gegen Banamex anzuklagen, anstatt gründliche Untersuchungen zu unternehmen. Die Brüder Cerezo Contreras berichten zudem von Folterungen, die sie nach der Verhaftung erlitten haben. Zwei weitere Geschwister, die sich inzwischen aktiv für die Freiheit ihrer Brüder einsetzen, haben Drohungen und Einschüchterungen erfahren.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren