Kolumbien | Nummer 354 - Dezember 2003

Schwarzes Wochenende für den Präsidenten

Der Sozialist „Lucho“ Garzón wird Bürgermeister Bogotás, Uribes Referendum scheitert an 25-Prozent-Hürde

Die Linke Kolumbiens errang bei den Kommunalwahlen am 26. Oktober einen historischen Sieg und kratzt damit die unantastbar geglaubte Dominanz des rechten Präsidenten Uribe Vélez an. Der verlor tags zuvor ein sicher geglaubtes Referendum über Staatsumbau und tiefe finanzielle Einschnitte zur Haushaltskonsolidierung. Die Bevölkerung machte nicht mit, eine ausgewachsene Krise trifft nun den Präsidenten.

Tommy Ramm

Es war nicht sein Wochenende. Als ob er es geahnt hätte, schleppte sich am späten Sonntag Morgen des 26. Oktober ein zerknirschter und übermüdeter Alvaro Uribe Vélez an die Wahlurne, um das Kreuz für die Bürgermeisterwahl bei seinem Kandidaten Juan Lozano zu machen. Traditionell läutet der Präsident mit seiner Stimmabgabe am frühen Morgen den Wahltag ein. Uribe schien jedoch die Lust an der Symbolik abhanden gekommen zu sein. In den Knochen des Präsidenten steckte noch der Schmerz über das Scheitern des von ihm so gepuschten Referendums am Tag zuvor und die Ahnung, dass nur wenige Stunden später der Linkskandidat Luis Eduardo Garzón das Rennen um das Bürgermeisteramt der Hauptstadt Bogotá gewinnen würde.
Tatsächlich stieg die gemäßigte kolumbianische Linke in einer Konjunktur rechter Kasernenpolitik am letzten Oktober-Wochenende wie Phoenix aus der Asche empor. In der Hauptstadt Bogotá gewann der Kandidat der linken Sammelbewegung „Unabhängiger Demokratischer Pol“ (PDI), Luis Eduardo Garzón – auch bekannt als „Lucho“ –, mit 47 Prozent das Bürgermeisteramt und hat somit die nächsten vier Jahre den zweitwichtigsten Posten in der kolumbianischen Politik. „Man muss vor uns keine Angst haben“, rief Garzón seinen AnhängerInnen entgegen und stellte klar, dass seine Politik „kein Kampf zwischen Armen und Reichen“ werden wird.
Auch in anderen Regionen des Landes verbuchten linke und unabhängige Kandidaten Erfolge. In der Provinz Valle del Cauca gewann der Ex-Arbeitsminister unter Präsident Pastrana und PDI-Angehörige Angelino Garzón den Gouverneursposten, in der Metropole Medellín konnte entgegen allen Umfragen der Mathematik-Professor Sergio Fajardo von der Sozialen Indigenen-Allianz das Bürgermeisteramt erringen.

Chance für den Machtwechsel
Der Erfolg ist laut dem Analysten Ernesto Cortes Fierro ein deutliches Zeichen dafür, dass die gemässigte Linke in Kolumbien nun die Chance hat, an die Macht zu kommen. Ein Novum in der blutigen Geschichte Kolumbiens, nachdem diese in den letzten Jahrzehnten durch Hunderte von Morden seitens rechter Todesschwadrone aufgerieben und in den Untergrund getrieben wurde. Doch auch innere Querelen und ideologische Konflikte machten Fortschritte in den letzten Jahren zunichte. Nach dem Achtungserfolg von „Lucho“ Garzón vor eineinhalb Jahren bei den Präsidentschaftswahlen stellten Zerwürfnisse innerhalb des „Demokratischen Pols“ die Hoffnungen auf eine stabile linke Bewegung in Kolumbien in Frage. Mehrere Abgeordnete des „Demokratischen Pols“ sagten sich von der Linie Garzóns ab, um radikalere Positionen gegenüber Uribe zu vertreten. Der konnte diese im Wahlkampf zum Bürgermeister jedoch wieder auf seine Seite ziehen. Laut dem Analysten Daniel Samper Pinzón kennt keiner besser als der ehemalige Gewerkschafter „Lucho“ die Gründe für die vielfache Selbstzerstörung innerhalb der Linken und wüsste diese zu vermeiden.

Ein kolumbianischer Lula?
Der 52-jährige Garzón könnte als Abbild des brasilianischen Präsidenten „Lula“ da Silva gelten. Aufgewachsen ohne Vater und in bitterer Armut, verdiente sich „Lucho“ während der Schulzeit Geld als Kofferträger, Aushilfe in Tischlereien und kleineren Nebenjobs. Nach dem Abitur stieg er als Bote bei der staatlichen Erdölfirma Ecopetrol ein, bei der er eine 30 Jahre andauernde Karriere als Gewerkschafter begann. „Lucho“ war mehrere Jahre Vizepräsident der Erdölarbeitergewerkschaft USO sowie Präsident des Gewerkschaftsdachverbandes CUT.
Als hoher Gewerkschaftsfunktionär ging auch an ihm die Welle von Mordanschlägen nicht spurlos vorüber. 1986 verlor er seinen besten Freund Leonardo Posada von der Linksbewegung Unión Patriótica, die in den folgenden Jahren Tausende Mitglieder durch Anschläge verlieren sollte. Im Oktober 1998 wurde neben ihm während eines Streiks der Präsident der CUT, Jorge Luis Ortega, erschossen. Morddrohungen nahmen Überhand und Lucho und weitere Gewerkschafter den Weg ins Exil in die Schweiz. Dort hielt er es jedoch nicht lange aus. Im letzten Jahr kandidierte er – als erster Linker seit Jahren – bei den Präsidentschaftswahlen und fuhr mit knapp 700.000 Stimmen einen beachtlichen dritten Platz ein.
Trotz Grabenkämpfen in der eigenen Bewegung und der kolossalen Wahlkampfmaschine Uribe Vélez konnte „Lucho“ 17 Monate später bei der Kommunalwahl triumphieren. „Ab jetzt können wir niemandem mehr die Schuld geben, ab jetzt müssen wir mit absoluter Transparenz regieren“, so Garzón vor seinen AnhängerInnen in der Wahlnacht, in der er ihnen die kommende Verantwortung klar machte, da alle Augen auf ihnen haften würden.
Garzón kündigte statt autofreier Tage, die von seinen Vorgängern gefördert wurden, Tage ohne Hunger an. Alle Kinder in der durch Flüchtlinge rasant anwachsenden Hauptstadt sollen in den Genuss städtischer Ernährungsprogramme kommen. In den weitläufigen Armenviertel will Lucho Garzón bei Amtsantritt den sozialen Notstand ausrufen. Wie und womit er sein Sozialprogramm umsetzen will, liess er im Detail offen. Sicher wird jedoch die Opposition im Stadtrat gegen ihn sein, wenn er die Strategien der Vorgänger, die eine Rückeroberung des öffentlichen Raums und verschärfte Sicherheitspolitik betrieben, antastet.
Ein weiteres Problem könnte ihn zukünftig quälen: zehn Tage vor dem Urnengang zog die traditionelle Liberale Partei ihren Kandidaten zurück und kündigte die Unterstützung von Lucho an. Der nahm dankend an und zog somit eine kriselnde, aber in der Struktur mächtige Traditions-Partei ins Boot, die ihn unter Druck setzen und allzu linke Vorstellungen vom Tisch fegen könnte.
Für den Historiker und Schriftsteller Arturo Alape gehen von den Wahlsiegen wichtige Signale aus. „Bei der FARC-Guerilla sollten jetzt die Alarmsirenen läuten, da ein politisches Projekt mit sozialem Hintergrund offenbar Platz in der Demokratie hat“, so Alape. Tatsächlich stellt der Erfolg linker Kandidaten die Guerilla de facto vor eine schwierige Situation. Sollten die politischen Ziele der gerade Gewählten fruchten, könnte dies die brüchige Existenzgrundlage der linken Rebellenbewegungen überholen.

Schlappe für Uribe
Der Verlierer des Wahl-Wochenendes war zweifelsohne der rechte Präsident Uribe. Mit den neuen Lokalpolitikern, die teils in scharfer Opposition zu seinem militärischen Konfrontationskurs gegen die Rebellen und der Sicherheitspolitik stehen, wird das Regieren für den bisher unangefochtenen Uribe, der noch immer mit einer 75-prozentigen Unterstützung seitens der Bevölkerung rechnen kann, unbequemer.
Doch weit schlimmer entpuppte sich das Scheitern des sicher geglaubten Referendums einen Tag vor den Kommunalwahlen, das tiefe Einschnitte in der Haushaltspolitik und Staatsreformen vorsah. Die Gehälter von knapp einer Million öffentlich Angestellter sollte per Volksentscheid die nächsten zwei Jahre eingefroren sowie der Kongress deutlich verkleinert werden. Das Ziel: Einsparungen von mehr als 2,5 Milliarden Euro in den nächsten Jahren. Uribe pokerte mit seiner hohen Popularität und streifte durch Fernseh- und Radioshows. Auch durch Besuche bei der kolumbianischen TV-Version von „Big Brother“ und zahlreiche Debatten und Interviews erreichte er nicht die notwendige Beteiligung von mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten.
So musste das Kabinett wenige Tage später den so genannten „Plan B“ aus dem Boden stampfen, der die Finanzpolitik des Landes stabilisieren soll. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 17 Prozent, neue Steuern auf Renten und Eigentum sollen den Schuldendienst und die erhöhten Militärausgaben nicht ins Stocken geraten lassen.
Auch wenn Uribe bei dem Haushalt die Niederlage im Referendum durch andere Maßnahmen wettmachen kann, wird er die bisher verlässliche Geschlossenheit im Kongress nicht wieder erlangen können. Die Verletzlichkeit Uribes hat einige Abgeordnete seiner Linie zur Kritik ermutigt, die der Präsident mit harschen Worten abbügelte. Das Ergebnis sollte folgen: Zunächst wurde der bereits im Referendum existierende, aber vom Verfassungsgericht entfernte Punkt einer möglichen Wiederwahl von Präsidenten und Gouverneuren im Parlament abgelehnt, wenige Tage später geschah das Gleiche mit dem so genannten Antiterror-Statut, das dem Militär erweiterte Rechte bei Festnahmen und Durchsuchungen erlauben soll. Nur der skandalöse Abbruch der Abstimmung im Abgeordnetenhaus konnte zunächst eine sofortige Niederlage hinausschieben.

Innenminister nimmt den Hut
Das Fass zum Überlaufen brachte jedoch der polemische und umstrittene Innenminister Fernando Londoño Hoyos, der am 5. September einen möglichen Rücktritt des Präsidenten Uribe als Druckmittel in die Diskussion brachte. Um der Regierung den Rückhalt der Konservativen Partei, die enorm an Einfluss eingebüßt hat, zu sichern, sprach Londoño gegenüber deren Vertetern von einem möglichen Rücktritt Uribes, sollten ihm zukünftig die Hände wegen mangelnder Unterstützung gebunden sein. Die Ankündigung wurde von jemandem aufgenommen, machte in den Medien die Runde und besiegelte das politische Ende Londoños. Dieser hatte bereits in der Vergangenheit mehrfach Abgeordnete als „kiffende Politiker“ beschimpft, die Opposition gegen Uribe in die Nähe der Guerilla gestellt und in der Vergangenheit krumme Geschäfte mit Aktien gemacht.

Uribe als Workingclass Hero?
“Mir bleiben weitere sechs Jahre”, versicherte Uribe auf einer Veranstaltung nach Bekanntwerden des Eklats, nachdem Abgeordnete mutmassten, dass Londoño die wahren Gedanken Uribes widerspiegelte. „Drei Jahre tagsüber, und weitere drei Jahre, wenn man die Nächte an Arbeit zusammenzählt“, so Uribe. „Arbeiten, arbeiten und arbeiten“, heißt das ewige Motto des Präsidenten, das er laut der Kolumnistin María Jimena Duzán nach der Niederlage lieber in „Nachdenken, nachdenken und nachdenken“ ändern sollte, um sich wieder der Realität des Landes anzunähern.
Eine Niederlage, die laut der Politikwissenschaftlerin Adriana Delgado das Ende der „Einstimmigkeit“ zugunsten Uribes bedeutet und „im kontinentalen Kontext“ steht. „Der Sieg von Garzón in Bogotá ist das Ergebnis der Neuorientierung der lateinamerikanischen Linken, einer moderaten Linken, die versteht, dass sie eine Machtalternative mit einem neu konzipierten Sozial- und Wirtschaftsmodell ist.“

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