Revolution in der Revolution
Capitán Maribel erzählt, wie sich die zapatistischen Frauen organisiert haben.
Daß ich in die EZLN eingetreten bin kam, nachdem ein Onkel meinem Vater von ihr erzählte. Er wußte schon seit zwei Jahren von der Bewegung und machte den Vorschlag, ich solle doch mal ausprobieren, in eine Schule zu gehen, wo man mir beibringen würde, was Politik ist, was es bedeutet militärisch aktiv zu sein und wie sich das revolutionäre Leben vom Leben in den Dörfern unterscheidet. Mein Vater war einverstanden, und meinte: “Ja, geh und nimm an der Bewegung teil!”. Das war ein Glück, denn nur so kann man die indígenas organisieren, und das weiß die EZLN auch ganz genau.
1984 bin ich also eingetreten. Zuerst war ich ein Jahr in dieser Schule wo mir lesen, schreiben und spanisch sprechen beigebracht wurde. Ich habe auch viel über Kultur und Politik erfahren und darüber, warum wir die Waffe in die Hand nehmen müßten.
Ich bekam einige Arbeiten angeboten: Als Schneiderin, als Tischlerin, als Schusterin. Ich habe auch gelernt, eine Schreibmaschine und eine Nähmaschine zu bedienen und sogar, ein Auto zu reparieren. Schließlich beschloß ich, Guerillera zu werden.Im Jahr 1985, genau am ersten Mai, kam ich also hierher in die Berge. Und hier haben die compañeros wirklich angefangen, mich militärisch auszubilden. Mit viel Geduld am Anfang, klar, denn man muß ja zuerst lernen, mit dem Gepäck überhaupt die Berge rauf und runter zu kommen. Wir mußten weite Strecken laufen, um Essen zu besorgen. Es hat fast immer einen ganzen Tag gedauert, um überhaupt hinzukommen, dann haben wir dort geschlafen, am nächsten Tag aufgeladen und sind wieder zu unserem Camp zurückgekehrt.
Immer und immer wieder wurde uns erklärt, wofür wir kämpfen würden, wer unsere Feinde und wer unsere Verbündeten wären und wie unser Krieg aussehen würde. Wir lernten viel, was militärische Taktiken angeht: Zum Beispiel, wie man die Waffen bedient und wie sie heißen, und eben, was unsere Taktik in der Stunde des Kampfes sein würde.
Politische Bewußtseinsbildung
Damals hätte ich nie gedacht, daß ich einmal das sein würde, was ich heute bin: Erste capitán des EZLN. Ich hätte nicht gedacht, daß ich es so weit bringen würde. Mein Auftrag lautete damals schließlich, noch mehr compañeras zu organisieren.
Wir fingen dann an, soge-nannte radio-periodicos zu machen – Kassettenaufnahmen, wo bestimmte Themen be-handelt werden. Zum Beispiel der Kampf um Land. Weil in den indigenen Gemeinden vie-le compañeras kein spanisch verstehen, müssen wir es übersetzen, und dann schicken wir die Kassetten dorthin. So begannen die compañeras in den Gemeinden, unsere Botschaften zu hören.
Natürlich mußten wir Aufständischen das alles ganz vorsichtig machen, damit es niemand mitkriegt und damit auch niemand rauskriegt wer wir sind. Wir mußten immer Ausreden suchen: Zum Beispiel haben wir gesagt, wir wären Studentinnen oder Nonnen, Betschwestern, um Gottes Wort zu predigen. Und das haben wir ja letztendlich auch gemacht, denn Gottes Wort hat ja auch etwas mit Ausbeutung und Ungerechtigkeit zu tun.
Dann haben die compañeras selbst angefangen, uns einzuladen. Wir haben ihnen erzählt, daß wir kämpfen würden, weil etwas getan werden muß, bevor wir verhungern oder uns die Krankheiten fertigmachen. Wir haben den compañeras auch beigebracht, wie man in Kooperativen zusammenarbeitet. So hat die ganze Organisiererei unter den indígena-Frauen angefangen. In diesen Jahren ist auch das Revolutionäre Indigene Untergrundkommitee geboren worden.
Ich war es ja gar nicht gewöhnt, aber wir haben gesehen, daß unter den aufständischen compañeros Respekt herrscht, und wir wurden auch immer respektvoll angeredet. Das ist eine Behandlung, die es in den Gemeinden nicht gibt. Aber viele Frauen in den Gemeinden wußten nicht genau, ob sie mitkommen sollten. Schließlich gibt es ja auch Probleme, zum Beispiel, was machen wir, wenn wir die Tage haben. Beim Training, Laufen, Springen? Solche Fragen hatten die compañeras. Dann sagten wir ihnen immer: Es gibt nichts Schlimmeres als das Leiden der Bevölkerung. Wenn man darüber nachdenkt, entscheidet man sich und kämpft, das macht dann alles nichts aus, und man lernt, so zu leben.
Im Laufe der Zeit haben sich uns viele, viele compañeras angeschlossen . Fast ein Drittel in der EZLN sind Frauen.
Wir sehen uns dazu gezwungen, das zu machen, weil die Politik selbst uns zu verstehen gegeben hat, daß die Ausbeutung nicht nur gegen die Männer, sondern auch gegen die Frauen gerichtet ist. Und eine Frau, die ausgebeutet wird, hat das Recht und die Pflicht, für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen. Viele Frauen und auch ich haben es so verstanden, daß wir hier an der Seite der compañeros kämpfen müssen, mit Waffen oder auf andere Art und Weise. Zum Beispiel gibt es auch die Unterstützergemeinden. Da versorgen die Frauen selbst die Milizionäre und uns mit Essen. In Guadalupe Tepeyac zum Beispiel hatten die compañeras einen Laden, eine Legehennenkooperative und eine Schneiderei. Davon haben sie dann einiges der Gemeinde gelassen, einiges selbst verkauft und einiges uns geschickt.
Das Frauengesetz des EZLN
Die Rekrutierung verlief sehr langsam, von Familie zu Familie. Wenn es in einer Gemeinde dann eine Gruppe gab, ernannte diese einen lokalen Verantwortlichen. Aber wir wollten nicht nur verantwortliche Männer, sondern auch eine Verantwortliche für die Frauen. Als die Diskussion über die revolutionäre Gesetzgebung aufkam, war den Frauen klar, daß sie auch für ihre eigenen Bedürfnisse kämpfen mußten, abgesehen von unseren allgemeinen Forderungen. Die compañeras fingen an zu sagen: Bei uns in den Dörfern gibt es einige Ungerechtigkeiten, die sich aus dem Denken der Reichen bei unseren Männern eingeschlichen haben, die wollen über die Frauen bestimmen, und das ist schlecht für uns!
Es gibt noch viele Dinge, für die wir kämpfen müssen. Die Frauen beginnen jetzt, mehr Mitbestimmung einzufordern, sie können sich untereinander versammeln und diskutieren, wie und was sie während oder nach dem Krieg machen würden, und welche ihre Forderungen für die Zukunft sein würden. Sie fingen jetzt sogar an, sich nicht nur zu treffen, sondern auch kulturelle Aktivitäten abzuhalten, an denen compañeras aus verschiedenen Gemeinden teilnahmen. Diese Treffen veranstalteten wir hauptsächlich am 8. März, dem Internationalen Frauentag. Die Frauen wurden in ihrer politischen Beteiligung immer stärker. Und dann meinten sie auch: Jetzt wollen wir auch selbst über die Zahl unserer Kinder entscheiden. Wir wollen uns noch mehr am Kampf beteiligen und Führungspositionen übernehmen!
So entstanden die revolutionären Frauengesetze. Die haben nicht wir Aufständischen geschrieben, sondern wir haben nur gesagt, ja, diese Gesetze müssen sein. Aber die, welche die Gesetze geschrieben haben, waren die compañeras in den indigenen Gemeinden.
Wir glauben auch, daß es auch viele compañeras auf nationaler Ebene gibt, die nicht unter solchen Bedingungen leben wie wir hier im Urwald. Sie sollten dieses revolutionäre Gesetz noch bereichern, weil wir wollen, daß alle Forderungen und Vorschläge der compañeras miteingehen.
Die Gewohnheiten in den zapatistischen Gemeinden
Mit der EZLN kamen auch ganz tiefgreifende Veränderungen. Früher wurden die compañeras geschlagen, oder sie wurden dazu gezwungen, jemanden zu heiraten, den sie nicht liebten. Außerdem waren die Männer oft besoffen, und die Frauen mußten aufpassen, daß sie nicht verprügelt wurden. Aber als wir dann in die Dörfer kamen, gab es ja dieses Gesetz, das das Trinken verbietet. Es kann ja immer passieren, daß ein Betrunkener ausplaudert, was wir wissen. Schließlich waren wir im Untergrund. Außerdem wurde auch gesagt, daß das sowieso aufhören muß, weil solche schlechten Gewohnheiten den Familien und den Gemeinden Probleme bringen.
Die Veränderung, die die compañeros mitanschauen mußten, war vor allem die politische Mobilisierung der Frauen in den Gemeinden. Da fingen die Probleme an. Denn jetzt konnten sich die compañeras verteidigen: “Ich gehe zu der Versammlung weil ich will, so haben wir es mit den anderen Frauen ausgemacht.”. Das hat einige Männer gestört. “Was willst denn du? – Frauen haben zu Hause zu bleiben!”. Das waren die Probleme mit denen wir in der Zeit zu kämpfen hatten. Aber dann, als die compañeras bei den Versammlungen dabei waren, haben sie sich mit den Männern angelegt und gesagt: “Wenn ihr uns gar keine Chance laßt, wozu sind denn dann die revolutionären Gesetze überhaupt da?”.
Viele andere compañeros, und die compañeras selbst, haben sich schließlich durchgesetzt. Und dann wurden die revolutionären Gesetze auch echt verwirklicht. Jetzt geht es nicht mehr so leicht, die Frauen einfach zu schlagen. Sie können uns auch nicht mehr zwingen, jemanden zu heiraten, weil es der Vater will. Wenn die Frau den Mann nicht liebt, dann liebt sie ihn eben nicht!
All das waren Schwierigkeiten, aber die Veränderung durch die Befreiung der Frauen sind mittlerweise enorm. Jetzt können die Frauen jemanden anzeigen und den Dorfautoritäten Sachen sagen, wie: “also hier passiert das und das, und das will ich nicht” oder “ich werde verprügelt!” – Jetzt können sie den Mund aufmachen! Und so kommt es, daß Männer eingesperrt werden oder arbeiten müssen, weil sie eine Frau mit Gewalt angemacht haben oder sie vergewaltigen wollten oder sie oft verprügelt haben. Früher konnte eine Frau sowas nicht machen. Wenn sie sie sich beschwerte, hat er sie nur noch mehr geschlagen und war noch wütender. Jetzt sagt sie zu ihm: “Wenn das so ist, dann gehe ich!”. Und sie geht dann wirklich. Natürlich nicht allein, sondern mit zwei, drei Kindern. Und dann müssen sie sich natürlich einigen, da sorgen die Gemeinde und die gewählten Autoritäten schon für. So lernt man, die Probleme im Einklang mit den revolutionären Gesetzen zu lösen. Die compañeras haben jetzt etwas, womit sie sich verteidigen können. Und das macht sie kräftig und stark, damit sie sich niemals und von niemandem mehr erniedrigen lassen.
Liebe unter den Aufständischen
Wenn sich ein compañero in eine compañera verliebt hat, dann muß er erst mal die comandancia um Erlaubnis fragen. Sie gehen gemeinsam hin, damit sie weiß, daß der compañero die Erlaubnis hat. – Warum man die comandancia um Erlaubnis fragen muß? – Ja, woher soll man wissen, ob es an seiner Stelle nicht schon einen anderen gibt. Na ja, und dann erzählt der compañero ihr, daß er sie liebt, und wenn sie will, dann heiraten sie. In der EZLN gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder die zwei tun sich einfach so zusammen, und wir machen ein Programm für das Fest wo alle dran teilnehmen. Dann weiß man, daß die beiden verheiratet sind, und daß man sie als Paar respektieren muß. Oder die beiden unterschreiben einen Vertrag, wo drin steht, daß sie aus freiem Willen heiraten, und daß niemand sie dazu gezwungen hat, und daß das Wichtigste in der Beziehung die Arbeit sein wird und nicht die Beziehung. Das ist uns Frauen im EZLN klar, daß wir zuallererst gute Arbeit machen müssen. Wir sind ja hier auch nicht immer zusammen. Manchmal muß der compañero zu einem Ort gehen und die compañera an einen anderen. Oder es gibt auch den Fall, daß sie beide capitán sind und sich mit ihrer Einheit an verschiedenen Orten aufhalten und sie nur manchmal die Gelegenheit haben, sich zu sehen. Wenn die beiden compañeros den Vertrag unterschreiben, stellen wir Befehlshaber uns mit gekreuzten Waffen auf, und die beiden gehen darunter durch. Das bedeutet auch, daß wir ihre Ehe verteidigen und zufrieden darüber sind, an ihrer Seite zu kämpfen. Danach machen wir dann ein Fest, ja, und dann sind sie eben verheiratet.
Maribel ist geschieden, hat keine Kinder
Ja, ich habe mich entschlossen mit einem compañero zusammenzusein und habe geheiratet, genauso mit der Erlaubnis und im Beisein aller. Aber klar, es gibt eben auch mal Probleme, und als wir Probleme hatten und uns scheiden lassen wollten, da haben wir das auch gemacht. Kein Problem.
Hier kann man keine Kinder haben, weil die Situation das nicht zuläßt. Wir können sie ja nicht versorgen. Aber einige compañeras haben auch schon Kinder bekommen. Wenn sie schwanger sind, gehen sie in die Gemeinde, um das Kind zu kriegen und kommen wieder. Das Kind lassen sie dann bei jemandem.
Damit sie keine Kinder bekommen, nehmen die Frauen die Pille oder eine Spritze, so wie sie wollen. Am Anfang war es zwar noch schwierig diese Sachen zu bekommen, aber jetzt ist es besser. Dieser Tage gab es dann schon etwas mehr, weil uns andere compañeras dabei geholfen haben.
Der erste Januar 1994
Wir haben die Truppen an einem bestimmten Ort zusammengezogen und sind dann nach Las Margaritas gefahren. Jeder von uns hatte seine Aufgabe. Ich war vor allem für den Radiosender verantwortlich. Wir nahmen also ein Auto und fuhren los zu unserem Ziel. Aber wir kannten die Gegend nicht, wo der Radiosender lag. Dann haben wir den Fehler gemacht, daß wir mit einem offenen Wagen, wo alle compañeros draufsaßen, am Rathaus vorbeigefahren sind. Und die Polizei stand direkt davor! Die haben uns nur angeschaut. An der nächsten Ecke ist dann noch der Reifen von unserem Laster kaputtgegangen. In dem Moment habe ich entschieden, daß alle compañeros absteigen sollten, und daß wir die paar Straßenecken rennen sollten, die noch fehlten. Es war etwas entlegen, wo wir hin mußten. Dann habe ich angefangen, alles für das Militärmanöver zu organisieren, damit wir den Sender einnehmen könnten. Ich habe dann zwar alle meine Leute in Stellung gebracht, aber weil wir ja kein Auto mehr hatten, mußte ich eine Gruppe bestimmen, die uns eins auftreiben sollte. Als die schon weg waren und wir umdrehten, begann eine Straße weiter die Schießerei im Rathaus….
(Die Erzählung wurde niedergeschrieben von Guiomar Rovira Sancho. Der Text erschien in der Zeitschrift “Las brujas” in Mexiko Stadt)
Übersetzung: Markus Müller