Mexiko | Nummer 421/422 - Juli/August 2009

Sicherheit gleich Freiheit?

Ein Besuch in dem geschlossenen Wohnviertel Ciudad Bosque Real in Mexiko Stadt

Private Sicherheitsfürsorge ist in Wohnanlagen in Mexiko Stadt längst zum Standard geworden. Aus Angst vor Kriminalität und den ärmeren Bevölkerungsschichten, ziehen sich die wohlhabenderen Teile der Gesellschaft zunehmend in geschlossene und privat geschützte Wohnanlagen zurück. Von gesicherten Einzelhäusern und Apartmentblocks, über riesige Wohnanlagen mit tausenden von Reihenhäusern des sozialen Wohnungsbaus bis hin zu „privaten Städten“, gibt es alles, was das paranoide Herz begehrt. Ein Austausch zwischen den verschieden sozialen Schichten findet fast nur noch im Dienstleistungssektor statt.

Frank Müller

Nach Ciudad Bosque Real gibt es keine öffentlichen Verkehrsmittel. Das erzählt mir Viviana, nachdem sie mich in dem nahe gelegenen Einkaufszentrum in Interlomas abgeholt hat und wir gemeinsam in die so genannte gated community (geschlossene Wohnanlage) fahren, in der sie wohnt. Also nehmen wir die Autobahn, die einen US-Dollar Mautgebühr kostet, und laut Viviana der einzige Weg in ihr Zuhause ist. Während der Fahrt schwärmt sie von ihrem Viertel: Denn anders als in der Enge der Stadt habe man dort ein luftiges Ambiente.
Das geschlossene Stadtviertel Ciudad Bosque Real liegt in der süd-westlichen Peripherie von Mexiko Stadt, circa 20 Minuten vom Geschäftszentrum Interlomas und 40 Minuten vom zentral gelegenen Viertel Santa Fe entfernt. Es hat, laut eigener Internetseite, den größten Golfplatz Mexikos, ein eigenes Stromkraftwerk, Schulen sowie ein Einkaufszentrum und möchte seinen 10.000 BewohnerInnen ein Leben „unabhängig“ vom Rest der Stadt ermöglichen. „Ciudad Bosque Real ist ein neuer Lebensstil“, schreibt der Direktor und Hauptinvestor Carlos Peralta auf der Internetseite.
Gated communities, barrios cerrados, private cities, fortified enclaves – das sind viele Namen für ein vielschichtiges Phänomen, das weltweit in Metropolen, aber auch kleineren Städten sichtbar und, für einige Auserwählte, erlebbar wird. Mittels ihrer Architektur und moderner Sicherheitstechnologie sollen die gated communities ein Leben abgekapselt von einer als gefährlich wahrgenommenen Stadt ermöglichen. Sie werden als all inclusive Wohnanlagen vermarktet,die Arbeits-, Einkaufs- und Freizeitgestaltungsmöglichkeiten sowie Schulen beinhalten. Gesichert werden sie durch Überwachungsinstrumente wie Eingangskontrollen, Kameras, eine sie umrundende Mauer und Patroullien durch private Sicherheitsfirmen im Innern.
Die Präsenz von Mauern, Gittern und Zäunen sowie Kameras und Wächtern ist in ganz Mexiko Stadt auffällig hoch. „Sicherheit“ wird hier als privates Gut gehandelt und dieser Handel blüht als Reaktion auf die weit verbreitete Angst vor Kriminalität. Die private Sicherheitsfürsorge in Wohnanlagen ist dabei längst zum Standard in Mexiko Stadt geworden, und es gibt sie in jeder erdenklichen Größe: Von gesicherten Einzelhäusern über Apartmentblocks, über riesige Wohnanlagen mit tausenden von Reihenhäusern des sozialen Wohnungsbaus, bis hin zu privaten Städten, die meist für die obere Mittel- und Oberschicht vermarktet werden.
Der Eingangsbereich von Ciudad Bosque Real erinnert an den Grenzübergang zwischen Mexiko und den USA. Viviana und ich müssen uns ausweisen, erklären, wer ich bin, während nicht nur wir, sondern auch unser Auto sogar von unten gefilmt wird. Es wird deutlich: Die Administration meint es ernst, nach Ciudad Bosque Real soll niemand „ohne ein Motiv“ hinein kommen, und die, die reinkommen, sollen identifiziert und registriert werden. Schon hier soll das Versprechen der Internetseite bestätigt werden, nämlich einen der sichersten Orte Mexikos zu betreten. Staatliche Autoritäten benötigen für das Betreten von gated communities ebenfalls ein „Motiv“, etwa einen Durchsuchungsbefehl. Im Innern übernehmen private Sicherheitsfirmen deren Arbeit. Viviana erklärt das so: „Nein die Polizei betritt unsere Stadt nicht. Ich weiß nicht, heutzutage vertraut man der Polizei nicht sehr.“
Als wir schließlich ihr Apartment betreten, haben wir bereits drei Kontrollen passiert, die letzte am Tor des Gebäudes, von dem aus wir nun durch eine verglaste Front einen Blick über das gesamte Viertel und am Horizont auch über das noble Geschäftsviertel Santa Fe haben. Viviana wohnt seit einem halben Jahr in Bosque Real und sie sei zunehmend glücklicher damit. „Nur manchmal muss ich es leider noch verlassen, denn die Schule für meine Kinder ist noch nicht fertig gebaut.“ Es gebe eine kleine Gemeinde unter den Nachbarn, ja sie hätten sogar einen Veranstaltungsraum für Grill- und Tanzfeste, erzählt sie weiter. Man verstehe sich gut, auch das Personal, die Wächter und Dienstmädchen seien zuverlässig und vertrauenserweckend.
Nur ab und zu gebe es Irregularitäten. Neulich, berichtet Viviana, sei ein Wächter alkoholisiert im Dienst erwischt worden, der sei nun mit Namen und Foto bei der Administration und allen Gebäuden bekannt, damit er keine weitere Anstellung bekomme. „Das ist aber die Ausnahme, sonst wird das Personal sorgfältig ausgewählt, man will ja wissen, von wem man kontrolliert wird“, denn, so formuliert sie, „sie wissen alles von uns, darum ist es nur gerecht alles über sie zu wissen, auch über ihre Familie und wo sie wohnen. Alles eben.“ Sicherheit wird hier verstanden als das Ergebnis strenger gegenseitiger Kontrolle und möglichst transparenter Informationen über die Angestellten.
Von ihrem Wohnzimmer im vierten Stock sind auch einige der für sich erneut abgeschlossenen Wohnanlagen innerhalb von Ciudad Bosque Real zu sehen. Immer gleich aussehende Häuser für die Kleinfamilie mit Vorgarten, große Autos auf der betonierten Einfahrt vor der breiten Garage, zwischen Kinderspielzeug und Gartenschlauch. Doch ebenso sichtbar ist die Mauer, die das ganze Areal umrundet und dahinter unzählige relativ einfache ein- bis zweistöckige unverputzte Betonhäuschen eines colonia popular genannten Armenviertels, die sich gleich hinter der Mauer dicht an dicht drängen.
Viviana blendet diese Realität des direkten Nebeneinanders jedoch aus. Als wir eine Rundfahrt über das Gelände machen und ich sie nach einem Ausgang frage, antwortet sie: „Der führt in irgendeine colonia. Ich weiß ihren Namen gerade nicht.“ Also gibt es doch nicht nur einen Eingang, wie sie noch auf der Herfahrt erzählt hatte. Ob sie manchmal auch diesen Ausgang benutze, frage ich weiter. „Nein“, antwortet Viviana, „Zwar ist der Weg kürzer, aber es ist gefährlich in dem Viertel. Es gibt viele Übergriffe dort, so wie in ganz Lateinamerika.“ Sie wendet sich an ihr Dienstmädchen Mariana, die uns begleitet. „Wie heißt die Gegend nochmal?“ „Huixquilucan“ antwortet diese. Sie wohne dort, erklärt sie mir anschließend, so wie die meisten der Angestellten von Ciudad Bosque Real in der näheren Umgebung um die Mauern herum wohnen. Jetzt steht das Hintertor offen, die Schwelle zwischen dem unkontrollierten „kriminellen Lateinamerika“ und dieser Welt, in der scheinbar jede Bewegung kontrolliert wird. Ein Wächter ist nicht zu sehen.
Ein Miteinander zwischen diesen zwei Welten, das über den bloßen Austausch von Dienstleistungen hinaus geht, gibt es jedoch nicht. Die Mauer um das Mega-Projekt Ciudad Bosque Real markiert eine Grenze sowohl für das Wachstum des ArbeiterInnenviertels als auch für die Offenheit der Begegnung zwischen Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten. Sie ist Ausdruck der Angst vor dem Anderen, der „Kriminalität in Lateinamerika“. Mariana erzählt mir, dass das Interesse an den Menschen jenseits der Mauer bei ihren FreundInnen sehr gering sei. Eine Freundin habe sich gerade auf eine Stelle als Dienstmädchen in Bosque Real beworben, sei aber abgelehnt worden. „Da war ich sehr traurig, denn mit ihr hätte ich hier drin eine compañera gehabt.“ Mariana wohnt sechs Tage pro Woche bei Vivianas Familie und verlässt die Wohnanlage nur sonntags.
Der „Genuss von Sicherheit bedeutet auch Freiheit“, schreiben die Vermarktungsstrategen von Ciudad Bosque Real auf ihrer Internetseite. Freiheit wovon? Das „kriminelle Mexikos“ wird hier nicht explizit zu Vermarktungszwecken mobilisiert, doch es durchzieht den Werbetext wie ein Schatten. Sicherheit bedeutet hier wohl die Freiheit, keine Angst haben zu müssen und doch die Sicherheitsinstrumente als notwendig zu betrachten, unter Kontrolle und Überwachung zu stehen und das interne strenge Regelwerk zu akzeptieren: „Sicherheit ist eine Handlung“, die nur in der Einhaltung aller Regeln durch alle erreichbar ist, schreibt die Administration. Die Mauer soll diese Lebensform der Sicherheit garantieren und wirft ihren Schatten auf die Umgebung: Diese wird als das Andere stilisiert, das es fern zu halten gilt, als der Ort, von dem Gefahr ausgeht und wo potentiell gefährliche Subjekte auf eine ganz andere Weise leben und arbeiten – und oft eben als „GrenzgängerInnen“ auf der einen Seite leben und auf der anderen arbeiten.
Viviana, Mariana und ich fahren zurück nach Interlomas, Viviana muss ihre Kinder von der Schule abholen. Die Gegensätze zwischen dem „luftigen Ambiente“ der Privatstadt und dem hektischen Lärm Mexikos werden mir besonders bewusst, als ich den klimatisierten Van verlasse und zwischen den dröhnenden Stadtbussen nach Atem ringe.

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