Mexiko | Nummer 443 - Mai 2011

Kampf um Selbstbestimmung

Interview über die Situation in der autonomen Gemeinde San Juan Copala im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca

Der Konflikt um die Autonomie der indigenen Gemeinde San Juan Copala geriet im April 2010 in den Blickpunkt der internationalen Öffentlichkeit. Damals überfielen Paramilitärs eine Menschenrechtskarawane mit mexikanischen Organisationen und internationalen BeobachterInnen, die das von bewaffneten Gruppen belagerte Dorf besuchen wollte. Zwei TeilnehmerInnen, die Mexikanerin Bety Cariño und der Finne Jyri Jaakkola, wurden dabei erschossen. Die LN sprachen mit Andrés del Campo Ortega über die aktuelle Situation und Lösungsstrategien.

Interview: Françoise Greve

Andrés del Campo Ortega aus Chiapas ist Anwalt und Aktivist und hat lange Zeit in Oaxaca gearbeitet. Im Rahmen einer Rundreise mit dem Namen „Sembrando conciencia de autonomía” (Bewusstsein zur Autonomie säen) bereist er zur Zeit verschiedene Länder Europas und die Türkei. Das Ziel ist der Austausch mit Projekten, Kollektiven und Personen über verschiedene Formen der Selbstorganisation und Autonomie.

Wie hat sich die Situation in San Juan Copala seit dem letzten Jahr verändert?

Die Änderung besteht darin, dass es die Gemeinde nicht mehr gibt, das heißt die Paramilitärs haben sie eingenommen. Sie haben die Gemeindevertretung und die Einwohner vertrieben. Viele sind migriert und einige befinden sich heute in Chiapas, Guerrero und in Oaxaca-Stadt. Die damalige Regierung des Bundesstaates verkündete nach den Morden an Bety Cariño und Jyri Jaakkola, dass sie nicht eingreifen könne, weil es sich um ein internes Problem des Dorfes handle. Aber das ist nicht wahr. In Wirklichkeit geht es um starke ökonomische Interessen, darum, wer sich Zugang zur Gemeinde und den natürlichen Ressourcen verschafft.

Haben Außenstehende inzwischen Zutritt zur Gemeinde?

Es gab noch weitere Karawanen nach San Juan Copala mit Politikern, NRO und europäischen Parlamentariern, die Lebensmittel dorthin bringen wollten. Die damalige Regierung von der PRI (Revolutionäre Institutionelle Partei, die in Oaxaca über Jahrzehnte herrschte, Anm. d. Red.) erklärte, sie könne nicht für deren Sicherheit sorgen. Ihnen wurde der Zugang zu San Juan Copala verweigert. Dann wurden ein wichtiges Gemeindemitglied und seine Ehefrau ermordet. Die EinwohnerInnen begannen, sich zurückzuziehen, weil die Regierung nicht reagierte und die Para­militärs von der Organisation UBISORT sich im Dorf breit machten. Sie beherrschen und kontrollieren es. Die Mitglieder der UBISORT stammen aus der PRI, sie waren ursprünglich der verlängerte operative Arm der Partei und haben sich in Paramilitärs verwandelt.

Wie verhält sich die neue Regierung von Oaxaca zu diesem Konflikt?

Der frühere Gouverneur Ulises Ruíz von der PRI hat die Gemeinde in Verzweiflung zurückgelassen. Die Leute glauben keiner politischen Partei mehr. Zwar unterscheidet sich die die neue Regierung unter Gabino Cué von der alten, sie steckt aber im gleichen Getriebe der Parteiendemokratie. San Juan Copala kämpft nicht für Parteienvertreter im Amt oder ökonomische Interessen, sondern für seine Selbstbestimmung und Autonomie. Und diese Frage ist die neue Regierung von Cué nicht angegangen. Bisher hat es keine Entscheidung gegeben, die der Gemeinde ihre Autonomie zugestand. Die Situation ist zurzeit festgefahren.

Gibt es einen Dialog zwischen der neuen Regierung und den Triqui-Gemeinden?

Ja, aber auch viel Angst seitens der Bewohner. Nicht nur wegen der neunzehn Morde in zwei Jahren. In den letzten zehn Jahren sind mehr als 500 Personen ermordet worden. Man kann sich leicht vorstellen, dass das Problem nicht mit e­iner offiziellen Urkunde der Anerkennung des autonomen Status von San Juan Copala gelöst ist. Es geht um Landkonflikte, die Entwaffnung der Paramilitärs, Gerechtigkeit für die Angehörigen der Ermordeten. Jetzt werden kleine Versuche des Dialogs unternommen, um sich auf die wichtigsten Punkte zu einigen. Nach allem, was seit der Autonomieerklärung 2007 und der Ermordung der beiden Aktivisten geschehen ist, haben die Menschen jedoch wenig Hoffnung.

Was müsste als erstes getan werden, um den Konflikt in der Region Triqui zu lösen?

Als erstes sollten die Regierung und die politischen Parteien aufhören, sich einzumischen. Damit meine ich, dass die Autonomie respektiert wird und das Volk der Triqui seine eigenen Autoritäten, seine Lebensformen und seine politischen Strukturen selbst bestimmen kann. Das ist der Ausgangspunkt, damit die Grundlagen zur Lösung des Konflikts geschaffen werden. Zweitens müssen die Mörder von Bety Cariño und Jyri Jaakkola angeklagt und verurteilt werden. Das ist bisher nicht geschehen. Bis heute genießen die Anführer der paramilitärischen Gruppen wie der UBISORT Schutz und befinden sich in Freiheit.

Wann können die BewohnerInnen in ihre Gemeinde zurück?

Wie können die Menschen in ihre Häuser zurückkehren, wenn sie keine Garantien erhalten, dass die Gewalt beendet wird? Wie denn auch bei all diesen Morden, Entführungen, Vergewaltigungen, Häuserzerstörungen und Scharfschützen in den Bergen, die auf das Dorf schießen, um ein Klima der Angst aufrecht zu erhalten. Es ist sehr schwierig, das alles zu verändern. Ich meine damit nicht, dass die Bewohner nichts tun. Es gab verschiedene Bewegungen und Proteste in anderen Landesteilen, so auch ein Protestcamp in Mexiko-Stadt. Das Wichtigste ist, dass wir, die Leute, die San Juan Copala und seine Geschichte kennen, gemeinsam den Respekt für die Autonomie der Triqui fordern. Die Regierung muss das letztendlich verstehen.

KASTEN:
Machtkämpfe in der indigenen Region Triqui
Der Konflikt um Macht und Land in der schwer zugänglichen Bergregion im Westen des Bundesstaates Oaxaca ist vielschichtig; zuverlässige Informationen sind für Außenstehende oft schwer zu erhalten (siehe LN 432). Die Gemeinde San Juan Copala, die sich am 1. Januar 2007 als autonom erklärte, befindet sich im Zentrum des Machtkampfes mit wechselnden Allianzen. Seit den 1980er Jahren hat sich die indigene Organisation MULT für mehr Rechte und Selbstorganisation eingesetzt und damit die Macht der Regierungspartei PRI herausgefordert. Diese antwortete mit der Gründung einer bewaffneten Gruppe (UBISORT), die mittlerweile quasi-paramilitärische Strukturen aufzeigt. Die PRI – seit Ende 2010 erstmals nicht mehr Regierungspartei, aber immer noch sehr präsent – versuchte die Zone der indigenen Triqui zu kontrollieren, indem sie bewaffnete Gewalt in der Region direkt und indirekt förderte. Eine interne Spaltung des MULT verstärkte den Konflikt weiter. Die Auseinandersetzungen haben bisher mehrere Hundert Tote in den letzten Jahren gefordert, internationale Aufmersamkeit erhielten sie 2010 nach der Ermordung des finnischen Menschenrechtsaktivisten Jyri Jaakkola. Den Bericht zu sozialen Bewegungen in Oaxaca 2010 finden Sie hier: http://www.educaoaxaca.org/images/informe-final-los-mov-soc-04-10-10.pdf

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