Sieg über den Machismo
In Mexiko-Stadt ist Abtreibung künftig bis zur 12. Woche straffrei
Als „Lebensfeinde“ und „Kindesmörder“ beschimpfte der mexikanische Klerus, angeführt von Kardinal Norberto Rivera, gemeinsam mit Anti-Abtreibungsorganisationen monatelang die BefürworterInnen für ein Recht auf legale und sichere Abtreibung. Genützt hat es nichts. Am 24. April liberalisierte das Parlament von Mexiko-Stadt das Abtreibungsrecht. Künftig sind Schwangerschaftsabbrüche in der von der linken PRD regierten mexikanischen Metropole bis zur 12. Woche straffrei.
Der Verabschiedung der Reform im Parlament ging eine hitzige öffentliche Debatte voraus. Feministische Organisationen, die das Recht auf Abtreibung als grundlegenden Bestandteil der Selbstbestimmung von Frauen begreifen, organisierten zahlreiche Foren und Diskussionsveranstaltungen, um die Bevölkerung in den Prozess mit einzubeziehen. Rechts-fundamentalistische Organisationen wie PROVIDA und der Klerus lancierten – unterstützt von regierungsnahen Konzernen wie dem Fernsehsender Televisa und der Telefongesellschaft LADATEL – Hetzkampagnengegen gegen die BefürworterInnen.
„Seit der Veröffentlichung meines Briefes an Chespirito habe ich hunderte Mails erhalten. Danksagungen und Glückwünsche für den gelungenen Artikel, jedoch mindestens genauso viele Hasstiraden, Angriffe die unter die Gürtellinie gehen, Morddrohungen – ausschließlich von Männern“, berichtet die Journalistin Guadalupe Loazea auf einem Diskussionsforum zur Abtreibungsreform in Mexiko Stadt Mitte April. „Chespirito“ ist bekannter Komiker und Protagonist eines polemischen Anti-Abtreibungsspots der rechten Regierunspartei PAN. Loazea hatte in der konservativen Tageszeitung Reforma in einer Replik auf den Fernsehspot der PAN den Komiker sarkastisch bloßstellt. Neben dem rechtskonservativen Klerus sei der tiefverwurzelte Machismo der schlimmste Feind des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben und eine selbstbestimmte Mutterschaft, meint die Journalistin, die außer für Reforma ebenso für das Boulevardblatt ¡HOLA! schreibt und mit der Frauenbewegung bislang kaum in Kontakt stand. Feministinnen betonen, dass die freie Entscheidung der Frauen über ihren eigenen Körper eine der bedrohlichsten Angstfantasien mexikanischer Männer sei. Eine Freiheit, die die Strukturen der patriarchalen Gesellschaft angreife und den einzelnen „Macho“ seiner Macht beraube.
Drohungen waren im Kontext der in den vergangenen Monaten in Mexiko-Stadt geführten Abtreibungsdebatte keine Seltenheit. Kardinal Norberto Rivera drohte nicht nur den ParlamentarierInnen, sondern allen katholischen Gemeindemitgliedern, die sich offen für die Reform aussprachen, mit Exkommunizierung. Die feministische Organisationen GIRE und die „Katholikinnen für das Recht auf freie Entscheidung“ CDD, die im Zusammenhang mit Frauenrechten und Geschlechtergerechtigkeit seit Jahren für ein liberales Abtreibungsrecht arbeiten, sowie engagierte ParlamentarierInnen erhielten Morddrohungen per E-Mail.
Kirche zieht nicht
Auf Transparenten und Plakaten der Pro-Abtreibungs-Demos, wie auch in der Presse wurde immer wieder die Frage gestellt: „Mexiko – ein laizistischer Staat?“ Die massive Einmischung der katholischen Kirche in den Meinungsbildungsprozess, der von Seiten der Regierung kein Einhalt geboten wurde, ließen Zweifel an der Trennung von Staat und Kirche aufkommen. Vielmehr wurde am Beispiel der Abtreibungsdebatte die Verbindung zwischen VertreterInnen des Staates, fundamentalistischen religiösen Organisationen und der Kirchenelite klar deutlich.
Auffällig ist jedoch, dass die Mobilisierungskraft der Kirche, trotz machtvoller Dreierallianz und beeindruckendem Medienspektakel, nur allzu schwach ist. Von den 80 Prozent der katholischen Gläubigen Mexikos, die Norberto Rivera zu vertreten meint, kamen nur ein paar Tausend dessen Aufrufen zum zivilen Ungehorsam nach. Am Tag der Gesetzesabstimmung überschritten die Hundertschaften der Polizei bei weitem die Zahl der wütenden AbtreibungsgegnerInnen, die sich vor dem Parlament versammelt hatten, um mit Bildern zerstückelter Föten und Kindersärgen „für das Leben“ zu demonstrieren. Abgesehen davon, dass Studien von Frauenorganisationen zufolge über die Hälfte der katholischen Bevölkerung eine straffreie Abtreibung befürworten, hat der Klerus an Glaubwürdigkeit verloren. Mit der Parole „Ja, zur Abtreibung – Nein, zum Kindesmissbrauch“ bringen Feministinnen die Doppelzüngigkeit des kirchlichen Diskurses auf den Punkt. Innerhalb der letzten Jahre wurden zahlreiche Fälle von Kindesmissbrauch aus den Reihen des Klerus öffentlich. Viele der vehementesten
Abtreibungsgegner wurden als „Päderasten“ geoutet. Kardinal Noberto Rivera wird nachweislich als Mitwisser dutzender Missbrauchsfälle angeklagt.
PAN startet Gegenoffensive
Auch nach der Verabschiedung des neuen Abtreibungsrechts geht das Ringen weiter. Auf Kirchenseite mischte sich erneut der Papst ins Geschehen ein. Laut Aussage des Pontifex haben sich alle Mitglieder des Stadtparlaments, die für die Legalisierung der Abtreibung stimmten, selbst exkommuniziert. Schon Wochen zuvor hatte sich Ratzinger abfällig über die politische Entwicklung in der mexikanischen Hauptstadt geäußert und dem mexikanischen Klerus seine uneingeschränkte Unterstützung zugesichert. Auf politischer Ebene tritt nun ein, was die Feministin und Anthropologin Marta Lamas vorausgesagt hat. Die Partei der nationalen Aktion versucht die praktische Umsetzung der Reform zu unterwandern.
VertreterInnen der PAN, vom Präsidenten Felipe Calderón über den Gesundheitsminister bis hin zur Direktorin des Nationalen Fraueninstituts, beharren strikt auf der nationalen Gesetzgebung. Im föderalen Strafrecht ist Abtreibung nach wie vor illegal. VertreterInnen der rechtskonservativen Regierungspartei drohen infolgedessen dem medizinischen Personal staatlicher Krankenhäuser in Mexiko Stadt mit harten Strafmaßnahmen bei Durchführung eines nicht gesetzlichen Schwangerschaftsabbruchs. Die PAN initiierte eine Informationskampagne, die sich an das Gesundheitspersonal städtischer Krankenhäuser richtet. In Broschüren und auf Veranstaltungen werden ÄrztInnen über ihr Recht aufgeklärt, Schwangerschaftsabbrüche aus Gewissensgründen zu verweigern. Diese Informationsstrategie boykottiert nicht nur die Umsetzung der Reform, sondern leistet auch dem „Geschäft mit der Abtreibung“ Vorschub. In vielen anderen Ländern mit ähnlicher Gesetzesgrundlage werden Schwangere in öffentlichen Kliniken unter Vorschub moralischer und ethischer Bedenken zurückgewiesen, um daraufhin gegen das entsprechende Entgelt außerhalb der Klinik behandelt zu werden. Die städtische Regierung wird sich beeilen müssen, um der Kampagne der PAN konstruktiv entgegenzutreten. 14 städtische Kliniken sind bisher zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen vorgesehen, jedoch fehlt bislang die notwendige Schulung des Personals. Ebenso lässt die angekündigte Informationskampagne zu Sexualerziehung, sexueller und reproduktiver Gesundheit noch auf sich warten.
Die Initiative in der Hauptstadt hat in ganz Mexiko einen Stein ins Rollen gebracht. Im Bundesstaat Nuevo León haben Bundesabgeordnete der PAN kurzerhand eine Reforminitative des Strafrechts eingereicht, die die Sanktionen gegenüber denjenigen, die Abtreibung praktizieren, verschärfen soll. ÄrztInnen, ebenso wie Patientinnen sollen nach dem Entwurf mit höheren Strafmaßnahmen rechnen. „Das ist eine präventive Maßnahme, damit die Sache aus der Hauptstadt gar nicht erst bei uns ankommt,“ meint ein PAN-Abgeordneter aus Nuevo León. VertreterInnen der PRD legten in Tamaulipas einen Gesetzesentwurf vor, der dem Beispiel Mexiko-Stadts nacheifert. Daraufhin belebten die VertreterInnen der PAN einen Reformvorschlag wieder, der schon im Jahre 2005 in den lokalen Kongress eingebracht wurde. Bislang ist Abtreibung im Bundesstaat Tamaulipas straffrei, wenn die Schwangere vergewaltigt wurde oder hohe gesundheitliche Risiken bei Austragung der Schwangerschaft bestehen. Der von der PAN vorgelegte Gesetzesentwurf soll auch diese Möglichkeiten einschränken und sieht eine strikte Überwachung seitens des Gesundheitsministeriums vor. Auch in anderen Bundesstaaten wird innerhalb der Zivilgesellschaft und parteienintern über neue Abtreibungregelungen diskutiert. Fraglich ist jedoch, ob sich die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der lokalen Kongresse ähnlich positiv zugunsten einer Liberalisierung verschieben können wie in der Hauptstadt. Das gilt auch für den Bundeskongress, dem zwei Reformentwürfe zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts vorliegen. Die Stoßrichtung der PAN folgt auf Bundesebene eher dem nicaraguanischen Vorbild. Mit einer Stimmenmehrheit der sandinistischen Partei FSLN verabschiedete dort das Parlament im vergangenen Jahr eine Gesetzesänderung, die auch Abtreibung aus medizinischen Gründen unter Strafe stellt.
Mit der Liberalisierung des Abtreibungsrechts in Mexiko Stadt wurde ein Meilenstein für das Recht auf Gesundheit und soziale Gerechtigkeit gesetzt. Doch die Nachwehen dieser Geburt sind mit schweren Komplikationen verbunden.
KASTEN:
Vorreiter in Mexiko und Lateinamerika
Mit den Stimmen der linken PRD und der ehemaligen Staatspartei PRI wurde am 24. April die Abtreibungsregelung in der mexikanische Hauptstad liberalisiert. Künftig dürfen Frauen bei ungewollten Schwangerschaften bis zur 12. Woche legal und kostenfrei abtreiben. In allen anderen Bundesstaaten Mexikos sind Abtreibungen nach wie vor nur aufgrund von Vergewaltigung, akuter Lebensgefahr der Schwangeren und /oder Missbildung des Fötus erlaubt. Auch für den lateinamerikanischen Kontext ist das neue Gesetz der mexikanischen Hauptstadt außergewöhnlich. Nur auf Kuba und Guayana ist Abtreibung bislang legal, in allen anderen Ländern Lateinamerikas und der Karibik kämpfen Feministinnen nach wie vor für das „Recht auf freie Entscheidung“ sowie „legale, sichere und kostenlose Abtreibung“. Der Kampf für ein Recht auf selbstbestimmte Mutterschaft hat eine lange Geschichte in Mexiko. 1916 kam es in Yucatán zum ersten dokumentierten Feministinnentreffen des Landes. Schon damals war eines der diskutierten Themen das Recht auf Abtreibung. 1931 wurde erreicht, dass bei Vergewaltigung ein Abbruch straffrei ist.