Schwarze Tränen des Bolero, ay!
Die langgezogenen Sirenen der Schiffe im Hafen hören sich an wie klagende Trompeten. Die Avenida del Puerto ist wie die Staffage eines film noir , düster und verlassen. Havanna erliegt der ungewissen Nacht: vereinzelte Radfahrer ohne Licht (der Dynamo zehrt Kräfte), schnaufende Busse bulgarischen Fabrikats kommen neben dem Hotel Bruzón zum Sterben, das Neonlicht eines Tangolokals blinkt grün und rot, jineteras, die Touristenliebchen, begeben sich auf den Weg zur Marina Hemingway (“Ay, la culebra!”) oder in ihr Wohnviertel (La Víbora). Havanna wirkt wie die Ruine einer Stadt, wie die verfallene Altstadt von Panama City nach der Invasion der yanquis, aber mit mehr Schwüle und Schwermut. Havanna wirkt wie der Nachhall einer seufzenden Trompete, wie der letzte Schluck Rum oder Kaffee, pura agonía, während zu vorgerückter Stunde in den luftgekühlten Bunkern der Stadt die Machete geschliffen wird (Raúl Castro) – und die Feder: Roberto Fernández Retamar, stets in seinem aus der Mode gekommenen Anzug und zu kurz gebundener Krawatte (out ist in), beschwört José Martí und die Zeit der Mambises. Aber die Sierra Maestra bringt keine Helden und große Taten mehr hervor, sondern Santería, Bauernmarkt und Boleros: Oriente, ay, yo me voy a morir… (Cheo Marquetti). Vorbei sind die Zeiten, als der Troubadour Sindo Garay die Bucht von Santiago de Cuba durchschwamm, um den aufständischen Truppen Maceos als Bote zu dienen: Sindo Garay schüttelte die Hand von Martí und Fidel (so zu lesen bei Carmela de León/Letras Cubanas) und komponierte eine eigene Bayamesa. Natürlich hinterließ Sindo Garay, coño, nicht nur Lieder, sondern auch im Alter noch zerbrochene Herzen und einige Kinder. Geblieben sind Oriente (immer wieder Oriente, aber immer anders) und die lágrimas negras, die schwarzen Tränen von Matamoros: ewiger Seufzer des Son und der Salsa, von Matamoros, wie gesagt, erdichtet, später interpretiert von Abelardo Barroso, Henry Fiol (der die Stimme Barrosos in Spanish Harlem wiederentdeckt) oder Roberto Torres. Die schwarzen Tränen beweinen die Selbstverlorenheit nach der Begegnung mit der Femme fatale oder der idealen Frau, sie erzählen vom Leiden nach der Trennung, sie sind schwarz vor Kummer, vor Haß und vor Verzweiflung. Die schwarzen Tränen vermischen sich mit licor, dem Balsam der Verlassenen, und der Unglückliche lehnt an der Bar, voller Schmerz, im Zwiegespräch mit dem Wirt: Tabernero, sag mir, coño, was von beidem ist grausamer – der unheilvolle Schnaps oder die Unehrlichkeit der Frau? Das ist die Lektüre des Lebens auf “Macho” (etwa so, wie man Cortázars Lebensbuch Rayuela lesen muß). Die schwarzen Tränen gehorchen der Logik des caballero und verachten das Weib, die hembra (der notwendige Gegenpart zum Macho), aber zugleich lieben sie die Frau: Te odio, sin embargo te quiero. Schwarze Tränen sind ambivalent. Sie sind das männliche Stoffwechselprodukt von Verlangen und Resignation, von Todestrieb, feuriger Leidenschaft und Wimmern nach Geborgenheit, vielleicht auch die Trauer um eine nicht geglückte Sado-Maso-Kiste oder, wie Sozialwissenschaftler sagen würden, eine nicht symmetrisch gestaltete Beziehung. So gesehen ist auch die Losung Fidels, “Sozialismus oder Tod”, eigentlich ein Bolero mit pechschwarzen Tränen, aber mit dem Beiklang eines Kriegs- oder Notrufes und den entsprechenden Instrumenten. Kuba, so scheint es Fidel, verkommt zur Hure, durch den Einfluß Miamis, westlicher pluriporquerías (Fidels Bezeichnung für “Mehrparteiensystem”) und Oppositioneller im eigenen Land. Doch schwarze Tränen gibt es in Kuba überall, denn fast jeder fühlt sich betrogen: die naiven Touristen von den ausgefuchsten jineteras (“Ay, la culebra!”), die Parteimitglieder von den eigenen Losungen, die Gesellschaft vom Staat, die dialogbereite gemäßigte Opposition von Robertico Robaina, der die Gespräche seit Madrid nicht mehr fortgeführt hat, und Fidel, ay, von dieser Mulattin, die in die Hoheitsgewässer des Feindes abzudriften droht. Sindo Garay hatte bei seinen Frauen noch die Oberhand, auch im Alter, wie gesagt, aber das ist hundert Jahre her. Fidel schützt sich vor Betrug oder Emanzipation mit seinen traditionellen Insignien: Sierra-Maestra-Bart, Kampfanzug (ebenso sympathisch wie der Anzug von Retamar) und schußsichere Weste. Aber während die alten Boleros die Geliebte durch Text und Musik oder durch Schmalz und Unterwürfigkeit erneut gewinnen wollen, versucht es Fidel mit einer Drohung. Fidel nimmt in seiner Losung Socialismo o muerte nur das tragisch-dramatische Element des Bolero auf. Der Bolero dagegen besingt trotz aller erlittenen Schmach und aller schwarzer Tränen ein starkes Gefühl der Zuneigung, das den Sänger mit der Geliebten verbindet, auch wenn diese schon längst verschwunden ist, denn darin liegt die Großmut und das feeling des Kavaliers. Barbarito Diez verwandelt Aurora, diesen populären Bolero, in einen Danzonete, und Celina González, die Muse des guateque campesino, singt ihn als Son. Aurora ist die Geliebte/Morgenröte, die uns immer einen Schritt voraus ist, ay.
Roman Rhode
Aurora Morgenröte
Ay Aurora, me has echado al abandono, Ach, Aurora, du hast mich
in die Verbannung geworfen,
Yo que tanto y tanto te he querido, Mich, der dich so sehr geliebt hat,
Con tu negra traición me has engañado, Mit deinem schwarzen Verrat hast du mich betrogen,
En el fondo del alma me has herido. Tief in meinem Herzen hast du mich
verwundet.
Has tratado de engañar el alma mía, Du hast versucht, mein Herz zu betrügen,
Castígala gran Dios con mano fiera, Gro゚er Gott, strafe sie mit eisener Hand,
Que sufra mucho pero que no muera, Sie soll viel leiden, doch sie soll nicht
sterben,
Ay Aurora, yo te quiero todavía. Ach, Aurora, ich liebe dich noch immer.